T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Sonntag, November 30, 2008

"Ob es so oder so oder anders kommt ..." - "Was ist das Richtige?" - Kommt drauf an, grad wie im richtigen Leben.


Im richtigen Leben folgt auf etwas öfter mal was anderes. Das kommt dann jeweils, wie es kommt. Und wie's ist, wenn's losgeht, weisst du, wenn du weisst, wie's gekommen ist. Aber du weisst dann immer noch nicht, wie's war - damals, als alles begann. (Und natürlich gibt es da auch nichts zu wissen, um diesen Abschnitt mit einer ernsthaften Bemerkung abzurunden.)

Gar manches kann ein Ereignis, als das man eine Handlung - von aussen - auch betrachten kann, bestimmen: Gewohnheiten/Üblichkeiten, Attraktionen höchst vieldeutiger Art, anfeuernde Elemente wie eine Leidenschaft oder dämpfende wie die Faulheit, die Vorstellung des Handelnden davon, was für ein Mensch er ist, Überlegungen der vielfältigsten Art (das Abwägen/Gewichten von Gründen, Erwägungen bezüglich künftiger Entwicklungen und solche bezüglich der Erwartungen anderer) und und und ... - Die Aufzählung ist etwas witzlos. Es sollte einen bloss nicht überraschen oder gar beunruhigen, dass man nicht immer den Durchblick hat.

Im Nachhinein ist Mann (auch nicht wirklich) klüger


Williams stellt gegen Ende des 2. Kapitels von 'Shame and Necessity' ein paar interessante Überlegungen zum Problem der akrasia ('Willensschwäche') an. Er präsentiert uns u.a. einen verheirateten Mann, der nach mehr oder weniger reiflicher Überlegung zum Schluss kommt, es sei das Beste, die Finger von seiner Geliebten zu lassen, ES dann aber doch nicht lassen kann:

"Wenn er schliesslich doch wieder bei seiner Frau ist, wird er diese Episoden vermutlich als akratische betrachten. Wenn er sich aber von seiner Frau trennt, um mit seiner Geliebten zusammenzuleben, dann werden diese Episoden wohl nicht als akratische beschrieben, sondern als ahnungsvolle Vorwegnahme der Gründe, die ihn in Wahrheit immer schon geleitet haben." (53)

[Mmmmmh ... Diese "unverstellte Vertrautheit mit den menschlichen Angelegenheiten"!]

Ob eine Handlungsweise als akratisch anzusehen ist oder nicht, hängt hier davon ab, wie die Geschichte weitergeht, nicht von einer bestimmten Einstellung oder bestimmten Motiven, die im Moment (un)wirksam sein sollen. - [By the way: Was immer dieser beneidenswerte Mann tut: Es ist das Richtige. Das Leben kann manchmal aber auch dermassen freundlich zu einem sein.]

Man erinnert sich: Wie schätzen wir einen Mann ein, der Frau und Kinder verlässt, um irgendwo in der Südsee seine Malerei zu betreiben? - Nun, kommt drauf an, wie die Geschichte weitergeht. Vielleicht hat er ja Glück ('moral luck'). - Wir dürfen Gaugin für einen hervorragenden Mann halten.


"Che sera sera, whatever will be will be ..."
[Zitiert - wie schon der Eingangssatz - nach meiner Ernst Tugendhat gewidmeten Arbeit 'Der Schlager als Kompensation für bekümmerte, öfter mal unter den Konsequenzen der Propositionalität ihrer Sprache ächzende 'ich'-Sager'. Nixhausen 2008.]

"(mit Würde) Moral, das ist, wenn man moralisch ist." (Der Hauptmann zu Woyzeck, der ihn rasiert) -
Bei Alban Berg mit martialischem Nachdruck vorgetragen, dem Nachdruck, der nach Bernard Williams "nur ein Zeichen dafür ist, dass ... Autoren einen berechtigten Zweifel an der Tragfähigkeit dieses Wortes verspüren ...: Sie halten es immer wieder für nötig, seine rettende Kraft dadurch zu stärken, dass sie es kursiv drücken." (7)

[nach der 1. Lektüre von Bernard Williams' 'Scham, Schuld und Notwendigkeit': der leitende Gesichtspunkt für die 2. Lektüre:]


Die Lebensdienlichkeit moralischer Ideen

"... das Ziel ... ist unmissverständlich philosophisch: Es geht um ein besseres Verständnis unserer ethischen Vorstellungen". (X)

