T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Dienstag, Dezember 27, 2005

Rubrik: Hegeleien

Katz und Maus


Es gilt als Zeichen höherer philosophischer Bildung, wenn jemand imstande ist, alltägliche Dinge in Hegelscher Sprechweise auszudrücken. (So wäre denn die Hegelsche Bezeichnung für den Mantel der Mutter Gottes etwa 'das An- und Umsein der passiven Kausalität des Geistes'.) - Oft soll die bloss syntaktisch korrekte Aneinanderreihung von Hegelschen Termini dem geplagten Leser einer populären Einführung (z.B. Ralf Ludwig: Hegel für Anfänger. Phänomenologie des Geistes. Eine Lese-Einführung) zwischendurch ein Schmunzeln über das (sachlich selbstverständlich völlig unötige) Pathos des Meisters abringen. Oder das gleiche Verfahren soll dem verzweifelnden Leser Hegels Trost spenden, indem ihm nahegelegt wird, dass kein vernünftiger Mensch dieses Kauderwelsch verstehen könne. - Das mag ja alles mehr oder wenig witzig sein. Jetzt aber bin ich auf etwas gestossen, dass alle derartigen Versuche punkto Komik oder einfühlender Verballhornung weit hinter sich lässt. Der kolossale Humor des Textes, dessen Urheber herauszufinden ich dem Leser überlasse, zeigt allerdings eine derart enge Vertrautheit mit Hegels Texten, dass ich mich veranlasst fühle, ihm ein paar einleitende Bemerkungen voraus- sowie ein paar Erläuterungen nachzuschicken. [Warnung: Wer der Meinung ist, die Lektüre Hegels sei bloss verdammt schwierig, ist gehalten, diesen Blog einfach zu überspringen.]

Phänomenologie des Geistes: (A) Bewusssein: I. Die sinnliche Gewissheit

Die 'sinnliche Gewissheit' (auch: das 'natürliche Bewusstsein') hat eben eine 'Erfahrung' gemacht, bei dem ihm 'das Sehen und Hören u.s.w. vergangen' ist. Es ist gewahr geworden, dass sein Gegenstand (= seine 'Wahrheit' = sein 'Wesen' = sein 'Ansich') gerade nicht das konkrete Hier und Jetzt (= 'das Sein von äussern Dingen als diesen oder sinnlichen' = 'sinnliche Gegenstände') ist, sondern das Allgemeine, das ich hier, aus praktischen Gründen vereinfachend zwar, doch nicht unhegelianisch, als das Verschwinden des Hier und Jetzt charakterisieren möchte.

Hegel: "Es ist daher zu verwundern, wenn gegen diese Erfahrung [die von mir eben geschilderte] als allgemeine Erfahrung, auch als philosophische Behauptung und gar als Resultat des Skeptizismus aufgestellt wird, die Realität oder das Seyn von äussern Dingen als diesen oder sinnlichen habe absolute Wahrheit für das Bewusstseyn." - Später: "In aller sinnlichen Gewissheit wird in Wahrheit nur diss erfahren, was wir gesehen haben: das Dieses nämlich als ein Allgemeines, das Gegenteil dessen, was jene Behauptung [die 'philosophische Behauptung' oben], allgemeine Erfahrung zu seyn, versichert."

Alles klar. Da muss sich der Meister schon wundern, dass die Empiristen und Skeptizisten stur und unbelehrbar an ihrer 'Behauptung' festhalten, wo doch jedes Kind sofort einsieht, dass sie schlechterdings nicht haltbar ist. Aber es kommt noch besser. Und hiermit komme ich nun zum versprochenen Text, der unmittelbar an das letzte Zitat anschliesst:

