T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Sonntag, Februar 24, 2008

["Dem Andenken eines Engels" (Alban Berg)]

Emre Aydın - Belki Bir Gün Özlersin


Vielleicht wirst du eines Tages von einer Sehnsucht ergriffen ...


4 Takte absteigen, vier Takte verweilen - erneut absteigen, eintauchen; eingetaucht bleiben - nur kurz auftauchen, um dich dann wieder dem unendlichen Sehnsuchtsgefühl zu ergeben, in ihm zu verweilen - auftauchen, Atem holen, fallenlassen; liegenbleiben ... Die gesungene Melodie wie über das immer wiederkehrende achttaktige Grundmuster gestreut; kein neuer Impuls, der die Grundbewegung durcheinanderbringt; eher ein ruhiges, beiläufiges, gelöstes, ergebenes Plappern ... Belki bir gün özlersin ... Du bist nicht gefeit dagegen ... Belki bir gün ... Lass es geschehen ... özlersin ... Die Bewegung treibt dich fort ... Belki dolar gözlerin: Offenlassen, was alles dir Getriebenem die Tränen in die Augen treibt.

Kein Text, keine Übersetzung: Niemand flickt dir an deinem eigenen Film herum. Niemand spricht dir im Camp am Donec ein Gebet vor. Niemand weist dir den Weg zu einem sicheren Hafen; du hast dir deine kleinen Anlegestellen schon längst selber zusammengebastelt. Belki bir gün özlersin ... Die Sehnsucht ist eine Anlagestelle auf offener See - und Endstation.

Rubrik: Lebensweisheit

Patentrezept


Auch für manch dramatisch anmutende Lage gibt es ein Patentrezept, und das heisst Zeit. Auf der Verpackungsbeilage steht: "Täglich verstreichen lassen, ohne einzugreifen." Dann kommt Rat, ergänzt der Volksmund.

Samstag, Februar 23, 2008

Rubrik: Anerkennung

Der Charmeur


Der wahre Charmeur ist ein durch und durch aufrichtiger Mann. Seine Komplimente sind sind echt und kommen ganz aus dem Herzen. Und darum erfährt die Frau sich im Umgang mit ihm in ihrem Wertgefühl bestätigt und gesteigert.

Ohne Titel


Unter einem entzückenden Näschen spitzt sich ihm ein süsser Kussmund entgegen. Er lässt ihn stehen und streichelt über ihren Hinterkopf.

Unter einem entzückenden Näschen spitzt sich ihm ein süsser Kussmund entgegen. Er greift mit beiden Händen nach ihren Wangen, und gerade noch bevor er in ihren Augen ertrinkt, schliesst er die seinen und drückt seine Lippen auf den Kussmund. Die beiden verharren still. Ende der Vorstellung.

Wir befinden uns im Zug. Ein älterer Herr brummelt mit einem leisen Seufzer so was wie 'Das ist doch das einzig Wahre' in sich hinein und beginnt, sich in Beschreibungen der beobachteten Szene zu ergehen.

Unter einem entzückenden Näschen spitzt sich ihm ein süsser Kussmund entgegen. Er greift mit Händen, Mund und Herz zu und ertrinkt in ihren Augen.

Unser Schreiber hat nun die Augen geschlossen und spinnt die Szene weiter: Er schlägt seine Beisserchen in ihre Brust und wird gewahr, wie seine Augen aufgerissen werden. Sie schauen selig verwundert in die beglückende Pracht ihres geliebten Gesichts. Dann schliesst er die Augen und saugt die ganze Frau in seine Seele ein.

Der Schreiber öffnet die Augen wieder. Das Pärchen ist verschwunden. "Ja, das ist das einzig Wahre!" - "Das war ein Aufblitzen des schlechterdings richtigen Lebens" wird verworfen. - "Ja, das wäre das einzig Wahre", lässt er einen andern sagen. - "Ich muss mein Leben ändern." Zu solcher Versteigerung treibt er einen dritten. Dann lässt er die Sache auf sich beruhen und wendet sich dem Weltgeschehen zu. Zeitungslektüre. In einem Krisengebiet verblüfft eine Frau ihren Geliebten durch die Fähigkeit, sich vollkommen gehenzulassen und dann vom Fleck weg unter seinen Streicheleinheiten einzuschlafen. Das Leben des Mannes verändert sich mit einem Schlag. Die Tatsache, dass er an diesem Geschehen beteiligt war, rückt ihn für sich selber in ein völlig neues Licht. Und er, ein Kriegsberichterstatter, beginnt damit, neben seinen täglichen Berichten auch Aufzeichnungen zu schreiben, in denen er beispielsweise festhält, wie unter einem entzückenden Näschen ein süsser Kussmund sich vorspitzt ...

