T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Montag, Juni 29, 2009

[Guten Morgen allerseits! - Durch Zeit und Raum fliegen die Träume / Und kämpfen noch mit den Schatten der Nacht. / Doch Sonnenlicht fällt durch die Bäume / Und die Erde erwacht. (aus 'Junger Tag')


[ZDF, Nachtstudio] Gitte zur Frage, was einen guten deutschen Schlager ausmacht:

Er ist schlicht und geht direkt ins Herz.
(Hinweis auf schwedische Volkslieder und Bela Bartok)

Er ist intelligent gemacht.
("Das dürfen die Leute aber nicht merken; die mögen das nicht")

Er muss eine kleine Besonderheit aufweisen, leicht rebellisch sein etwa, jedenfalls darf er nicht zu brav sein.
(Was uns die Interpreten der volkstümlichen Schlager mitteilen: "Habt mich bitte, bitte lieb. Ich bin auch ganz lieb - und stubenrein, ehrlich."

Er muss Poesie enthalten. Ohne sie geht gar nichts.


Sie spricht zu IHM von ihrer Liebe, indem sie davon erzählt, wie die Musik bei einem Rendevouz mit einem andern ihr zugesetzt hat:

Ein Abend mit ihm, die Nacht fällt auf's Land,
Wir tanzen zu zweit, er nimmt meine Hand,
Die Band spielt für uns bei Kerzenlicht,
Er spricht von Liebe, doch ich höre ihn nicht,
Ich hör nur die Musik.

Dann kommt die Erinnerung und dein Bild ist so nah.
Dann kommt die Erinnerung und du bist wieder da.

http://www.youtube.com/watch?v=itwlrSQQd_Y


[Gegen Attraktivität sind keine zig Jährchen gewachsen. - Für Gitte]

Samstag, Juni 27, 2009

Ein paar Wochen Josquin-Kontrapunkt studieren, ohne zwischendurch mal eine CD einzulegen, so was bringe ich fertig. Eine verdeckte Quintenparalle wird nur dann gesetzt, wenn die Quinte von einer Stimme - meistens ist es die Oberstimme [Beschränkung auf den zweistimmigen Satz] - im Sekundgang erreicht wird. Aufregend? Es geht. Schon aufregender, aber natürlich immer noch trocken (und sauschwer!) ist es, in einem zweistimmigen Satz die Bassstimme zu singen und die andere Stimme der Handharmonika anzuvertrauen. Tja, und so sammelt man seine konkreten, beinharten Erfahrungen. Jedes satztechnische Detail gerät auf diese Weise nach und nach in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit, und man gewinnt ein verdammt gutes Gespür für die rhythmischen und melodischen Eigenheiten der Sätze. Das ist schon sehr zufriedenstellend, auch für die Harmonika, die, wenn ich meine Fingerchen nicht eisern kontrolliere, schon mal in eine selige Folge von Terz- und Sextparallelen verfällt, bevor sie die Alm wieder verlässt und in die einsame Klause zu asketischer Übung zurückkehrt.

Was mich einfach nicht befriedigen will, sind die Schlussklauseln mit ihren Kreuznoten (ad hoc; gemeint sind die Töne Cis, Fis und Gis sowie - bei einem B als Vorzeichen - das h), deren Auftreten sehr streng geregelt ist. Dauer: höchstens eine halbe Note; der Zielton muss ihnen unmittelbar vorausgehen und unmittelbar folgen. Ein strenges Regime, gewiss, und für mein Gefühl doch zu luxurierend, zu wenig trocken, irgendwie, oder zu süss, was weiss ich? "Ja, wenn wir Palestrina treiben würden, würden wir ihr Fehlen schwer vermissen", prahle ich, erst vor mich hin und dann in den Blog. De la Motte belehrt mich: "Was heisst hier luxurierend? Bei Palestrina sind die Dinger emanzipiert, da werden sie dem beschränkten Tonmaterial von um 1500 als gleichwertige Töne hinzugefügt, indem nach und nach alle Beschränkungen für ihre Verwendung wegfallen. Aber unter dem Regime von Josquin & Co. haben sie eine sehr beschränkte Aufgabe ..." Ich bin nicht überzeugt. Die Dinger hören nicht auf, mich zu irritieren.