Bei dieser Berufung auf die allgemeine Erfahrung kann es erlaubt sein, die Rücksicht auf das Praktische zu antizipieren. (1) In dieser Rücksicht kann denjenigen, welche jene Wahrheit und Realität der sinnlichen Gegenstände behaupten, gesagt werden, dass sie in die unterste Schule der Weisheit, nämlich in die alten Eleusischen Mysterien der Ceres und des Bacchus zurückzuweisen sind, und das Geheimnis des Essens des Brotes und des Trinkens des Weines erst zu lernen haben; der in diese Geheimnisse Eingeweihte (2) gelangt nicht nur zum Zweifel an dem Sein der sinnlichen Dinge, sondern zur Verzweiflung an ihm und vollbringt in ihnen (3) teils selbst ihre (4) Nichtigkeit, teils sieht er sie vollbringen. Auch die Tiere sind nicht von dieser Weisheit ausgeschlossen, sondern erweisen sich vielmehr als am tiefsten in sie eingeweiht zu sein, denn sie bleiben nicht vor den sinnlichen Dingen als an sich seienden stehen, sondern, verzweifelnd an dieser Realität und in der völligen Gewissheit ihrer Nichtigkeit, langen sie ohne weiteres zu und zehren sie auf; und die ganze Natur feiert wie sie diese offenbaren Mysterien, welche es lehren, was die Wahrheit der sinnlichen Dinge ist.

(1) In Anbetracht der offenkundigen Dreistigkeit der Empiristen und Skeptizisten erlaube ich mir, an dieser Stelle einen bodenständigen Witz zu reissen.
(2) Wer weiss, wie man isst und trinkt,
(3) in den Essvorgängen
(4) der sinnlichen Dinge

Selten so gelacht! - Das mag auch der Seminarleiter damals gedacht haben, als wir als Studenten über dem Text brüteten, und schaute forschend in die Runde. Doch nicht der leiseste Kicherlaut vermochte dem Gehege unserer Zähne zu entfliehen. [Das war Homer. Genug geraten für heute.] Er mag sich dann bei dem Gedanken beruhigt haben, dass wir als fleissige Leser uns schon bei der Vorbereitung der Sitzung totgelacht hatten.

Ein derber Hinweis auf den Urheber des Witzes, gleichzeitig ein zarter Hinweis auf meine Allgemeinbefindlichkeit [Ich schreibe hier schliesslich mein Tagebuch.]:
Tja, wer könnte es wohl sein? Wer vermag am besten, komische Texte in Hegelscher Terminologie zu schreiben? - Alexandre Kojève soll nach einer Vorlesung, unmittelbar bevor er sich von seiner Vorlesungstätigkeit zurückzog, auf die 'Phänomenologie' gedeutet und dabei seinen Studenten beteuert haben: "Hier steht alles drin."

Montag, Dezember 26, 2005

Rubrik: Willensfreiheit

Erst verblüfft, fast verdattert steht er da. Dann erscheint ein schelmisches Lächeln auf seinem Gesicht: Herr C. realisiert, dass er eben in einer immer wiederkehrenden Situation sich für ihn untypisch verhalten hat. Und er geniesst das sehr. "Das tut gut. Davon will ich noch mehr."

Es mag keine Freiheit geben. Doch werden wir Herrn C. nicht absprechen, dass er in der Lage ist, seinen Handlungsspielraum zu erweitern. Er sieht das ganz illusionslos. Er kennt seine ihn selber oftmals nervenden Beschränktheiten. Und um so grösser ist jetzt sein Freude.

Freiheit mag eine Illusion sein. So käme es denn auf ein Mehr an Illusion an?

Rubrik: Mein Vater

Der Islam im Alltag


Am heutigen Weihnachtstag besuchte ich meinen Vater, der vor wenigen Monaten seine Frau verloren hat. Er sprach davon, dass er gut schlafen könne, dass er jeden Abend Gott danke, dass wieder ein Tag "einigermassen gut überstanden" sei, und dass er am nächsten Morgen mit einem "in Gottes Namen" wieder aufstehe.

Der Vater des Philosophen nimmt diese alltägliche Floskel wörtlich. Er erwacht und findet, dass das nun nicht unbedingt nötig gewesen wäre. Doch da dem nun einmal so ist, steht er auf mit diesem "früher häufiger verwendeten" Stossseufzer und - sein Sohn interpretiert gleich richtig: - Ausdruck der Ergebung in den Willen Gottes: "In Gottes Namen."

Dienstag, Dezember 20, 2005

[Philosophisches Quartett: Neues von der Seele. Teilnehmer: Peter Sloterdijk, Rüdiger Safranski, Peter Bieri, N.N.]

