T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Mittwoch, Dezember 31, 2008

["Tirili, tirila ..." Dieser Blog wird gesponsert von der EAV (Erste Allgemeine Verunsicherung). "... is da no a Platzerl fra?"]


Kleine Silversterparty. Es gibt Erdnüsschen und Mandarinen, Schwarztee, Fruchtsäfte und Wasser. Ein epikureisches Fest also, keine Stimmungskanonen - wir sind ja unter uns -, aber die Stimmung ist doch locker.

"Am Tische war noch ein Plätzchen ..."


Nicht mit dabei die schwarze Dame, deren Anwesenheit in den vergangenen Jahren jeden kleinsten Anflug von Leichtigkeit verscheucht hatte. Nicht, dass ich sie nicht eingeladen hätte, im Gegenteil: Ich hatte dafür gesorgt, dass sie vor allen andern erschien, und sie auch mit Musik empfangen: "I wär' am liabstn mit dir ganz alloa" ... "Mit dir, des wär mei lebn" ... "Wenn d'sehnsucht brennt" ... Ich, ganz Rücksicht, habe sie dann entschuldigt, als ihr beim "Bayrischen Cowgirl" schliesslich etwas unpässlich wurde.

Jan hat sich etwas verspätet. - Hoppla, er ist zwischendurch wieder mal weg.

Die Musik? - Die Nicki singt einfach weiter. Zwischendurch die Wetterstoa Musikanten, und, ja, der Röpfl Dreigsang.

Hochwürden lässt sich in seinem Gebet nicht stören. Er hat jetzt ganz auf Lateinisch umgestellt; er könne sich so besser konzentrieren. Klar doch, das hebt sich ja auch besser vom Boarischen ab, wenn ihr mich fragt.

Wir sind schon eine Bande von Eigenbrötlern: Inkri schreibt ganz brav vor sich hin. Ja, brav ist er: Kein Schwein interessiert sich für seine Schreibe, aber er schreibt, was halt geschrieben werden muss: "Nicht mal eine anständige kleine Feier bringst du zustande ..." Man kennt den Text - und gähnt verstohlen.

Schlegewi hat sich darüber beschwert, dass er in meinen Bemerkungen zur Moral entschieden zu kurz komme. "Mein Bester, alles ist da viel zu kurz gekommen." Wenn andere zu kurz kämen, ginge das noch an ... Ich habe ihn zur Abwechslung mal an die frische Luft gesetzt.

[Hochwürden hat seinen Rosenkranz vergessen und behilft sich, wie ich gerade bemerke, mit den Erdnüsschen. Mir kommt da eine Geschenkidee für ihn: 3 x 5 x 10 Erdnüsschen, fein verpackt, und ein sinniger Name dazu: "Nusspsalter"; "... für weltliche und geistliche Zwecke; jetzt im Siebnerpack; zu Risiken und Nebenwirkungen ...'. Und vielleicht noch 15 Mandarinen für die 'Pater noster' zwischendurch?]

Ich unterhalte mich mit dem trockenen Alkoholiker und mit ... "Du bist der einzige hier, der über so etwas wie Weisheit verfügt", habe ich ihn letzthin mal gerühmt. "Da ist was dran, wart's ab, du wirst schon sehen." Und jetzt hat er eine gute Freundin von ihm, die Sofie, mitgebracht. Ich bin nun dabei, diese zu bearbeiten. Ich will sie dazu bringen, im nächsten Jahr bei uns probezuwohnen.

Ich habe keine schlechten Karten. Ein vierzigjähriges Geschmachte vermag die sprödeste Holde zu erweichen. Sie hat meinem Drängen praktisch schon nachgegeben. Das enthebt mich eines Neujahrsvorsatzes, mit dem ich geliebäugelt hatte: "Ich will versuchen, mich der Sofie etwas zu nähern".

"Tirili, tirila, is da no a Platzerl fra?" - "Ist da am Tische noch ein Plätzchen ...?" - Vow! - Ein Gast, der auch heut' nicht fehlt, weil er so hübsch, ihr Lieben, von Liebchens Liebe erzählt.

Der Tatort vom letzten Sonntag:

"Im Fitness-Raum des Flughafenhotels wird die Leiche eines nackten Mannes mit asiatischem Aussehen gefunden, sein Kehlkopf wurde von einer Hantelstange zertrümmert. Sänger und Dellwo stehen vor einem scheinbar unlösbaren Rätsel, denn es fehlt jeder Hinweis, wer der Mann ist, wo er herkam und warum er umgebracht wurde.