Die kleinen Freuden


Nun, es kommt die Zeit, wo ich zur CD mit der 'Missa Pange lingua' greife. Vorher wird natürlich die Bassstimme einstudiert, was noch ein paar Tage in Anspruch nimmt, aber dann geht's los: Ich trete zusammen mit den Tallis Scholars auf! Kyrie eleison! Herr, erbarme dich! Und ER erbarmt sich: In seiner grossen Güte und weisen Voraussicht hat er dafür georgt, dass meine Stimmkollegen sehr gut vorbereitet sind. Aber die Sache läuft nicht schlecht für mich. Ich realisiere, dass der Sopran das erste Kyrie ohne das notierte Fis beschliesst. Ich irritiert? Mitnichten! Ich steuere manche falsche Note zum erhebenden Anlass bei, aber eine Kreuznote ist bestimmt nicht darunter. Die Tallis Scholars und ich liegen auf einer Linie. Hier sind die Kenner unter sich.

Niemand hat mit mir geschimpft, auch nicht wegen meines Geschluchzes in der einzigen homophonen Passage des Werks, dem 'Et incarnatus est'. Die Krippe im Stall zu Bethlehem ist ganz entschieden das Zentrum (jeder) Messe. Das mag theologisch strittig sein, aber es ist ohrenfällig. Und das führt mich zu einem Blog, der vielleicht mal geschrieben wird:


[Ausgangspunkt I: Das Credo der 'Missa Pange lingua': Das Ohrenfällige fällt nicht mit dem theologisch Bedeutsamsten zusammen. - Ausgangspunkt II: Der Versuch von Papst Johannes XXII (14. Jh.), die Mehrstimmigkeit in der Kirche zu verbieten. - These: Die mehrstimmige Musik versammelt den Geist nicht auf das spirituell Wesentliche; sie zerstreut vielmehr, indem sie die Aufmerksamkeit auf den mit grosser Kunstfertigkeit hergestellten Wohlklang lenkt. Die Mehrstimmigkeit ersetzt den sakralen Charakter der Gregorianik; der Sinnesrausch tritt an die Stelle der Kontemplation. Die Bussgesänge als Klangorgien (Man denke an Allegris 'Miserere' zur Karfreitagsliturgie). - Eine mögliche Wendung des Ganzen: Die Situation hat sich schwerstens verbessert: Palestrina & Co. sind verschwunden, verschwunden auch die sakralen Töne des gregorianischen Gesangs, der halt auch etwas Einlullendes hat. Gefragt ist jetzt die auch stimmlich aktive Mitwirkung der versammelten Gemeinde der Gläubigen. Tja, und die ist dann weniger zum Schluchzen, aber zum Heulen ist sie alleweil.]


[Mir gefällt, wie Visconti eine Passage aus dem 'Doktor Faustus' in seinen 'Tod in Venedig' eingeschleust hat. Es ist die Szene, wo ein Kollege dem Komponisten[!] Aschenbach die Zweideutigkeit der Musik am Klavier ohrenfällig macht. So gestreng du dein Leben auch gestaltest, du wirst zugrundegehen, wenn du dich dieser Zweideutigkeit überlässt. - Der Bub, der in den Sommerferien im Bergdorf die Ziegen in die Hänge getrieben hat, kann davon sein eigenes Liedchen pfeifen: Für ihn sind die Klänge des 'Agnus Dei' à la de Vittoria für den Rest seines Erdenlebens untrennbar mit den wohlbestrumpften Beinen der jüngeren und älteren Frommen verknüpft, die da hübsch und versonnen zur Kommunion schreiten.]

Donnerstag, Juni 25, 2009

Laute Wörter, Sätze 12/103


Mein Leben mit ALDI oder Die prästabilierte Harmonie

Mein neuer Arbeitsort ist eine Lagerhalle, die ALDI der Schweizer Post zur Verfügung stellt. ALDI selber befindet sich gleich darüber, und dort gibt es den Goiserer Almkäse zu kaufen. Der Hubert von Goisern spielt eine Steirische. Wen wundert's, dass meine Monika neuerdings so helle, jubelnde Töne von sich gibt?

