T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Freitag, Januar 30, 2009

Die Lektüre der ersten Sätze eines neu erworbenen Buches ist ein ganz apartes Lesevergnügen. Der Neu-Gierige ist bereit, mit seinem Wohlwollen gegenüber Autor und Text geradezu verschwenderisch umzugehen. Die letzten hundert Büchelchen zum Thema sind gegessen. Klar, es ist nicht unangenehm, über einen gewissen Background zu verfügen, aber ... Jetzt kommt es! Hier steht es! Incipit philosophia! Der Text wird aufgeschlagen wie eine Partitur, und der Begeisterte stürzt sich hinein, beflügelt von der noch ungetrübten Illusion, dass keine Brechung keiner Nebenstimme seiner ungeteilten Aufmerksamkeit entschlüpfen wird. Noch gibt es überhaupt nichts Unwichtiges. Noch entstehen Blogs zu Nebensätzen.

Chapter 1: Socrates' Question: Nicht von irgendeiner belanglosen Frage ist die Rede, αλλα περι του οντινα τροπον χρη ζην. What we are talking about is how one should live. [Seht her: Da wird keine Mühe geschaut, jedes Jota wird sorgfältig gesetzt, da wird ein Pfahl in die 'Politeia' gesteckt, und auch das sehr sorgfältig: Politeia, 352 d. Wenn das so weitergeht ...]

Es gilt gleich zwei Punkte zu beachten. Wir beachten den ersten davon gehorsamst, auch wenn er eher an den über Moralphilosophie Schreibenden gerichtet ist. [1] Dieser muss ihn beachten, even if he does not think his relation to Socrates' question lies in trying to answer it.

Und ab geht die Post! Was macht man mit einer philosophischen Frage? Eine gute Frage! Welche Beziehung unterhältst du zu einer bestimmten philosophischen Frage? - "Ich versuche sie zu beantworten." - "Ah, das also ist deine Beziehung zu dieser Frage! Ok." - "Woran hast du denn gedacht?" - "Ach weisst du, für eine Vertonung reicht es nicht, aber vielleicht springen ein paar Blogs dabei raus."

Und schon ist gar der zweite Abschnitt geschafft; das Ende der ersten Seite rückt unentwegt näher. Wenn das so weitergeht ...


[1]
Dieser soll sich vor Augen halten, how large a claim he is making if he says that a particular kind of abstract, argumentative writing should be worth serious attention when these large questions are at issue.


[Bernard Williams: Ehics and the Limits of Philosophy]

Es ist ein weiter Weg vom Ruf des Kuckucks bis zu Beethovens Fünfter. Um Mitternacht hab ich's gedacht, beim Kaffewasserkochen, als zwei Töne sich in das verhaltene Heulen und Ächzen des wackeren Kochers zu mischen begannen. Der gelangweilt Wartende stellt fest, dass das Gerät den höheren Ton zwar zu halten vermag, dass seine Treffsicherheit nach unten aber stetig abnimmt: Der Ruf des Vogels wächst und wächst, und da das Wasser immer noch nicht kocht, erhebt sich die Frage, ob nicht schon bald der Ruf des Schicksals dem Topf entsteigen mag. Weit gefehlt, entdeckt der naiv verblüffte Wartende: Da fehlen Welträume!


Bam ba-bam. Kleine Terz runter und wieder rauf. - Um Mitternacht / Hab' ich gewacht ... Hab' ich gedacht ...

Um Mitternacht
Nahm ich in acht
Die Schlaege meines Herzens;
Ein einz'ger Puls des Schmerzes
War angefacht
Um Mitternacht.

(Friedrich Rückert, Gustav Mahler)


[Für Roland Müller]

[Mahler war für mich musikalisch ansonsten nicht unerfahrenen Zwanzigjährigen totales Neuland. Und dann das! Dem Ergriffenen/Entsetzten vorgespielt, um Mitternacht.]

Donnerstag, Januar 29, 2009

Am Anfang war das Wort 'Zorn'. - Den Zorn singe, Göttin, des Peleussohnes Achilleus ... Den Zorn singe, Muse, des frühen Jahwe, den nicht versiegenden Zorn, mit dem er schlägt sein eigen Volk und vernichtet die, die es verfolgen ...


Laute, Wörter, Sätze 8/103



Scheppernd zieht durch mein Gemüt
Hässliches Gelaute.


Es gibt Menschen, bei denen es schon anstrengend wird, sie freundlich zu behandeln.

Du mit deiner Freundlichkeit! Täte es nicht auch ein ordentliches Mass an Korrektheit?

Fast scheint es, als wolle ich den Glauben an das Gute im Menschen - wider besseres Wissen - immer noch nicht aufgeben. Nun, vielleicht genügt es ja, an das Gute in sich zu glauben. [Weise gesprochen: Ich bin der Besitzer des Rings!] Und dann nicht gleich aus allen Wolken fallen, wenn du an einen rücksichtslosen Heini gerätst, gell?!

Eine Heimsuchung: War ich gerecht, als ich gute Miene zum Gebaren des Rüpels machte, obwohl es vielleicht ein Leichtes gewesen wäre, ihn mit einer gezielten abschätzigen/rüden Bemerkung so richtig zu treffen? - (Die gute Miene aus guter Laune ist natürlich kein Problem.)

Himmel, du hast Musik in deinen Ohren! Und ganze, wohlgeformte Sätze. Wozu dann deine Aufmerksamkeit auf das sprachlose Gewürm mit seinem hässlichen Gelaute richten?

[Philotustan verliert die Geduld mit sich: Schumann, Mahler, Berg ... Blablaätschigätschi ... Nein! Palestrina, du Idiot! Und dann ... Nein! Erst noch die Wetterstoa Musikanten und der Drei- und Viergsang! Und weiter sinngemäss. Und dann Da capo! Töne, du Idiot, nicht ... Ha, wenigstens suche ich jetzt kein Wort mehr für das Unsangliche!]


Leise zieht durch mein Gemüt
Liebliches Geläute ...

Leise flehen meine Lieder
Durch die Nacht zu dir ...

...
...

Mittwoch, Januar 28, 2009

[Gute Fragen: Wann ist Kunst? (Nelson Goodman) - Wann ist Musik? - Wo sind wir, wenn wir Musik hören? (Überschrift des Wolfgang Rihm "in herzlicher Verehrung" zugeeigneten Kapitels aus Peter Sloterdijks 'Weltfremdheit'.)]

weltfremd


Wo sind die grossen Buben, wenn sie Musik hören? - [Keine besonders gute Frage; sie beantwortet sich von selbst:] In den Armen der Geliebten, natürlich. Die hat den Buben wohl in dem Arm, sie wiegt ihn sicher, sie hält ihn warm. Oh selige Wiegenliederlichkeit! Die sanfte Verführerin weckt in dir hundertfach Impulse, dich fallenzulassen; du darfst ihnen allen nachgeben in der vollkommenen Gewissheit, dass du jedesmal in eine weiche Mulde fällst. Das ganze verdammte Leben hat keine grössere Sicherheit zu bieten als die von einer ihrerseits in den Armen der Geliebten Musik liegenden, rhythmisch sicheren Formation ansteckend ausgestrahlte. Das Leben kennt keine Härte mehr, du wirst federleicht, wirst gewiegt, schaukelst, krähst vergnügt, wenn du die nächste Mulde auf dich zuschiessen siehst. Es ist die schiere Lust, wenn du gleich wieder aus ihr hinauskatapultiert wirst, rein in die nächste. Nicht die leiseste Anstrengung kostest das.

