T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Dienstag, Dezember 29, 2009

Laute, Wörter, Sätze 16/103


Herr Björn Lomborg ist ein Klima-Leugner. Der IPCC-Chairman Pachauri meint: "Wodurch unterscheidet sich Lomborgs Sicht auf den Menschen von derjenigen Hitlers?" "Wenn Sie Lombergs Denken folgen sollten, war das, was Hitler getan hat, möglicherweise richtig."
[IPPC: der Uno-Klimarat Intergovernmental Panal on Climate Change]

Leute, ich bin total verschreckt. Das Klima gehörte in der Mittelschule nicht zu meinen Stärken. Ich bin heute heilfroh, wenn ich den Wetterprognosen entnehmen kann, was das Wetter so macht, und will auch gestehen, dass ich bei den Klimamodellen nicht den Durchblick habe. Dabei wäre es doch entscheidend wichtig, hier zum richtigen, durch keinerlei Zweifel angefochtenen Glauben zu gelangen und nie mehr davon abzufallen. Dieses totale Nichtwissen bei gleichzeitiger Verpflichtung auf das einzig Wahre, das macht mich fix und foxi. Für den katholischen Internatsschüler der 60-er Jahre bekommen Wörter wie 'Inquisition' einen neuen - diesmal furchterregenden - Sinn. Ich meine, die Patres, die waren ja nicht so ...

Ich fordere alle LeserInnen auf, sich nicht in den von Bösewichtern gehackten E-Mail-Verkehr der am IPCC entscheidend beteiligten Climatic Research Unit (CRU) der University of East Anglia zu vertiefen. Der in diesem Zusammenhang aufgetauchte Ausdruck Climategate sollte unbedingt vermieden werden. Von der Lektüre dieses NZZ-Artikels zur politischen Ökonomie der Klimapolitik muss dringend abgeraten werden. Und last, but not least: Es ist am besten, wenn ihr diesen Blog gar nicht erst lest.


[Lektüreempfehlung: Der erste Abschnitt aus Musils "Der Mann ohne Eigenschaften".]

Sonntag, Dezember 27, 2009

Die drei Faktoren, die entscheidend zum Verschwinden des jüdischen Staates Israel beigetragen haben, sauber aufgelistet in einem Merkkästchen aus einem 2052 erschienenen Geschichtslehrbuch:
1)
Die demographische Entwicklung innerhalb des Staates Israel
2)
Die demographische Entwicklung in den angrenzenden arabischen Staaten
3)
Irans Atombombe
[Es folgen ein paar Bemerkungen zum nach wie vor ungelösten Problem der palästinensischen Flüchtlinge, das aber, obwohl kompliziert durch das Problem der jüdischen Flüchtlinge, keine zentrale Rolle mehr spielen soll.]

Es braucht keine üppige Phantasie, sich solche Szenarien auszudenken. Sie sind allzu naheliegend. Andere - weit unwahrscheinlichere - Szenarien wie die Ereignisse in Hitler-Deutschland sind Geschichte und wirken als solche doch recht vertraut. Was aber Philip Roth in 'The Plot against America' minutiös schildert, hat mich ein paar Tage lang arg mitgenommen. Ich bin nicht naiv, habe schliesslich in den Jahren 92 - 95 ganz genau hingeschaut auf das, was sich in Bosnien abspielte, habe ein paar elementare Lehren aus dem Vietnamkrieg gezogen, habe bloss ein Schulterzucken übrig für das von keinerlei kriegstechnischen Kenntnissen getrübte öffentliche Geplapper über Afghanistan, ich habe dies und habe das ... Ich bin naiv, sage ich mir jetzt. Die Weltgeschichte war halt eben doch eine Art Heilsgeschichte für mich; da steckte, allen Wirrungen Trotz bietend, immer noch ein Pfeil drin, der in eine bestimmte Richtung zeigte, vorwärts, zum weniger Schlechten.