Falls einer es noch nicht gemerkt haben sollte, wird er gleich brutal mit der Neuen Realität konfrontiert, der er sich dann gefälligst auch zu stellen hat, und ein paar Hilfestellungen gibt es ja schliesslich auch noch, dazu ist man ja zusammengekommen. -

Früher durfte man ja noch unbefangen von der Seele sprechen. Heute läuft man Gefahr, als nicht mehr auf der Höhe der Zeit befindlich zu gelten, wenn man angesichts der Erkenntnisse der Hirnforschung u.a. so tut, als wisse man überhaupt, was man sagt, wenn man das Wort 'Seele' in den Mund nimmt. Oder hat jemand es noch nicht mitbekommen? Es stand doch in der Zeitung (Artikelserie über Hirnforschung in der FAZ)! Jetzt wird aufgearbeitet, was uns alle daran herausfordern muss. Wir dürfen nicht weiter die Naiven spielen; die gesellschaftlichen, gesamtkulturellen und geistesgeschichtlichen ["Dürfen wir noch von 'Geist' sprechen?"] Umwälzungen, die in einem vergleichsweise noch milden Beben sich eben erst ankündigen, sind noch nicht abzusehen, und es gilt sich zu wappnen. Der gute alte Substanzdualismus, der, wie bei TV-Ereignissen üblich, gleich die ganze Geschichte der abendländischen Philosophie durchzieht, von Aristoteles über Descartes ... Bieri: "Aristoteles war kein Substanzdualist. Für ihn war die Seele die Form des Körpers." - Was war das jetzt? Spielverderber! - Heute jedenfalls geht der Reduktionismus um, der zunehmend an Bedeutung gewinnt und schon dabei ist, die Massen zu ergreifen, oder zu erschrecken. Bei der Masse - bei Sloterdijk war's zwischendurch doch tatsächlich der 'Mann von der Strasse' - weiss man ja nie. Sie lässt sich durch manches Gift verführen (Safranski diagnostizierte zwischendurch einen natürlichen Hang des 'Normalbürgers' zum Reduktionismus), oder sie fürchtet sich schauderbar davor, ist total verunsichert, weiss nicht mehr, ob ihre Sprechweise noch dem neusten Forschungsstand entspricht, und spätestens hier ("Die Leute haben andere Sorgen." - Spielverderber!) spätestens hier kann, ja darf uns [gilt auch für den Spielverderber!] die ganze Geschichte nicht mehr kalt lassen. Zu viel steht auf dem Spiel. Und wir, die wir heute nicht zuletzt darum zusammengekommen sind, um auch Orientierungen anzubieten, in einer Zeit zumal, in der die Philosophie als neue Leitwissenschaft infragegestellt wird ...

Ach, wie mochte ich den Sloterdijk, als er dereinst den 'letzten Menschen' definierte: "Der Passant vor dem Mikrofon." - Zappen ist schön! Ich hatte es schon zu lange ausgehalten, Colombo & Co. hatten ja auch noch zu tun. Doch weil ich ein ordentlicher Zapper bin, landete ich schliesslich wieder in der Realität, dem grassierenden Reduktionismus, dessen Wüten noch immer das Wort geredet wurde, nicht zuletzt wohl deshalb, weil sich der renitente Bieri partout nicht erschrecken lassen wollte: "Natürlich nehmen wir Forschungsergebnisse zur Kenntnis. Doch wenn diese Forscher dann philosophische Aussagen riskieren, werden wir uns fragen, ob das, was sie in die Welt setzen, in sich einigermassen stimmig oder nicht - wie so oft - schlichter Unsinn ist." - Hoppla! Das ZDF hatte mich wieder! - Was machte der da? Und überhaupt:

Was tut eigentlich ein Philosoph?


Nun, er nimmt sich halt mal so eine reduktionistische These vor. Dazu muss sie zuerst mal sauber formuliert werden:

Nur wenn eine Aussage in naturwissenschaftlicher Terminologie formuliert ist, sagt sie etwas Wesentliches/Sachhaltiges/Wahres über die Wirklichkeit aus.

Peter Bieri ist damit nicht einverstanden. Er beschränkt sich nun nicht darauf, irgendwelche (blitzgescheiten oder idiotischen) Reflexionen über die These anzustellen und darauf zu zählen, dass der Reduktionist schliesslich umkippen wird. Bieris Kritik ist immanent: Er versucht den Kontrahenten mit seinen eigenen Waffen zu schlagen.