Ein erster Hinweis ist ein Handelskongress im Flughafenhotel, an dem mehr als 600 Chinesen teilnehmen. Sänger findet heraus, dass das Opfer am Abend seines Todes mit drei Kongressteilnehmern in der Hotelbar zusammensaß und dann mit ihnen in Streit geriet.

Inzwischen versucht am Frankfurter Flughafen ein Chinese voller Nervosität , mit Pass und Ticket einzuchecken. Er ist am Morgen als Reinigungskraft auf die Leiche gestoßen und gleicht dem Mordopfer aufs Haar. Nun will er aus der Ähnlichkeit Nutzen ziehen und mit den Papieren des Toten in die USA gelangen. Doch als der Chinese durch die Passkontrolle will, reißt ihm jemand die Papiere aus der Hand. Jemand, der auf der Suche nach ihm ist – oder vielmehr auf der Suche nach Tony Wang. Etwas Licht ins Dunkel bringt schließlich Shavkat Nazarow. Er berichtet Dellwo von einem Geschäft, das der tote Tony Wang ihm angeboten hatte: Irgendwo in Frankfurt steht ein Container mit chinesischen Flüchtlingen ohne Nahrung und Wasser.

Sänger und Dellwo wird klar, dass sie es nicht nur mit einem kaum zu überblickenden Mordfall zu tun haben, sondern ebenso mit einem erschütternden Wettlauf gegen die Zeit."

(Internet, S. IR0815-GE-5180-ND007-WO700; Hervorhebung von mir)

Ran an Sofies Wäsche!


ein Chinese voller Nervosität: Klar doch, der Mann, wahrscheinlich auch in einem Container nach Deutschland eingeschleust und jetzt schwarz in Frankfurt arbeitend - er spricht weder Deutsch noch Englisch -, hat eine Leiche gefleddert, eine falsche Identität angenommen und ist nun in eine heikle Situation geraten. Nur: Der Mann ist nicht die Bohne nervös. - Nach dem missglückten Einchecken wird er von zwei Männern, die ihn für Tony Wang halten, verschleppt und verprügelt. Er kann fliehen und bewegt sich mit einem gebrochenen Finger durch Frankfurt, erledigt ein paar bemerkenswerte Dinge, wird von der Polizei gestellt und schliesslich ausgewiesen.

Er hat beim Putzen die Leiche entdeckt, schaut sehr aufmerksam hin, dann nimmt er Reisetasche, Pass, Portemonnaie mit Kreditkarte, Brille und Bekleidung, alle Habseligkeiten des Toten nimmt er an sich und geht weg. Der Mann tut in der gegebenen Situation ein paar naheliegende, höchst nützliche Dinge.

Beim Einchecken wird er auf Deutsch und Englisch nach diesem und jenem gefragt. Er sagt genau ein Wort, zweimal: 'Amerika'. "Haben Sie kein Gepäck dabei?" - "Amerika." Ganz unaufgeregt. "Would you like to ...?" - "Amerika."

Der Mann quasselt nicht, verzieht keine Miene; er irrt und hüstert nicht durch die Stadt, er geht einen Weg, ruhig und aufrecht.

Eine aus China importierte Reinigungskraft verrichtet ihre Sklavenarbeit, um u.a. den Pass wiederzubekommen, den man ihr abgenommen hat, ergreift eine Gelegenheit, unternimmt dies und das - einiges gelingt, vieles geht schief -, und lässt sich schliesslich von Ausschaffungsbeamten zum Flugzeug begleiten. Immer unaufgeregt, immer aufmerksam, überlegt, schweigsam, immer aufrecht.


Dem Philotustan, einem Freund der Weisheit (Von Ferne sei herzlich gegrüsset!), erwächst der Wunsch nach einem Quentchen Weisheit: ein bisschen weniger Aufgeregtheit, etwas weniger Sorge/Bekümmertheit um die ach so sosoige Kuzunft, sich etwas weniger wichtig nehmen (Rasieren ist wichtig, Herrn Hinzes Anerkennung weniger), die Selbstbewusstheit (self-consciousness) runterschrauben.


[Meine Frau Susanne hat ihren gestrigen freien Tag auf dem Sofa mit Dingen wie Serien und Sternstunden der Philosophie verplempert: "Weisst du, wenn ich mir gross Gedanken über solch ein Treibenlassen machen würde, würde ich mich dadurch bloss übertrieben wichtig nehmen."]


