T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Dienstag, Januar 31, 2006

Rubrik: Lebenshilfe: Glück

Ich habe es ja schon immer vermutet: Calvin und Hobbes kann richtig nur geniessen, wer sich in der Philosophiegeschichte auskennt. Als Wesen, das, wie der anonyme Kommentator tr richtig bemerkt hat, einen guten Draht zu den Stoikern hat, war ich schon etwas verblüfft und belustigt, als ich auf der Homepage des Blogs von menina das hier fand:

Secret of Happiness
“Know what I pray for? The strength to change what I can, the inability to accept what I can't, and the incapacity to tell the difference.”
(In: Calvin and Hobbes)

@ menina:
Was gefällt dir so an diesem Spruch? - Erzähl uns doch mal von deinem Glück bzw. davon, was 'Glücklich-Sein' für dich bedeutet?

[menina hat sich in ihrem Blog u.a. zum Ziel gesetzt, zur Verbreitung der deutschen Sprache beizutragen. Sie tut das, indem sie sich zumutet und gönnt, Texte verschiedenster Provenienz aus dem Portugiesischen ins Deutsche und umgekehrt zu übersetzen. Dabei macht sie auch vor furchteinflössenden Gestalten wie Hegel oder Hölderlin nicht halt. Ich ermuntere alle LeserInnen meines Blogs, sie bei ihren Bemühungen nach Möglichkeit und Kräften zu unterstützen.]

Sonntag, Januar 29, 2006

Rubrik: Hegeleien

Einen hübschen Hegel-Text hat menina in ihrem Blog veröffentlicht. Und weil ich der Meinung bin, dass man junge Frauen in ihrem Bemühen, Hegel via Internet einem grösseren Publikum näher zu bringen, entschieden bestärken sollte, hab ich einen Kommentar dazu geschrieben.

Aufgegabelt in Frida, dem Spielfilmporträt der Malerin Frida Kahlo, dargestellt von Selma Hayek. -
Ihr Mann, Diego Rivera, kehrt nach längerer Abwesenheit zu seiner unter schwersten Schmerzen leidenden Frau zurück, die ihm zu verstehen gibt, dass sie nicht um Hilfe gerufen habe. Er sei der Bedürftige, meint er und fügt bei:

Ich vermisse uns.


[Wird fortgesetzt. Wenn ich Worte finde.]

Samstag, Januar 28, 2006

Liebes Tagebuch

Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich habe den Verdacht, dass die schwarze Dame wieder mal ihre Gemächer bezogen hat. Vielleicht ist sie aber auch nur kurz abstiegen.

Von den Hausbewohnern will niemand sie zu Gesicht bekommen haben. Aber der Jan hat ein etwas mulmiges Gefühl, und der Geistliche hat eben das Weihwasserkesselchen nachgefüllt und dabei auffallend viel Weihwasser verspritzt. Dem guten Inkri schwant Böses: Er ist ja von Natur aus ein geradezu besessener Arbeiter; aber bei Anwesenheit der besagten Dame bekommt er zu tun, dass es selbst ihm etwas zu viel wird. - So wünsche ich denn diesem Plaggeist für einmal verhältnismässig geruhsame Tage.

Tschüss

Freitag, Januar 27, 2006

Rubrik: Philosophische Beratung

Mein Beratungskonzept in drei Sätzen


Du wendest dich an mich mit einer Frage, die für dein Leben wichtig ist.

Mit zwei geduldig gespitzten Ohren und einem geschulten Verstand versuche ich, deine Frage zu begreifen.

Ich bin gespannt darauf, wie du, durch meine gewitzt verständnisvollen Fragen gereizt und ermuntert, es schliesslich schaffst, mit der Frage klarzukommen.

Samstag, Januar 21, 2006

Projekt: Übersetzung von 'Three Varieties of Knowledge' aus 'Subjective, Intersubjective, Objective' (3)

Teil I
Teil II

Ein Interpret kann die propositionalen Einstellungen einer andern Person nicht direkt beobachten; Überzeugungen, Wünsche und Absichten, die Absichten, die die Bedeutung von Äusserungen teilweise festlegen, eingeschlossen, sind für das blosse Auge unsichtbar. Indes kann der Interpret sich an die äusseren Manifestationen, Äusserungen eingeschlossen, dieser Einstellungen halten. Da wir ja imstande sind, aufgrund solcher Manifestationen herauszufinden, was ein Handelnder im Sinn hat, muss es eine nachvollziehbare Verbindung zwischen Einstellung und deren Bekundung geben. Wie stellen wir diese Verbindung her? Mir ist nur ein Weg bekannt: Ein Interpret kann - hinreichend oft - wahrnehmen, dass ein Handelnder eine bestimmte Art von Einstellung zu einem Gegenstand oder Ereignis hat, das der Interpret wahrnimmt. Wenn der Interpret auf diese Weise die Einstellungen eines andern direkt individuieren könnte, wäre das Problem gelöst, aber nur unter der Annahme, dass der Interpret ein Gedankenleser ist. Indes wäre die Lösung nicht schon vorweggenommen, wenn wir annähmen, der Interpret könne eine oder mehrere nicht-individuierende Einstellungen ermitteln. Beispiele für die besondere Art von Einstellungen, die ich hier im Auge habe, sind: den jeweiligen Satz für wahr halten, wünschen, dass ein Satz wahr sei, oder lieber mögen, dass ein bestimmter Satz und nicht etwa ein anderer wahr ist. Die Annahme, dass wir eine solche Einstellung ermitteln können, hat die Antwort auf die Frage, wie wir die Einstellungen mit konkretem Gehalt ausstatten, nicht schon vorweggenommen, da ja eine Beziehung wie die des Für-wahr-Haltens zwischen einem Sprecher und einer Äusserung eine extensionale Beziehung darstellt, von deren Bestehen wir wissen können, auch wenn wir die Bedeutung des Satzes nicht kennen. Diese Einstellungen sind nicht-individuierend, denn sie differenzieren, obwohl psychologischer Natur, nicht die unterschiedlichen propositionalen Gehalte von Äusserungen.

[Vermerk: Aus dem 'speaker' wird unter der Hand der 'agent', der Held der 'Essays on Actions and Events'. Der hat was im Sinn (he 'thinks and means'). - Unser 'interpreter' ist entschieden mehr als ein 'Übersetzer'; er deutet auch Handlungen; so wie die Situation sich darstellt, muss er, um ein guter Übersetzer zu sein, auch Handlungen deuten können.]

[Liebes Tagebuch, Ich bin etwas ins Schwimmen geraten. Es rächt sich eben früher oder später, wenn man den Quine nicht voll drauf hat. Der redet ja im Hintergrund immer mit. Sein Word and Object ist mir weniger geläufig als der Rosenkranz. Traurig, traurig, aber wahr. -
Die Rede ist von einer Lücke zwischen den Einstellungen und ihren beobachtbaren äusseren Manifestationen. Die Frage ist, wie diese Lücke (tatsächlich!) geschlossen wird. Die erste Antwort lautet: Wir nehmen die Einstellungen schlicht wahr ('perceive'). Mit dieser Antwort verlieren wir aber unsere Frage, es sei denn, wir gäben uns mit einem Rekurs auf Gedankenlesen zufrieden. Eine befriedigende Antwort muss also spezifizieren, was genau wir da wahrnehmen. Darum die Unterscheidung zwischen individuierenden und nicht-individuierenden Einstellungen.]

In Word and Object berief Quine sich auf die nicht-individuierende Einstellung der veranlassten Zustimmung. Da ja jemand teils aufgrund seiner Überzeugung, teils aufgrund dessen, was eine Äusserung bzw. ein Satz in seiner Sprache bedeutet, der Äusserung zustimmt bzw. den Satz für wahr hält, stellte sich für Quine das Problem, diese beiden Elemente auf der Grundlage von Hinweisen, die das Zusammenwirken beider geltend machen, auszusondern. Gelingt dies, resultiert daraus eine Theorie der Überzeugung sowohl als auch der Bedeutung für den Sprecher, denn sie muss zu einer Interpretation der Äusserungen des Sprechers führen, und wenn man weiss, dass der Sprecher der Äusserung zustimmt und was sie in seinem Mund bedeutet, kennt man auch seine Überzeugung.

[Liebes Tagebuch. Ich komme mir hier im Dschungel schon etwas verloren vor. Du kannst das daraus ablesen, dass sich die handfesten 'Belege' mittlerweile in zarte 'Hinweise' verwandelt haben. Wenn ich mir die Kühnheit des 'Interpreten' vor Augen halte, überlege ich mir, ob ich ihn nicht zum 'Hermeneutiker' befördern sollte.]