["Und wenn ich mich doch anstrengen muss, um in der wiegenden Bewegung zu bleiben?" - Nun, dann ist es sofort höchste Zeit, die Musikformation auszuwechseln. - Das sollte so nebenbei die Frage beantworten, was ein guter Musiker ist. Und wo du den findest, das sagt dir dein wiegenliederlicher Instinkt. (Du magst vielleicht nicht ganz sicher sein, was dabei herauskommst, wenn du zwei und zwei zusammenzählst. Aber es gibt doch Sicherheiten im Leben.)]

["Ähm, wo soll ich denn sein, wenn ich Musik höre?" - Im Schoss deiner ersten Geliebten. Am Rande der Welt, nur durch den Gehörssinn mit dieser verbunden. Noch vor der grossen Katastrophe, wo die Welt über dich hereinzubrechen beginnt.]

[Peter Sloterdiks Philosophie der Neuen Musik findest du in seinem 'Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung'. Ein verdammt gutes Buch. - Der Autor, im 'Vis-à-vis' von Frank A. Meyer danach gefragt, was denn das Wichtigste beim Schreiben sei: "Der Rhythmus muss stimmen."]


Die ersten einleitenden Takte stehen in F-Dur, kurze Wechsel in die Dominante, harmonisch nichts Aufregendes. Der Anfangston, ein C, bleibt im Bass liegen. Quartsextakkord. Schwebeton. Abgehobener Klang. "... abhanden gekommen ..." Aus Gustav Mahlers Rückert-Liedern:

Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben.
Sie hat so lange von mir nichts vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben.
Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
Ob sie mich für gestorben hält;
Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.
Ich bin gestorben dem Weltgewimmel
Und ruh' in einem stillen Gebiet.
Ich leb' in mir und meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied.



[Für Daniel Jaun]

[Erinnerungen: Du zeigst mir mit weit ausholenden Bewegungen, was Rhythmus ist. Du zeigst mir, wie im Flamenco der Gitarrist genau rechtzeitig den Teppich ausfährt, auf dem der Sänger dann sicher landen kann. Du legst eine deiner alten Scherben auf und lässt mich Arthur Schnabel lauschen, wie dieser im zweiten Satz von Mozarts Klavierkonzert Nr. 21 seine Bögen forsch aufwirft und weit ausspannt. Ich darf mich auf sie werfen und auf ihnen gleiten, darf staunen wie ein kleiner Bub, dass es so was gibt und dass das geht, mühelos geht. - Schon lustig, gell? Da hat einer mal eine Bemerkung gemacht, und jetzt darf er sie nach Jahrzehnten irgendwo lesen. - War es im zweiten Satz von Schuberts 3. Sinfonie, wo du dich gefragt hast, was Carlos Kleiber den Musikern wohl gesagt haben mag, dass diese uns in ein seliges Glucksen zu stürzen vermochten? - (Ach übrigens: Jetzt hab ich meine Telefonnummer schon wieder vergessen.)]

Sonntag, Januar 25, 2009

Philotustan: "Die meisten Menschen sind eine Plage." - Scholl-Latour: "Der Mensch ist schlecht." - Ok.

Im Schlendergang durch die Altstadt. Ein kleiner Köter steigt an meinem Hosenbein hoch. Das possierliche Tierchen belustigt mich. Auch eine ältere Dame gehört dazu. Sie hat Gefallen an meinem Gefallen an ihrem Liebling gefunden. Das gefällt mir. Wir wechseln ein paar ungezwungene Worte und verbleiben dann heiter mit guten Abendwünschen.

Unter dem Arm Martin Walsers 'Die Verwaltung des Nichts'. Ich setze mich in ein Café. Die vierte Vorrede. "Mit gelben Birnen hänget / Und voll mit wilden Rosen ... Sonnenschein / am Boden sehen wir ... Wo aber Gefahr ist, wächst das / Rettende auch." - Gleich daran anschliessend:

"Das ist es. Das ist der immer angestrebte Gegenton. Das ist das Nichtausruhen im Negativen."


[Der nächste Satz lautet dann: "Das darf man Dialektik nennen." - Der Leser darf mittlerweile dazudenken: Und was verdient denn den Namen nicht? Ein Satz wie "Es gibt kein richtiges Leben im falschen". [Nein, der Satz stammt nicht aus einem kritischen Editorial zu 'Schöner Wohnen'.] Köstlich!]

[Der übernächste Satz: "Das ist die Notwehr, beispielhaft."]

[Tja, und vorher und nachher hat es noch mehr Sätze. (Eine Lektüreempfehlung.)]

Freitag, Januar 23, 2009

[Die Rede ist von einer Handvoll Menschen. Und dann:] "Was liegt mir am Rest? Der Rest ist nur die Menschheit. Man muss der Menschheit überlegen sein durch Kraft, durch Höhe der Seele, durch Verachtung." (Friedrich Nietzsche)


Der Rest heisst schweigen


Baden-Badener Disput. Thematik: Glück und Zufriedenheit oder so was Ähnliches dergleichen Vorkommendes. Das ist sicher zwei Jahrzehnte her. Die Leute seien viel zufriedener, als man allgemein annehme. Das war die Stimme der empirischen Sozialforschung. Peter Sloterdijk war überhaupt nicht beeindruckt. Er habe mal mit einem älteren Beichtvater über das Thema gesprochen: "Ach wissen Sie, Herr Sloterdijk, ich bekomme ja seit Jahrzehnten täglich viel zu hören, und ich kann Ihnen versichern, das Ausmass des Unglücks der Menschen ist sehr viel grösser, als einer sich vorstellen mag."

Die Menschen erleben gute Zeiten, haben Erfolge, erfreuen sich an diesem und jenem, und sie leiden ganz entsetzlich. Ja, so wird es wohl sein.

Schon blöd, dass sie sich so vorzüglich darauf verstehen, einander das Leben schwer zu machen. Nun, so haben sie halt wohl nichts Besseres verdient als ihr kleines beschissenes Elend. Die Vorstellung, dass es den neidischen Miesepetern, Stänkerern und bösartigen Wichten gut gehen sollte, wäre schon reichlich unerträglich.

Der Rest heisst schweigen.


[Das grösste Glück der grössten Zahl als Kriterium der Moralität von Handlungen? Das dürfte schon an der Frage scheitern, wie dann Menschen je zu moralischen Handlungen motiviert sein könnten. - Nun, ich habe natürlich nicht im Sinn, was Argumentartiges vorzubringen. (Habe ich das hier überhaupt schon jemals getan?) Der Utilitarismus belustigt mich einfach. So viel mit grosser Denkanstrengung vorgebrachte Albernheit kitzelt.]

[Peter Scholl-Latour ist weit herumgekommen, in den allerverschiedensten Funktionen (z.B. als Fremdenlegionär in Vietnam). Nun sitzt er einmal mehr da, und eine Erzählung sprudelt aus ihm heraus. Sandra Maischberger, etwas belustigt, rundet den Redeschwall ab: "Der Mensch ist schlecht, nicht wahr, Herr Scholl-Latour?" Dieser lässt sich zurückfallen und bestätigt: "Ja, der Mensch ist schlecht." Ernst, sachlich, abschliessend, ganz unaufgeregt jetzt. Es kommt wie das 'Amen' in der Kirche. (An dieser Stelle setzt ein Blog ein, der hoffentlich nie geschrieben wird: Peter Scholl-Latours Liebe zum Islam. Ein Erzkatholik bewundert, was seine eigene Kirche, die er nicht mehr wiedererkennt, ihm weggenommen hat. "Ach, ich rede hier nicht von Islam und Islamismus und so Zeugs, ich spreche, verstehen Sie, von frommen Leuten. Ach was, Sie verstehen das natürlich nicht. Kein Mensch hier versteht das." Ich könnte jeden Satz des ehemaligen Zöglings einer Klosterschule unterschreiben, ich juble, wenn ich ihn höre. Aber eben: Das reicht jetzt.)]