Du darfst dir - intellektuell redlich - getrost eingestehen, dass deine ethischen Ideen reichlich unklar sind. Das trifft selbst auf die Unterscheidung moralisch-nichtmoralisch zu: "Wir behindern ... auch unser Nachdenken, wenn wir einfach davon ausgehen, dass diese Unterscheidung zugleich sehr weitreichend, sehr wichtig und auch noch selbst-explikativ ist." (108)

Du täuschst dich nicht, wenn du den Eindruck hast, dass deine ethischen Vorstellungen "wenig anbieten, worauf man sich stützen könnte" (8), dass sie "irrige Vorstellungen vom Leben" enthalten (IX; Williams versichert dir bei dieser Gelegenheit, dass du dich da in der besten Gesellschaft, der von Platon und Aristoteles, befindest), dass sie "auf beunruhigende Weise zerbrechlich" sind (X) und dass sie ständig im "Treibsand eines alltäglichen ['da ... einer unverstellten Vertrautheit mit den menschlichen Angelegenheiten' entspringenden] und völlig gerechtfertigten Skeptizismus" zu versinken drohen. (79)

Du darfst von der folgenden These ausgehen: Wenn es um dein modernes Verständnis des Ethischen so schlecht bestellt ist, stellt sich die Frage, warum es sich überhaupt am Leben erhalten kann. Antwort: Es hält sich gerade noch, "weil es von Modellen des menschlichen Verhaltens getragen wird, die realistischer sind, als es sich eingesteht. Es sind genau diese Modelle, die in der Antike anders und in mancher Hinsicht direkter ausgedrückt werden." (12) - So, damit bist du bei Homer (Ende 8. Jh.) und den Tragikern (5. Jh.) angekommen.

Eine verwandte These: Deine ethischen Ideen scheinen dir zerbrechlich. Du suchst welche, die tragfähiger sind, welche mit Bodenhaftung. Nun, du besitzt sie schon; es hindern dich bloss irrige Ideen von Aufklärung, Moderne und Autonomie, sie zu sehen. Die Untersuchung, wie die Griechen das menschliche Handeln und seine Motive darstellen, kann dir helfen, hier klarer zu sehen.


[Stichworte: lebensdienliche moralische Ideen, tragfähig, mit Bodenhaftung, entsprungen aus einer "unverstellten Vertrautheit mit den menschlichen Angelegenheiten". (Ja, dieser Wendung wirst du in meinem Blog noch zigmal begegnen.)]

[Und jetzt wünsche ich mir und allen andern viel Erhellendes bei der zweiten Lektüre eines ungemein gescheiten, vertrackten und erregenden Buches.]

Samstag, November 29, 2008

Es schockiert mich immer wieder ein klein wenig, wenn ich bemerke, wie verblüfft/schockiert/empört Leute (Christen) darüber sind, dass ich - als Katholik - nicht an die Wiedergeburt glaube.

Ich nehme an, dass zu meiner Identität meine bestimmten Erinnerungen gehören. [Die korrekte Antwort auf die Frage, wer ich wohl wäre, wenn anno dazumal alles eine ganz andere Wendung genommen hätte, lautet: "Ich wäre gar nicht." Daraus ergibt sich ein kleiner Seelenwanderungs- oder Wiedergeburtsblog:

Angenommen, ich [Das giftige Refernzproblem, das sich hier ergibt, will ich mal gut sein lassen] werde in meinem nächsten Leben beispielsweise ein Sphraxli sein. [Sphraxli: eine karmatisch in absteigender Linie sich ergebende Tierart, ein Hase beispielsweise, oder ein Rhinozeros.] - Frage: Was hat das mit mir zu tun?

["Aber du bist ja dann ..." - "Ich bin dann gar nicht!" Die Wiedergeburtslehre freilich mag dann immer noch wahr sein. Who cares?]

[Rubrik: Lebenshilfe]


Du verfolgst so deine Ziele/Zwecke, tust dabei dies und das. Du besorgst Dinge und bist besorgt; sorgend bist du besorgt. Denn so manches kann schiefgehen. Zudem lauern überall Vorhaltungen; wenn du Schwein hast, ist es bloss der Senf von andern.

Und jetzt stell dir einen vor, zu dessen Zielen die Seelenruhe gehört!


[To do: Ein paar Seligpreisungen à la "Selig, wer dazu schaut, dass sein Kater seine tägliche Ration an Streicheleinheiten bekommt".]

Donnerstag, November 27, 2008

Laute, Wörter, Sätze 5/103


"Warum sollte ich überhaupt moralisch sein?" - Ein paar Antworten auf eine (mehrdeutige) Frage:

Mach dir keinen Kopf, du bist es eh.