Der Vorgang des Auseinanderdividierens von Bedeutung und Überzeugung bringt zwei grundlegende Prinzipien ins Spiel, welche geltend gemacht werden müssen, wenn ein Sprecher überhaupt verstanden werden soll: das Kohärenzprinzip und das Korrespondenzprinzip. Das Kohärenzprinzip hält den Interpreten dazu an, in den Gedankengängen des Sprechers ein gewisses Mass an logischer Konsistenz ausfindig zu machen; das Korrespondenzprinzip hält den Interpreten dazu an, den Sprecher anzusehen als jemanden, der auf die selben Merkmale der Welt reagiert, auf die er (der Interpret) unter ähnlichen Umständen reagieren würde. Beide Prinzipien können Prinzipien des Wohlwollens genannt werden (und sind auch schon so genannt worden): Das eine Prinzip stattet den Sprecher mit einem Mindestmass an Logik aus, das andere mit einem gewissen Mass davon, was der Interpret für wahre Überzeugung bezüglich der Welt hält. Wenn es denn zustandekommen soll, muss Verstehen dem, der verstanden werden soll, eine elementare Form von Rationalität zuerkennen. Aus dem Wesen genauen Verstehens folgt, dass für den Sprecher sowohl wie den, der ihn versteht, sowie für ihre Äusserungen und Überzeugungen ein gemeinsamer Standard bezüglich Konsistenz und Orientierung an den Fakten gilt.

Zwei Fragen drängen sich an dieser Stelle auf. Die erste lautet: Warum sollte ein interpersonaler Standard ein objektiver Standard sein, d.h. warum sollte, worin Leute übereinstimmen, wahr sein? Die zweite lautet: Auch wenn es so ist, dass Verständigung einen objektiven Standard an gemeinsamen Wahrheiten unterstellt, warum sollte sie der einzige Weg sein, einen solchen Standard zu etablieren?

[Zur zweiten Frage: Warum sollte, wenn denn ein objektiver Standard notwendige Bedingung für Kommunikation ist, Kommunikation die einzige hinreichende Bedingung für diesen objektiven Standard sein?]

Hier ist eine Möglichkeit, diese Fragen zu beantworten. Alle Lebewesen klassifizieren Gegenstände und Aspekte der Welt in dem Sinn, dass sie bestimmte Reize als einander ähnlicher als andere behandeln. Das Kriterium, das wir in Ansehung dieser klassifizierenden Tätigkeit verwenden, ist das der Ähnlichkeit von Reaktionen. Ohne Zweifel erklären die Evolution und die mit ihr verbundenen Lernprozesse diese Verhaltensmuster. Aber unter welchem Gesichtspunkt können diese als Muster angesehen werden? Das Kriterium, auf dessen Grundlage wir von einem Lebewesen sagen können, es sehe Reize als ähnlich, als einer bestimmten Klasse angehörend, an, ist die Ähnlichkeit der Reaktionen des Lebewesens auf diese Reize; was aber ist das Kriterium für die Ähnlichkeit der Reaktionen? Dieses Kriterium kann nicht aus den Reaktionen des Lebewesens abgeleitet werden; es kann nur von den Reaktionen eines Beobachters auf die Reaktionen des Lebewesens herrühren. Und nur dann, wenn ein Beobachter bewusst Korrelationen zwischen den Reaktionen eines andern Lebewesens und Gegenständen und Ereignissen aus seiner eigenen Welt herstellt, besteht überhaupt ein solider Anhaltspunkt für die Aussage, ein Lebewesen reagiere gerade auf diese Gegenstände und Ereignisse und nicht vielmehr auf andere. Als Möchtegern-Interpreten des Sprachverhaltens des Sprechers eines fremdartigen Idioms fassen wir deutlich voneinander abgegerenzte Sprechakte des Sprechers zu Einheiten zusammen: 'Mutter', 'Schnee', 'Tisch', wenn wiederholt als Ein-Wort-Sätze geäussert, tönen ähnlich, wenn wir angemessen auf sie eingestimmt sind. Wenn wir dann allerlei Gegenstände oder gar Ereignisse in der Welt ausfindig machen, die wir mit den Äusserungen eines Sprechers korrelieren können, sind wir auf dem besten Weg zur Deutung des elementarsten Sprachverhaltens.

Wenn wir jemandem eine Sprache beibringen, wird die Situation komplexer, aber auch erkennbarer interpersonal. In ihren Grundzügen schaut sie so aus: Ein Beobachter findet eine Regelmässigkeit im Sprachverhalten des Informanten (oder ein Lehrer bringt einem Lernenden eine Regelmässigkeit in dessen Sprachverhalten bei), welche er mit Gegenständen und Ereignissen in der Umgebung korrelieren kann. Selbstverständlich kann dies zu einem grossen Teil ohne voll ausgestaltete Gedanken auf der Seite des Beobachteten stattfinden, aber es bildet die notwendige Grundlage dafür, der beobachteten Person Gedanken und Bedeutungen zuzuschreiben. Denn solange das Dreieck, welches zwei Lebewesen untereinander und jedes Lebewesen einzeln mit von beiden geteilten Merkmalen der Welt verbindet, nicht vollständig ist, kann es keine Antwort auf die Frage geben, ob ein Lebewesen, wenn es zwischen Reizen unterscheidet, zwischen Reizen auf seinen Sinnesoberflächen unterscheidet oder solchen, die irgendwo weiter draussen oder weiter drinnen anzusiedeln sind. Ohne diese geteilte Reaktion auf geteilte Reize hätten Denken und Rede keinen bestimmten Inhalt - das heisst, sie hätten überhaupt keinen Inhalt. Es braucht zwei Gesichtspunkte, um die Ursache eines Gedankens zu lokalisieren und damit dessen Inhalt zu bestimmen. Wir können uns die Sache als eine Form von Triangulation denken: Von zwei Personen reagiert jede jeweils unterschiedlich auf aus einer bestimmten Richtung auf sie einströmende Sinnesreize. Wenn wir die einfallenden Strahlen wieder hinausprojizieren, befindet sich die gemeinsame Ursache an ihrem Schnittpunkt. Wenn nun die zwei Personen ihre Reaktionen (im Fall der Sprache sprachliche Reaktionen) gegenseitig wahrnehmen, kann jede diese beobachteten Reaktionen mit ihren jeweiligen, von der Welt ausgehenden Reizen korrelieren. Damit ist eine gemeinsame Ursache bestimmt. Das Dreieck, welches Denken und Rede mit Gehalt versieht, ist vollständig. Aber zum Triangulieren braucht es zwei.

[triangulieren: "Honny soit ..."]

Bevor nicht durch Kommunikation mit jemand anderem eine Grundlinie gezogen ist, hat es keinen Spitz zu sagen, unsere eigenen Gedanken oder Wörter hätten einen propositionalen Gehalt. Wenn das aber so ist, ist klar, dass Wissen vom Geist eines andern für jedes Denken und jedes Wissen wesentlich ist. Wissen von einem andern Geist ist jedoch nur möglich, wenn man über Wissen von der Welt verfügt, denn die Triangulation, welche für Denken wesentlich ist, verlangt von den Kommunizierenden anzuerkennen, dass sie Positionen in einer miteinander geteilten Welt einnehmen. So sind denn Wissen vom Geist anderer und Wissen von der Welt gegenseitig aufeinander angewiesen; keines von beiden kommt ohne das andere aus. Ayer hatte sicher Recht, als er sagte: "Erst mit dem Engagement von Sprache kommen Wahrheit und Irrtum, Gewissheit und Ungewissheit zu ihrem die Szene beherrschenden Auftritt." (2)

(2) A. J. Ayer, The Problem of Knowledge, 54

Wissen von den propositionalen Gehalten unseres eigenen Geistes ist ohne die andern Arten des Wissens nicht möglich, da es ja ohne Kommunikation kein propositionales Denken gibt. Auch gilt, dass wir nicht in der Lage sind, anderen Gedanken zuzuschreiben, wenn wir nicht wissen, was wir selber denken, denn anderen Gedanken zuzuschreiben besteht darin, das sprachliche und andere Verhalten anderer mit unsere eigenen Gedanken oder sinnvollen Sätzen [Anm.] abzustimmen. Wissen von unserm eigenen Geist und Wissen vom Geist anderer sind somit wechselseitig aufeinander angewiesen.

[[Anm.]
Unsereins liebt abwechslungsreiche Kost: Neben üppigen Schwarzwälder Torten wissen wir auch das in Schützengräben und Gefangenenlagern entstandene solide Gewirk (also doch noch ein Stück Torte!) von Wiener Handwerksmeistern zu schätzen:
4          Der Gedanke ist der sinnvolle Satz.
]
Weiter geht es hier.