Das Vorgehen (Theorie): Man nehme die These und binde sie in ein gültiges Argument ein, so dass sie, eventuell zusammen mit andern Aussagen, denen der Kontrahent zustimmt, als Prämisse des Arguments auftritt; als Konklusion nehme man eine Aussage, der der Kontrahent widerspricht. Gelingt es, ein solches Argument zu basteln, ist die Sache gelaufen: In einem gültigen Argument kann nicht aus wahren Prämissen eine falsche Konklusion folgen. Mindestens eine der Prämissen muss also aufgegeben werden. Oder man erklärt die Konklusion nachträglich für wahr. Um diese Möglichkeit auszuschliessen und den Kontrahenten dazu zu bewegen, die These fallenzulassen, muss man einfach die andern Aussagen, die mit der These als Prämissen auftreten, sowie die Konklusion geschickt wählen.

Das Vorgehen (Praxis): Bieri nimmt eine Aussage über ein Bild: Aussage S: "Dieses Bild stellt das Abendmahl dar." Die zweite Prämisse lautet nun:

'S' ist keine in naturwissenschaftlicher Terminologie formulierte Aussage.

Zusammen mit der These, wonach die Formulierung in naturwissenschaftlicher Terminologie notwendige Bedingung für Sachhaltigkeit ist, folgt daraus:

'S' ist nicht sachhaltig/wahr.

Bieri: "Und das ist einfach Unsinn."

Fazit: Unter der Voraussetzung, dass er der zweiten Prämisse zustimmt und die Konklusion ablehnt, muss der Kontrahent seine These aus logischen Gründen aufgeben.

[Meine theoretische Beschreibung des Vorgehens mag für die eine oder andere Leserin etwas zu viel voraussetzen. (Ich wollte ja bloss zeigen, dass ich seinerzeit meine Hausaufgaben gemacht habe. Auf eine formelle Darstellung habe ich aber nur schon aus Faulheit dann doch verzichtet.) Bieris Argument - er brauchte zu seinem Vortrag keine zwei Minuten - dürfte aber auch für sie unmittelbar plausibel sein.]

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Peter Bieri als Orientierungs- und Ruhepunkt in einem Zirkus, bei dem man vor lauter Aufgeregtheit nicht schlau daraus wird, wo genau man nun einer Orientierung bedürfte. "Wir schauen einfach, ob das, was da gesagt wird, in sich einigermassen stimmig ist." "Wir reden einfach weiterhin so, wie wir bisher geredet haben. Wir müssen uns das nur nicht verbieten lassen."

Reaktion: "Sie machen es sich vielleicht doch etwas zu einfach." - Tja, wer sich lieber über die fiktiven Sorgen von Otto Normalverbraucher den Kopf zerbricht, kann das tun. Ich hab's schon gern einfacher: Eine klare Formulierung für etwas finden; die logische Form einer Aussage durchschauen; dabei zur Not schon mal eine Formalisierung versuchen; schauen, ob etwas in sich stimmig ist; auch hier das Ergebnis, zu dem man intuitiv gelangt, zur Not mal durch eine Ableitung und/oder ein Entscheidungsverfahren überprüfen; na, so einfache Dinge eben. Und dann hat man ja schliesslich noch andere Sorgen: Man hat den Film ja schon mal gesehen, kann sich aber nicht mehr genau erinnern, wie Kommissar Colombo den Bösewicht schliesslich reingelegt hat. Und wenn dann in der nachfolgenden Zapptour das ZDF wieder an der Reihe ist, ist der Spuk schon vorbei. Und manchmal bleibt etwas haften. Das versucht man dann, in einem Blog etwa, festzuhalten.

Mondnacht


Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

(Joseph von Eichendorff)

Donnerstag, Dezember 15, 2005

That bloody life


Bloggen ist schön, wenn es wie geschmiert läuft. Und läuft es nicht wie geschmiert, läuft halt gar nichts. Gemurks mag keiner. Und keiner muss murksen.