Donnerstag, Januar 22, 2009

Es muss nicht immer Mozart sein


Der Kopf des ersten Themas der Linzer-Sinfonie von Mozart: Ein Aussage, die eine Stellungnahme provoziert: "Ja, so ist es! So und nicht anders. Davon kann einer ausgehen. Ja! Ja!" Der weitere Gedankengang nimmt die Grundfigur, diesmal absteigend, wieder auf, schnellt dann in die Höhe, lässt sich übermütig purzelnd wieder zurückfallen und bricht schliesslich in unbezähmbaren Jubel aus: (C-Dur. Die pure Affirmation. Fortissimo:) "Ja! Ja! Ja, so ist es [Das war wieder der Kopf], ja, so ist es, ja, so ist es, ist es, ist es." Dann wird noch - leiser jetzt - abgerundet und - wieder lauter - ein flottes Schwänzchen drangehängt. Eine kugelrunde Sache. Das ist so kugeli kugeli kugeli kugeli kugeli kugelirund ... [Mir ist so vögeli vögeli ... vögeliwohl].

Vita brevis. Und arg beschissen. Die meisten Menschen sind eine Plage. - Nun, das mag sein, wie es will, sicher ist im Moment nur: Der Kopf des ersten Themas der Linzer-Sinfonie ...

Klar, es gibt weitere Sicherheiten, eine solche etwa, die von den langsamen Zweiertakten ansteckend ausgestrahlt wird. Ja, 'Da Hiaddabua' von den Wetterstoa Musikanten! Und weil diese in unseren Breitengraden nicht zu haben sind, ziehe ich mir vor der Arbeit in einem Plattenladen noch eine Polka von Peter Zinsli rein. So etwas immunisiert ganz gewaltig. Das liefert die schlagendsten Argumente gegen Plaggeister der untersten sowohl wie der mittleren Chargen: Ta-ta-ràam ta-ta-taa - "... aber ..." - ta-ràam ta-ta ta-taa - "... ich meinte doch nur ..." - ta-ràam ta-ta ta-taa - "... aber du kannst doch nicht ..." - ta-ràam ta-ta ta-taa ... Allfällige Ausfallschritte sind freilich nur bei den untersten Chargen angebracht. Auf der mittleren Ebene und weiter oben mag es sogar angebracht sein, sich gehorsamst auf ein anfängliches leises Summen zu beschränken. Ich meine, es könnte ja sein, dass die Damen und Herren keine Polkas mögen.

Mittwoch, Januar 21, 2009

[Es fehlt ein Ton: Ein Todeserlebnis]

"(Isolde ... heftet das Auge mit wachsender Begeisterung auf Tristans Leiche.)

Mild und leise / wie er lächelt, / wie das Auge / hold er öffnet - / seht ihr's, Freunde? / Seht ihr's nicht? ... Sind es Wogen / wonniger Düfte? / Wie sie schwellen, / mich umrauschen, / soll ich atmen, / soll ich lauschen? / Soll ich schlürfen, / untertauchen? / Süss in Düften / mich verhauchen? / In dem wogenden Schwall, / in dem tönenden Schall, / in des Welt-Atems / wehendem All - / ertrinken, / versinken - / unbewusst - / höchste Lust!"

Das Orchester baut ein letztes Mal die gewaltige Erwartung auf: Die ersten vier Töne aus dem Vorspiel: Hoch die kleine Sexte - verharren - ein Halbton abwärts - kurzes Zögern - und dann sich reinfallen lassen in den mittlerweile vertrauten, süsslich schmerzenden, mehr als zweideutigen, aufwühlenden, dunkel verfärbten Akkord ... Doch was ist das? Reiner Dreiklang. Kein Zwischenton, keine Zweideutigkeit, kein Schmerz. Alles fehlt. Ist das ...? Ja, das ist ...:

"(Isolde sinkt ... sanft auf Tristans Leiche ... Marke segnet die Leichen. Der Vorhang fällt langsam.)"

[Heidegger und der Nationalsozialismus.]

Ich wollte zuerst eine Lizentiatsarbeit über Heidegger schreiben und verknurrte mich dazu, neben der berüchtigten Rektoratsrede auch recht ausgiebig wenig appetitlichen, im besten Fall völlig lächerlichen Kitsch zu lesen, mit dem der grosse Denker beispielsweise lokale Parteiblätter garniert hatte. Und natürlich tauchte dann auch die Frage auf, was dieses Zeug mit seiner Philosophie zu tun habe. Es ist bestimmt nicht gerade einfach, hier eine Verbindung herzustellen. Aber ich war wild dazu entschlossen. Nicht einmal die kleineren Anfeindungen, denen ich als Linker wegen meiner Beschäftigung mit Heidegger ausgesetzt war, sollten mich davon abbringen. [Nicht selten wird ja der solchen Anfeindungen Ausgesetzte dazu getrieben, sich mit dem Gegenstand seiner Beschäftigung zu identifizieren. "Na, dann zeigt mir mal, was an dieser Philosophie totalitär ist! Nur zu! Ich bin ganz Ohr." Und zurücklehnen, das Schweigen geniessen; und rein in die Texte, verbissener denn je!]

Nun, ich hab's nicht gerade weit gebracht. Irgendwann mal stiess ich auf diese Formel: "Heideggers Philosophie ist nicht widerständig. Es gibt in der Philosophie Heideggers nichts, aber auch gar nichts, was einer totalitären Philosophie den geringsten Widerstand entgegensetzen könnte." Ich weiss, das ist reichlich dünn. Und die Sache mag nicht wesentlich nahrhafter werden, wenn ich hier und heute diese Bemerkung hinzufüge: Mir ist (wenigstens im Moment) wohler bei Philosophien, in denen auch die Wörtchen 'Handlung' und 'gut' vorkommen.


[Wohl überflüssig zu sagen, dass ich mich gern mit Vorkommnissen der erwähnten Wörtchen bei Heidegger zuschütten lasse.]

Dienstag, Januar 20, 2009

Laute, Wörter, Sätze 7/103


C'est le ton qui fait la musique. - Die Bauern sind die Seele des Schachspiels. - Die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Elemente der Sprache sind die Phoneme.

Ein Phonem ist kein Laut, ein Bauer keine Spielfigur, ein Ton kein(e) ... [Überlagerung von durch bestimmte Frequenzen und Amplituden definierten Schallwellen].

Ein Ton ist definiert durch seine Funktion in einem durch eine Tonalität aufgespannten Kraftfeld. Wenn er denn als Ton wahrgenommen wird. Esse est percipi. Musik ist, wenn ...

[Kaum begonnen, schon zerronnen: Ich lasse das tonale Kraftfeld wieder sausen:] Wir sitzen in einem Konzertraum. Auftritt John Cage. Er lässt die Fenster öffnen. Der Komponist hat seinen Dienst getan. Wir achten auf die Geräusche, die von aussen in den Saal dringen. I'ts music, it's sounds heard.