Nenne mir einen Grund, warum ich mit dir reden sollte?

Willst du dich denn schämen? Willst du deine Selbstachtung verlieren?

Du erwartest doch nicht etwa, dass ich dich für deine Amoralität bewundere!?

Wenn es auch Leute geben mag, die über dich die Nase rümpfen: Dein 'Vergehen' ist moralisch belanglos.

Niemand fordert von dir, dass du ein guter Mensch bist; es reicht vollkommen, wenn du gut erträglich bist.

...
...


Man kann die Moralität schon am Himmel befestigen, nur hängt sie dann eben in der Luft.

Montag, November 24, 2008

[Nietzsche spricht mit ...; Bernard Williams spricht mit Nietzsche; Philotustan spricht mit beiden: ein Blog.]


"Diese Griechen waren oberflächlich - aus Tiefe!" (Friedrich Nietzsche)


Nietzsche, diese Verkörperung des Antinihilismus, nennt das Rezept des 'europäischen Nihilismus' ['Der Wille zur Macht'. Höchst sinngemäss]: Man setze die Werte nur hoch genug an, dann zerfallen sie von selber.

Es gibt Dinge, die wir freiwillig tun, und es gibt eine Unmenge von Faktoren, die unser Tun beeinflussen. Wir haben von diesen Dingen (der Freiwilligkeit und den Umständen/Faktoren/Zwängen/...) mehr oder weniger klare, lebhafte und oberflächliche Vorstellungen. So weit, so gut.

Wir sind nun vielleicht versucht, die Vorstellung/Idee der Freiwilligkeit zu einem klaren Begriff zu verfeinern und ihr, indem wir sie von allen 'äusseren' Faktoren isolieren, einen tieferen Grund (oder eine höhere Weihe) zu geben. Dabei fragen wir dann etwa auch nach der Intention, dem Geisteszustand und der Selbstkontrolle von Handelnden. Und wenn wir uns hier so richtig anstrengen bzw. den Bogen halt überspannen, dann ... "versinken wir im Treibsand eines alltäglichen und völlig gerechtfertigten Skeptizismus. Und dieser Skeptizismus ist tatsächlich alltäglich, da er einer unverstellten Vertrautheit mit menschlichen Angelegenheiten entspringt."

Es mag nun einer an einer metaphysischen Tiefe des Begriffs der Freiwilligkeit festhalten. (Tapfer festhalten, denn eine gewisse Tapferkeit und ein Auf-die-Zähne-beissen [Nicht grinsen!] fordert von einem schon der Widerstand gegen Williams umwerfend kluge Formulierungen.) Tja, und das muss dann wohl den Determinismus, eine weitere, ebenbürtig tiefe Theorie, auf den Plan rufen. Und so hat man sich dann auch gleich ein bäumiges Problem aufgehalst: das Problem der Willensfreiheit. Ohne Fleiss kein Preis, ohne Metaphysik kein Problem der Willensfreiheit. [Das Versprechen im letzten Blog sei hiermit eingelöst.]

Die Idee der Freiwilligkeit "wird durch Versuche, ihr einen tieferen Grund zu geben, eher gefährdet ... Die Griechen hatten mit diesen Versuchen nichts zu tun, und so bewegen wir uns hier an einem Punkt, an dem uns ihre Gabe begegnet, aus Tiefe heraus oberflächlich zu sein". (Williams)


[Bernard Williams: Scham, Schuld und Notwendigkeit. Eine Wiederbelebung antiker Begriffe der Moral. - Verbloggt wurde hier ein Abschnitt, der auf S. 79 beginnt.]

[Ja, da liegt was in der Luft. Man sehe sich diese zwei Sätze aus 'Egozentrizität und Mystik' von Tugendhat an: "Hinsichtlich des moralisch Guten stehen wir in der modernen westlichen Philosophie in einer wenig glücklichen Tradition. ... Man kann in dieser Frage nicht anders, als die antike Tradition auf die eine oder andere Weise wiederaufnehmen." (S. 69f)]