Doch nun ein Pogrom, verübt im Oktober 42 an Juden in den Vereinigten Staaten. Ich gebe auf. Ich strecke die Waffen. Ich habe keine Worte. - Es folgt natürlich nichts aus Roths Fiktion. Ich bin bloss ernüchtert und deprimiert. Jeder Menschengruppe ist jederzeit jede erdenkliche Schandtat zuzutrauen. In Ewigkeit, Amen! Die ewige Wiederkehr ... Ach was, ich lasse das.


... the unfolding of the unforseen was everything. Turned wrong way round, the relentless unforseen was what we schoolchildren studied as "History", harmless history, where everything unexpected in its own time is chronicled on the page as inevitable. The terror of the unforseen is what the science of history hides, turning a disaster into an epic.
[Aus Teil 3 des Buches (June 1941 - December 1941)]

Donnerstag, Dezember 24, 2009

[Aus dem Blog über die Marienverehrung, der nie geschrieben wurde:]


Die Geschichte vom Weihnachtsmann klingt ja ganz plausibel. Aber die andere ...

Der Überbringer der Botschaft ist ein Engel. Ok. Die Empfänger der Botschaft: "Es waren Hirten ... auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Schafe." Die Botschaft: ER, der Verheissene, ist DA! (Was? Wie? Wo?) Er liegt im Stall da drüben, in einer Krippe liegt er. - Die Hirten eilen zum Stall und plappern von dem, was sie gehört haben. Und alle, die es hören, fragen sich und wundern sich doch sehr.

"Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen." - Und das heisst dann wohl Glauben.

Sonntag, Dezember 13, 2009

[Tagespolitik: Klimagipfel in Kopenhagen]

Grit, Silt, KLICK!

Samstag, Dezember 12, 2009

[Der wohl wichtigste Blog, der nie geschrieben wurde: ein Blog zu Bosnien. Die über Jahre sich hinziehende tägliche intensive Beschäftigung mit den Ereignissen im diesem Land hat damals mein gesamtes Weltbild auf den Kopf gestellt. Im Ernst: Ich bin immer noch traumatisiert davon und bringe einfach keinen vernünftigen Blog zustande. Dabei gibt es immer wieder Anlässe, darüber zu schreiben. Hier ein besonders verquerer Anlass und ein paar Gedanken zu einem unerschöpflichen Thema:]


Philip Roth: The Plot against America. - Ein Isolationist gewinnt die Präsidentschaftswahlen von 1940. Lektüre eben erst begonnen. Die Thematik stellt Dinge mit mir an:

Ich stelle mir vor, die Amerikaner hätten 1995 in Bosnien nicht eingegriffen. Sie hätten keinerlei Interesse an den balkanischen Ölfeldern gezeigt und keine vitalen nationalen Interessen als bedroht angesehen. Die Greueltaten der serbischen Verbände hätten nicht aufgehört? Ach was, mit denen haben wir bereits ein paar Jährchen leben können. Und die serbischen Verbände hatten ohnehin nichts mehr zu melden. Die hatten ja keine Chance, den Vormarsch der kroatischen Armee, die sich schon vor der Rückeroberung der Krajina im Land befand, aufzuhalten. Die Kroaten waren auf dem Vormarsch in Richtung Banja Luka, und die Flüchtingsströme in Richtung Serbien waren schon stark angeschwollen. Ich meine, die Amis hätten die Kroaten ja einfach laufen lassen können. Ach, ich bin zu faul, die ganze vertrackte militärische Situation darzustellen. Drum nur kurz: Die Flüchtlingsströme nehmen zu, und Serbien sieht sich gezwungen einzugreifen. Resultat: Ein ausgewachsener Krieg zwischen Kroatien und Serbien auf bosnischem Territorium. Tja, da hätten bei uns ein paar Leute nicht nur ihren über Jahre gehätschelten Traum von einem Staat, in dem die Angehörigen verschiedener Ethnien und Religionen friedlich zusammenleben, verloren. Millionen von Flüchtlingen aus Europa in Europa, das wäre der Ausgangspunkt gewesen für entschieden realistischere Betrachtungen.