Ich watschle durch ein Kaufhaus. Ich durchlebe eine sanfte Beschallung. Es macht mir nichts aus, dass es nichts zu hören gibt. Das bisschen Quasi-Mozart oder so ist gerade noch zu ertragen. Nach Musik ist mir jetzt eh nicht zumute.

[Eine Quellenangabe zwischendurch: Da ist ein Stein in einem Steinfeld. Und da ist derselbe Stein, diesmal auf dem Boden eines Ausstellungsraums. "Ist das Kunst?" - "Jetzt schon." (Nelson Goodmans gute Frage: Wann ist Kunst?)]

Und diesmal macht es mir etwas aus: Eine Sendung für die gebildeten Schichten. Es gibt eine schöne Gartenanlage zu betrachten, durch die mich der Allwissende, auch 'Off-Ton' genannt, mit höchst kundigen Bemerkungen führt. Die Regie gebietet ihm Einhalt und ... Vow! Eine Pavane. Englische Renaissance. Glenn Gould? Blumen und Töne[!] ziehen an mir vorüber ... Und wenn der Allwissende nicht wäre, würde ich mich doch glatt in letzteren verlieren und nichts über die ausgeklügelte Geometrie der Anlage erfahren. [Ja, das ist barbarisch!]

Die neuste Verfilmung von 'Lady Chatterly': Wenig Töne. Ich habe jeden davon gehört. - Die permanente Beschallung in zahllosen Streifen, und kein einziger Ton zu hören.

Drei, vier Töne aus einem Liedchen, das in Woodstock getrillert wurde. Ich bin sofort ganz Ohr. Die junge Gastgeberin erklärt, wie erstaunt sie immer wieder sei, dass Leute meiner Generation ihre Liedchen immer noch präsent hätten. Ich verstehe Bahnhof. Muss da mal nachfragen ...

... bevor ich Worte wie 'the decline of musical culture in recent years' in den Mund nehme. Kulturkritik ist ja nicht mein Ding. Habe mir Roger Scrutons 'The Aesthetics of Music' heute dennoch bestellt. Der Mann ist Philosoph und Komponist und wird bestimmt auch was Interessantes zu sagen haben. Er habe, meint mein Tugendhat, "starke Gründe dafür erbracht, dass man auch das Musikverständnis der Menschen von ihrer sprachlichen Struktur her verstehen müsse".

Hier sitzt ein Blogger. Er hat eine Idee: Er könnte ja mal über etwas schreiben, womit er von Kindheit an innig vertraut ist, über Musik eben. Mal sehen.

Es gab in seinem Leben mal eine Zeit, wo Töne für ihn keine Bedeutung mehr hatten. Das war die Depression. Man darf das definitorisch nehmen. - Übrigens hat er in dieser Zeit seine Mitbewohner mit DJ Bobo malträtiert. Das spricht durchaus für den DJ, der sich ja, wie mir gerade einfällt, in bester Gesellschaft befand, derjenigen von Richard Wagner. Götterdämmerung. Tja, so ein richtiger Weltuntergang kam mir gerade recht, wo eine zürnende grosse Frau die Welt anzündet und alles den Strom runtergeht, wo Schwert- und Wotanmotiv verblassen und das 'Weia! Waga! Woge du Welle ...' der Rheintöchter die sanfte Ruhe auf dem Grund des grossen Stroms verheisst, bevor, unendlich sanft erst in das Wogen eingefädelt, eine Melodie von unendlicher Schönheit ... Zurück vom Ring! Zurück vor diesen 'unendlich'!


[Für Woglinde, Wellgunde und Flosshilde]

Montag, Januar 12, 2009

"Es darf sich einer nur für frei erklären, so fühlt er sich den Augenblick bedingt. Wagt er es, sich für bedingt zu erklären, so fühlt er sich frei." (Goethe) - Eine von Monk bereinigte Fassung dieser Reflexion findest du hier.

[Das Skelett eines Blogs:]

(Thomas Nagel: Letzte Fragen. Moralische Kontingenz:) Es gibt eine Unmenge äusserst verschiedenartiger Dinge, die bei unseren Handlungen eine wichtige Rolle spielen, über die wir aber keinerlei Kontrolle haben. [...] So scheint unsere Idee von Verantwortung baden zu gehen. Wir haben es, wenn wir die Sache nur von aussen betrachten, am Ende nur noch mit Ereignissen und darin involvierten Dingen zu tun, nicht mehr mit Handlungen von Menschen.

[Das tönt verrückt, ist aber - wie bei so vielen Verrücktheiten wie beispielsweise dem Solipsismus - das Resultat eines durchaus vernünftigen Gedankenganges aus lauter nachvollziehbaren Schritten. - (Werde vielleicht mal einen Blog darüber schreiben, wie man mit solchem Zeug, das man zur Gänze nur loswerden kann, wenn man das Denken ganz abstellt, auf erspriessliche Weise umgehen kann. In unserem Fall haben wir nach Nagel schon einen Umgang gefunden: Wir vergessen es einfach, sobald wir selber in das menschliche Treiben involviert sind:]

Die Gegenbewegung: Ich übernehme Verantwortung für mein Tun. ("Es liegt an mir." "Ich kann anders [hätte anders gekonnt."]) Ich sehe in mir eine Person. Tja, und dem andern soll es nicht besser gehen: Ich behandle ihn als eine Person. Und auf die Gefühle der Verachtung und Entrüstung dieser Person, die mich als Person treffen, reagiere ich als Person mit den entsprechenden Gefühlen der Scham und der Schuld. [Es ist hier wohl überdeutlich zu sehen, wie lachhaft sinnlos die Idee einer Person ohne eine andere Person wäre. Die beiden sind nicht als Einzelstücke zu haben.]


[Gleich noch ein kleines Blogskelett, weil es sich gerade so flott ergibt: Mir scheint, dass viele grosse Ismen und ihre Gegenstücke sich ganz gut als ganz selbstverständliche Resultate von folgerichtigen Gedankengängen verstehen lassen, wenn man diese zur Abwechslung mal einfach weiterlaufen lassen mag. Und jedesmal setzt dann automatisch eine Gegenbewegung ein. Gross gesprochen: Wir scheinen es hier mit so etwas wie Antinomien des in einer propositionalen Sprache beheimateten Denkens zu tun haben. In unserm Fall: Der Gedanke eines tierhaft unschuldigen, für nichts legitimerweise zur Verantwortung zu ziehenden Menschenwesens ist ein Gedanke, der sich einem konsequent fortschreitenden Denken aufdrängt. Und wir können gar nicht anders, als uns als verantwortliche Personen anzusehen. Tja, und dann mag eine gewisse Pendelbewegung zwischen den beiden natürlichen Extremen einsetzen. Grad wie beim perpetuum pendulum Goethes.]

[Das Skelett eines Blogs:]


"Kein Mensch darf einem andern Menschen jemals Schaden zufügen." - Es soll gezeigt werden, dass dieser Satz gut begründet ist.

Jeder Mensch ist der festen Überzeugung, dass die andern einen verdammt guten Grund dafür haben, ihm keinen Schaden zuzufügen. (Ob der andere mich kennt oder nicht, ob er mich mag oder nicht, auch wenn er irgendwelche starken Motive hat, etwas zu tun, was mir schadet, und ob er mir dann auch tatsächlich schadet oder nicht: Er hat so oder so einen Grund (gehabt), es nicht zu tun.)