Müssen tut man nur sterben, heisst es. Na ja, vorher muss man noch leben. -
Das Leben ist ein Murks; und manchmal läuft es wie von selbst/wie geschmiert.

Und hier noch ein toller Satz über das Leben nebst zugehöriger Lebenserfahrung:

Lebenserfahrung: Eines verliert, ein anderes gewinnt an Gewicht.

Das Leben: Auf eines kommt öfter mal was anderes.

Und Philotustan sah, dass es gut war so. Und er tat mal was anderes: Er schwieg.

Samstag, Dezember 10, 2005

Rubrik: Lebensweisheit

[Ich bin mittlerweile von Jena nach Weimar umgezogen. Zur Zeit lese ich die 'Wahlverwandtschaften'.]

Der Punkt, an dem sich das Dingsbums zwischen Charlotte und dem Hauptmann zu entwickeln beginnt, lässt sich präzis angeben: Teil 1, Ende von Kapitel 7:

Eine grössere Unternehmung wird in Angriff genommen. Der Hauptmann plant und überwacht die Arbeiten, und auch Charlotte hat sich ins Geschäft eingebracht: Sie verwaltet die Finanzen. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden klappt vorzüglich. That's it! - Goethe beschreibt das so:

Es ist mit den Geschäften wie mit dem Tanze; Personen, die gleichen Schritt halten, müssen sich unentbehrlich werden; ein wechselseitiges Wohlwollen muss notwendig daraus entspringen.

Es ist schon eine wunderhübsches Ding, mit jemandem gut zusammenarbeiten zu können. Der Gleichschritt, der dabei zustande kommt, muss tief in den Charakteren der beiden Akteure bzw. in ihrer Art, auf die Umgebung zu reagieren und auf sie einzuwirken, verwurzelt sein. Da vermag auch ein gediegenes Quantum gemeinsamer Welt- und Lebensanschauung allein nichts auszurichten. Hier geht es um gemeinsame Raum- und Zeitaufteilung. Da muss aus den unterschiedlichen Tempi der beiden ein gemeinsamer Rhythmus zustande kommen. Ein jeder muss erkennen, was der andere besser kann, und zurücktreten können; er muss blitzschnell einspringen, wo er erkennt, dass er etwas besser beherrscht, und die Führung übernehmen können. Wo Ab- oder gar Aussprachen nötig sind, steckt schon der Wurm drin. Alles muss sich sich wie von selbst verstehen. Man arbeitet einander blind in die Hand. Jeder kann ganz und gar bei sich bleiben. Er darf wirken, wie es ihm behagt. Und doch passt alles, die zig kleinen Sächelchen, wunderbar zusammen.

Ob man sich ansonsten "etwas zu sagen hat", steht auf einem ganz andern Blatt geschrieben. Ich weiss zuverlässig, dass die beiden Männer, die zuzeiten das beste Verteidigerpaar des Schweizer Eishockeys bildeten, einander persönlich nicht sonderlich viel zu sagen hatten. Die beiden verstanden einander blind. - Ich bin oft sehr enttäuscht, wenn die Zusammenarbeit mit einem Menschen, der mir auf Anhieb sehr sympathisch ist, überhaupt nicht klappt. [Ich spreche hier von der mechanischen Tätigkeit, die ich 20 Stunden in der Woche ausführe.] - Wer kennt nicht das traurige Bild, das sich in Einkaufszentren immer wieder bietet: Sie ist voll im Element; er ist gelangweilt und hilflos; und gibt er sich einen Ruck, so ist es auch nicht recht. Da fehlt dann nur noch die gemeinsame Erholung in der Gartenarbeit nebst häufigeren gemeinsamen Freizeitunternehmungen, und das gemeinsame wunschlose Unglück ist perfekt.

So habe ich denn zum Schluss noch einen kleinen Tipp für alle Paare: Was ihr zusammen nicht behaglich schafft, das lasst gescheiter bleiben. - Eine heutzutage verpönte Aufgabenteilung, in der sie den gesamten Haushalt führt, während er im Dachgeschoss den Eisenbähnler spielt, ist ein Quell der Freude, verglichen mit dem partnerschaftlichen Anpacken, wenn die Beteiligten es gemeinsam doch nur mühsam packen.