Es gibt doch da beispielsweise das Problem des Bösen. - Frage: Wie gehe ich es philosophisch an? - Nun, zunächst muss ich wissen, worin das Problem besteht. - "Wie? Du hast Philosophie studiert und auch nach dem Studium zu keiner Zeit aufgehört zu philosophieren; so wirst du doch wohl imstande sein, das Problem flüssig zu formulieren." - Tja, wenn ich historisch orientiert wäre, könnte ich schon ein paar Perioden drehen. Aber so ... Ich weiss wirklich nicht, was das Problem des Bösen ist. Tut mir leid. Klar, die Bosheit von Menschen kann mir ab und zu schon schwer zu schaffen machen. (Und auch eine so kurze Bemerkung kann einen Rattenschwanz von durchaus interessanten Fragen auslösen.) Aber ist das nun das Problem des Bösen? - "Bitte!" - Ok. Nimm einfach an, die Welt sei [eigentlich, im Grunde, im Wesen, von ihrer Herkunft her, metaphysisch, ...] gut. Und schon hast du ein gewaltiges Problem, das du dann - historisch nicht unadäquat - als das 'Problem des Bösen' bezeichnen kannst. Aber bilde dir nichts darauf ein: Zuerst musst du schon einen so richtig tiefen Satz formulieren und tapfer dazu stehen; billiger ist dieses Problem wahrscheinlich nicht zu haben.

"Mist! Und was ist der Preis für das Problem der Willensfreiheit?" - Den nenne ich in einem späteren Blog. [Für die neugierig Ungeduldigen: Bernard Williams: Scham, Schuld und Notwendigkeit, S. 79f]


(Pah! Was für eine Konfusion!) - Die Frage nach dem 'Problem des Bösen' ist zunächst mal eine historische Frage. Darum müsste die Antwort auf meine obige Frage, wie ich es philosophisch angehe, korrekt lauten: "Gar nicht."


[Als Philosoph und Hilfsarbeiter bin ich halt nun mal nicht historisch orientiert. Ich brauche auch keine Rücksicht auf Theologen und deren Probleme zu nehmen, muss keinem grossen Namen einen Tribut zollen, brauche kein philosophisches Problem ernst zu nehmen. Dass man mich recht verstehe: Ich schimpfe mich schon einen Philosophen. Ich werde von Fragen, die man schon als philosophische bezeichnen kann, oft geradezu umgetrieben. Ich neige nicht zur Ansicht, ich hätte nun genug lange nachgedacht, wenn ich eine Frage, die mir wichtig ist [!; nicht 'erscheint'], noch nicht mal ein Jahrzehnt lang verfolgt habe. Aber umgekehrt halte ich keine Frage für wichtig, bloss weil andere ein paar hundert Jährchen sich damit beschäftigt haben. - Tja, darüber musste ich mir mal ganz klarwerden.]

Montag, November 17, 2008

Wir fuhren hoch via Husum, Bredstedt, Niebüll, Klanxbüll, Morsum, Keitum nach Westerland (Sylt). Zurück ging es dann von Weesterlön (Söl) via Kairem, Muasem, Klangsbel, Naibel, Bräist, Hüsem. Diese Alternativstrecke ist ein durch den Friesenrat angeregtes neues Angebot der Deutschen Bahn für Germanisten und ihre Angehörigen. (Sprecher des Höchstalemannischen erhalten eine Ermässigung.)

Tja, man hat halt so seine Orte; andere rasen um den Globus. (Der Plebejer, ganz angeregt durch die feine Gesellschaft in Lokalen, wo auch er äusserst freundlich und zuvorkommend bedient wird, drückt den gleichen Gedanken so aus: Die Biene fliegt nach ihren Blüten; die Fliege fliegt überall hin.)


Der Nachtzug nach Altona fuhr zu meiner Überraschung die alte Strecke, die sich zwischen Bingen und Köln dem Rhein entlang schlängelt. Sobald ich das realisiert hatte, war an Schlafen nicht mehr zu denken. Im traurigen November, wenn in trüber werdenden Tagen der Wind das Laub von den Bäumen reisst, nach Deutschland hinüber zu reisen, ist etwas, was mein Gemüt ohnehin schon stark erschüttert, und dann ausgerechnet diese Strecke! Einer, dem der Verfasser des Wintermärchens eh tagein, tagaus in den Ohren liegt, weiss dann tatsächlich nicht mehr, wie ihm geschieht, was es bedeuten soll. In solchen Momenten gerät er ins Schreiben:
 
"Die Kohlekraftwerke zwischen Koblenz und Köln bei Nacht: Riesige, ein gleissendes weisses Licht ausstrahlende, von hellen Nebeln umspielte Märchenpaläste spiegeln sich in des grossen, heiligen Stromes dunklen Wellen."  
 
Ganz nett, nicht? Doch dann donnert unser Zug um ca. 04.00 über die Hohenzollernbrücke, und der Meister übernimmt:
 
Im Rhein, im heiligen Strome,
Da spiegelt sich in den Well'n,
Mit seinem großen Dome,
Das große, heilige Köln.