[Der Kern des Blogs: Demonstration des Grundes: Alle Gefühle artikulieren, die in mir hochkommen, wenn ich mir einen konkreten Fall vorstelle, wo ein anderer mir einen Schaden zufügt, um herauszufinden, worin genau dieser Grund besteht. - (Versuche mal, dich hierfür stark zu machen: Der andere hat überhaupt keinen Grund, mich nicht zu schädigen.)]

Der andere hat einen Grund, mich nicht zu schädigen. Ich will, dass er diesen Grund anerkennt. Der andere ist der Überzeugung, dass ich einen Grund habe, ihn nicht zu schädigen. Er will, dass ich diesen Grund anerkenne. - Tja, und daraus sollte nun irgendwie folgen, dass ich einen Grund habe, den andern nicht zu schädigen.

Jedenfalls dürfte es einem schwerfallen, dumm-dreist und unendlich eingebildet zu verkünden: Der andere darf mich auf keinen Fall schädigen! Ich aber habe keinen Grund, den andern nicht zu schädigen.

[Nach: Thomas Nagel: Was bedeutet das alles? Eine ganz kurze Einführung in die Philosophie. Recht und Unrecht, (Reclam) S. 55-57.]


[Ich komme nicht von den Grundlagenfragen los. Was mich an ihnen neuerdings fasziniert: In meinem Hinterstübchen beginnt ein Personenbegriff zu dämmern:]

Donnerstag, Januar 08, 2009

["Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloss als Mittel brauchest." Anmerkung: "Diesen Satz stelle ich hier als Postulat auf. Im letzten Abschnitt wird man die Gründe dazu finden." - Was vorher geschah:]


"Nun sage ich: der Mensch ... existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloss als Mittel zum Gebrauch für diesen oder jenen Willen."

"So stellt sich notwendig der Mensch sein eigenes Dasein vor; ..."

Kommentar: Ja, so ist das!

Aussparungen zum Behufe der Vermehrung der Unreinheit


Was ich im ersten Satz liebend gerne ausgespart habe: "und überhaupt jedes vernünftige Wesen". - Der zweite Satz geht so weiter: "sofern ist es also ein subjektives Prinzip menschlicher Handlungen. So stellt sich aber auch jedes andere vernünftige Wesen sein Dasein ... vor; also[!] ist es zugleich ein objektives Prinzip ..."

Für alle Fälle: Unter den andern vernünftigen Wesen dürfen wir uns nicht etwa andere Menschen denken, sondern ... ja was weiss ich ... Engel und überhaupt alle vernunftbegabten Wesen, die wir uns irgendwie (aus)denken können. Wäre die Vernunft bloss eine Eigenschaft der Gattung Mensch - und somit unrein -, könnte sie für Kant niemals die verbindliche Kraft haben, die sie nach ihm tatsächlich und einzig hat.

Daraus allein, dass die Menschen notwendig diese Vorstellung von sich und ihrem Leben haben, scheint für Kant nicht allzu viel folgen zu können. - Tja, sollte etwas daraus folgen? - Ich will nicht naiv sein: Aristoteles hat die Sklaverei gerechtfertigt; die Sklaverei in den Vereinigten Staaten von Amerika ist noch nicht lange abgeschafft; es gibt heute himmelschreiende Ungleichheiten in zig Staaten dieses Planeten.

Ok, ich will nicht naiv sein, aber ein klein wenig bin ich es halt vielleicht schon: Ich vergegenwärtige mir die beiden Sätze, lasse mich von ihnen ergreifen - ich muss gestehen, dass besonders der zweite für mich etwas Anrührendes hat -, und dann kann ich nicht umhin zu sagen: Wer sich das wieder und wieder (auf seine eigene Weise) vergegenwärtigt, dem muss es doch verdammt schwerfallen, ernsthaft zu bestreiten, dass jedes Menschenwesen so behandelt werden muss, wie es sich in aller Selbstverständlichkeit selber versteht, nämlich als Zweck an sich selbst. Andere Behandlungsweisen von Menschen (durch einzelne oder Gemeinschaften) kommen doch schlicht nicht in die Tüte!

Ich mag gar nicht hören, wie Kant seinen 'praktischen Imperativ' zu begründen versuchen wird. Ist doch eh klar, was dabei rauskommt: Es wird nicht klappen: Da ist ein 'subjektives Prinzip', ein sehr schönes, anrührendes, eines, bei dem lange versonnen und phantasievoll zu verweilen sich lohnt. Und dann wird durch die Bemühung, Gründe für es zu finden und es damit irgendwie in den Status eines 'objektiven' und so erst verbindlichen Prinzips zu erheben, am Ende doch nur wieder alles versaut.


[Noch was aus dem Hinterstübchen: William James, sinngemäss: "Begegne jedem Menschen zunächst mal mit einem gewissen Wohlwollen. Tust du das nicht, nenne einen Grund." - Das gefällt mir: Erst mal verhalten wir uns anständig. Wenn nicht, haben wir uns zu rechtfertigen. Und dass wir anständig sind, werden wir nie rechtfertigen. (Schon klar, das spricht überhaupt nicht gegen philosophische Begründungen; ich mag sie bloss nicht übertrieben gut. Egal.) By the way: Heute bei Nagel aufgeschnappt, wiederum sinngemäss aus dem Hinterstübchen: Rechtfertigungen haben ein Ende; das Ende liegt dort, wo wir sie enden lassen; und das ist dort, wo wir keinen Bedarf mehr für sie haben.]

Dienstag, Januar 06, 2009

[Mit diesem Blog wird unser Gesichtskreis für einen Augenblick ins Un(ab)schätzbare ausgeweitet:]

... sed tantum dic verbum ...


Ein Superstar aus der Beschallungsbranche, nennen wir ihn Rainer oder Dieter. Er ist geschätzt, mega geschätzt, hat überwältigenden Erfolg, und er hat Ambitionen, hält sich für einen Künstler. Und hier hat der rauschende Erfolg einen Haken: Es fehlt eine leisere, fundiertere Stimme, die Stimme eines geschätzten Meisters des Fachs. Unser Rainer oder Dietrich bleibt auf der Frage sitzen, ob er bei aller Geschätztheit denn auch schätzenswert sei. Darum sein unablässiges Gezappel und Geschnatter in der ach so unbedarften, von den Könnern nicht gerade krampfhaft gesuchten Öffentlichkeit. Es fehlt ein erlösendes Wort, das die skurillsten Verrenkungen zum Halten bringen könnte. - Nun, wir treiben hier auch kein Erlöserwerk; wir wollen bloss eine kleine Unterscheidung festhalten: geschätzt - schätzenswert. Die brauchen wir noch.


[Nach "Zuaschneib'n Tuat's" spielt uns die Leukenthaler Saitenmusik nun noch "Auf da Schafewoad'". - Mit einer Verbeugung vor allen wohlbehosten, wohlgefiederten und wohlbestrumpften TänzerInnen, SängerInnen und MusikantInnen zwischen Inn und Saale.]

[zu meinen Akten:]

Unterscheide:
1) das Moralsysten der Gemeinschaft akzeptieren
2) einzelne Normen akzeptieren
3) normgemäss handeln

zu 1)
Bie Bejahung der Struktur hier. Sie zu bejahen, heisst, den moralischen Standpunkt einnehmen. Dieser ist in den Menschen tief verankert. (Stichworte: das Gefühl, schätzenswert bzw. nicht geringschätzenswert zu sein, als notwendige Bedingung des Selbstwertgefühls; die grosse Verletzlichkeit der Menschen, ...)

zu 2)
Einzelne Normen werden vom moralischen Standpunkt aus abgelehnt.

zu 3)
Das ist das weite Feld der Sünde.