Montag, Januar 16, 2006

Des Sängers Glück


'Magnus es, domine, et laudabilis valde.' et laudare te vult homo, aliqua portio creaturae tuae.
[Ich will dich preisen, Herr. Doch wer bin ich denn, dass ich das grosse Wort überhaupt in den Mund zu nehmen wage? Weiss ich kleine Portion denn überhaupt, wovon ich rede?]
et tamen laudare te vult homo, aliqua portio creaturae tuae.
[Ich weiss, dass ich eine kleine Portion bin. Und dennoch ...].
tu excitas ut laudare te delectet,
[Du bringst mich zum Singen, und du hast es so eingerichtet, dass solch Gesang mich glücklich macht.]
quia fecisti nos ad te
[Du hast uns auf dich hin geschaffen.]
et
[Festhalten!]
inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te.
[Unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in dir.]
(Aurelius Augustinus: Confessiones)

Sonntag, Januar 15, 2006

Rubrik: Anerkennung: Der kluge Hausherr: Der Geistliche

[Hab ich da nicht noch ein Buchprojekt am Laufen? Mal schauen, wer da noch unter meinem Dach wohnt:]

Der Geistliche


Der Geistliche, Hochwürden Aloysius oder Herr Aloysius - er hört durchaus auch auf ein schlichtes 'Hochwürden' - wohnt nicht eigentlich unter meinem Dach. Ich habe ihm zwar seinerzeit eine kleine Kellerwohnung zugewiesen, die hat er aber mittlerweile zu einem Labyrinth von Katakömbchen ausgeweitet. Das ist im Grunde der einzige Ort, wo er tief durchatmen kann. Frische Luft und Sonnenlicht hält er für wenig bekömmlich, eine Atmosphäre, die jegliche Beimischung von Kerzen- und Weihrauchduft vermissen lässt, gar für schädlich. Dieser Ort ist das Réduit, in das er sich nach dem 2. Vaticanum zurückgezogen hat. Der auffälligen Verhaltensänderung, die seine Erzieher in der katholischen Internatsschule, in die er mit zwölf Jahren eingetreten war, nach dem Konzil an den Tag legten, begegnete er damals schon mit dem allergrössten Misstrauen. Die Verwendung der deutschen Sprache in einem Gotteshaus hält er heute noch für höchst unpassend. Die Musikgeschichte beginnt für ihn mit dem gregorianischen Gesang und endet mit Palestrinas 'Missa Papae Marcelli'.

Ich mag ihn nicht besonders, lasse ihn aber gewähren. Ich verlange von ihm nicht, dass er seine unterirdische Behausung ab und zu durchlüftet. (Ich wäre ja auch nicht wirklich traurig, wenn ihm eines Tages während einer der Messen und Andachten, die er da unten pausenlos veranstaltet, ob seinem inbrünstigen Gesang inmitten von Weihrauchschwaden die Puste ausgehen würde.) Er muss bloss darauf achten, dass kein Ton und kein Räuchlein in mein Haus aufsteigt. Solange er dieser Auflage mit Eierschachteln, Abzugröhren und weiteren behelfsmässigen Einrichtungen nachkommt, ist für mich alles ok. Andernfalls müsste ich ihm allerdings mit Kammerjägern und Schlimmerem auf die Pelle rücken.

Ich darf allerdings auch vermelden, dass sich unser Verhältnis in den letzten Jahren merklich gebessert hat. Und ich habe auch eine starke Vermutung, woran das liegen könnte: Als ich ihn das letzte Mal in meinem Wohnzimmer zu einem persönlichen Gespräch empfing, hatte ich es versäumt, die zweisprachige Tusculum-Ausgabe von Augustinus' 'Confessiones', die ich eben erworben hatte, vorher wegzuräumen. So lag sie denn zwischen uns auf dem Teetischchen und verbreitete eine gewisse Wirkung. Jedenfalls verlief unser Gespräch anders als sonst. Ich weiss wirklich nicht genau, was da vorgefallen ist. Aber ich darf mal gestehen, dass mir diese leise Spur von geistlicher Anerkennung, wenn auch nicht ganz ohne die Selbstgefälligkeit gespendet, die denen anhaftet, die sich im Besitze der einen, heiligen und katholischen Wahrheit wähnen, mir doch ganz gut getan hat.

Rubrik: Hegeleien

[Ich bin mir nicht ganz sicher, ob hier Hegel auf die Füsse oder Marx auf den Kopf gestellt wird.]

Eine perfide List der Vernunft


Anfang der 60er Jahre herrscht in den kapitalistischen Gesellschaften eine merkwürdige Diskrepanz zwischen dem Stand der Produktivkräfte, die mittlerweile voll entfesselt sind, und dem gesellschaftlichen Bewusstsein, das immer noch durch eine ausgeprägte Sparermentalität gekennzeichnet ist. Kurz: Die Produktivkräfte sind entfesselt, der Konsum ist gefesselt.

Wir wissen natürlich, dass in letzter Instanz die Produktivkräfte sich durchsetzen werden. Sie brauchen bloss noch einen Idioten, den sie vor ihren Karren spannen können. Sie werden fündig in einer Bewegung, die die totale Verweigerung des Konsumterrors auf ihre Fahne schreibt. Diese Bewegung ist radikal: Sie erfindet neue, nonkonformistische Tenues und lässt ihre Haare wuchern. Ihr Individualismus wirkt ansteckend: Die Krawatten verschwinden, und wo sie nicht verschwinden, werden sie bunter. Der männliche Einheitshaarschnitt verschwindet. Die einheitliche Bekleidung wird als beengend empfunden. Das gutbürgerliche Betragen wirkt bloss noch miefig. Man ist sich einig: Es ist an der Zeit, dass die Phantasie die Macht ergreift. Der Run auf die Kaufhäuser ist, hat er erst mal eingesetzt, nicht mehr zu bremsen.

Und was ist mit den Idioten von damals? Was sie an sich eh schon waren, sind sie mittlerweile auch für sich; zum Bewusstsein ihrer selbst gelangt, sitzen sie in etlichen Regierungen und zerbrechen sich den Kopf darüber, wie sie die Binnennachfrage ankurbeln könnten.

Freitag, Januar 13, 2006

Rubrik: Lebenshilfe

[Nachdem ich meinen Job geschmissen habe, muss ich mir nun überlegen, womit ich den dadurch entstandenen Verdienstausfall kompensieren könnte. Mir wird zunächst ganz schwindlig, wenn ich an die schier unbegrenzten Möglichkeiten denke, die sich mir bieten. Doch dann merke ich, dass mir vom blossen Gedanken an die allerallermeisten möglichen Erwerbstätigkeiten schlecht wird. Aber es gibt hübsche Ausnahmen, und in einer von ihnen will ich mich heute mal ein bisschen versuchen:]

Lieber Briefkastenonkel


Allerorten lässt sich beobachten, wie in den sogenannten 'Beziehungen', diesen Weiblein-Männlein-Geschichten, erst die gewisse Spannung überdeutlich nachlässt und wie man schliesslich feststellen muss, dass - nebst vielem anderen - auch die Liebe selber sich irgendwie davongestohlen hat. - Frage: Muss das so sein?

Liebe Nichten und Neffen


Es handelt sich hier um zwei Fragen: 1. Ist der Ofen, der das erregende Feuer der Verliebtheit unterhält, früher oder später aus? 2. Muss auch die Liebe baden gehen?

Die erste Frage kann unumwunden mit einem 'eher früher' oder einem simplen 'Ja!' beantwortet werden. Auch meine persönliche Antwort auf die zweite Frage ist simpel: Die Liebe kann ewig währen.

[Wie verklickere ich das meinen LeserInnen?
[Grübel Grübel ... ]
[Es geht gleich weiter]

Ich lasse das mal so stehen. Mag nicht länger über 'Beziehungen' nachdenken.

Ich widme diesen Blog meiner geliebten Susanne. Wir geben uns beide Mühe, dass aus unserem bei aller Ernsthaftigkeit eher leichten Dingsbums nich so ne Bezieeeeeeeun wird.

Projekt: Übersetzung von 'Three Varieties of Knowledge' aus 'Subjective, Intersubjective, Objective' (2)

Teil 1

Ich habe diese Probleme in ihrer ganzen Vertracktheit durchgespielt, weil ich in erster Linie hervorheben will, wie seltsam doch die Tatsache ist, dass wir es mit drei unreduzierbar verschiedenen Spielarten des empirischen Wissens zu tun haben. Wir brauchen ein Gesamtbild, das nicht nur alle drei Arten des Wissens unter sich befasst, sondern auch deren Beziehungen untereinander sinnfällig darstellt. Ohne ein solches Gesamtbild sollten wir zutiefst verblüfft sein, dass ein und dieselbe Welt uns auf drei derart verschiedene Weisen bekannt ist. Und in zweiter Linie ist es wesentlich, das Ausmass zu würdigen, in dem Probleme, die man sich üblicherweise eines nach dem andern vorgenommen hat, untereinander in Wechselbeziehung stehen. Wir haben es mit drei grundlegenden Problemen zu tun: wie ein Geist die Welt der Natur erkennen kann, wie es möglich ist, dass ein Geist einen andern erkennt, und wie es möglich ist, die Inhalte unseres eigenen Geistes zu erkennen, ohne auf Beobachtung oder andere Beweismittel zurückzugreifen. Es ist ein Fehler - darauf werde ich mit Nachdruck insistieren - anzunehmen/vorauszusetzen, dass man diese Fragen in zwei zusammenfassen oder sie sich voneinander isoliert vornehmen kann.

[Wo stehen wir? - Im Zusammenhang mit dem 'I shall urge' einnere ich gern an Wilfried Sellars Charakterisierung des philosophischen Essays. Ich weiss kaum mehr, wo mir der Kopf steht, und muss/darf erfahren, dass Davidsons eigene Argumentation noch gar nicht begonnen hat. Davidson hat bloss ein paar Proben zu einer Aufführung beigewohnt, die andere Philosophen immer und immer wieder auf den Spielplan zu setzen vermögen. Ein Stück weit vermag man Richard Rorty schon zu folgen, wenn er Davidson dazu drängt, dieses Theaterabonnement endlich zu kündigen oder, wie er sich ausdrückt, der Schauspieltruppe mitzuteilen, sie dürfe endlich Leine ziehen ('Get lost!').]