Mittwoch, Dezember 07, 2005

Gefragt-Sein


Liebes Tagebuch

Ich habe heute etwas so umwerfend Schönes erlebt, dass ich dir davon erzählen muss.

Jemand - ich will sie Alex nennen - hat mir eine Frage gestellt! Keine tiefschürfende Frage, keine 'kritische' Frage, keine 'Lebensfrage'. Bloss eine schlichte, offene Frage: "Was meinst du?" Alex erzählt davon, was sie im Moment bewegt und was ihr dabei so durch den Kopf geht, und dann fordert sie mich freundlich auf, etwas dazuzusagen[!]. Ich bin gefragt. Was für eine Wohltat! Ich muss nun nicht Stellung beziehen. Ich muss nicht einen Ratschlag austeilen. Ich darf einfach etwas dazusagen. (Das ist ja wie in der improvisierten Musik!) Ich muss kein Bedenken äussern; ich muss nicht klug bemerken, dass ich 'das' etwas anders ausdrücken würde, und subtile Gründe für meine alternative Ausdrucksweise anführen. Ich sage einfach, was mir bei Gelegenheit ihrer Frage gerade zufällt. Und ich spüre dabei, wie wohl es tut, dass sie mich nach meinen Gedanken gefragt hat.

Nun wäre es wohl langsam an der Zeit, einen Bezug zu meinem Generalthema der Anerkennung herzustellen. Stattdessen sage ich unten sonst etwas Gescheites und freue mich schon jetzt auf ein nachmittägliches Teestündchen bei Alex, wo wir uns dann liebevoll in manchen Fragen ergehen können. Ja, liebevoll, interessiert, offen und gelassen.

Philotustan

Das Beste an Fragen aller Art ist, dass jemand sie einem stellt.

Montag, Dezember 05, 2005

Rubriken: Anerkennung, Politische Philosophie

Utopia


Wir sind schon verdammt nah dran. Der Kommunismus, verstanden als die Befreiung von lebenslanger, zum Überleben notwendiger und nur durch kurze, euphemistisch auch 'Essen-Trinken-Schlafen' genannte Reproduktionsphasen der Arbeitskraft unterbrochene Plackerei, ist realisiert. Arbeit gibt es nach wie vor in Hülle und Fülle. Doch wird - in durchaus wohlwollender Absicht - vieles unternommen, das verhindert, dass sie tatsächlich ausgeführt wird. - [Hier siehst du nun eine Manifestation von Philotustans Mut zur Lücke.] - Zentral ist hierbei, dass wir (wieder/vermehrt) dazu übergehen, Ungleichheiten zu akzeptieren. Die Individuen übernehmen die volle Verantwortung für ihr Leben und dürfen sich nach ihrem Gusto frei entfalten. Es ist nicht Aufgabe des Staates, daraus und aus andern Quellen entspringende Ungleichheiten auszugleichen.

Es gibt Leute, die gern lange und hart arbeiten. Einige von ihnen verdienen unverschämt viel Geld, von dem sie einen möglichst bescheidenen Prozentsatz an den Staat abliefern, der es unterlässt, ihnen sonstige Hindernisse in den Weg zu legen. Daneben gibt es u.a. auch ausgesprochene Faulpelze, die ihr Lebensglück nicht in erster Linie in der Arbeit zu realisieren suchen. Der Staat lässt sie im wesentlichen in Ruhe. Er muss bloss durch eine schlaue Fiskal- und Sozialpolitik dafür sorgen, dass keiner von ihnen, sollte ihn die Arbeitswut und dergleichen überfallen, sofort finanziell bestraft wird.

Es lässt sich ja gut leben mit Unterschieden. Einzige Bedingung ist vielleicht, dass sich der Stinkreiche und der Faulpelz gegenseitig anerkennen. - "Du hast viel Geld, kannst dir vieles leisten. Toller Schlitten!" "Du bist ein Habenichts, kannst dir fast nichts leisten. Vielleicht möchtest du ... ich hätte da etwas ..." [Was sich hier andeutet, ist nichts weniger als die durch keinerlei Staatsintervention verhinderte Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes.] - "Danke, es geht mir gut. Ich bin zu faul dazu." - "Tja, schade. Aber is schon ok."