Habe nun lange gesucht und gegrübelt, in den Tiefen des weltweiten Netzes, umgetrieben von der Frage, was in Europa die Mehrstimmigkeit ins Leben rief und beförderte. Nun sitz ich da, ich glücklicher Tor, klüger bald als je zuvor. - Ansätze zu Mehrstimmigkeit sind schon da, wenn die zweijährige Lena Sophia, mit der ich vorgestern eine geschlage Stunde lang musizierte, mit einem Teelöffel über ihr neues Metallophon streicht. Und wenn man nun mal die wenig steile Voraussetzung macht, dass auch Musiker anderer Kulturen gelegentlich darauf geachtet haben, was ihre Instrumente, wenn sie nicht höllisch aufpassten, so alles von sich gaben, stösst man auf ein Welträtsel erster Güte: Warum ist gerade in Europa eine mehrstimmige Musik entstanden? "Na ja, sprechen wir zunächst mal von Mehrtönigkeit ... Es ist anzunehmen, dass die sogenannten Kirchentonarten von keinem rein diatonischen Tonvorrat abgeleitet sind ..." - "Mann, das muss die Sache doch enorm erschwert haben, oder?" - "Sicher ... Eine ganz entscheidende Rolle dürfte die Notation gespielt haben ..." Hey, ich habe da einen Gesprächspartner gefunden, der das Welträtsel mit enormem Kenntnisreichtum anpackt. Den hat der gelernte Nationalökonom niedergeschrieben in einem Buch, das erst 1921, also ein Jahr nach seinem Tod, erschien: Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik. - Liebe Freunde, ich möchte euch Max Weber vorstellen!

Nein, ich verachte nicht den einstimmigen Gesang. Ich war ganz angetan von der kleinen rumänischen Weise (unbegleitete Frauenstimme; Ambitus: eine blosse reine Quarte[!]), die im ARD-Spielfilm von gestern abend zwischendurch erklang. Ich erinnere mich noch lebhaft an die Darbietung einer Sängerin aus Zentralasien im Konzertsaal des Radiostudios an der Schwarztorstrasse. Ich wittere auch keine dunkle Verschwörung und bin überhaupt nicht empört, wenn einer Dinge wie dieses verlauten lässt: "Ganz allgemein bitte ich darum, daß die zukünftigen Priester von der Seminarzeit an darauf vorbereitet werden, die heilige Messe in Latein zu verstehen und zu zelebrieren sowie lateinische Texte zu nutzen und den gregorianischen Choral zu verwenden. Man sollte nicht die Möglichkeit außer Acht lassen, daß auch die Gläubigen angeleitet werden, die allgemeinsten Gebete in Latein zu kennen und gewisse Teile der Liturgie im gregorianischen Stil zu singen." (2007) - Ne, Papstkritik gehört nicht zu meinen Hobbies. Liebe Freunde, ich möchte euch einen grossen Hoffnungsträger vorstellen: Papst Benedikt XVI!

Wie heisst doch noch der Mann, der seine Landsleute dazu aufgefordert hat, nach Möglichkeiten zu suchen, die europäische Mehrstimmigkeit in die türkische Musikkultur einzuführen? Aber klar doch! Den Musikologen Atatürk brauche ich euch nicht vorzustellen.


Mein Leben ohne ALDI: Ach, es ist ganz erträglich. Der Goiserer Almkäse ist noch nicht zur Gänze vertilgt, und die Urlaubszeit ist auf ihre Weise ja auch ganz inspirierend.

Sonntag, Juni 21, 2009

Begegnung, Integration/Assimilation

Am gestrigen Weltflüchlingstag auf dem Bundesplatz etwas Musik aufgeschnappt. Einstimmig, die Melodik nicht diatonisch, also mir unvertraut. Vertraut hingegen das unterlegte Bumm!Bumm!, gelegentlich sehr salopp auch Rhythmus genannt, wie es beispielsweise aus den ganz schnellen Schlitten dröhnt.


[Ich pfeife auf die Begegnung, aber eine nicht-diatonische Skala vor mich hinpfeifen können, das wäre schon was.]

[Es fährt ein Zug nach Nirgendwo ... gemächlich, nach und nach lebhafter. Letzteres gilt zumindest für meine Fingerchen, die ich für eingeschlafen gehalten habe, die nun aber meine liebste Monika zunehmend flinker befingern.]