Ein Isolationist als Präsident der Vereinigten Staaten, damals, 1995, als wir noch bequem, unerbittlich und im Bewusstsein, stets auf der richtigen Seite zu stehen, auf die Amerikaner schimpfen konnten. Das Leben in unseren Breitengraden ist härter geworden. Aber ich mag nicht klönen. Es gibt ja so viel zu studieren. Die neuen Spannungen innerhalb der transpazifischen Verteidigungsgemeinschaft beispielsweise. Ja, ihr habt schon richtig gelesen: Die Amerikaner haben den Isolationismus wieder überwunden. Bloss ihr Interesse am bevölkerungsmässig ohnehin schwindenden Wurmfortsatz Asiens hat etwas nachgelassen.

Good Old Europe is dying/crying ...


[Februar 2052. Mitglieder der nicht unbedeutenden weissen Minderheit in den Vereinigten Staaten drängen die neue Präsidentin dazu, die europäischen Staaten in ihren Bemühungen zu unterstützen, einen Schutzschild gegen die zunehmende Bedrohung aus dem turko-iranischen Raum aufzubauen. Das Ansinnen ist nicht chancenlos, wenn auch bedacht werden muss, dass die letzte amerikanische Regierung auf Drängen verschiedener südostasiatischer Staaten eine beträchtliche Erhöhung ihres Anteils an den Kosten des Transpazifischen Verteidigungsbündnisses in Aussicht gestellt hat ...]

Naming one's emotion and what caused it is ... notoriously unreliable.
(Jenefer Robinson: Deeper than Reason)

Ik freue mir. Es mischt sich ein Schuss Realismus unter offizielle Verlautbarungen; es tauchen Gedanken auf, die als auf unsern Planeten gerichtete aufgefasst werden können:

Präsident Obama: Manchmal ist es notwendig, Krieg zu führen.
Verteidigungsminister zu Guttenberg: Der Krieg in Afghanistan ist nicht zu gewinnen.


[Es ist nicht auszuschliessen, dass demnächst - knapp 15 Jahre nach Dayton/Ohio - irgendwo Ansätze zu einer Diskussion über eine Exit-Strategie für Bosnien auftauchen werden.]

Freitag, Dezember 11, 2009

[Nachtrag zum letzten Blog:]

Eine (etwas dümmliche) Frage: Wer gibt ein emotionales Geschehen adäquater wieder, die Herren Neurowissenschaftler oder die Herren Alltagspsychologen?

Die Antwort ist ganz simpel: Wenn schon, würde ich mich eher auf die Damen verlassen, aber schau: Es ist eh immer der Tolstoi.

Und jetzt der gewaltige Einwand: Wenn es darum geht, die Gefühle eines amerikanischen Ex-Baseballspielers und Unternehmers zu seiner stotternden Tochter wiederzugeben, die in den Sechzigerjahren einen Sprengstoffanschlag verübt hat und anschliessend untergetaucht ist, ist es Philip Roth.

Und jetzt, lieber Leser, fällt dir sicher gleich noch eine ganze Menge solcher schwergegewichtigen Einwände ein. Und das ist die definitive Antwort. Und das ist erhellend und schön.


[Philip Roth: American Pastoral]
[Eine Antwort auf die Frage, warum Herta Müller der Nobelpreis zugesprochen wurde: Es war an der Zeit, dass die Hertha [BSC Berlin] wieder mal etwas gewann.]

[zu meinen Akten:]

Nicht damit beginnen, von mentalen vs. physikalischen Dingen/Zuständen/Ereignissen zu sprechen. Schon beim Einstieg in

Die Philosophie der Gefühle

den Blick auf ein emotionales Geschehen als ganzes richten.