Zum Wesentlichen: Das Wetter: Regen und stürmischer Wind, dazwischen eine grandiose Sonne. Recht angenehme Temperaturen.


Ja, es war aufregend, zusammen mit Susanne und Ernst Tugendhat im Sand zu stapfen. Auch ein paar Piepers haben sich dazugesellt: "Mit rasend schnellen, winzigen Trippelschrittchen surrt ein einzelner Strandläufer den schaumigen Meeressaum ab." (Bei Sturmwind ins Handy getippt. Max Frisch, dem es im Juli 1949 in Kampen auch gefallen hat, holt weiter aus:)

"... Auf dem Kliff [das 'Rote Kliff', AC] bläst ein Wind wie im Gebirge; man muss sich, um atmen zu können, auf die andere Seite drehen. Die Strandkörbe sind leer. Eine Brandung, wie ich sie noch nie gesehen habe. Ich habe die Schuhe ausgezogen, denn immer wieder kommt eine überraschende Zunge, schäumig wie Seifenwasser, dann sinken die Füsse in den rieselnden Sand, am Rand der wässernen Zungen schwabbert der Schaum, Gischt der grossen Brecher, er schwabbert eine Weile lang, bis der Wind ihn zerflockt; trocken wie Watte fliegt es davon ..."


Natürlich war auch ein Abstecher nach Hüsem (Husum) dabei: "Und wie lebendig die Stare waren, diese geflügelten Freunde der Rinder! In lärmendem Zuge kamen sie vom Kooge herauf, schwenkten vor mir hin und wieder und fielen dann in dichtem Schwarm auf die Kronen der Deiche nieder, um gleich darauf, hurtig um sich pickend, seewärts an der Böschung hinabzuspazieren." (Storm: Eine Halligfahrt)


Es war ein schöner Urlaub.

Freitag, November 07, 2008

Geschichten sünd de Fadens, ut de wi uns Leven knütt.


Blogs, die nie geschrieben wurden: Über Neujahr in Husum. - Das Wattenmeer lebt. - Unter Husums Deichschafen. - Mit Quine in der spärlichen Ontologie der Dünen Amrums. - Wo die Treene Grachten bildet. [Das liegt ganz nah bei 'Almenrausch und Edelweiss' bzw. dort, wo der grosse Hiaddabua die Sennrin obbusselt.] - Wenn die Heide blüht: Sylt im August. [Wenn die Alpenrosen blühn.] - Als Nordstrand noch eine Insel war. - Wenn es Nacht wird auf der Hallig. [Wer denkt dabei nicht an die Hallig Hooge?] - ...

Ein Blog, der wohl auch nicht geschrieben werden wird: Auf Sylt im November. - Wie lange wir auf Sylt bleiben? Sünnavend, Sünndag, Mandag, Dingsdag, Middeweken, Dünnersdag, Friedag. [Genau! Das ist schon wieder Dietmarschner Platt.] Dann geht es zurück über den Hindenburgdamm via Niebüll, Husum, Friedrichstadt, Heide, Brunsbüttel und Itzehoe nach Altona. Wat för en Leven!

Nach den Herren Nagel und Williams hat sich nun auch Ernst Tugendhat bereit erklärt, neben Susanne und mir die novemberlich einsame grosse Strandpromenade in Westerland zu beleben und mir dort, wenn das Wetter es zulässt, Gedanken zu den Stichworten 'Egozentrizität und Mystik' vorzutragen. Und wenn das Wetter nicht mitmacht, stecken wir die Köpfe halt bei einem starken, dunklen Friesentee zusammen.

Es kann da oben bei niedrigen Temperaturen schon mal sieben Tage nieseln, regnen oder stürmen. Aber ich sage ja immer: Hauptsache, es ist schön!

Donnerstag, November 06, 2008

[Zwei Exzerpte aus Nagels 'Das letzte Wort'. Sie und auch die andern Zitate entnehme ich dem Abschnitt II des zweiten Kapitels mit dem Titel: 'Warum man das Denken nicht von aussen verstehen kann'.- Ergänzung zum letzten Blog. Anknüpfungspunkt: der Abschnitt über die Erweiterung der Selbstkenntnis.]

Die Ratio als Grenzerfahrung


Die Ratio erscheint hier als die Grenze, auf die einer unweigerlich stösst, wenn er sich - ernsthaft! - daranmacht, den letzten rationalen Kern seiner Überzeugungen durch einen Nachweis ihrer totalen Bedingtheit durch kontingente (beispielsweise lebensgeschichtliche) Fakten von aussen kausal wegzudisputieren.