Wir schauen dem Bub zu, wie er auf seiner Harmonika mittels Bassakkorden Volkslieder begleitet, von denen er jeweils gerade mal die erste Strophe gehört hat. Er sitzt versonnen da und macht ein paar elementare Bewegungen: Er rutscht eine Reihe hoch, wieder runter, wieder hoch ... Seltener geht's eine Reihe nach unten, wieder hoch, nochmals hoch (Hier überspringt er manchmal eine Reihe), und runter. Woher weiss er, welche Bewegung wann angesagt ist? Nun, er bewegt sich halt im Rahmen einer sehr engen Tonalität; da gibt es nichts zu überlegen; da wird mit dem Körper gedacht; da entfernt sich der Bub in zwei gefühlten Stärkegraden von einem gefühlten Zentrum und lässt sich immer wieder in dieses zurückplumpsen. Wir schauen den Bewegungen zu und bekommen eine kleine Choreographie der Harmonie der Stücke 'aus'n Huat' geliefert.

Aus dem Radio schwappen ein paar Orchesterlieder. Ich kenne sie nicht, und das Rätselraten geht sofort los ... Richard Strauss! Da bin ich mir sicher. Diese harmonischen Wendungen - 'Verrückungen' nenne ich sie - kenne ich ... Oh Gott, ich kenne sie zur Genüge, bin ihrer überdrüssig. Dabei sind sie dermassen elaboriert. Ihre Analyse dauert ein paar Jährchen plus eine Pubertät plus ein Musikstudium länger als die 'aus'n-Huat'-Analysen unseres Buben.

Woraus bemerkenswerter Weise nichts folgt


Ein Lied von Richard Strauss, und ich verstehe Schönberg & Co., wenn sie davon sprechen, dass die tonale Musik total abgestanden sei. Ein anderes Lied von Richard Strauss, in seiner elaborierten Machart vom ersten kaum zu unterscheiden, und der begeisterte Philotustan schreibt mehr als einen Blog darüber. Auf mehrere reichlich langweilige Liedchen von einfachster Machart ein Ereignis: Ein Liedchen von einfachster Machart, und der Tag ist gerettet! Was steht doch schon wieder am Brunnen vor dem Tore? Die Sache ist bestens bekannt, und doch ... Bekannt ist auch, dass auf der Alm z'Sunn aufgeht und die Sennrin a sches Diandl is, und doch ... Tja, ab und zu treffen einen solche Nachrichten wie die Offenbarung: Man lauscht erschüttert und entzückt.

Wir repetieren: Wir haben eine bestimmte Anordnung der musikalischen Parameter, und wir haben einen bestimmten Ausdruck. Nun ändern wir die Parameter geringfügig, und der Ausdruck verändert sich überhaupt nicht, ändert sich radikal oder geht komplett verloren. Oder wir ändern die Parameter radikal, und der Ausdruck ändert sich wenig oder radikal, oder er geht flöten. Der Ausdruck ist eine superveniente Eigenschaft.

[Das ist übrigens wie mit den Gehirnen: Man nehme ein Affenhirn und ändere es geringfügig, so dass daraus ein Menschenhirn wird. Nur Experten können die beiden Gehirne unterscheiden. Beim Verhalten ihrer Besitzer fällt einem die Unterscheidung doch etwas leichter.]


Tja, manchmal ist es ätzend langweilig, und manchmal ist es auch zum Sommerbeginn wie Weihnachten:

http://www.sins942.ch/lieder/ach_wann_kommen_jene_stunden.pdf

Diesen Dreigsang und eine Unmenge weiterer schöner Dinge hat der mir nicht bekannte Paul Villiger ins Netz gestellt. Ich widme ihm diesen Blog. Aus Dankbarkeit.

Donnerstag, Juni 18, 2009

[Nachtrag zum vorletzten Blog:]

Leise, leise, leichte Weise,
reissest mich aus engem Kreise.


Die Subjektivität, wie sie in der erkenntnistheoretisch orientierten neuzeitlichen Philosophie daherkommt, erscheint mir schon lange als ein stickiges Glashaus. Drum mussten mich Formeln oder Essaytitel wie 'In-Sein', 'Mit-Sein', 'externalisierte Erkenntnistheorie' und 'Der Mythos des Subjektiven' sofort anziehen. Ich mag Heidegger und Davidson, weil sie mit Felsbrocken die Kuppel des verhassten Glashauses zu zerschmettern versuchen.