Beim Versuch, ein Bild von den Beziehungen zwischen den drei Arten des Wissens zu zeichnen, müssen wir viel mehr tun als bloss zeigen, dass sie gegenseitig unreduzierbar sind; wir müssen verstehen, warum sie unreduzierbar sind. Dazu wiederum ist es erforderlich herauszuarbeiten, was für eine begriffliche Aufgabe jede Form des Wissens jeweils übernimmt und warum jede dieser drei Formen des Wissens unverzichtbar ist - warum wir ohne alle drei von ihnen nirgends hinkämen. Natürlich: Wenn ich recht gehe in der Annahme, dass jeder der drei Spielarten des Wissens jeweils unverzichtbar ist, muss der Skeptizismus bezüglich der Sinneswahrnehmungen sowie der Skeptizismus bezüglich des Geistes anderer aufgegeben werden. Denn der Cartesianische oder Humesche Skeptiker bezüglich der Aussenwelt behauptet, es sei allzu offensichtlich, dass wir ohne Wissen über die Welt der Natur auskommen könnten - was wir über unsern eigenen Geist wissen, genügt sich selbst und mag alles Wissen sein, worüber wir verfügen. Der Skeptiker bezüglich des Geistes anderer ist gleichermassen davon überzeugt, dass wir ohne Wissen über den Geist anderer auskommen können - dies muss möglich sein, wenn wir doch für alle Zeiten im Ungewissen darüber sind, ob wir über solches Wissen überhaupt je verfügen werden.

[Landungsbrücken]


[Schriebe ich hier nicht mein Tagebuch, müsste ich mir das Folgende doch glatt verkneifen. So aber kann daraus früher oder später ein eigener Blog werden. Ich bin begeistert. Davidson ist für mich eine Herzensangelegenheit. Zwar hat er mich bisher mit einem Konzentrat (anders geht es bei ihm nicht) von vertracktem neuzeitlichem Epistemologie-Krimskrams malträtiert. Aber jetzt: Welt in Sicht! Ich gönne mir zwischendurch ein Bad: Die Sache(n) (Adorno), das Zeug (Heidegger), das, was in Wahrheit ist (Hegel) rückt ins Blickfeld. Ende Badesaison. Incipit philosophia: Davidson wird sich nun drei Standardsituationen vornehmen und zeigen, wie (dass und wie) darin jeweils alle drei Wissensformen zusammenspielen müssen, damit überhaupt was dabei rausschaut. (Und erneut geht's ab ins Wasser: Die Bewusstseinsformen meinen, sie könnten als unabhängige überleben. Doch wenn sie ihr Wesen ausdrücken wollen, strafen sie sich selber Lügen. Was sie meinen, können sie nicht sagen. Sie betonen ihre Unabhängigkeit; doch wenn sie sie konkret beschreiben, sprechen sie aus, wie sehr sie voneinander abhängig sind. Uns bleibt bei der ganzen Geschichte nur das reine Zusehen. Ende Hegelei.) Auch Richard Rorty ist begeistert: Am Ende der Aufführung wird er seinen skeptischen Intimfeinden erneut sein "Get lost! ("Schleicht euch!") zurufen können.]

Es mag zunächst so aussehen, dass wir ziemlich gut ohne sprachliche Ausdrücke, womit wir unsere Überzeugungen über die mentalen Zustände anderer oder unserer selbst widergeben, auskommen könnten. Ich glaube schon, dass sich das vorstellen lässt; doch die Sache, mit der ich mich befasse, ist in erster Linie erkenntnistheoretischer, nicht linguistischer Natur. Die erkenntnistheoretische Frage lautet, ob wir ohne Wissen von mentalen Inhalten, unserer selbst sowohl wie denen anderer, auskommen könnten. Ich werde darlegen, dass wir nicht ohne auskommen könnten. Was wir sicher nicht könnten, ist auskommen ohne einen Weg, unsere Gedanken über die natürliche Welt auszudrücken und sie hiermit zu kommunizieren. Wenn wir aber das können, ist es vergleichsweise einfach, den weiteren Schritt auszuführen, der darin besteht, mit Worten Gedanken zuzuschreiben, und es wäre höchst erstaunlich, wenn dieser Schritt nicht vollzogen würde. Hinsichtlich unserer eigenen Gedanken besteht der Schritt in nichts weiter als dem Übergang von der Versicherung 'Schnee ist weiss' zur Versicherung 'Ich glaube, dass Schnee weiss ist'. Die Wahrheitsbedingungen dieser Behauptungen sind nicht die selben, aber jeder, der die erste Behauptung versteht, kennt die Wahrheitsbedingungen der zweiten, selbst wenn seine Sprachkenntnisse ihm nicht erlauben, einen Satz mit diesen Wahrheitsbedingungen zu äussern. Dies ist der Fall, weil jeder, der sprachliche Äusserungen versteht, Behauptungen als solche erkennen kann und weiss, dass jemand, der eine Behauptung aufstellt, sich selbst darstellt als einen, der glaubt, was er sagt. Ebenso kennnt jemand, der zu Jones sagt, dass Schnee weiss ist, die Wahrheitsbedingungen von 'Jones glaubt, dass Schnee weiss ist' (auch wenn er weder Englisch versteht noch über ein Mittel, Überzeugungen auszudrücken, verfügt).

Überzeugung ist eine Bedingung für Wissen. Doch für den Besitz einer Überzeugung ist es nicht hinreichend, unterschiedliche Einstellungen auf die Welt auseinanderzuhalten und unter unterschiedlichen Umständen auf unterschiedliche Weise sich zu verhalten; auch eine Schlange oder ein Immergrün tut das. Der Besitz einer Überzeugung verlangt zusätzlich, des Gegensatzes zwischen wahrer und falscher Überzeugung, zwischen Erscheinungsbild und Realität, blossem Schein und Sein, gewahr zu sein. Wir können natürlich sagen, eine Sonnenblume befinde sich im Irrtum, wenn sie sich einer künstlichen Lichtquelle zuwendet, als ob diese die Sonne wäre, aber wir unterstellen nicht, die Sonnenblume sei in der Lage anzunehmen, sie habe einen Fehler gemacht, und somit schreiben wir der Sonnenblume keine Überzeugung zu. Wer eine Überzeugung bezüglich der Welt - oder irgendwas anderem - besitzt, muss über den Begriff der objektiven Wahrheit verfügen, den Begriff dessen, was, unabhängig davon, was er oder sie glaubt, der Fall ist. Infolgedessen müssen wir danach fragen, wie/wo wir auf den Begriff der Wahrheit stossen.

[Die Festlichkeiten haben begonnen; die Eröffnungsreden sind verklungen; es wird zur Tafel gebeten. (Der vorletzte Abschnitt diente wohl nur dem Zweck, die erkenntnistheoretische Natur der Fragestellung durch Abhebung von einer bloss linguistischen Fragestellung zu verdeutlichen.) - Zu meinen Akten: 1. Überzeugung ist notwendige Bedingung für Wissen. 2. Über den Begriff der Wahrheit zu verfügen ist notwendige Bedingung für den Besitz einer Überzeugung. - Frage: Wie kommt es, dass wir überhaupt über den Begriff der Wahrheit (objektiven Wahrheit, Objektivität) verfügen? Was bringt uns überhaupt dazu, zwischen dem, wie uns etwas erscheint (wie wir es uns vorstellen), und dem, wie es 'an sich' bzw. unabhängig von seinem Erscheinungsbild für uns bzw. unabhängig davon, wie wir es uns vorstellen, ist, zu unterscheiden? - Eine verdammt gute Frage! Ihre Beantwortung wird via Einsicht in die Unverzichtbarkeit der Mitwirkung aller drei Arten des Wissens für jede einzelne Art des Wissens zur Verabschiedung des Skeptizismus führen. So vermute ich jedenfalls mal. Zudem vermute ich, dass der Skeptizismus deswegen wird ad acta gelegt werden müssen, weil er sich nicht länger einigermassen stimmig wird formulieren lassen.]

Wittgenstein brachte uns auf die Spur der einzig möglichen Antwort auf diese Frage, auch wenn seine Problemstellung nicht so breit wie die unsere angelegt sein mochte und er wohl nicht daran glaubte, dass philosophische Probleme beantwortet werden können. Die Quelle des Begriffs der objektiven Wahrheit ist zwischenmenschliche Kommunikation. Die Existenz von Gedanken setzt Kommunikation voraus. Dies ergibt sich unmittelbar, wenn wir annehmen, dass Sprache für die Existenz von Gedanken wesentlich ist, und wenn wir mit Wittgenstein darin übereinstimmen, dass es keine Privatsprache geben kann. (1) Das zentrale Argument gegen Privatsprachen lautet: Sofern es keine gemeinsame Verwendung einer Sprache gibt, gibt es auch kein Mittel, zwischen korrektem und unkorrektem Sprachgebrauch zu unterscheiden; nur Kommunikation mit einem andern kann ein objektives Überprüfungsverfahren anbieten. Wenn aber nur Kommunikation eine Kontrolle über den korrekten Gebrauch von Worten beibringen kann, kann auch in andern Bereichen nur Kommunikation einen Massstab für Objektivität anbieten; so werde ich jedenfalls argumentieren. Wir haben keinen Grund, einem Geschöpf die Fähigkeit zuzuschreiben, eine Unterscheidung zwischen dem, was seiner Ansicht nach der Fall ist, und dem, was der Fall ist, vorzunehmen, wenn das Geschöpf nicht über den Massstab verfügt, den eine mit andern geteilte Sprache beibringt; und ohne diese Unterscheidung gibt es nichts, was eindeutig ein Gedanke genannt werden könnte.