Die Rede ist vom Cartesianischen Cogito:

"Es lässt eine Grenze jener Art von Selbstkritik erkennen, die einsetzt, wenn man sich selbst von aussen anschaut und die Art und Weise betrachtet, in der die eigenen Überzeugungen durch Ursachen hätten hervorgebracht werden können, die nicht ausreichen, um die Überzeugungen zu rechtfertigen oder in ihrer Geltung zu erhärten. Was bei diesem Prozess zunehmend destruktiver Kritik deutlich wird, ist die Unvermeidlichkeit des Vertrauens in ein Vermögen, das alle skeptischen Möglichkeiten erzeugt und versteht."

[Der Ismus (Subjektivismus, Relativismus, Skeptizismus) lässt sich nicht wegdisputieren. Führe ihn mit deinen eigenen Beispielen zäh und entschlossen durch! Du wirst dabei früher oder später auf einige Gedanken stossen, aus denen du beim bösesten Willen nicht heraustreten kannst. Natürlich wirst du auch diese Gedanken vorher einer gründlichen Kritik unterzogen haben. Aber du wirst gewahr geworden sein, dass diese Gedanken, die du einer Kritik von aussen unterziehen willst, diese Kritik leiten, dass deine Kritik ohne sie gar nicht auskommen kann. - Nagel spricht im Vorwort von "Gedanken, die stets dableiben, einerlei, wie sehr wir uns bemühen, aus ihnen herauszutreten oder sie bloss als zufällige Veranlagungen zu betrachten". - Liebe Leute, das ist eine Denkerfahrung, die ich jedem/r gönne! Fragt mich nicht nach Beispielen! Zieht euer eigenes Ding durch! (Nagel bringt natürlich reichlich Beispiele, und das eine oder andere werde ich vielleicht dann doch noch verbloggen.)]

"Die objektive Vernunft entdecken wir, indem wir feststellen, dass wir gegen bestimmte Grenzen anrennen, sobald der Frage nachgegangen wird, ob unsere Überzeugungen, Werte und so weiter subjektiv, kulturrelativ oder sonstwie wesentlich perspektivengebunden sind. Bei der Betrachtung solcher Hypothesen spielen bestimmte Formen des Denkens unweigerlich eine direkte Rolle und erweisen sich als inhaltlich objektiv."

['direkte Rolle', 'inhaltlich objektiv': Die Dinger sind pausenlos aktiv, ob ich sie nun explizit bejahe oder pausenlos gegen sie anrenne. - Darum kann Nagel dem Einwand, es gehe doch nicht an, sich bei der Verteidigung der Vernunft zirkulär auf die Vernunft selber zu berufen, so begegnen, dass er sagt, "dass die Berufung auf die Vernunft implizit durch den Einwand selber autorisiert ist, so dass es sich im Grunde um ein Verfahren handelt, das den Einwand als unverständlich erweist".]



[Um einem Missverständnis vorzubeugen: Nagels Thema ist die Objektivität, nicht etwa die Gewissheit. Er spricht ausdrücklich von seiner "Preisgabe des Gewissheitsanspruchs". - Irren können wir uns alleweil und munter. Aber deswegen jeden Anspruch auf Objektivität aufzugeben, ist bescheuert.]

Mittwoch, November 05, 2008

[Forgive me, Richard!]


Kontingenz, Ironie und Objektivität


"Meiner persönlichen Überzeugung nach ist alles subjektiv. Und selbstverständlich verbinde ich auch mit dieser Aussage keinerlei Objektivitätsanspruch. Und du?" - "Bei mir ist es einer der oberen linken Backenzähne."

Es gibt elaboriertere Entgegnungen auf den Subjektivismus. Aber meine ist jedenfalls perfekt. Ich habe unzählige davon. ["Solange du mir die Treene Grachten bilden lässt, ist das schon ok." "Lass uns zur Sache kommen!" "Ganz meine Meinung, wenn ich mir das provisorisch mal so kategorisch zu sagen erlauben darf."] - Ein klein wenig muss ich mich aber schon wundern, dass ich überhaupt nicht mehr imstande bin, diese Totgeburt von einem philosophischen Standpunkt ernstzunehmen. Immerhin bin ich ein Bewunderer Rortys. ('Kontingenz, Ironie und Solidarität'. 'Solidarität oder Objektivität?') Und habe ich nicht selber einen starken Hang zum Subjektivismus? Mag sein, die Sache ist bloss: Selbst wenn ich selber den Subjektivismus vertreten sollte, interessieren tut er mich nicht.

