T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Mittwoch, Januar 28, 2009

[Gute Fragen: Wann ist Kunst? (Nelson Goodman) - Wann ist Musik? - Wo sind wir, wenn wir Musik hören? (Überschrift des Wolfgang Rihm "in herzlicher Verehrung" zugeeigneten Kapitels aus Peter Sloterdijks 'Weltfremdheit'.)]

weltfremd


Wo sind die grossen Buben, wenn sie Musik hören? - [Keine besonders gute Frage; sie beantwortet sich von selbst:] In den Armen der Geliebten, natürlich. Die hat den Buben wohl in dem Arm, sie wiegt ihn sicher, sie hält ihn warm. Oh selige Wiegenliederlichkeit! Die sanfte Verführerin weckt in dir hundertfach Impulse, dich fallenzulassen; du darfst ihnen allen nachgeben in der vollkommenen Gewissheit, dass du jedesmal in eine weiche Mulde fällst. Das ganze verdammte Leben hat keine grössere Sicherheit zu bieten als die von einer ihrerseits in den Armen der Geliebten Musik liegenden, rhythmisch sicheren Formation ansteckend ausgestrahlte. Das Leben kennt keine Härte mehr, du wirst federleicht, wirst gewiegt, schaukelst, krähst vergnügt, wenn du die nächste Mulde auf dich zuschiessen siehst. Es ist die schiere Lust, wenn du gleich wieder aus ihr hinauskatapultiert wirst, rein in die nächste. Nicht die leiseste Anstrengung kostest das.

["Und wenn ich mich doch anstrengen muss, um in der wiegenden Bewegung zu bleiben?" - Nun, dann ist es sofort höchste Zeit, die Musikformation auszuwechseln. - Das sollte so nebenbei die Frage beantworten, was ein guter Musiker ist. Und wo du den findest, das sagt dir dein wiegenliederlicher Instinkt. (Du magst vielleicht nicht ganz sicher sein, was dabei herauskommst, wenn du zwei und zwei zusammenzählst. Aber es gibt doch Sicherheiten im Leben.)]

["Ähm, wo soll ich denn sein, wenn ich Musik höre?" - Im Schoss deiner ersten Geliebten. Am Rande der Welt, nur durch den Gehörssinn mit dieser verbunden. Noch vor der grossen Katastrophe, wo die Welt über dich hereinzubrechen beginnt.]

[Peter Sloterdiks Philosophie der Neuen Musik findest du in seinem 'Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung'. Ein verdammt gutes Buch. - Der Autor, im 'Vis-à-vis' von Frank A. Meyer danach gefragt, was denn das Wichtigste beim Schreiben sei: "Der Rhythmus muss stimmen."]


Die ersten einleitenden Takte stehen in F-Dur, kurze Wechsel in die Dominante, harmonisch nichts Aufregendes. Der Anfangston, ein C, bleibt im Bass liegen. Quartsextakkord. Schwebeton. Abgehobener Klang. "... abhanden gekommen ..." Aus Gustav Mahlers Rückert-Liedern:

Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben.
Sie hat so lange von mir nichts vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben.
Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
Ob sie mich für gestorben hält;
Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.
Ich bin gestorben dem Weltgewimmel
Und ruh' in einem stillen Gebiet.
Ich leb' in mir und meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied.



[Für Daniel Jaun]

[Erinnerungen: Du zeigst mir mit weit ausholenden Bewegungen, was Rhythmus ist. Du zeigst mir, wie im Flamenco der Gitarrist genau rechtzeitig den Teppich ausfährt, auf dem der Sänger dann sicher landen kann. Du legst eine deiner alten Scherben auf und lässt mich Arthur Schnabel lauschen, wie dieser im zweiten Satz von Mozarts Klavierkonzert Nr. 21 seine Bögen forsch aufwirft und weit ausspannt. Ich darf mich auf sie werfen und auf ihnen gleiten, darf staunen wie ein kleiner Bub, dass es so was gibt und dass das geht, mühelos geht. - Schon lustig, gell? Da hat einer mal eine Bemerkung gemacht, und jetzt darf er sie nach Jahrzehnten irgendwo lesen. - War es im zweiten Satz von Schuberts 3. Sinfonie, wo du dich gefragt hast, was Carlos Kleiber den Musikern wohl gesagt haben mag, dass diese uns in ein seliges Glucksen zu stürzen vermochten? - (Ach übrigens: Jetzt hab ich meine Telefonnummer schon wieder vergessen.)]