(1)
Selbstverständlich kann es einen auf einer öffentlich erworbenen Sprache basierenden Privatcode geben. Ich habe keine Ahnung, wie weit gehend Wittgenstein sein Privatsprachenargument verstanden wissen wollte; vielleicht wollte er die Reichweite seines Arguments auf jene Begriffe, die notwendigerweise privater Natur sind, beschränkt wissen. Aber ich glaube, wie Saul Kripke in Wittgenstein on Rules and Private Language, das Argument betrifft die Sprache ganz allgemein, und so auch (wie ich mich ausdrücke) propositionales Denken [Gedanken, deren Inhalt angegeben werden kann, A.C.]. Aber während ich mir den Gedanken, dass Kommunikation die Quelle der Objektivität ist, zu eigen gemacht habe, glaube ich nicht, dass Kommunikation davon abhängt, dass Sprecher die selben Worte zum Ausdruck der selben Gedanken verwenden.

[Zu meinen Akten: Kommunikation ist notwendige Bedingung für die Existenz von Gedanken.]

Was ein Sprecher und sein Interpret, wenn sie miteinander kommunizieren, teilen müssen, ist ein Verstehen dessen, was der Sprecher mit seiner Äusserung meint. Wie ist das möglich? Es könnte schon hilfreich sein, wenn wir wüssten, wie es zur Entstehung von Sprache überhaupt erst kam, oder wenigstens nachvollziehen könnten, wie ein Individuum in einem Umfeld, in dem andere bereits über die volle Sprachkompetenz verfügen, seine erste Sprache lernt. In Ermagelung solcher Kenntnisse können wir stattdessen fragen, wie ein kompetenter Interpret (einer mit hinreichenden konzeptuellen Mitteln und einer eigenen Sprache) es schaffen könnte, den Sprecher eines fremdartigen Idioms zu verstehen. Eine Beantwortung dieser Frage sollte einige wichtige Merkmale von Kommunikation hervortreten lassen und ein indirektes Licht auf die Frage werfen, was einen ersten Zugang zur Sprache überhaupt erst ermöglicht.

Der unerschrockene Interpret, der ohne eines der zweisprachigen Standardutensilien des Globetrotters ans Werk geht, bemüht sich darum, den Äusserungen eines Sprechers einen propositionalen Gehalt zuzuordnen. Im Endeffekt ordnet er jedem Satz des Sprechers einen seiner eigenen Sätze zu. Soweit er die Dinge auf die Reihe kriegt, stellen die Sätze des Interpreten die Wahrheitsbedingungen der Sätze des Sprechers dar und bilden hiermit die Grundlage für die Interpretation der Äusserungen des Sprechers. Das Ergebnis kann als eine vom Interpreten vorgenommene rekursive Spezifizierung der Wahrheit für die Sätze, und hiermit die tatsächlichen und möglichen Äusserungen, des Sprechers aufgefasst werden.

[Der Übersetzer Davidsons, etwas erschrocken darüber, dass Davidsons unerschrockener Interpret 'without a bilingual trot' auf der Bildfläche erschien, war versucht, sich dadurch aus der Patsche zu ziehen, dass er den Abenteurer ohne zweisprachiges Wörterbuch 'antraben' liess. Doch er erkannte erst die Ungerechtigkeit seines Vorhabens: Aus seiner Jackentasche hängt ja der Schlendrian ('jog trot') heraus, der ihm ein vergleichsweise müheloses Trotten/Schlendern in einem eh schon vollständig aufbereiteten Text ermöglicht. Dann merkte er auch, wie gekünstelt seine bisherigen Überlegungen waren: Ein 'bilingual trot' ist wohl schlicht ein Sprachführer. Er konnte sich aber (vorerst) nicht dazu entschliessen, die Spuren der Mühen und Wehen, die die Übersetzung ihm bereitet hatte, gänzlich zu löschen.]

[!][!][!]
(engl.) interpreter = (dt.) ... 11. Interpret (2):
unerschrockene(r) Radikalinski, die/der sich, obwohl/weil es noch keinen entsprechenden Sprachführer gibt, unter die Wilden mischt und aus deren als sprachliche Äusserungen identifizierten Lautfolgen in seiner/ihrer Sprache formulierte Sinnfunken herauszuschlagen versucht. -
Anders ausgedrückt: Ich bin mit meiner Übersetzung von 'interpreter' als 'Interpret' nicht zufrieden. Zum Teufel auch: Was bin ich denn überhaupt, wenn ich einen Text interpretiere und mein momentanes Wesen durch ein Nomen zum Ausdruck bringen will? Ein Interpret? Ein Interpretierer? Ein Übersetzer? Ein Dolmetscher? Ein Deuter? Ein Zeichendeuter? Ein Wahrsager? Ein Zauberer?
[!][!][!]

[Zu meinen Akten: Nicht eine Wahrheitsdefinition, nicht der Wahrheitsbegriff ist das Thema. Wenn überhaupt von einer Definition die Rede sein soll, dann von einer für eine Sprache L. - Davidson verwendet 'characterization of truth', das ich erst mit 'Bestimmung der Wahrheit, wie sie für ... spezifisch ist', und schliesslich schlicht mit 'Spezifizierung für' wiedergegeben habe.]

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Donnerstag, Januar 12, 2006

Liebes Tagebuch

Heute habe ich meinen Job geschmissen. Der Philotustan findet das ok. Er empfiehlt mir nur, im Moment nicht über folgende Themen zu schreiben: Das Leben im Allgemeinen, die Welt und die sie verstinkenden (Das hat er nicht so gesagt) ungefiederten Zweifüssler (Hab ich mir gemerkt!) im Allgemeinen und die Lage der Arbeiterklasse in der Schweiz im Besonderen. Dieser Stoi meint halt, man solle immer freundlich bleiben, nur schon wegen der Ruhe und so. Dass ausser der zuständigen Stelle niemand etwas von meinem Abgang gemerkt hat, findet er im Sinne seines Grundsatzes von der Heimlichkeit sogar hervorragend. Ich habe dann auch gegenüber der Katzenfreundin Martina noch eine witzige Bemerkung gemacht.

Tschüss

Mittwoch, Januar 11, 2006

Rubrik: Diskussionen mit meinen LeserInnen

[Den folgende anonyme Kommentar habe ich aus dem Übersetzungsprojekt rausgeholt; ich verpflanze ihn, zusammen mit einem Kommentar meinerseits, hierher, in der freudigen Hoffnung, dass sich daraus eine Diskussion ergibt.]

Ich tät dem Philotustan auf seinem Kreuzgang gerne empfehlen wollen, nicht ganz zu vergessen, dass er in jungen Tagen zuweilen gar nicht sehr abgeneigt sich zeigte, bei einzelnen Musikstücken zu sagen, auch wenn ein grossartiger Komponist wie Wagner etc. sie herstellte, etwa die Meistersinger, sie seien im Ganzen dumm - also in explizierbarer Weise falsch, nicht wahr.
(Mauzi Dong)

Das 'Kreuzgang' verstehe ich nicht. Meinst du, ich befände mich auf einem Kreuzzug?

Du sprichst von Wagner als einem 'grossartigen' Komponisten. Ist das tatsächlich deine Meinung, oder zitierst du bloss? Ich frage darum, weil ich mich an keinen Menschen erinnern kann, der in meiner Gegenwart je so über Wagner gesprochen hat.

Warum eigentlich soll ich mich erinnern? Soll mich das in depressiven Verstimmungen daran erinnern, was für ein gescheites Haus ich schon immer war? Oder soll ich mir nur ja nicht zuviel einbilden, indem ich mich daran erinnere, zu welch idiotischen Bemerkungen ich auch fähig bin? Oder soll die Erinnerung mehr bewirken? Soll sie Rückbesinnung, Abbruch meines Kreuzzugs und Aufbruch nach Damaskus sein?

Ich habe es natürlich nicht vergessen. Solche Sätze habe ich ohne Zweifel von mir gegeben, und nicht zu knapp. (Sogar von Verdi habe ich in ähnlicher Weise gesprochen oder, besser gesagt, dem Adorno nachgeplappert.) Und jetzt wird's richtig philosophisch: Ich sagte etwa: "Die 'Meistersinger' sind, obwohl grossartige Musik, objektiv falsch." 'in explizierbarer Weise falsch' sagte ich vermutlich nicht, aus Angst, es könnte ein Unerschrockener mich dazu auffordern, doch mal zu explizieren. - (Aus einem ähnlichen Grund schreckte ich auch davor zurück, meinem politischen Gegner 'undialektisches Denken' vorzuwerfen. Dass du mich nicht falsch verstehst: Ich habe schon verständnisinnig genickt, wenn ein anderer so redete; punkto Political Correctness liess ich mir kaum etwas zuschulden kommen; ich verstand es bloss nicht.) - Zurück zum Satz über die 'Meistersinger': Ich verstehe ihn schlicht nicht, habe ihn nie verstanden. Und ich denke, dass das wenig mit sowas wie analytischer Engstirnigkeit zu tun hat, eher schon mit einem bei mir stark - vielleicht zu stark - ausgeprägten Sinn für Wahrhaftigkeit.