"Es ist eine herrliche Sache um die Unschuld, nur ist es auch wiederum sehr schlimm, dass sie sich nicht wohl bewahren lässt und leicht verführt wird." - Und auch dort, wo nicht gesündigt wird, geht es nicht rein zu und her: "Herr Kant, können Sie uns ein Beispiel für eine Handlung anführen, die dem blossen Pflichtgefühl entsprungen ist und deshalb wahrhaft sittlichen Wert hat?" - "In der Tat ist es schlechterdings unmöglich, durch Erfahrung einen einzigen (solchen) Fall mit völliger Gewissheit auszumachen." (Und weil es so schön ist:) "Man braucht auch eben kein Feind der Tugend, sondern nur ein kaltblütiger Beobachter zu sein, der den lebhaftesten Wunsch für das Gute nicht sofort für dessen Wirklichkeit hält, um [... Ich kürze ungern ab, das ist so gut! ...] in gewissen Augenblicken zweifelhaft zu werden, ob auch wirklich in der Welt irgend wahre Tugend angetroffen werde [... dito ...]." - Nun, das spiele keine übertrieben grosse Rolle, meint Kant, das Sittengesetz gelte eh und ringe uns Achtung ab.

Das übernehme ich: Der Standpunkt der Moral gilt. Es ist verteufelt schwer, praktisch unmöglich, sich ihm zu entziehen. Er gründet tief. Er ist einsichtig und von den Menschen gewollt. Er liegt der Ablehnung von bestimmten Normen zugrunde und regiert wahrscheinlich auch die Überlegungen gewisser Ismen, so diese denn überhaupt einen Sinn haben sollen. Er gilt nicht a priori, geht aber doch so manchem voraus. Er ist nicht nicht die Stimme einer reinen Vernunft, dürfte aber auch nicht leicht aus irgendwelchen Tatsachen abzuleiten sein, weil er halt ganz tief in den Bedingungen wurzelt, unter denen die Menschen ihre eigenen und wechselseitigen Angelegenheiten angehen und bewältigen müssen. Er hat vermutlich keine einzelne tiefe, starke Wurzel, wohl aber ein äusserst breites und dadurch stabiles Wurzelwerk.


[So könnte es gehen. Ich gehe von meiner Struktur, die ich jetzt 'den Standpunkt der Moral' nenne, aus, und hoffe, dadurch auf dem Feld des Nachdenkens über das Moralische Fuss fassen zu können. - Und wenn es nicht eine so langweilige Tätigkeit wäre, würde ich jetzt das bisher Gewonnene mal übersichtlich zusammenstellen.]

[Mit diesem Blog habe ich, ausgehend von Tugendhat, mit einem Versuch begonnen, einen kleinen systematischen moralphilosophischen Gedankengang zu entwickeln. Nun, ich habe das Unterfangen, so vertrackt es mir auch scheint, noch nicht ganz aufgegeben. Und solange mir dazu noch ab und zu etwas einfällt, was mich nicht selber bloss verwirrt, will ich das hier auch fortlaufend festhalten. - By the way: Kommt je der Augenblick, wo ich zu meinem Gedankengange sage: "Verweile, du bist so schön!", so mag ein Verleger ihn holen!]


Zum Begriff der autonomen Begründung: Interessenbezogen wechselseitig muss sie sein. - Die Wechselseitigkeit ergibt sich aus dem formalen Begriff der Moral, die Interessenbezogenheit gehört zur Autonomie: Die Normen sollen im Einsehen und Wollen aller Mitglieder der moralischen Gemeinschaft gründen.

Sobald eine Moral interessenbezogen wechselseitig begründet ist, hat das Element der Gleichheit Eingang in sie gefunden. Es könnte dann nur durch eine autoritäre Begründung wieder aus ihr verbannt werden.


[Bei Kant scheinen Interessenbezogenheit und Autonomie einander ganz und gar nicht zu vertragen. Wo ich das Sagen habe, da herrscht ein Fremder. Weniger pointiert: Wo ich die Geltung einer Norm anerkenne und dabei mehr als einen (den richtigen) Grund anführe, bin ich nicht autonom. Oder: Das wechselseitige Interesse daran, dass die Normen Geltung haben, verdirbt die (Reinheit der) Moral. - (Kein Mensch muss mit Kant einig gehen, aber es ist schon lohnend, sich an ihm zu reiben.)]

[Ausblick: Nächstens sollte der Begriff der wechselseitigen Autonomie hier auftauchen.]

Montag, Januar 05, 2009

[Zwei Bemerkungen zur Anerkennung und etwas zu Kant]


1)
Ich bin verletzt, und es geht mir herzlich schlecht. Aber ich bin nicht empört oder vermag keine Empörung aufzubringen, frage mich sogar, ob ich nicht einfach zu empfindlich sei. - Was ist jetzt? Bin ich nun ungerecht behandelt worden, oder bin ich bloss eine Mimose? - Die Entrüstung eines andern darüber, wie ich behandelt worden bin, schafft Gewissheit. - "Das Selbstbewusstsein ist an und für sich, indem, und dadurch, dass es für ein Anderes an und für sich ist; d. h. es ist nur als ein Anerkanntes." (So beginnt das Herrschaft-Knechtschaft-Kapitel aus der PhG)

2)
Ich habe einen Text geschrieben:

Ich will nicht belogen, betrogen und verletzt werden. Ich verlange vom andern, dass er das akzeptiert. Ich verlange von ihm auch, dass er empört reagiert, wenn ein dritter diesen Willen missachtet, und dass er sich schämt und/oder schuldig fühlt, wenn er sich gegen mich vergangen hat. Auch der andere will nicht belogen, betrogen und verletzt werden. Er verlangt von mir, dass ich das akzeptiere und empört reagiere, wenn ein dritter diesen Willen missachtet, und dass ich mich schäme und/oder schuldig fühle, wenn ich mich gegen ihn vergangen habe. Ich anerkenne seinen Willen und reagiere mit den richtigen Gefühlen. Er anerkennt meinen Willen und reagiert ebenso. Wir wollen uns gegenseitig darauf verlassen können, dass der andere so und nicht anders tickt. Die Ansprüche des andern mir und Drittpersonen gegenüber müssen von mir anerkannt werden. Die wechselseitigen Forderungen gelten unbedingt, es darf an ihnen nicht gerüttelt werden.
(Den ganzen Blog findest du hier)


Das Ding ist von einer Verbloggung eines Textes von Tugendhat & Co. weit entfernt. Das ist Philotustan. Und da frage ich mich, höchst verunsichert, ob es überhaupt irgendwas tauge, und bringe diese Verunsicherung auch zublog. Kommt ein Anonymus, TH, und erklärt, er würde gerne noch viel mehr von mir zum Thema lesen. Und siehe da: Ich weiss jetzt, dass ich was zu sagen habe. (Dazu muss ich natürlich wissen, wer TR ist. Eine Anerkennung von jemandem, den man selber nicht anerkennt, funktioniert nicht. [Hegel drückt sich da sehr klar aus.]) Ich betrachte die kleine Figur, die ich da gezimmert habe, und bin ganz angetan von ihr, finde auch, dass sie sich noch ausbauen liesse:

Ich erwarte vom andern, dass er empört ist, wenn ich mich gegen ihn vergangen habe. Ja, so etwas kann man wollen. Es ist bestimmt nicht angenehm, wenn ich die Empörung im konkreten Fall zu spüren bekomme. Aber ich will, dass unsere gemeinsame Einrichtung auch in einem für mich ungünstigen Fall funktioniert; sie soll gelten, unbedingt, d. h. unabhängig davon, wie die Dinge für mich laufen mögen, unabhängig, davon, wie ich gerade gestimmt bin und dergleichen "empirische Beimischungen". - Das war nun schon


3)
Kant. - "Und Kant?" "Leider völlig unbrauchbar. Kann nichts mit ihm anfangen." [Ich überspringe jetzt die paar Hundert Blogs, wo ich wortreich darlege, warum ich mit Kant nichts anfangen kann. In einigen gehe ich so weit zu behaupten, dass niemand diesen Kant wirklich ernstnehmen künne.] Und kaum löse ich mich ein kleines bisschen von meinen meistgelesenen Autoren, da stelle ich - beschämt, jauchzend, ich weiss nicht, wie mir geschieht - fest: Das ist ja verdammt nah bei diesem Kant! Oh Schreck! Oh Freude! Oh oh oh ...