Freitag, Februar 22, 2008

Neue Rubrik: Nachrichten aus dem Camp am Donec


Im Camp am Donec ist der Schlendrian eingekehrt.

Anstatt in stiller Andacht der leisen Verheissung zu gedenken, deren Erfüllung verhalten sich ankündigt dem, der dem Lied der alten Sänger lauscht, das zögernd bloss u.s.w. u.s.f. ... bis auch der letzte Rest realer Erfüllung in unerreichbare Ferne geschrieben ist ... die dann aber doch wieder und gerade durch diesen Akt der poetischen Entrückung im steten Andenken gehalten wird, ... bis die Blätter vergilben ... Anstelle von alledem und alledem wird zur seichtesten Interpretation des Wortes eines grossen, des Heidentums verdächtigten Denkers und Dichters gegriffen:

Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.

Und so überlässt einer sich etwa neben überdimensionierten alten Götzentümern bei heidnischem Treiben einer prallen, schieren Gegenwart, die mit Wucht auf ihn zu-und eindonnert und, indem sie den letzten Tropfen eines die unerfüllte Gegenwart transzendierenden Strebens aus ihm herauspresst, ihn - wenn auch nur für einen kurzen Moment - zum Augenblicke sagen lässt:

Verweile! Du bist so schön!

Da folgt die Strafe auf dem Fuss! Und die besteht im Erwachen eines noch intensiveren, noch qualvolleren Strebens nach erneuter praller, schierer Gegenwart. Und das ist nun kein deus absconditus mehr und dergleichen harmloses Zeug. Das ist die niederdrückende Gewalt einer Abwesenheit, die sich zur mächtigsten, bestimmendsten Allgegenwart auswächst.

Tja, das hat einer dann davon, wenn er nicht brav ist und seinen Heidegger oder Augustinus vor sich herbetet. "Ama et fac, quod vis." Ein grosses Wort! Mein Bester, es ging darum, es zu interpretieren, und nicht etwa darum, dein Leben zu verändern. Tsss! Wie kann Mann nur!

Inquietum est cor nostrum, donec ... Na was denn? - Bis es von noch grösserer Unruhe gepackt wird?! -


[Alte, böse Lieder:
Lustig, wie sich hier ein alter Gedanke wieder anmeldet: Überschreite den Donec! Suche die echte Ruhe! Geh doch ins Kloster! Extra muros nulla quies. -
Es gibt eine Spielart des Katholizismus, die die Sünde zu überwinden versucht, indem sie mit ihr spielt. Auch das natürlich beileibe keine moderne Spielart, weil sie die Sünde noch allzu ernst nimmt und versucht, ihr immer neue Reize abzugewinnen, anstatt sie von jeder Unanständigkeit zu reinigen und im Bereich der Verletzung der Zwischenmenschlichkeit etwa anständig, aufgeklärt und witzlos zu verorten. Ja, die Sünde ist einfach witzlos, wenn sie keinen Spass macht. - Und der Spass witzlos, wenn er nicht den Geruch der Sünde an sich trägt? Natürlich nicht, aber vielleicht weniger raffiniert. Versteht heute keiner mehr, ich weiss. Man muss schon katholisch sein bis auf die Knochen, muss Spass an der Sünde selber haben können, um so was zu verstehen.]

[Ein hagerer, etwas zappeliger Philosoph sitzt mit seiner Frau im Teegarten des Parks von Gülhane und ist nicht wiederzuerkennen: Wie die Ruhe selbst sitzt er da und nimmt neben dem Tee die Schiffe, die den Bosporus überqueren, das Geäst der Bäume und das Geschnatter der Teetrinker in sich auf. Die Welt ist vollkommen schön. Und später bemerkt er, dass sein über alles geliebter Nazim Hikmet einen Nussbaum in den Park stellt und ihn seine Rose, das geliebte Istanbul, besingen lässt. Tja, und dann macht er sich halt an eine Übersetzung:]


Ceviz Ağacı


Başım köpük köpük bulut, içim dışım deniz,
Ben bir ceviz ağacıyım Gülhane Parkı'nda,
Budak budak, şerham şerham ihtiyar bir ceviz.
Ne sen bunun farkındasın, ne polis farkında.

