T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Sonntag, Juni 25, 2006

[Man fragt mich ab und zu, warum ich eigentlich nicht mehr unterrichte. Ich mache mir auch schon mal die Mühe, die Frage zu beantworten. Erfahrungsgemäss können die Leute damit nicht viel anfangen. In Zukunft kann ich sie auf diesen Blog verweisen. Damit können sie möglicherweise rein gar nichts anfangen. Und das könnte dann der Anfang eines produktiveren Nicht-Verstehens sein. - Aber es geht natürlich auch ohne.]

Abgang


Ich bin ein mittlerweile gut etablierter Lehrer für Philosophie und Deutsch am Kollegium 'Spiritus Sanctus' in Brig.

Zeitpunkt: Ein Donnerstagabend Ende November 1989. Die Zwischenberichte für die SchülerInnen stehen an. Die LehrerInnen haben die entsprechenden Notenblätter am darauffolgenden Tag auf dem Sekretariat abzuliefern.

Allgemeine Stimmungslage: Mir stinkt's. Und das nicht zu knapp. Gegen Ende des vorangegangenen Schuljahres hat diese Stimmung eingesetzt. Ich erinnere mich nur noch an eine einzige Szene aus den langen Sommerferien. Da sagte irgendwo in Norddeutschland ein Mädchen zu einem andern: "Ich habe es obermässig gestrichen." Nach den Ferien hab ich darauf gewartet, dass mal irgendwann irgendwo sich irgendeine kleine Freude an irgendwas Schulischem einstellt. Nada. Mir stinkt's. Und das nicht zu knapp.

Die Zwischenberichte sind also abzugeben. Ich war noch schnell auf einen 'Schlummertrunk' mit dem Dekan der Latein-Abteilung, der mich darum gebeten hatte, zusätzlich zur Philosophie- auch noch eine Deutschmatura in seiner Abteilung zu übernehmen. Ich wollte mir die Sache überlegen. Mittlerweile ist es Mitternacht geworden. Ich habe noch drei Prüfungsblätter zu korrigieren. Dann trage ich die entsprechenden Noten ein, berechne den Klassendurchschnitt und trage auch den ein. Dann fülle ich die Blätter für den Zwischenbericht aus und lege auch sie ins Notenheft.

So liegt nun das Notenheft offen vor mir. "Was mache ich da eigentlich? Ich tu Dinge, die ich überhaupt nicht mag, rackere mich damit ab, schleppe den ganzen elenden Mist mit mir herum ..." - [Spätestens hier ist der Punkt erreicht, wo normalerweise die Vernunft mit ihren zahlreichen Gründen für ein Weitermachen sich einschalten müsste. Doch es herrscht Sendepause.] - Ich fasse den linken Deckel des Notenhefts und hebe ihn an. Ein überaus lustiger Gedanke springt mich an: "Was du jetzt gerade abschliesst, könnte deine letzte Amtshandlung als Lehrer am Kollegium 'Spiritus Sanctus' in Brig gewesen sein." Ein würdiger Gedanke - ein Gedanke nicht ganz ohne Überzeugungskraft - ein zwingender Gedanke - ein magischer Gedanke. - Das Notenheft ist nun geschlossen. Die Entscheidung ist gefallen.

Ich habe dann das Heft noch in die Mappe gesteckt. Abgegeben habe ich die Unterlagen für den Zwischenbericht allerdings nie. - Ich ging schlafen. Und am nächsten Morgen legte ich mich gleich wieder hin, nachdem ich dem Schulsekretariat meine Entscheidung telefonisch mitgeteilt hatte.

Donnerstag, Juni 22, 2006

Rubrik: Leserfragen

Eine Leserin ist Mitglieds eines Ausschusses, der Bewerber um eine Pfarramtsstelle testen darf/muss. Sie fragt mich, was meine Frage an die Kandidaten wäre. - Da muss ich nicht zweimal überlegen:

"Es gibt Pfarrer, die reden von Gott. Und es gibt Pfarrer, die reden von so manchem. Zu welcher Art gehören Sie?"

Und hier die richtige Antwort:

"Um Himmels willen! Ich rede natürlich von Gott! Wovon soll ich denn sonst reden? Ich bin ja kein Eheberater, kein Seelenklempner, kein Sozialarbeiter. Meine Aufgabe besteht darin, zu den Leuten von Gott zu sprechen. Und zwar ernsthaft, glaubwürdig. Ich tue das in meinen Predigten, und auch in persönlichen Gesprächen scheue ich mich nicht, Gott ins Spiel zu bringen."

Die Leute haben doch Sorgen ...

"Wenn ich Leuten Trost und Rat spenden kann, dann nur dadurch, dass ich Gott ins Spiel bringe."

Es gibt ja das Wort Gottes ...

"Der Pfarrer muss ein Verkünder sein. Er darf 'das Wort Gottes' nicht bloss als einen Anlass sehen, über dies und jenes zu plaudern. Ohne den beständigen Bezug auf Gott ist seine Rede schales und eitles Gewäsch."

Ein Pfarrer ist doch auch nur ein Mensch ...

"Genau! Der Verkünder ist ein Mensch wie Sie und ich. Seine Gotteserfahrung ist manchmal intensiv, manchmal auf Sparflamme, und manchmal liegt sie auch im Öden. Und trotzdem muss sie immer der Ausgangspunkt jeder Verkündigung sein. Und darum muss dann manchmal auch von dieser Öde die Rede sein, wenn der Verkünder glaubhaft sein will."