[Ein in vielerlei Hinsicht bemerkenswerter Tatort. Die verhalten arrogant belehrende und nicht völlig unplausible Art etwa, mit der der Manager des Handelskongresses den Polizeibeamten, unaufgefordert und ohne sich wirklich zu belasten, seine Beteiligung am Menschenhandel erklärt, wäre schon einen Blog wert. Das wirkt schon nach. Mal sehen ... Aber an den Putzsklaven aus China reicht nichts anderes ran. Und fürs erste wollte Philotustan sich halt mal ganz sachte an die Sofie ranmachen.]

Dienstag, Dezember 30, 2008

'abgestumpft'


Bewohner des Gaza-Streifens versuchen, den Grenzzaun zu Ägypten niederzureissen. (Der Nachrichtensprecher erklärt, dass von ägyptischer Seite auf sie geschossen wird.) Kein schönes Bild, aber ein Bild, das ich verstehe, das mir sogar an die Nieren geht.

Siegerposen: Israelische Flugzeuge haben ein paar Häuser bombardiert. Israel hat, und wir sind unbezwingbar. Schaut her, Israel hat! Die gerechte Sache. Junge vermummte Männer schwingen Kalaschnikoffs. Eine Kasamrakete wird abgefeuert. - Trauerposen: Eine Kamera wird aufgesucht. Schaut her, Israel hat! Ein gefallener Held oder ein unschuldiges Wesen wird beerdigt. Klageposen und das Schwingen der Kalaschnikoffs. Ein hochrangiger Vertreter der gerechten Sache gibt in Damaskus seinen Senf dazu.

Bewohner des Gaza-Streifens versuchen, den Grenzzaun zu Ägypten niederzureissen. Ein Bild, das ich verstehe.


Der Grenzzaun macht das Leiden von Menschen für mich sichtbar, bringt es mir näher. Und auch gegen Bilder, die mir tagtäglich etwas vorführen, was ich verachte und hasse, bin ich nicht abgestumpft.

Sonntag, Dezember 28, 2008

Mit meinem letzten Blog wollte ich meinen LeserInnen auch einen Eindruck von Ernst Tugendhats 'Egozentrizität und Mystik. Eine anthropologische Studie' geben.

Hier ein paar Stichworte zum Buch:

Egozentrizität: der spezifisch menschliche Selbstbezug: isoliert sein, sich wichtig nehmen, um sich besorgt sein

Das Grundmotiv jeder Mystik: die Egozentrizität zu transzendieren oder zu relativieren

Der spezifisch menschliche Selbstbezug - in eins mit vielen für das Menschenwesen charakteristischen Merkmalen (Rationalität, Freiheit, die Vergenständlichung von sich und seiner Umwelt, das Bewusstsein von Werten und Normen, das 'ich'-Sagen) - wird im ersten Teil des Büchelchens (170 Seiten) von der propositionalen Struktur der menschlichen Sprachen her verstanden.

[Dieser (anthropologisch verstandene) Ansatz erscheint mir äusserst fruchtbar zu sein. Na ja, jedenfalls ist er ungeheuer anregend für mich. Ich sehe nichts mehr wie früher. Ich schnappe erhellende Bemerkungen hier und da auf, und vieles von dem, was seit Jahren in finsteren Ecken meines Gehirnkastens vor sich hin dümpelt, gewinnt mit einem Schlag eine Form. Ein Glücksfall sondergleichen! - Ich schleppe mich gelangweilt durch eine Buchhandlung, bleibe bei einer besonders langweiligen Abteilung, der Philosophie, stehen, und habe auf einmal ein hübsches Bändchen in den Händen, setze mich ... Ik sitze, staune, wundre mir ... freue mich darüber, dass endlich einer beim Schreiben eines Buchs sich ganz auf meine Bedürfnisse eingestellt hat. - Alle 85 Jahre wieder kommt ein Weihnachtsmann.]

Im zweiten Teil des Büchelchens ist dann von Religion und Mystik die Rede. Aber so weit bin ich noch nicht. Habe das Ding schliesslich erst vor ein paar wenigen Monaten gekauft.

Samstag, Dezember 27, 2008

In diesem Blog wird der Ausdruck 'Idee' mit Wonne strapaziert. Am Piräus waren wir gestern. -
[Griechisch '*[Digamma]id' wie in 'eidos', 'oida' oder 'iden' [Das ursprüngliche Digamma, ein f-Laut, ging verschollen]; (ai.) véda 'ich weiss', (lt./Neudeutsch) Video 'ich sehe', (got.) witan, (ahd.) wizzan. - Ein Sehen ohne Tunnel- bzw. Höhlenblick.]