[Die Diskussion kann beginnen, wenn du magst. Greif dir was raus. Ich bin dir sehr dankbar, dass du mich an vergangene Tage erinnert hast.]

Dienstag, Januar 10, 2006

Rubrik: Zitate

Du liest einen kurzen, aber ziemlich nahrhaften philosophischen Essay, freust dich eingangs darüber, was dir auf den kommenden Seiten alles gezeigt werden wird, passt einen Moment nicht auf und erfährst dann staunend, was du eben alles verpasst hat. Das hat schon auch einen sachlichen Grund:

Die Crux einer philosophischen Argumentation erweist sich oft als ein Dedekindscher Schnitt zwischen einer Reihe von 'wie ich zeigen werde' und einer Reihe von 'wie ich gezeigt habe'. In gewissem Sinn sind die Präliminarien bereits die Argumentation, und die Crux besteht nur darin, sie verständlich zu entwickeln. Ein paar einführende Bemerkungen also, und meine Arbeit ist getan.

(Wilfried Sellars: Science and Metaphysics)

Freitag, Januar 06, 2006

Projekt: Übersetzung von 'Three Varieties of Knowledge' aus 'Subjective, Intersubjective, Objective' (1)

[Vorbemerkung zur Wahl des Essays:
'Three Varieties of Knowledge', Essay 14, comes closest to pulling together the main ideas in this book [Subjective, Intersubjective, Objective]. If all the essays had been written after my thougths had gelled, 'Three Varieties of Knowledge' would certainly have come first, and a reader who wants an overview might well begin here. (xvii)]

Drei Spielarten des Wissens


Ich weiss in den allermeisten Fällen, was ich denke, will und beabsichtige und was meine Empfindungen sind. Zusätzlich weiss ich eine ganze Menge über das Stück Welt, das mich umgibt; ich weiss seine Gegenstände zu verorten und deren Grössenverhältnisse und wirkursächlichen Zusammenhänge zu bestimmen. Manchmal weiss ich auch, was im Geist anderer Leute vor sich geht. Jede dieser drei Arten von empirischem Wissen hat ihre charakteristischen Unterscheidungsmerkmale. Was ich über die Inhalte meines Geistes weiss, weiss ich im allgemeinen ohne Vermittlung durch Belege oder Untersuchungen. Es gibt Ausnahmen, doch die Tatsache, dass wir ihnen misstrauen, solange sie nicht mit dem Charakter der Unvermitteltheit sich ausweisen können, bescheinigt dem unvermittelten Wissen von sich selbst seine Vorrangstellung. Andererseits hängt mein Wissen über die Welt ausserhalb meiner selbst von der Arbeitsweise meiner Sinnesorgane ab, und diese kausale Abhängigkeit von den Sinnen macht meine Überzeugungen bezüglich der natürlichen Welt offen für eine gewisse Unsicherheit, die sich im Fall der Überzeugungen bezüglich unserer eigenen Geisteszustände nur selten einstellt. Viele meiner schlichten Wahrnehmungen dessen, was in der Welt vor sich geht, basieren nicht auf weiteren Belegen; meine Wahrnehmungsüberzeugungen sind schlicht direkt durch die Ereignisse und Gegenstände um mich herum verursacht. Aber mein Wissen von den propositionalen Inhalten des Geistes anderer ist niemals in diesem Sinn unmittelbar; ich hätte keinen Zugang zu dem, was andere denken und wertschätzen, wenn ich nicht ihr Verhalten beobachten könnte.

Selbstverständlich sind alle drei Arten des Wissens mit Aspekten der selben Realität befasst; das, worin sie sich unterscheiden, ist die Art des Zugangs zur Realität.

Die Beziehungen zwischen den drei Arten empirischen Wissens, insbesondere Fragen der begrifflichen Priorität, haben lange die Liste der erkenntnistheoretischen Interessen von Philosophen angeführt, und sie sind hier mein Thema. Viele geläufige Herangehensweisen an die Frage, wie die drei Arten von Wissen aufeinander bezogen sind, halten das Wissen von sich selbst für primär, vielleicht wegen seiner Unmittelbarkeit und relativen Gewissheit, und versuchen dann, das Wissen über die Aussenwelt aus ihm abzuleiten; als letzten Schritt versuchen sie, das Wissen über den Geist anderer auf Beobachtungen von deren Verhalten abzustützen. Dies ist natürlich nicht die einzige Richtung, die die Ableitung einschlagen kann: Man wird stattdessen vielleicht Wissen über die Aussenwelt, zumindest in einigen seiner Erscheinungsformen, für grundlegend halten und versuchen, die andern Wissensformen zu ihm in Beziehung zu setzen oder sie auf es zu reduzieren. Die Ausarbeitung solch reduktionistischer Ansätze und der Aufweis ihres Scheiterns macht einen beträchtlichen Teil der Philosophiegeschichte von Descartes bis zur Gegenwart aus. Wenn in der jüngsten Vergangenheit viele Philosophen sich von diesen Problemen abgewendet haben, geschah dies nicht in der Meinung, die Probleme seien gelöst worden, sondern weil die Probleme sich jeder Behandlung zu widersetzen scheinen. Natürlich besteht auch die wehmütige Hoffnung, dass die Probleme selbst Scheinprobleme sind.

[Viele aus der Gilde der Seelenklempner haben das Handtuch geworfen. Ein Widerstand, der über Jahrhunderte hinweg nicht abnimmt, stellt nicht länger einen therapeutischen Ansatzpunkt dar. Da taucht ein neuer Gedanke auf, der, wenn er auch ans Portemonnaie gehen könnte, doch wehmütige Hoffnung weckt: Der Patient ist möglicherweise kerngesund.]

Dies kann nicht zutreffen. Es gibt zwingende Gründe dafür, die Auffassung, dass keine der drei Formen des Wissens auf eine oder beide der andern reduzierbar ist, hinzunehmen. Hier führe ich meine eigenen Gründe für diese Auffassung an; aber die Aussichtslosigkeit, je leistungsfähige Reduktionsverfahren zu finden, ist für mich allein schon aus der beinahe allseitigen Verwerfung standardisierter Reduktionsprogramme ersichtlich. Der Skeptizismus in mancherlei seiner geläufigen Erscheinungsformen ist der Tribut, den wir der offensichtlichen Unmöglichkeit, die drei Formen des Wissens zu vereinen, zähneknirschend zollen: Eine Form des Skeptizismus ergibt sich aus der Schwierigkeit, unser Wissen über die Aussenwelt aufgrund unseres Wissens über unsern Geist zu erklären; eine andere anerkennt, dass unser Wissen über den Geist anderer sich nicht in dem, was wir von aussen beobachten, erschöpfen kann. Die Renitenz des Leib-Seele-Problems ist ein anderer socher Tribut.

[Die Nichtreduzierbarkeiten fordern jede für sich einen Tribut, den wir ihnen in der Form verschiedener Spielarten des Skeptizismus widerwillig zollen. Darüber hinaus sorgen sie dafür, dass wir mit einigem Widerwillen nach wie vor einen ganz alten Hut (das Leib-Seele-Problem) nicht endlich ablegen können.]

Auffällig ist, wie weitgehend Philosophen, selbst solche, die die Möglichkeit, Überzeugungen bezüglich der Aussenwelt zu rechtfertigen, in Zweifel ziehen, diese Zweifel ablegen, wenn sie dazu übergehen, das Problem des Geistes anderer zu erwägen; auffällig, da ja das letztere Problem nur auftauchen kann, wenn Wissen über Verhalten, und hiermit über die Aussenwelt, möglich ist. Die Probleme voneinander abzusondern hat den unerwünschten Effekt, die Tatsache zu verwischen, dass die zwei Probleme auf einer gemeinsamen Annahme beruhen. Die Annahme lautet: Der Wahrheitswert einer Aussage darüber, was für Überzeugungen bezüglich der Welt eine Person hegt, ist logisch unabhängig vom Wahrheitswert dieser Überzeugungen selber. Dies scheint zweifellos zuzutreffen, denn sicherlich ist die Gesamtheit der Überzeugungen und subjektiven Erfahrungsinhalten einer Person logisch konsistent mit der Falschheit einer jeden dieser Überzeugungen. So verbürgt denn kein Ausmass an Wissen über die Inhalte seines eigenen Geistes die Wahrheit einer einzigen Überzeugung bezüglich der Aussenwelt. Die logische Unabhängigkeit des Mentalen wirkt sich gleichermassen in die andere Richtung aus: Kein noch so breites Ausmass an Wissen über die Aussenwelt zieht die Wahrheit darüber, was sich in einem Geist abspielt, nach sich. Wenn zwischen dem Geist und der Natur eine logische Schranke oder Erkenntnisschranke steht, hindert diese uns nicht nur am Rausschauen; sie lässt auch keinen Blick von aussen hineinwerfen.