[Man spürt es: Philotustan wird gerade nicht von Minderwertigkeitsgefühlen geplagt. Wie kommt das? "Ein menschliches Wesen kommt zu sich, indem, und dadurch, dass es von einem andern anerkannt wird." - Ein Sätzchen mit Entfaltungspotential, ein Scherenschnitt, eine Einladung, eine Hegelsche Girlande über ein paar Blogs zu spannen. Tja, ich warte seit Jahren auf meinen Blog zum Herrschaft-Knechtschaft-Kapitel. Veni, creator spiritus! Komm, Hegelscher Geist, auf mich herab!]


[Für Thomas Ruprecht]

Sonntag, Januar 04, 2009

[Das hier ist zu 80 Prozent Kant, ein (allzu) gut bekanntes Stück Kant, aber keine Übung im korrekten Setzen von Anführungszeichen bei der Verwurstung inklusive (Ver)salzung von über 20 Seiten Text aus der 'Grundlegung'.]


Übergang von der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntnis zur philosophischen


Ein unentgeltlich wohltätig tätiger Mensch, eine teilnehmend gestimmte Seele, so teilnehmend gestimmt, dass sie ein inneres Vergnügen daran finden kann, Freude um sich zu verbreiten, und die sich an der Zufriedenheit anderer, soweit sie ihr Werk ist, ergötzen kann: So pflichtgemäss, so liebenswürdig ihre Taten auch sind, sie haben keinen wahren sittlichen Wert.

Derselbe Menschenfreund, aber sein Gemüt nunmehr umwölkt von einem Gram, der alle Anteilnahme am Schicksal anderer auslöscht, immer noch vermögend genug, um Notleidenden wohlzutun, aber ungerührt von fremder Not, weil mit seiner eigenen genug beschäftigt, ohne die mindeste Neigung, andern wohlzutun, tödlich unempfindlich: Jetzt erst haben seine Taten einen echten moralischen Wert.

Hier ein Mensch, bei dem eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass seine wohltätigen Handlungen auch von wahrem sittlichem Wert sind: Die Natur hat ihm wenig Sympathie ans Herz gelegt, und von Temperament ist er kalt und gleichgültig gegen die Leiden anderer. Ihn einen erbärmlichen Menschen zu nennen, verbietet uns seine monströse Behinderung, und daran, ihn für erbarmungswürdig zu halten, hindert uns der Umstand, dass an ihm sich eher als an andern ein Wort der 'Grundlegung' erfüllen kann: Da sein Wille aller Antriebe beraubt ist, die ihm aus der Erfüllung irgendeines Gesetzes entspringen könnten [1], so bleibt ihm nichts als die allgemeine Gesetzmässigkeit der Handlungen übrig, welche allein seinem Willen zum Prinzip dienen kann, d. i. er wird niemals anders verfahren als so, dass er auch wollen kann, dass seine Maxime ein allgemeines Gesetz werde.

[1] Erfülle das Gesetz, aber sieh zu, dass dabei nicht ein gesetzesfremder, wenn auch noch so gutartiger Antrieb, wie ein Ross dem Stall, deinem Willen entspringt. (Die blosse Tatsache, überhaupt irgendeinen Antrieb zu haben, ist meinem treuen Diener Immanuel suspekt.)

Hier ist vielleicht noch ein ermunterndes Wort an alle glücklicheren, gutartigeren Charaktere angebracht, die von der Natur, was die Moralbefähigung betrifft, offensichtlich etwas stiefmütterlich behandelt worden sind: Ihr könnt euch ja hieran halten: "Liebet eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen!" Denn im Wohltun aus Pflicht, wenn dazu gar keine Neigung treibt, ja gar natürliche und unbezwingliche Abneigung widersteht, liegt eure Chance. [2]

[2] Wo auch euch das Wohltun so richtig gegen den Strich geht, da stirbt der letzte Verdacht meines treuen Dieners Immanuel.


[Ha! - Oh Freunde, 20 Seiten vom 'Königsberger Chinesen', das war ein Nachmittag!]

Spiel mir das Lied vom Galgen: Im Wilden Westen wird unter den anfeuernden Rufen einer Menge aufgebrachter Leute die durch das Verbrechen eines Halunken aus den Fugen geratene Welt von ein paar beherzten Männern wieder gerichtet. Eine Empörung hat sich einen Weg gebahnt.

In Ostanatolien bahnen Polizeibeamte sich einen Weg durch die Empörung: Sie müssen zu brutalen Mitteln greifen, um die beiden einheimischen Verbrecher, die sich an einem jungen deutschen Touristenpaar vergangen haben, vor der aufgebrachten Bevölkerung in Gewahrsam zu nehmen.

Der gestirnte Himmel über mir ...


Es gibt Verletzungen, die dadurch besonders schwer wiegen, dass die verletzte Person sich schämt. Sie fühlt sich wertlos, duckt sich weg, versteckt sich. Sie ist nicht aufgebracht, bloss niedergebracht, zu keiner Empörung fähig. Und da ist es sehr wichtig, dass eine Drittpersonen und/oder institutionalisierte Einrichtungen den notwendigen Part der Empörung aus dem moralischen Sanktionssystem übernehmen. "Ich bin es wert, dass niemand mich so behandeln darf!", muss eine heilsame Botschaft lauten. Ein Verbrecher da und hier eine verletzte Person, die sich schämt, das geht nicht. Das ist Un-Fug!

Wenn ich leibhaft wahrnehme, wie empörend ungefügt und ungerecht so eine Situation ist, dann spüre ich "das moralische Gesetz in mir", eine unter Umständen grausam unerbittlich auftretende Kraft, die unter allen Umständen will, dass eine ungerechte Sache wieder gerichtet wird.


[Verwandter Blog: Lass den Un-Fug!]

Samstag, Januar 03, 2009

Gestern im 'Nachtcafé' (SWR). Eine Frau erzählt:

40 Jahre hat die Ehe nunmehr schon bestanden. Der Mann ist jetzt pensioniert. Ein kleiner Streit. Es geht ums Einparken. Da fragt der Mann seine Frau: "Willst du eigentlich noch mit mir zusammen leben?!" - "Nein!" - Das war's. Ein fünfstündiger Versuch des Mannes, die Frau vom Gegenteil zu überzeugen, fruchtet nichts. Die Frau packt ihre Siebensachen und verlässt das gemeinsame, schon lange nicht mehr traute, langweilige Heim.

"Was macht Ihr Mann jetzt?" - "Ich weiss es nicht."