Noch schöner freilich ist, wenn ich das Glashaus gelassen stehen lassen kann, weil ich spüre, dass ich aus der Haut und in die Luft gefahren bin, in der sich eine Unmenge luftiger Figürchen von unerschöpflicher Vielfalt frei bewegen. Tja, die Musik liegt halt eben in der Luft. Sie schwebt und macht schweben. Ihre Verankerung ist miserabel. Ihre Irrealität schreit zum Himmel. Sie spottet der harten Realität ebenso wie des weichen Gefühlspfuhls. Da herrscht die permanente Götzendämmerung.

[Das Vergnügliche an der Musikphilosophie: Mit ernster Zudringlichkeit ordnet man flüchtige Phänomene in ontologische, semantische und dergleichen Zusammenhänge und ist nicht die Bohne traurig, wenn ein sanftes Lüftchen von der Art des zu systematisierenden Materials einem die hübschen Gerüstbauten durcheinanderwirbelt. Die Geliebte macht sich über einen lustig, und man ist alles andere als verbiestert. Man gibt ja auch nicht einfach auf. "Warte, wenn ich dich in die Finger kriege ..." - "Nur zu, hasche mich!" Der Musikgenuss hat stets auch ein Moment von unerfüllter Liebessehnsucht mit deren unauslöschlichem Drängen nach Ewigkeit. Es ist das Flüchtigste, das da nach Ewigkeit drängt.]

'Tönend-bewegte Formen': Hanslicks Formel, mit der er alle Versuche, seiner Geliebten irgendeine Art von Bedeutung anzuhängen, abwehrt, in den Wind schlägt. Mit diesen Formen ist kein Staat zu machen. Sie entschlagen sich aller Erschwernisse, die sie in der Form von höheren oder tieferen Bedeutungen bedrängen wollen. Ihre Bedeutungslosigkeit ist erschütternd, rüttelt am Zwerchfell, macht glucksen. Bedeutungsloses Zeug von unsagbarer Schönheit, halb zieht's mich hin, halb sink ich hin, und verschwinde in schwereloser Bedeutungslosigkeit.

Walle, Weise,
In deinem eignen,
Luftgen Kreise.


[In Zusammenarbeit mit der Agathe aus dem 'Freischütz', die im Hintergrund ihre leise, fromme Weise vor sich hersang.]

[Ein kleiner Seufzer zwischendurch:]

Wenn man sich doch wenigstens nicht auch noch die elementarsten Dinge der Musiktheorie erarbeiten müsste! Da spreche ich im vorletzten Blog von einem mehrstimmigen Silbengesang, bei dem keine Melodie vorgegeben ist. Es geht auch so:

Sie (sassen gar fröhlich beisammen
und) sangen aus'n Huat.

Dienstag, Juni 16, 2009

[On the way to nowhere]

Ein Pantomime steht erst unbeweglich/unbewegt da, dann verzieht er sein Gesicht ganz plötzlich zu einer entsetzlichen Grimasse.

Satzbezeichnungen bei Schumann: Einfach - Feierlich - (Sehr) lebhaft - Sehr rasch und leicht - Mit einigem Pomp - Hastig - Nach und nach immer lebhafter und stärker - Einfach und zart - Innig - ...


Ich neige mittlerweile dazu, die Attribute, die wir bei der Beschreibung unserer musikalischen Erfahrungen verwenden, schlicht und einfach den Stücken und Passagen selber zuzuschreiben. [Konkret: Der letzte Satz der Jupiter-Sinfonie ist nicht ein Ausdruck von Freude oder ein Stück, das Freude bei uns auslöst, sondern: Das Stück ist Freude pur. Punkt.] Das ist natürlich buchstäblich falsch. Aber: Wovon reden wir denn? Da lassen wir ganz unbekümmert eine Flötenlinie sich an einer Cello-Kantilene hochranken, auf einem bestimmten Ton verweilen, die Klangfarbe wechseln (Die Flötenlinie mutiert zu einer Klarinettenlinie), und dann in einem zarten Glissando zu einem Ton abfallen, der nun einen gehauchten Streicherklang, der sich im Hintergrund aufgebaut hat, harmonisch kräftig eintrübt.

[Ich denke hier an nichts Bestimmtes, ich brabble bloss vor mich hin, ich rede vom Alltäglichsten meines Alltags. Wir treiben hier keine Physik; wir reden auch nicht einfach von dem, was der Gehörsinn mit den Schallwellen veranstaltet. (Zwei akustisch identische Ereignisse können, musikalisch betrachtet, grundverschieden sein.) Wir sprechen von dem, was wir wahrnehmen, wenn wir unsern Geist in Klanggebilde hineinwandern und sie entspannt und aufmerksam erkunden lassen. Und was wir da nicht alles wahrnehmen!]