[Vielleicht ist da draussen jemand, der sich mal die Syntax von "It is striking the extent to which philosophers ... have put aside these doubts" anschaut. Vielleicht kennt dieser Jemand sogar eine Englischlehrerin, die mit ihm gemeinsam über einen philosophischen Text sich zu beugen und ihre grossen Scheinwerfer auf ihn - den Text natürlich und, wenn er Glück hat, auch auf ihn selber - zu richten geneigt ist.]

Manchmal wird angenommen, dass, wenn wir das Problem des Wissens darüber, was sich überhaupt in einem Geist abspielt, trennen vom Problem des Wissens darüber, was - egal was - auch immer ausserhalb unserer selbst sich abspielt, dass dann das Problem des Wissens über den Geist anderer gelöst ist, wenn wir begreifen, dass es Teil des Begriffs eines mentalen Zustandes oder Ereignisses ist, dass bestimmte Verhaltensweisen oder andere äussere Anzeichen als Belege für das Vorhandensein dieses mentalen Zustandes oder Ereignisses gelten. Zweifellos stimmt, dass es Teil des Begriffs eines mentalen Zustandes oder Ereignisses ist, dass er/es durch Verhalten angezeigt wird. Was unklar bleibt, ist, inwiefern dies eine Erwiderung auf den Skeptiker darstellt. Denn die Tatsache, dass Verhalten anzeigt, was in einem Geist vor sich geht, bietet keine Erklärung für die Asymmetrie zwischen dem indirekten Wissen, über das wir bezüglich des Geistes anderer, und dem direkten Wissen, über das wir bezüglich unseres eigenen Geistes verfügen. Die angebotene Lösung besteht darauf, dass Verhaltensbelege hinreichend sein können dafür, andern in gerechtfertigter Weise mentale Zustände zuzuschreiben, während sie anerkennt, dass solche Belege für die Selbstzuschreibung der gleichen Zustände irrelevant sind. Aber wenn uns keine Erklärung für diese auffällige Asymmetrie gegeben wird, müssten wir schliessen, dass wir es tatsächlich mit mit zwei Arten von Begriffen zu tun haben: mentale Begriffe, die für andere, und mentale Begriffe, die für uns selbst gelten. Wenn die mentalen Zustände anderer uns nur durch das Verhalten und andere äussere Manifestationen bekannt sind, während dies auf unsere eigenen mentalen Zustände nicht zutrifft, warum sollten wir dann annehmen, unsere eigenen mentalen Zustände seien denen anderer in irgendeiner Weise ähnlich? Wir könnten uns auch fragen, warum wir nicht, wenn diese Antwort auf das Problem des Wissens über den Geist anderer zufriedenstellend ist, eine entsprechende Lösung für das Problem des Wissens über die Aussenwelt akzeptieren sollten. Es ist jedoch weitgehend anerkannt, dass diese Antwort auf den allgemeinen Skeptizismus inakzeptabel ist. Machen wir einen Unterschied zwischen den beiden Problemen, weil wir annehmen, dass wir, obwohl die Aussenwelt uns nur durch Erfahrung zugänglich ist, gleichwohl von hier in nachvollziehbarer Weise auf die Erfahrungen anderer extrapolieren können, weil wir ja in unserem eigenen Fall Zugang zu Erfahrung haben? Aber diese Annahme setzt die Antwort auf die Frage schon voraus, da sie ja unbegründet davon ausgeht, dass, was wir die mentalen Zustände anderer nennen, dem ähnelt, was wir als mentale Zustände in uns selbst ausmachen.

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Donnerstag, Januar 05, 2006

Rubrik: Die Philosophie Donald Davidsons

Warum gerade Davidson?


Keiner schreibt besser. Richard Rorty mag ihn. Für meinen Freund Thomas war er seinerzeit der Grund, von Germanistik auf Philosophie umzusatteln.

Ich selber habe in meiner Studienzeit den Namen 'Davidson' nie gehört. Ich war über 40, als ich mir den ersten Essay, 'The Conditions of Thought', reinzog. Thomas war in der Zwischenzeit in seinem Auslandjahr in Hamburg auf 'What Metaphors Mean' gestossen? Ich fragte ihn, bei wem er denn studiert habe? "Wolfgang Künne." - Ich, ganz Gelehrter: "Hat der nicht auch über Davidson publiziert?" - "Du kennst Davidson?" Ich kannte ihn noch nicht eigentlich, aber der damalige Student und spätere Verfasser der 'Unbestimmtheit der Verursachung' hat mir dann auf die Sprünge geholfen. Ganz eingenommen von Davidson war ich aber schon vorher:

Was mir an 'Sein und Zeit' am meisten gefallen hat, ist, wie dort mit der Setzung der Wörter 'In-Sein' und 'Mit-Sein' eine ganze Menge von erkenntnistheoretischem Bewusstseinsplunder von der Bühne gefegt wird. Aber irgendwie hatte ich ein schlechtes Gewissen und konnte es nicht einfach dabei bewenden lassen, dass ich nun mit einem Schlag zusammen mit andern Existenzen an einer gemeinsamen Welt partizipieren sollte. Bei aller Begeisterung glaubte ich mir ein solches Ausmass an Naivität dann doch nicht erlauben zu dürfen. Was hätten denn Quine & Co. dazu gesagt? Und dann kam einer, der nun gar nicht ein Dummerchen zu sein schien und seinen Quine auch intus hatte, und stiess ins gleiche Horn wie die Denkwurzel aus dem Schwarzwald. Diesen Eindruck hatte ich jedenfalls schon nach den ersten paar Seiten. Und dieser Eindruck beantwortet die Titelfrage des Blogs endgültig.

Seufz!

Ach was hatte ich gelitten: Der erwähnte Bewusstseinsplunder verstellte mir den Zugang zur Welt. Ich fühlte mich eingeschlossen im Lichtspieltheater von Meister Cartesius, daran verzweifelnd, durch angestrengte Betrachtung der vielen vertrackten Bildchen, diesen bloss privaten, subjektiven Eindrücken und Propositionen oder wie der Plunder sonst benamst wird, Hinweise darauf zu ergattern, ob vielleicht irgendwo ein anderer Elender durch Vertiefung in ähnliche Bildchen Hinweise auf mich und ein gemeinsames Leben nach der Lichspielvorführung ergattert. Man kann diesen Kram gar nicht kompliziert genug beschreiben. Ich sag nur noch "verfluchter, vertrackter Kleinkram, Krimskrams, Gerümpel" und eben "Plunder" und schliesse mit einem weiteren

Seufz!


[Ich habe heute etwas reichlich Sinnloses begonnen. Doch ich tu's mit grosser Ernsthaftigkeit und bin mir sicher, dass ich viel Spass daran haben werde. Ich übersetze den Essay 'Three Varieties of Knowledge'. Ich habe einfach Lust, an Davidson ganz nah dran zu bleiben, seine Sprache zu geniessen, eine ganz enge Vertrautheit mit seinen Gedankengängen zu gewinnen, tja, so Sachen eben. Und indem ich mir eine relativ einfache, aber äusserst zeitintensive Aufgabe stelle, zwinge ich mich dazu, mir als einem etwas nervösen Menschen dabei ein gemächliches, wohltuendes Tempo zu gönnen.]

Mittwoch, Januar 04, 2006

What is it like to have a Davidson?


Ich kann Leute, die von ihrer Harley-Davidson oder ihrem Jaguar schwärmen, komplett gut verstehen. Dabei habe ich nicht einmal einen Führerschein. Vor einigen Jahren sass ich im Intercity zwischen Zürich und Bern einem älteren Herrn gegenüber, der stinkzufrieden dasass, lächelnd um sich blickte und offensichtlich gewillt war, dem nächstbesten Fahrgast mitzuteilen, dass es kaum etwas Besseres als das Leben gebe. Ich konnte es nicht lassen, irgendeine Bemerkung, unser gemeinsames Fortbewegungsmittel betreffend, mehr so vor mich hin zu labern. Damit hatte ich meinem Gegenüber das Stichwort geliefert. Der sehr sorgfältig gekleidete, höfliche Herr brauchte keinen abrupten Themenwechsel vorzunehmen. Er wechselte bloss das Fortbewegungsmittel: Da hatte er doch tatsächlich am selben Nachmittag so einen amerikanischen Schlitten - ich glaube es war ein Buick - erstanden. Nun freute er sich tierisch darauf, seiner Frau davon zu erzählen, und bevor es so weit war, hielt er sich an mich. Er brauchte sich nicht aufzudrängen, hatte sich auch - mit einem Blick auf mein Buch - erkundigt, ob ich wohl gesonnen sei und so, kurz: Ich liess es gern zu, dass er mir von seiner Herzensangelegenheit erzählte. Und das lohnte sich. Als wir uns nach einer guten Stunde herzlich voneinander verabschiedeten, wusste ich, wie es ist, der stolze Besitzer eines Buick zu sein. Ich hatte das bestimmte Gefühl, meinen Horizont entscheidend erweitert, viel über das Leben im Allgemeinen gelernt und die Menschen ein bisschen lieber gewonnen zu haben.