Der Kandidat hat 100 Punkte gewonnen. Hier sehen wir ihn mitten in seiner neuen Tätigkeit:

"Liebe Gemeinde! Lasst uns nun zusammen das Lied singen: 'Was Gott tut, das ist wohlgetan'. Und hören wir dabei auf die Botschaft dieses Liedes. Wir wollen besonders genau darauf hören, wenn uns gerade ein schwerer Schicksalsschlag getroffen hat. Wir werden dann am Ende vielleicht sagen müssen: 'Die Botschaft hör ich wohl, allein, mir fehlt der Glaube.' Doch auch das gehört zu einer lebendigen Gotteserfahrung, zur Erfahrung jenes Wesens, das uns in keiner Situation fallen lässt, wie fern von ihm wir uns manchmal auch fühlen mögen. Drum lasst uns nun tapfer und zuversichtlich das Lied anstimmen!"

Tja, und dann singen sie eins, das alle können, und gehen irgendwie gestärkt von dannen. Zurück bleibt ein Pfarrer, dessen Zuversicht selber ein Stück weit gewachsen ist.

Dienstag, Juni 20, 2006

Platonische Reflexe


Sie können auch bei eingefleischten Nominalisten beobachtet werden. Das gilt jedenfalls für die 'Antidoxitis' (< δοξ&alpha: Meinung). Es handelt sich dabei um eine Form von Allergie gegen alles, was sich breitmacht und aufplustert, bloss weil eine statistisch relevante Anzahl von ansonsten völlig unbedeutenden Individuen es für bedeutend erachtet. Zugegeben: Diese 'Definition' ist auch nicht gerade aus dem Geiste des Antiplatonismus geboren. Es ist wohl besser, wenn ich mich auf ein paar einfache Beispiele beschränke.

"Eine Meinung hat jeder. Wen interessiert's?" ("Auch Sklaven haben Meinungen.")

Können Milliarden von Fliegen sich irren? - "Ja."

Das ist jedenfalls meine Meinung.
"Oh, wie uninteressant!"

Eine kürzlich durchgeführte Untersuchung des renommierten Instituts DOXA hat gezeigt, dass immer mehr Menschen ...
"Es wird langsam Zeit, dass wir auf den Sportkanal umschalten!"

Respektierst du andere Meinungen?
"Sicher, ich nehme sie, wie auch meine eigenen, bloss nicht ernst."

"Ich habe die Bemühung herauszufinden, worin denn eine Meinung von einer Wahnvorstellung sich unterscheide, eingestellt."
(Ein Adornit, der sich des Meisters 'Meinung, Wahn, Gesellschaft' nicht aus dem Kopf zu schlagen vermag)

"Was ist ihre Meinung zur Rolle der Serben ..."
"Ich habe darüber geschrieben."
Wie kommen Sie dazu zu sagen, dass ..."
"Haben sie es gelesen?"
(Das war, wie wohl unschwer zu erkennen, Peter Handke, dessen Meinungen ich bloss darum zur Kenntnis nehme, weil sie mit/durch Faktenkenntnisse(n) durchsetzt/zersetzt sind.)

Ja, es gibt sie, diese Reflexe. Sie spielen, sind gut erhalten, intakt. Sie spielen ihren Part im Verscheuchen des Erbärmlichen, das sich selber schlecht erträgt und so schlechtzumachen sich abstrampelt, woran es nie heranreicht.


Jan:"Ich weiss, dass du mit diesem Platon oder so nicht gerade viel am Hut hast." - "Weisst du, bei mir ist das Zeug mehr in den Knochen." - "Oh, das kenne ich. Die Lou, von der habe ich eigentlich auch keine Meinung. Die steckt auch anderswo." - "Die Lou?" - "Du wirst sie schon noch kennenlernen."

Montag, Juni 19, 2006

Handke


Peter Handke weiss Bescheid zu geben. Es waren "serbische Paramilitärs, die von jenseits der Drina kamen", die das Massaker in Srebrenica verübten. [1] Er hat die Drina beschrieben. Er kennt Pozarevac, Milosevics Heimatstadt, gut. Sie liegt am Fluss Morava.

Andere haben bloss eine politisch korrekte Meinung. Ich kenne sie alle, diese Meinungen. Es ist keine grosse Leistung, sie alle zu kennen. (Canetti hat mal vorgeschlagen, sie (er sprach von Meinungen überhaupt) zu zählen, um zu sehen, wie wenige es sind.) Aber Handke höre ich gerne zu: "Pozarevac ist eine Stadt am Fluss Morava." Welch eine Wohltat!

Wie ist es nun, dieses Pozarevac? Nun, das weiss jeder, der sich eine Meinung gebildet hat. Der Korrespondent der 'Le Monde' beispielsweise, der über Milosevics Begräbnis schreiben wird[!], nennt die Stadt 'seelenlos'. Das muss die Sache treffen. Das ist jedem klar. Ausser diesem Handke: "Pozarevac ist eine schöne Stadt am Fluss Morava."

Wer sich bloss oberflächlich über die verkommene journalistische Instant-Geschichtsschreibung aufregt, kann überhaupt nicht verstehen, warum Handke an der Beerdigung Milosevics teilgenommen hat.

Ist für ihn halb so schlimm: Er hat immer noch seine Meinungen. Und die darf er ja getrost für sich behalten.


[1] "Es ist fürchterlich, eine ewige Schande." (Handke, der so seine Verbundenheit mit dem Volk der Serben bekundet.