Die Bandbreite der Betrachtung: von neurophysiologischen Prozessen, deren Dauer im Bereich von wenigen Millisekunden liegt [Peripherie -> Thalamus -> lateraler Nucleus der Amygdala: 12 Millisekunden], über kurze emotionale Episoden, die auch eine zumindest minimale kognitive Aktivität einschliessen, bis zur Schilderung des emotionalen Geschehens im krisenhaften Lebensabschnitt, der alles veränderte. Schon beim Einstieg sowohl Damasio, LeDoux & Co. als auch Tolstoi, James & Co. einbeziehen. Und keinerlei Inkompatibilität von Forscher- und Dichtersprache in Sicht. Keine Aussicht, die in ein Gesamtgeschehen eingebetteten disparaten Phänomene überhaupt aufeinander abbilden, geschweige denn aufeinander reduzieren zu können.

Wir betrachten ein äusserst spannendes Geschehen und erzählen darüber, ohne uns genötigt zu sehen, auf den ganzen sattsam bekannten physikalistischen und mentalistischen Plunder und die damit verbundenen, Kopfweh verursachenden Probleme Bezug zu nehmen. [Leute, das ist ein Befreiungsschlag!]

Das ist der Ansatz. Die Anregung dazu kommt von Jenefer Robinson von der University of Cincinnati und ihrem Buch "Deeper than Reason. Emotion and its Role in Literature, Music, and Art."


[Ja, es hat auch Notenbeispiele. Lauter Brahms. Ein Liedchen und Ausschnitte aus den Intermezzi für Klavier.]

Donnerstag, Dezember 10, 2009

[Der deutsche Islam-Prediger Pierre Vogel alias Abu Hamza darf nicht in die Schweiz einreisen.]

Eigentlich hätte ich es unsern liebenswerten Nachbarn schon gegönnt, mal einen Tag oder zwei ohne diesen Konvertiten auskommen zu können. "So ham sa mal a Rua", sagte ich noch zu meiner Frau. Aber äbu (Walliserdeutsch für 'eben'): Wer will den schrägen Vogel schon bei sich haben?

Mittwoch, Dezember 09, 2009

[Es freut mich, zu einer aktuellen Debatte in der Schweiz dadurch Stellung zu nehmen zu können, dass ich einfach auf einen älteren Blog verweise.]

Die Rundschau auf SF 1. Soll die Schweiz ehemals in Guantanamo inhaftierte und z. Zt. in der Schweiz lebende Uiguren definitiv aufnehmen? Einer der Uiguren spricht. Sein Name wird eingeblendet, zusammen mit der Angabe: Ostturkestan Verein Schweiz. - Mein Diskussionsbeitrag (im Abschnitt gleich nach dem Titel):

Ostturkestan

Montag, Dezember 07, 2009

[zu meinen Akten:]

Schau zu, dass du nicht vorschnell von einem Widerspruch zwischen einem allgemeinen, in einer nationalen Verfassung oder einer internationalen Konvention stehenden Grundsatz G1 auf der einen Seite und einem konkreteren Grundsatz G2 auf der andern Seite sprichst. Das Verhältnis zwischen den beiden Dingern kann ja auch so gedacht werden: G2 präzisiert den offenen, interpretationsbedürftigen Grundsatz G1.

Sonntag, Dezember 06, 2009

[Hier ist einer, auf den könnt ihr euch nicht verlassen. (Brecht ???)]