Ben bir ceviz ağacıyım Gülhane Parkı'nda.
Yapraklarım suda balık gibi kıvıl kıvıl.
Yapraklarım ipek mendil gibi tiril tiril,
Koparıver, gözlerinin, gülüm, yaşını sil.
Yapraklarım ellerimdir, tam yüz bin elim var.
Yüz bin elle dokunurum sana, İstanbul'a.
Yapraklarım gözlerimdir, şaşarak bakarım.
Yüz bin gözle seyrederim seni, İstanbul'u.
Yüz bin yürek gibi çarpar, çarpar yapraklarım.

Ben bir ceviz ağacıyım Gülhane Parkı'nda.
Ne sen bunun farkındasın, ne polis farkında.

(Nazim Hikmet)

Der Nussbaum


Quellwolken sind meine Krone, mein Element ist das Meer,
Ein Nussbaum bin ich im Park von Gülhane,
Ein knorriger alter Nussbaum mit wucherndem Geäst.
Du bemerkst es nicht, noch bemerkt es die Polizei.

Ein Nussbaum bin ich im Park von Gülhane.
Meine Blätter schimmern wie im Wasser ein Schwarm von Fischen.
Wie ein seidenes Taschentuch schön fliessend fallen sie.
Nimm dir ein paar davon und wische dir, meiner Rose, die Tränen aus den Augen.
Die Blätter sind meine Hände; Hunderttausende habe ich davon.
Mit hunderttausend Händen berühre ich dich, mein Istanbul.
Die Blätter sind meine Augen; ich schaue verwundert:
Mit hunderttausend Augen schaue ich dich an, mein Istanbul.
Wie hunderttausend Herzen zittern, beben meine Blätter.

Ein Nussbaum bin ich im Park von Gülhane.
Du bemerkst es nicht, noch bemerkt es die Polizei.

(Deutsch: Alban Clemenz)

Köln


In ca. 100 m Entfernung von der grossen Kapelle auf Bahnsteig 2 stehen und dem Rhein-Münsterland-Express entgegenblicken, wie er über die Hohenzollernbrücke auf mich zudonnert.

Montag, Februar 04, 2008

["Ein Schiff wird kommen / Und meine Sehnsucht stillen ..." - In Izmir etwa ist ein Schiff aus dem Hafen gelaufen; es läuft ein Schiff aus dem Hafen; demnächst wird ein Schiff aus dem Hafen laufen. Und nichts wird mehr wie früher sein. - Eine Sehnsucht wird gestillt und eine Aussicht auf nie gestillte Sehnsucht eröffnet. - Es ist Mehmet untersagt, auf seinem Flug von Ankara nach Berlin das Handy zu benutzen. So muss er eine halbe Ewigkeit warten, bis er Bahar, seiner Verlobten, eine erste SMS schicken kann. Und alles wird sein, wie's alleweil und eh immer ist.]


SESSİZ GEMİ
 
Artık demir almak günü gelmişse zamandan,  
Meçhule giden bir gemi kalkar bu limandan.  
Hiç yolcusu yokmuş gibi sessizce alır yol;  
Sallanmaz o kalkışta ne mendil ne de bir kol.
 
Rıhtımda kalanlar bu seyahatten elemli,  
Günlerce siyah ufka bakar gözleri nemli.  
Biçare gönüller! Ne giden son gemidir bu!  
Hicranlı hayatın ne de son matemidir bu!  
 
Dünyada sevilmiş ve seven nafile bekler;  
Bilmez ki giden sevgililer dönmeyecekler.  
Bir çok gidenin her biri memnun ki yerinden,  
Bir çok seneler geçti; dönen yok seferinden.
 
(Yahya Kemal Beyatlı)


Lautloses Entschwinden
 
Bringt erst die Zeit den Tag, an dem der Anker gelichtet wird,
Verlässt ein in unbekannte Fernen aufbrechendes Schiff den Hafen.
Lautlos, als wäre kein Passagier an Bord, nimmt es die Fahrt auf;
Bei dieser Ausfahrt wird kein Taschentuch, kein Arm geschwenkt.
 
Die am Kai Zurückgebliebenen stehen bekümmert,
Über Tage noch starren sie in den schwarzen Horizont, die Augen verweint.
Bedauernswert sind die Herzen! Dies ist nicht das letzte Schiff, das ausfährt!
Voll von Trennungsschmerz ist das Leben; hier wird nicht ein letztes Mal getrauert!
 
In dieser Welt wartet vergeblich der Geliebte wie der Liebende;
Er weiss nicht, dass die entschwindenden Geliebten nicht wiederkehren werden.
Von denen, die wegziehen, lebt ein jeder zufrieden am neuen Ort;
Die Jahre vergehen; und keiner kehrt je zurück.
 
(Deutsch: Alban Clemenz)