Zu den interessanteren Fällen von Erweiterung meiner Selbstkenntnis gehören die, wo mir allmählich klarzuwerden beginnt, dass eine lange gehegte Überzeugung recht tief in einem Stück meiner Lebensgeschichte verwurzelt zu sein scheint. Und jetzt beobachte ich interessiert, was mit der Überzeugung in den nächsten Wochen passiert. (Ja, genau so: Ich will wissen, was ihr zugestossen ist, während ich mich auf vielfältigste Art mit dem Stück Lebensgeschichte beschäftigte.) Vieles ist möglich: Die Überzeugung verflüchtigt sich. Ich komme aus dem Staunen nicht heraus, was für ein verbohrter Esel ich doch sein konnte. Ich halte die Überzeugung für schlicht richtig, vertrete sie bloss mit weniger Nachdruck/Ingrimm. Ich unterziehe eine ganze Menge damit zusammenhängender Auffassungen einer mehr oder weniger gründlichen Revision. Ich lege die Überzeugung ab (zu den Akten). - Es ist eine Lust, diesem Schauspiel zuzusehen! Und es lassen sich verschiedene Schlüsse aus den Beobachtungen ziehen, bis auf einen: Und der Subjektivismus hat doch recht. Kontingenzen, Idiosynkrasien, so weit das Auge reicht, und kein Subjektivismus in Sicht. [Ziehe einen einzigen subjektivistischen Schluss, und du hast dir schon selbst widersprochen. Und das zu sehen, wird dich zu langweilen beginnen, nachdem du es ein paarmal durchgespielt hast. - "Aber es zeigt doch ..." - "Es zeigt eben, was es zeigt, und das habe ich eben detailliert geschildert. Was du zeigen willst, zeigt sich eben nicht, oder du möchtest es gerne zeigen, stehst dir dabei aber mit deinem blöden Subjektivismus selber im Wege."]

Der Blog zieht sich ungewollt in die Länge, und der Schreiber muss daran zu zweifeln beginnen, dass ihn der Ismus überhaupt nicht interessiert.

[Intermezzo. Wittgenstein: Über Gewissheit. - Die Therapie des radikalen Zweifels (Skeptizismus). Formuliere einen einzigen müden Zweifel richtig aus, und wenn dir das gelingt, darfst du getrost an deinem Ismus festhalten. "Ein Zweifel ohne Ende ist nicht mal ein Zweifel." (aus dem Gedächtnis) - "Das Bild dort an der Wand könnte eine Fälschung sein." - "Klar doch." - "Kannst du dir sicher sein, dass da überhaupt ein Bild hängt?" - "Moment mal ... Wand ... Ist da eine Wand?" ("Mich stört, dass du dogmatisch davon ausgehst, dass das Bild da hängt. Wie kannst du a priori ausschliessen, dass Ausserirdische es dort mit einem speziellen Kleister festgemacht machen?")]

Zugegeben: Der Ismus weckt mein Interesse. Ich mag mit ihm spielen. Ihm zu widersprechen, halte ich für aussichtslos. Ihn als bewiesen zu unterstellen, eröffnet viel mehr Möglichkeiten: Ist er erst mal anerkannt, ist er damit - meiner bescheidenen Erfahrung nach - auch schon zum Schweigen gebracht. Da kommt schlicht nichts mehr. (Und wenn was kommt, hat das mit dem Ismus nichts mehr zu tun.) Man gewinnt Raum zum Erzählen. Über Zahnschmerzen, Gotteserfahrungen, die Art, wie immer wieder gegen den 'modus tollens' der klassischen Logik verstossen wird, Hegel, Onkel Robert und die 'Ten Years After'. Man braucht keine Rechtfertigungen vorzutragen, und sollte eine solche doch verlangt werden, wird man den Gesprächspartner darauf hinweisen, dass er doch wohl mit einem einig gehe, dass es solche Dinger nicht geben könne, dass man aber durchaus geneigt sei, ... [Plapperplapper] ..., bis es einem ausgeplappert hat und man wieder Lust auf ein gediegenes Stück katholische Dogmatik oder weiss der Teufel was verspürt. Ja, die Bejahung des Ismus führt zur Seelenruhe. Kurz bejahen, weiter erzählen, den Ismus dem (gemeinsamen) Vergessen anheimgeben.