Oh doch, ich kann das schon nachvollziehen. Auch wenn ich nicht rot sehe, wenn mein Blick an einem Minarett hochklettert. Aber ich habe natürlich auch meine roten Tücher. Die Burka etwa gehört dazu, wenn ausserhalb der Fastnachtszeit getragen, und ganz besonders das Kopftuch. Nicht das meiner Grossmütter natürlich. Das lässt ja zu, dass das eine oder andere Härchen frech darunter hervorguckt. Es ist die bierernste Bestrebung, die Kopftracht des reizenden Geschlechts schon im Ansatz sorgfältigst zu zähmen, die ich nur schlecht ertragen kann. Ich hätte das aber gefälligst zu ertragen/tolerieren, heisst es. Tja, und das tut man ja eh, jeden lieben langen Tag über. Aber es gibt halt den bestimmten Ort, wo es schon mit einem durchgehen kann, den Ort, wo ich gefragt bin, wo ich in mich gehe und mir - bei der Umfrage war es noch anders - aufrichtig eingestehe: "Herrgott, ich mag das Zeug nicht! Das ist meine Meinung! Und hier ist sie!" Und da macht es dann wenig Sinn, mich anschliessend wie einen Fall zu behandeln, dessen Verhalten einem Rätsel aufgibt. So rätselhaft ist die Geschichte nun auch wieder nicht.


[Vielleicht fragt sich jetzt der eine oder die andere, ob ... Nun, ich habe die Minarett-Initiative abgelehnt.]

Samstag, Dezember 05, 2009

[Muss man ein Gnostiker sein, um die hier skizzierte Analyse der Situation in Afghanistan als optimistisch einschätzen zu können? - Man wird bestimmt zum Schnödredner und schliesslich zum Zyniker, wenn man als Schönredner Ziele/Werte nicht hoch genug aufhängen kann. - (Nun, diese Analyse ist jedenfalls optimistisch. Ich dachte bloss, ich müsse das doch noch anschreiben.)]

[J.W.: Jonathan C. Warbyrd; Ph: Philotustan]


Ph: Stationierung von zusätzlichen 30'000 Soldaten unmittelbar, Abzug sämlicher Truppen ab Mitte 2011. Erkennst du im allgemeinen Chaos eine Strategie?

J.W.: Sicher. Spätestens ab Mitte 2011 wird es in Afghanistan vor allem in städtischen Gebieten ein paar in erster Linie durch einheimische Polizeikräfte gesicherte Territorien geben, die als Ausgangs-und Rückzugsgebiete für das Bodenpersonal von Aufklärungseinheiten dienen werden.

Ph: Konkret?

J.W.: Es wird nur noch Satelliten, Drohnen und eben das Bodenpersonal geben, das mit speziellen, gegenüber einer weiteren Öffentlichkeit nicht weiter zu spezifizierenden Aufgaben im Land betraut ist. Im Wesentlichen wird es nur noch darum gehen, gewisse Nester auszukundschaften und darin u.a. die kleinen Dinger anzubringen, die bei Bedarf die Cruise Missiles anlocken. - Noch ein paar Stichworte gefällig? "Smoke 'em out, hunt 'em down!", wie George W. es ausdrückte. Oder Donald [Rumsfeld, bezugnehmend auf eine lamentable Aktion Clintons; Ph]: "Nicht nur ein paar Kamele erschrecken!"

Ph: Und was passiert mit dem Rest des afghanischen Territoriums?

J.W.:

Das wissen die Taliban!


Ph: Ist das die Kapitulation?

J.W.: Der Krieg, kurz und hervorragend geführt, ist schon seit einiger Zeit gewonnen. Und Afghanisten ... Nun, es kommt einfach darauf an, wie hoch und unrealistisch man seine Ziele setzt. Bezogen auf die Ziele, die man in deinen Gegenden herumreicht, ist Obamas Strategie die Kapitulation, sicher. Wenn du aber die Kaida im Auge behältst, sieht es ganz anders aus. "Notwendig" ist die ganze Unternehmung nur im Rahmen des Kriegs gegen den Terror. Alles Scheitern bezüglich irgendwo deklarierter 'höherer' Ziele braucht einen Feldherrn letztlich nicht zu erschüttern.

Ph: Geht es mit dem Aufbau der Polizeikräfte voran?

J.W.: Es ist schwierig. Geplant waren mal 400'000 Polizisten. Bis jetzt hat man ca. 130'000 geschafft. Einige von ihnen werden getötet, andere laufen nach und mit der abgeschlossenen Ausbildung zu den Taliban über. Und was das Bedenklichste ist: Der Aufbau der Polizeikräfte frisst schon jetzt beinahe den gesamten Etat des afghanischen Staates auf. Schon schwierig, ja. Aber man tut, was man kann.