Eva Maria Kubitschek kommentiert: "Das mag hart klingen. Aber wenn einer stillsteht, darf man ihm dabei nicht helfen, denn so kommt er nie mehr ins Laufen." - Drei Frauen geraten ins Kichern.


[Der Opa stimmt entzückt ein. Ich verkneife mir, seine schadenfreudigen und meine t(r)iefsinnigen Bemerkungen hier wiederzugeben.]

Auch ein kleiner Theoretiker strebt nach Vereinheitlichung. So mag er etwa die letzte Quelle zu ermitteln suchen, aus der alle Motivationen zu moralischem Verhalten sprudeln sollen. Oder nach einer einheitlichen Währung, in die sich alle Werte konvertieren lassen. Das ganze Gebiet der Moral selber mag ihm dermassen unübersichtlich erscheinen, dass er den Drang verspürt, auf ihm seine eigene übersichtliche Sandburg zu errichten. Vielleicht fragt er sich auch, aus welcher Perspektive er Gefühle, Entscheide und Handlungen betrachten muss, wenn er selber den moralischen Standpunkt einnehmen will, oder gar, welchen sicheren Weg er einschlagen muss, damit bei seinen Überlegungen etwas rausschaut. - Einheitlichkeit: Motivation, Währung, Terrain, Perspektive, Weg, alles einheitlich. - Lauter dummes Zeug, das, durchschaut zwar, eine gewisse Attraktivität doch nie ganz verliert, zumal ganz ohne es überhaupt nichts zu laufen scheint.

Dann die Gegenbewegung: Alles gerät ihm wieder in Fluss, die Strömung nimmt seine kleinen Sandfigürchen mit, und er schmeisst das Spielgerät gleich mit hinein.

Alles ok natürlich, und komplett kindisch: Blödes Türmchen, will nicht richtig stehen, und das blöde Schaufelchen ruckelt auch immer, Mami, ich will was anderes spielen.


[War bloss ein kleiner Seufzer zwischendurch. - Und weil der doch verhältnismässig lang ausgefallen ist, habe ich mich dabei noch an etwas erinnert: "Dies Bewusstsein ist also diese bewusstlose Faselei, von dem einen Extreme des sichselbstgleichen Selbstbewusstseins zum andern des zufälligen, verworrenen, und verwirrenden Bewusstseins hinüber und herüber zu gehen." Leute, ich bekomme gerade Lust auf ein Bad in solchen Sätzen! - Schon lustig: Schreibend wandern meine Gedanken zu Sandförmchen und dergleichen Zeugs, das ich in der Gegend herumzuschmeissen beginne; und irgendwie landet dann das Zeug bei anderm Zeug, das ehemals ein Professor in Jena seinen Skeptiker, dieses unglückliche Bewusstsein, in die Hand nehmen und nach bloss kurzer Betrachtung in der schwungvollen, aber leeren Bewegung der abstrakten Negation wegschmeissen liess. Und so wird denn aus einem nicht so kurzen Seufzer eine kleine Hegelei oder ein Stück Gehirnerforschung ohne Dogmen. Schluss jetzt!]

Freitag, Januar 02, 2009

Nicht meine Sparte: Ein Ismus ohne Appeal

Bekenntnisse eines Rauchers


Es gibt für jeden Menschen eine Vielzahl vielfältigster Verpflichtungen, denen er mit Freude und Widerwillen tagtäglich willig nachkommt. Auch die Werte, deren Geltung er dadurch anerkennt, sind von unterschiedlichster Herkunft. Ein solcher Wert ist gewiss der Nutzen für die Allgemeinheit. Klar, der Gedanke, dass es nicht unvorteilhaft für die Gesellschaft und dergleichen schwammiges Zeug ist, wenn jeder seinen vielfältigen Verpflichtungen nachkommt, ist bestimmt nicht falsch. Aber ich muss gestehen, dass ich in dieser Sparte kaum je ein elementares Gefühl der Verpflichtung verspüre. Und auch meine anderen Motivationen rühren bestimmt nicht von einer Sorge um das Wohl der Allgemeinheit her.

Soviel zum Utilitarismus, dem Ismus ohne moral appeal. - Und noch was: Als Raucher leiste ich jeden Tag gezwungenermassen einen (zumindest was den Aufwand betrifft und wie man mir pausenlos versichert) nicht unbeträchtlichen Beitrag zum Wohl der Allgemeinheit. Tja, und das war's dann. Genug ist genug.

[zu meinen Akten:]

[Wird eine moralische Norm von den Mitgliedern einer moralischen Gemeinschaft akzeptiert, ist sie wechselseitig begründet oder gut gegründet. (ein grammatischer Satz)]


Es gibt ein paar spezielle Normen, die in moralischen Gemeinschaften, denen ich angehört habe, ihre Akzeptanz verloren haben. Sie haben ihren Grund/Boden und damit ihre Existenz verloren. - Ich finde es schon bemerkenswert, wie schnell so etwas gehen kann. Eben noch waren sie gut gegründet, jetzt sind sie weg. Einfach verduftet. Eben noch standen sie da und galten, was das Zeug hielt. Jetzt sind sie komplett ausser Geltung geraten.

Ich bin natürlich weit davon entfernt, den Dingern auch nur eine einzige Träne nachzuweinen. (Hier gar von 'Werteverfall' zu reden, wäre entweder trivial oder dummes Zeug.) Ich stelle eher fest, wie wenig verlorengehen kann, wenn ein paar Normen den Bach runtergehen. Und ich stelle, immer noch ein wenig (naiv) staunend, fest, dass der Standpunkt der Moral selber dadurch in keiner Weise in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Ich habe den kurzen Todeskampf dieser Dinger hautnah miterlebt. War an ihrem Absterben auch nicht völlig unbeteiligt. Was mir in der Rückschau auffällt: Unsereiner hat sich damals standhaft geweigert, den unheroischen/libertären Kampf gegen sie irgendwie als einen moralischen aufzufassen. Wir hätten ins Weihwasserbecken gegriffen, um uns gegen so einen ehrverletzenden Vorwurf zu verwahren. Aber selbstverständlich haben wir diesen Kampf auf dem moralischen Terrain ausgefochten. Es war immerhin ein substantieller Kampf, und damit ein moralischer. Was denn sonst?

[Wie ein nicht-substantieller Kampf aussähe? Nun, da werden Ismen herumgeboten von Leuten, die so tun, als ob sie nicht dazugehörten. Lächerlich! Aber das hatten wir schon.]


Begründungen haben einen Ort. Ich muss bestimmte Normen nicht gegenüber irgendwelchen Ismern begründen, die sich an einem Nicht-Ort eingenistet haben. Was gehen die mich an? - Ronald Dworkin geht so weit zu sagen, dass die ismischen Positionen ihrerseits als moralische Positionen begriffen werden müssten; anders aufgefasst seien sie unbegreiflich. - Ok. Entweder sagt der Ismer etwas Substantielles, oder er darf mich in Ruhe lassen.

Der Ort der Begründungen ist das Terrain des Moralischen.


[Geständnis: Ich habe doch tatsächlich angenommen, einige Autoren glaubten, es gebe so etwas wie eine Begründung der Moral. Tzzz ... Ich bin mir aber immer noch nicht ganz sicher: War ich einfach blöd, oder haben nicht doch einige sich etwas missverständlich ausgedrückt?]

[Thomas Nagel, der die Moral für etwas Grundlegendes und Unvermeidliches hält, hat mich ins Erinnern gebracht. Von ihm habe ich auch die Bemerkung über Dworkin.]