Warum sollten wir nun auf einmal bedenkenvoll innehalten und Bekenntnisse dieser Art ablegen: "Ich bin mir freilich bewusst, dass nicht das Stück selber Eigenschaften wie Lebhaftigkeit und dergleichen aufweist. Es ist bloss mein subjektives ..." (Es widerstrebt mir, den Mist auszuformulieren. Hier droht die Gefahr, dass sich der Blog in eine Reihe von überaus zustimmungsfähigen Sätzen zerdehnt und zerlangweilt.) "Es ist mein subjektives ..." Genug! Seien wir ehrlich! Meine Wenigkeit oder das Publikum und dergleichen Entitäten wecken hier nicht das mindeste Interesse. Wir wohnen einem Ereignis bei. Etwas Einfaches und Zartes beispielsweise liegt in der Luft. Es liegt da draussen, und ich verweile aufmerksam darin. Oder da herrscht die pure Freude, dass es schon wieder nicht zu fassen ist. Sie spricht mich an. (Soviel Subjekt muss sein.) Oder es findet eine einzige grosse, feierliche Bewegung statt. Ein Leben findet da statt, und ich bin mittendrin. Ich bin ja selber ein Leben oder zumindest einer Verlebendigung nicht gänzlich abhold und so dem Zuspruch durch ein anderes Leben willig ausgesetzt.]

Von mir aus darf einer hier weiterhin ein Subjekt auf ein Objekt treffen lassen. Is ja schliesslich nicht völlig verkehrt. Oder was ist schon falsch daran, wenn einer in 'Philosophie der Musik' einen genitivus objectivus ausmacht? Ich habe ja selber nicht schlecht gestaunt, als ich kürzlich auf eine Anregung von Andrew Bowie (Philosophieprofessor und Jazz-Saxophonist) stiess, hier, Schelling, Schleiermacher, Schlegel und andern folgend, versuchsweise mal einen genitivus subjectivus zu lesen, die Musik also nicht zum Objekt der Philosophie zu machen, sondern sie selber sprechen zu lassen. Was immer das genau heissen mag. Auch das ist ein weites Feld, aber ich erkläre mich nun als mit meinem Latein vorerst mal am Ende. Oh Gott, das ist schon leicht unbefriedigend, darum muss nun auf Teufel komm raus wenigstens noch ein abrundender Titel her:

Musik: Leben trifft Leben oder Es tut sich was

Montag, Juni 15, 2009

Denken mit dem Körper


(ORF, Seitenblicke) Zahlreiche Leute, alt und jung, sitzen in einem Wirtshaus zusammen und ergehen sich in einem längeren mehrstimmigen Silbengesang. Kein Text und keine Melodie ist vorgegeben. Die Leute haben diese Art von Improvisation intus.

Interessant, wie ein Musikethnologe den Vorgang beschreibt: "Die Leute denken mit dem Körper. Was gibt es Schöneres?"


[Dem Opa ist nach Erzählen zumute:] Meine Mutter oder Tante Maria oder Tante Frieda singt in einer kleinen Gesellschaft oder bei der Arbeit ein Lied, und ich kleiner Kontrapunktiker erfinde eine zweite Stimme dazu. Na ja, 'erfinden': Diese Dinge sind natürlich schon längstens gefunden. Der Bub befindet sich da in einem relativ schmalen Bachbett, worin er seine Stimme frei fliessen lassen kann. Für den Wohlklang sorgt eben das Bachbett, auch Tonalität genannt. Heute frage ich mich zuweilen, wie ich das wohl gemacht habe. (Aber weiss ich denn, wie ich das heute mache? Was tust du, wenn du einen Ton abnimmst?) Doch da ist nichts Geheimnisvolles dabei: Ein Bub trinkt Ziegenmilch, isst Roggenbrot, versüsst den Gesang der Frauen mit einer zweiten Stimme und spielt den Indianer und die Handharmonika. Diese kommt etwas später dazu, mit 10, und steuert dann neben den Begleitharmonien auch noch einen kleinen einleitenden Kehr zum allgemeinen Wohlbefinden bei.