Ph: Haben wir es mit einem Krieg zu tun?

J.W.: Keineswegs! ... wenn du die Definition der Genfer Konvention zugrundelegst ... Wir sitzen uns hier an einem Stuhl gegenüber, wenn Du willst, und die Frage, ob wir überhaupt ein Gespräch führen, hängt bekanntlich nicht nur von der momentanen Beschaffenheit der Welt ab, sondern auch von der Bedeutung des Wortes 'Gespräch'. Du willst mit mir philosophieren? Schau, ich betrachte die Dinge ja jetzt aus einer höheren Warte und ...

Ph: Erzähl uns doch von dem Vorfall, der deinen Blick auf das Gesamtgeschehen dermassen drastisch veränderte! Was ist da schiefgelaufen?

J.W.: Ach, das ist auch bloss so ein kleines schmutziges Detail. Du fragst dich noch, ob es sich bei dem Mann auf dem landwirtschaftlichen Gefährt, das da vom Feld her langsam auf den Kontrollposten zutuckert und nicht auf die Zurufe deiner Leute reagiert, nicht doch um einen der zahlreichen älteren, schwerhörigen Bauern handeln könnte, und dann ... Sub specie aeternitatis betrachtet: Shit! oder Merde! oder ... Name ist da Schall und Rauch. Dumm gelaufen eben.

Ph: A propos 'philosophieren': Welche Richtung ist in deinen Gefilden die vorherrschende? Wenn es denn ...

J.W.: Es gibt bei uns zwei Sparten: 1) Die Beschreibung der himmlischen Freuden. Die ist äusserst vielfältig. Neben den bekannten Engelsharfen verwenden wir - und erweitern wir ständig - den ganzen denkmöglichen Bereich der Klangkörper: Tennisbälle, Kometen, Kammerorchester, Monde, die jungfräuliche Stimme der Gottesmutter, was Du willst. 2) Die Beschreibung der Erde. Hier ist die Gnosis die Strömung, die alles beherrscht. Gnosis, du weisst schon: Die Erde und alles, was auf ihr kreucht unfd fleucht, ist grottenschlecht. Gott schuftet sechs Tage lang und ruht sich dann einen einzigen Tag lang aus. Da kommt der Teufel und verpfuscht die ganze Sache.

Ph: Ist mir bekannt. Was sollte ein Erdenbürger deiner Meinung nach mit dieser Erkenntnis anfangen?

J.W.: Er kann machen, was er will. Wenn die Welt grottenschlecht ist, kann er versuchen, sich aus allem rauszuhalten, oder er kann sich gleich in den Sündenpfuhl werfen. Er kann die Erkenntnis auch vertonen, oder am besten vielleicht doch vergessen, ich weiss es nicht. Spielt es eine Rolle?

Ph: Muss man sich mit den Taliban arrangieren?

J.W.: Ihr könnt ja versuchen, Sie bis Mitte 2011 allesamt auszurotten. Ohne zivile Opfer, versteht sich.

Ph: Was ist mit der Exit-Strategie?

J.W.: Wie wär's mit dem Luftweg?

Ph: Noch einmal: Ist das nicht die Kapitulation?

J.W.: Ich mag mich hier nicht mit dir im Kreis drehen. Geniesse die irdischen Freuden! Tschüss!

Ph: Äh ... Na dann eben tschüss!


[Kleiner wissenschaftlicher Apparat:
- Präsident Obamas letzte Rede zu Afghanistan.
- Peter Sloterdijk/Thomas Macho (Hg.): Die Weltrevolution der Seele. Ein Gnosis-Lesebuch von der Spätantike bis zum New Age.
- Peter Sloterdijk: Kritik der zynischen Vernunft.]