["Wo bleibt die soziale Gerechtigkeit?" - "Wie wär's, wenn wir es zunächst mal mit der Gerechtigkeit versuchten?" "Du meinst, wir kaufen uns zuerst mal einen Schimmel und schauen dann, ob wir auch noch einen weissen Schimmel brauchen?" - "Das hast du aber schön gesagt."]

Donnerstag, Dezember 01, 2005

Monk meets Goethe


Irgendwie mag ich den Monk, den Detektiv und Zwangsneurotiker aus der gleichnamigen Fernsehserie. Ich stelle mir vor, wie dieser bemitleidenswerte Kerl in seiner Freizeit in Goethes 'Maximen und Reflexionen' blättert und dabei auf diese Reflexion stösst:

Es darf sich einer nur für frei erklären, so fühlt er sich den Augenblick bedingt. Wagt er es, sich für bedingt zu erklären, so fühlt er sich frei.

"Eine wunderbare Beobachtung", wird mancher Leser sagen. Kaum hast du dich für frei erklärt, springen etliche kleine Bedingtheiten, die du soeben negiert hast, in deinen Sinn. Sprichst du aber von deinen Bedingtheiten, eröffnen sich für dich gleich kleine Spielräume, die du nutzen und erweitern kannst. - Manchmal schaut es schon so aus, als würden Sätze ihr Gegenteil wie aus sich selbst heraus produzieren. Tja, es mag sich bei ihnen halt um bestimmte Negationen handeln. Der Hegel-Leser ist auch gleich mit den schematischen Wendungen 'Bedingtheit in der Freiheit' und 'Freiheit in der Bedingtheit' zur Stelle. Und nur um abzurunden sei noch erwähnt, dass für ihn die wahre oder konkrete Freiheit dann natürlich in der Einheit von abstrakter Freiheit, als losgelöstes Schweben über den Bedingtheiten verstanden, und den zahlreichen Bedingtheiten besteht.

Wie dem auch sei: Unserm Mr. Monk entgeht das alles. Er wird unruhig. Hier stimmt etwas ganz entschieden nicht. So geht das nicht. Es muss sofort etwas unternommen werden. - Ja was hat er denn? - Er rückt ein paar Dinge zurecht. Und dann sehen wir, was ihn so aus dem Häuschen gebracht hat:

Es darf sich einer nur für frei erklären,
So fühlt er sich den Augenblick bedingt.
Doch wagt er's für bedingt sich zu erklären,
Wird sogleich seiner Freiheit er gewahr.

[Thüringische Fluchtbewegungen: Du willst raus aus Jena. Ziehst etwas westwärts. Landest in Weimar. Flüchtest dich südwärts in den Thüringer Wald. Ilmenau hinter dir lassend, kommst du an mehreren Eingängen alter Bergwerksstollen vorbei, wo einst der in Weimar seit seiner Rückkehr aus Italien für den Bergbau zuständige Hofrat seine Mineralien sammelte. Genug der Bildung! Rauf auf den nächsten Gipfel! Eine Ruhe herrscht dort! Und in allen Wipfeln kaum ein Hauch. Und sollte dir das nicht aufgefallen sein: Der besagte Hofrat hat's in die Balken der kleinen Schutzhütte geritzt. Zurück zum 'Tor zum Thüringer Wald', Arnstadt, wo vormals ein junger Organist mit exzentrischem Orgelspiel die Gläubigen traktierte. Wieder rein in den Wald, und immer westwärts. Du landest in Eisenach, wo der Wartburg gebaut wurde, von Arbeitern, deren seinerzeit in Gotha, deinem nächsten Fluchtpunkt, gedacht wurde. Nun aber machst du eine Wendung nach Norden. Eine solche hattest du in Jena tunlichst vermieden. Mit der Ute von Naumburg und dem dortigen Philosophen mit dem grossen Schnauz hast du schliesslich nichts am Hut. Nun aber gerätst du in den Harz. Da gibt es Orte mit Namen wie 'Schierke' und 'Elend'. Ein schwerer Brocken, dieser Harz. Der gibt dir den Rest. Und so schreibst du denn später mal vielleicht eine reichlich bescheuerte Ferienerinnerung mit dem Titel 'Thüringische Fluchtbewegungen'.]