Meine Mutter sagte von der ostalpenländischen Volksmusik: "Sie greift mich an." Sie sprach da wohl von der unverschämten Art, wie diese Musik ins Gemüt eindringen und es vollständig in Beschlag nehmen kann. [Schubert über seine 'Winterreise': "Diese Musik greift mich an."]

Sonntag, Juni 14, 2009

Flitterwochen oder Die ewige Liebe


Ruhig Blut

San de Anterl übern Weiher ummegschwumma, gschwumma kumma.
Seids nur staad, sie wern scho wieda ummagschwumma kumma.


Es empfielt sich, beim ernsthaften Studium des Kontrapunkts ein Klavier zu benutzen. Wie schnell kommt einer sonst auf dumme Gedanken: Wenn der Cantus firmus des 'Pange lingua' in Josquins gleichnamiger Messe die Stimmlage wechselt, könnte das doch einen Hinweis darauf enthalten, warum die Harmonien von Goisern und die all der Handharmonikaspieler aus Oberbayern, dem Tirol und der Steiermark so süss-schmissig daherkommen. Was haben die, was ich nicht habe? (Was die Schweizer Volksmusik nicht hat.) Eine Lebensfrage.

Ich sass auf einem Stuhle und kramte im Gedankenpfuhle. Die Beine hatte ich übereinander geschlagen, meine 47-jährige Geliebte mir aufs Knie gesetzt. Mein Kopf schmiegte sich bekümmert an die Spröde, die bei aller Liebe, allem innigen Drücken und Befingern einmal mehr in keinen ostalpenländischen Jubel ausbrechen wollte. - ('... gloriosi corporis mysterium' ... hmmm ... Lagenwechsel ... hübsche Beinchen fliegen im Tanze ...) Tja, und dann hat's 'Klick' gemacht! Die Sache macht ihr nun richtig Spass! Und mir erst!

Furchtlos

Mir san ja dö lustigen Holzhackersbuam,
Mir fürchten koan Teifi, koa Wetter and Sturm.



[Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis mein Opus Magnum, das über den musikalischen Ausdruck, erscheinen wird. Auch mein erster mit Inbrunst geschriebener zweistimmiger Satz im Josquin-Stil muss warten. Erst sind wieder einmal Flitterwochen angesagt. Ewigi Liäbi.]

Freitag, Juni 12, 2009

Aus einem Guss


Kurzes, recht flottes Vorspiel auf der Handharmonika, und dann:

Liebling, mein Herz lässt dich grüssen ...

Zwei Stimmen auf der Hamonika, die Hauptstimme singe ich selber. Häufiger Lagenwechsel: Die Hauptstimme wandert durch den dreistimmigen Satz. Nur spärliche Basstöne.

Kurzes Nachspiel: Verweilen auf der Moll-Subdominante, dann, sanft anschwellend und zart verhauchend, die Tonika. [Ja, der Liebestod.]

Schmelzend, triefend, zuckersüss, aus einem Guss halt, meine kleine Arbeit im innigen Setzen von punctus contra punctum.

[Man könne "einen zweistimmigen Satz im Josquin-Stil mit Inbrunst schreiben". Mit diesem Satz aus dem Vorwort hat de la Motte in mir einen willigen Leser seines Lese- und Arbeitsbuchs 'Kontrapunkt' gefunden.]


Leider wird mein Opus demnächst nicht aufgeführt werden. Beim 'Musikantenstadl' und andern einschlägigen Veranstaltungen bin ich damit glatt durchgefallen. Aber ich kann mich trösten, dass es auch andern nicht besser geht: Weber ist mit seinem Geschwelge des Hornchors aus der Ouvertüre zum 'Freischütz' durchgefallen; Wagner hat es mit den 'Schmerzen' aus den Wesendonck-Liedern versucht, ebenfalls ohne Erfolg. Die Begründung lautet immer gleich: "Wir sind ja immer ein bisschen kitschig und rührselig und was sonst das Herz zum Schmelzen bringt, aber wir sind es mit Mass; das hier geht entschieden zu weit."

[Das Unerträglichste an den populären Herzensbrechern sind mir die Vorgänge, die sie bei allem Willen zum schlechten Geschmack auf den Stockzähnen auslösen. Ich will weggetragen werden, vorbehaltslos; der aufkeimende kritische Einwand soll schon im Ansatz in einem Geschluchze ersticken. "Ertrinken / Versinken / Unbewusst / Höchste Lust."]