Die Freude dieses Mannes an seinem Buick ist von der gleichen Art wie meine Freude am heute gekauften Donald Davidson. Das mag allzu selbstverständlich sein, enthält aber einen hübschen Hinweis darauf, wie wir unser Leben bereichern und verschönern können: Wir erkundigen uns sachte danach, was andern Leuten die grösste Freude bereitet. Das kostet nichts - mit ein wenig Geschick lassen sich sogar die Opportunitätskosten niedrig halten - und bringt sehr viel ein. Ich habe es schon oft erlebt, wie sich die Beziehung zu jemandem, mit dem ich eben noch gerade gut ausgekommen war, schlagartig - jahwolle: schlagartig! - veränderte, als sich für einen von uns die Gelegenheit ergab, ungezwungen von seiner Herzensangelegenheit (Kaffeerahmdeckeli sammeln, den 'Ulysses' übersetzen, das Auto frisieren, die 'Kunst der Fuge' studieren, nach Feierabend die neuste Folge der Telenovela gucken, so menschliche Dinge eben) erzählen zu dürfen.

Praktisch: Jemand teilt dir mit, dass er gern Cricket spielt. Du weisst nicht einmal, was Cricket ist. Optimale Reaktion: "Oh!" Mögliche Fortsetzung: "Du kennst Cricket?" - "Nein. Erzähl mal." Auf "Oh!" folgt immer ein Happy End. "Oh!" ist eine durchtriebene Anmache. Dein Gegenüber ist machtlos. Ein Freund wird sie - ich wechsle mal das Pronomen - nach Jahren vielleicht fragen, warum sie dich eigentlich mag. Sie weiss es nicht mehr: "Er ist halt nett." Genau! Du hast vor Jahren mal an der richtigen Stelle "Oh!" gesagt. - By the way: Wenn du es nicht so mit den Leuten hast, ersetzt du das "Oh!" einfach durch ein "Aber", gefolgt von irgendwas. Charmetiraden wie "Aber ist das nicht langweilig? ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie du, der du doch vom Typ her eigentlich eher ..." sind gar nicht nötig.

Sie trägt ein neues Kleid und sieht darin einfach so ... so ... ähmmm ... na eben so ... "hübsch" geht dir nicht über die Lippen - du kennst sie ja überhaupt nicht, hast noch nie einen Gruss mit ihr gewechselt - deine Anmache soll nicht plump wirken - und inzwischen ist sie schon vorbeigerauscht. Versuch's mal mit einem verschmitzten, unaufdringlichen, ehrlichen "Oh!"

Montag, Januar 02, 2006

[Für meinen Freund Thomas Ruprecht, den in Thörishaus geborenen Philosophen (Dissertation: "Die Unbestimmtheit der Verursachung. Ein philosophischer Essay über Kausalität." ISBN 3-258-06593-4), der am Gymnasium Neufeld in Bern Philosophie und Deutsch unterrichtet]

Plädoyer für regelmässige Zeitungslektüre


Vor einigen Monaten erschien in der NZZ Michael Hampes Besprechung von Donald Davidsons "Subjective, Intersubjective, Objective". Diesen Artikel nahm ich mir letzten Donnerstag noch einmal vor. Als Folge davon wartet das Buch nun in meiner Buchhandlung darauf, von mir in Besitz genommen zu werden. Wer weiss, wie lange ich mich mit Lust und ein bisschen Durchhaltewillen an Davidsons Gedanken festbeissen werde? Und wer kann schon ausschliessen, dass ich eines Tages wieder einen Blick in eine Zeitung werfen und dadurch erneut dazu bewegt werde, meinen geistigen Horizont durch ein bisschen Anstrengung zu erweitern? Tja, ich könnte auf regel-mässige Zeitungslektüre nie verzichten.

Sonntag, Januar 01, 2006

Zum Jahresanfang


Für das kommende Jahr wünsche ich allen meinen LeserInnen viele frohe Stunden.
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Für die an Philosophie im engeren Sinn Interessierten mag es noch Belangloseres geben als zu hören, dass ich mich zur Zeit wieder mit mit der Philosophie Donald Davidsons beschäftige. Dessen "Subjective, Intersubjective, Objective" brennt in meiner Buchhandlung darauf, von mir in Besitz genommen zu werden. Als erstes werde ich mir "The Myth of the Subjective" vornehmen (Deutsch neben ein paar anderen Aufsätzen bei Reclam unter der Nr. 8845). Dieser Aufsatz scheint eine gute Übersicht über die späteren Arbeiten Davidsons zu geben. Zur Einstimmung zitiere ich ein paar Passagen aus der deutschen Ausgabe:

Der erste Satz: Dieser Aufsatz behandelt ein altes Thema: die Beziehung zwischen dem menschlichen Geist und der übrigen[!] Natur, zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven, wie wir sie heutzutage auffassen. (84) -
Zu "wie wir sie heutzutage auffassen": Viele der von mir dargelegten Gedanken sind unter den Philosophen heute weitgegend bekannt. Aber soweit ich weiss, haben nur wenige dieser Philosophen erkannt, wie weit die daraus folgende Umwälzung unseres Denkens über die Philosophie reicht. (98 f)

Der freundliche Richard Rorty, dem wohl niemand den ersten Platz in Davidsons Fan-Club streitig machen kann, wird nicht müde, immer wieder zu betonen, wie weitreichend die Folgen der Verabschiedung der Dichotomie Schema/Inhalt ist. Das führt mich zur nächsten Passage:

Anstatt zu behaupten, die Probleme der modernen Philosophie seien von der Dichotomie Schema/Inhalt beherrscht und definiert worden, könnte man ... ebensogut sagen, es sei die Art der Auffassung des Dualismus von Objektivem und Subjektivem gewesen. Diese Dualismen haben nämlich einen gemeinsamen Ursprung: einen Begriff des Geistes mit seinen privaten Zuständen und Gegenständen. (91)

Und was uns nicht alles erwartet, wenn wir uns einen neuen Begriff des Geistes zu eigen machen bzw. wenn wir aufhören, uns von der Dichotomie Schema/Inhalt und der Dichotomie objektiv/subjektiv drangsalieren oder betören zu lassen (98):
Die Auswirkungen dieser Überlegungen auf die Erkenntnistheorie sind zumindest[!] umwälzend. (94) -
Was uns bevorsteht, ist der Blick auf das Auftauchen einer radikal umgemodelten Auffassung der Beziehung zwischen Geist und Welt. (91) -
Spezifischer: Die Beantwortung des globalen Skeptizismus wird keine Herausforderung mehr sein. die Suche nach erkenntnistheoretischen Grundlagen in der Erfahrung wird für zwecklos befunden werden, und der Begriffsrelativismus wird seine Anziehungskraft verlieren.

Wo anders hat der sorgfältige und prägnante, eher trockene und eher verhalten, aber nachhaltig begeisternde Denker Davidson sich dermassen emphatisch ins Zeug gelegt? Der Aufsatz ist über weite Strecken nicht-argumentativ (er ist nicht dazu bestimmt, den Zweifler zu bekehren (84)) und narrativ (Davidson spricht von seiner kurzatmigen Erzählweise (90)). Gerade darum, und weil er so viel Gedankenmaterial an einem Ort versammelt, wähle ich ihn als Ausgangspunkt einer Vertiefung in spezifischere Themen (wie das der Triangulation). Es ist ja bei Davidson, dem "Denker ohne Buch", besonders schwierig, beim Nachvollzug seiner feinsinnigen Argumentationen nicht aus den Augen zu verlieren, wo genau im Gestrüpp der analytischen Argumentwucherungen er im Moment das Messer ansetzt oder 'worum es eigentlich geht'.

Schliessen will ich mit einer letzten Passage aus "The Myth of the Subjective":
Es gibt zwar die zahlreichen Bewusstseinszustände, aber deren Beschreibung setzt nicht die Existenz gespensterhafter Wesenheiten voraus, die der Geist irgendwie betrachtet. Wenn man ohne solche Wesenheiten auskommt, so heisst das, dass man eine ganze Reihe beunruhigender Probleme wegfegt, anstatt sie zu lösen. Denn wenn es solche Gegenstände gar nicht gibt, können wir weder die Frage aufwerfen, wie sie die Welt darzustellen vermögen, noch können wir uns den Kopf über die Frage zerbrechen, wie es dem Geist gelingt, ihre unmittelbare Bekanntschaft zu machen. (106 f) -
Ob man die 'Gegenstände des Denkens' dabei nach dem Vorbild der Sinnesdaten oder als etwas in ihrem Charakter Propositionales (106) auffasst, spielt keine Rolle. -
Wenn aber nun ein philosophierender Naturwissenschaftler daherkäme mit der Behauptung, nur er könne wahrheitsgemäss und grundlegend über den Charakter der Bewusstseinszustände Bescheid geben, böte er uns nicht mehr und nicht weniger als einen gelungenen Sketch zum Jahresanfang:

Wir haben ja das Feld der Erforschung von Bewusstseinszuständen aus Einsicht in die Zwecklosigkeit des Unterfangens für unsere Zwecke und aus Überdruss bereits geräumt und schauen nun von aussen belustigt zu, wie uns der neue Fundamentalwissenschaftler den ersten Rang auf diesem Feld streitig machen will. - Stell dir vor, es wäre Krieg ...

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All denjenigen, die befürchten/hoffen, dass die Hegeleien künftig spärlicher fliessen werden und dass ich mich von meinem Adornitis-Schub erholt habe, kann ich sagen: You're right.

Für das kommende Jahr wünsche ich allen meinen LeserInnen viele frohe Stunden.