Das ist überhaupt das Schöne an gewissen Ismen: Sie werden leicht vergessen. Man macht sich gerade nicht die Mühe, sie anständig zu formulieren, und ... flutsch ... weg sind die Dinger! Ich habe mir gar nicht die Mühe gemacht, den Subjektivismus anständig zu formulieren. So interessant ist er halt nun auch wieder nicht.


[Thomas Nagel ('Das letzte Wort') ist für diesen Blog in keiner Weise verantwortlich zu machen.]

Dienstag, November 04, 2008

Laute, Wörter, Sätze 4/103


Der kleine Nachhall zum grossen Getöse: Das Vis-à-vis von Frank A. Meyer mit Peter Sloterdijk. Thema: Finanzkrise. - Eine herausragende Sendung! Selten wurden in einer Stunde so viele alte Epochen aus- und so viele neue eingeläutet. [Wir leben im Zeitalter der sich überpurzelnden Epochisierungen. (Wollte mir nur kurz bestätigen, dass ich das auch kann.)] Dass der Neoliberalismus zum zigten Mal beerdigt wurde, versteht sich, wie so vieles andere, von selbst. Die sogenannte freie Marktwirtschaft ist durchschaut und hat sich nun selber endgültig erledigt. Das ist alles überaus langweilig. Darum hier nur das Highlight: Der 'homo oeconomicus' hat, wie sich nun eindrücklich gezeigt hat, ausgedient. Zum Schiessen! Und noch schöner: Der Altruismus ist voll wieder im Kommen. [Bei Sloterdijk erscheinen solche Umwälzungen eher am Horizont, während Meyer sie bereits stürmisch umarmt. Aber das sind Nuancen.] - Falls einer die Sendung oder gar die Umwälzungen verpasst hat: Sie kommen wieder - die beiden Herren und die (noch grösseren) Revolutionen.

Thomas Nagel: Das letzte Wort. - Welch eine Wohltat (nach den beiden Trunkenbolden)! Nehme ich doch, neben einem Bernard Williams, glatt mit auf die Insel. [Sylt. Nächste Woche.] Ein nüchterner Rationalist, der Descartes und Frege liebt. [Demnächst in diesem Blog.]

Das Buch von Williams: "Shame and Necessity" (dt.: Scham, Schuld und Notwendigkeit). Es gibt Büchelchen, die man nur schon wegen ihres Titels liest. [Thomas Nagel: The View from Nowhere] Und manchmal beginnt ihre Verarbeitung schon vor der Lektüre. Nun, es mag sich als produktiv erweisen, seine Vorurteile zu pflegen. [Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. - "Vow!"] Nicht jedes Vorurteil ist so gut wie das andere, aber ein Vorurteil ist jedenfalls besser als keines: Scham wächst im Innern, Schuld kommt von aussen. Netter Ansatz. Und nun: Jemand hat dich schlecht behandelt und du versuchst, ihm eine Schuld anzuhängen. Viel Erfolg! Oder du verhilfst ihm dazu, dass der Keim der Scham in seinem Innern wächst und gedeiht. Vertraue im Zweifelsfall auf die guten Kräfte im Menschen! Das ist natürlich kein Patentrezept für den Erfolg. Stell dir vor, der Übeltäter kommt nun auf dich zugekrochen. Du meine Güte! Dabei sollte er sich doch bloss verkriechen! Was zum Teufel macht man bloss mit so einem Menschen? Erst schlägt er, dann kriecht er, ... zertreten mag man ihn ja schliesslich auch nicht ... Man hat's nicht immer leicht. [Zu Williams demnächst in diesem Blog.]

Und spülen! - Yaşamak şakaya gelmez: Zu leben kommt nicht zum Scherz. Wie gesagt: Das Leben ist kein Schleck/Scherz. Büyük bir ciddiyetle yaşayacaksın: Es will mit grosser Ernsthaftigkeit gelebt werden. Bir sincap gibi mesela: Der Ernsthaftigkeit eines Eichhörnchens etwa. - Aus: YAŞAMAYA DAIR: Nazim Hikmet über das beschissene und unsagbar schöne Leben. [Demnächst in diesem Blog]

Nazim Hikmet war ein Sozialist aus purer Lebensfreude. - Nachdem die Herren Sloterdijk und Meyer den Anstand hatten, wenigstens keine neue Form des Sozialismus wiedererstehen zu lassen, will ich selbigem hier ein klitzekleines Kränzchen gewunden haben. Auch ich besitze Anstand: Einen toten Hund tritt man nicht.


[Wir hatten doch da die Rubrik 'Blogs, die nie geschrieben werden' ...]