Ich habe eine Idee davon, wie deine Idee davon, wie meine Idee von [X] ausschaut, dreinschaut


Man sieht sofort: Heute schreibe ich über die ganz elementaren Dinge.

Nach Aristoteles gründen die Ideen von Gutem in der prädikativen Struktur der menschlichen Sprachen.

Ich referiere (ohne Konjunktiv und ohne Anführungszeichen) zuerst Tugendhats Referat über das 2. Kapitel der 'Politik' und übe mich anschliessend ein bisschen im Konjugieren:

Die Art, wie Menschen in einem sozialen Gebilde ineinander verhakt sind, läuft über ihre Ideen von dem, was gut für sie ist. Dass Menschen sich überhaupt auf Gutes beziehen können, gründet in der prädikativen Struktur ihrer Sprache. Eine Idee von Gutem - i. Gs. zu einem Gefühl von Angenehmem - kann man nämlich nur haben, wenn man es als Prädikat versteht.

[Wir wiederholen: Prädikat: ein genereller Terminus, der durch singuläre Termini identifizierte Einzeldinge klassifiziert. Ein paar Dinge dazu in einem der nächsten Blogs. Und etwas über Propositionen. - Man kann nicht philosophieren, ohne wenigstens eine umrisshafte Idee von Semantik und Propositionen zu haben. Any objections?]


Ich habe eine Idee davon, was gut für mich ist; du hast eine Idee davon, was gut für dich ist; ich habe eine Idee davon, was gut für dich ist; du hast eine Idee davon, was gut für mich ist.

Wie kommt es, dass ein Lebewesen das Wohl eines andern Lebewesens in den Blick bekommen kann? Nichts ist einfacher: Es kann ja einen singulären Terminus gegen einen andern austauschen und dann ein paar syntaktische Anpassungen vornehmen. Und weil das so ist, kann es natürlich weitergehen:

Ich habe eine Idee davon, was deine Idee davon ist, wie meine Idee, was gut für mich ist, ausschaut; Ich habe eine Idee davon, was deine Idee davon ist, wie meine Idee, was gut für dich ist, ausschaut; Ich habe eine Idee davon, wie deine Idee, was gut für dich ist, ausschaut; Ich habe eine Idee davon, wie deine Idee, was gut für dich ist, ausschaut; Du hast eine Idee davon, was meine Idee davon ist, wie deine Idee, was gut für dich ist, ausschaut; ...

[Übrigens: Ich habe auch eine Idee davon, wie Spraxlis die Ideen, die die Kraxlis von ihnen entwickeln, beurteilen. Manchmal habe ich sogar Zweifel an dieser Idee.]

Item: Wir sind via Ideen miteinander verhakt. Ich sag dir, was gut für mich ist, du sagst mir, was gut für dich ist, [...], wir reden darüber, und wir können uns sogar auf ein paar gemeinsame Ideen darüber einigen, was gut für uns ist. Wir reden dann von 'Regeln' oder 'Normen', die in unserem gemeinsamen Ding gelten sollen. Und weil diese Dinger begründungsbedürftig sind bzw. jederzeit einer neuen (vielleicht gemeinsamen) Einschätzung unterzogen werden können, ist unser gemeinsames Ding ein prinzipiell offenes, flexibles, anpassungsfähiges Ding.

Und genau so ist es auch bei den Bienchen. Halt! Ein Fehlgriff im Genre ... Und so ist das bei den Bienchen gerade nicht. Auch darüber schreibt der bewundernswerte Aristoteles.


[Bemerkenswerterweise war hier einmal mehr nicht von Moral die Rede.]

[Killing Time:]


"Wenn ich dich recht verstehe, hältst du es für falsch, dass man seine Versprechen bricht. Begründe deine Meinung!" - Ich glaube ja nicht, dass irgendjemand jemals so was Bescheuertes von sich geben könnte. Aber wir können uns ja trotzdem mal ein paar gute Antworten dazu ausdenken. Ich fange mal an: "Wie meinst du das, 'begründen'?" Und abwarten! (Man braucht sich ja nicht durch ausgeklügelte Antworten und Gegenfragen selber zu schikanieren. Die Beweislast liegt eh beim andern, wenn wir einfach unerschütterlich den moralischen Standpunkt einnehmen.) Eine andere Antwort: "Schau, wir sind da eh einer Meinung, lass uns von was anderm reden!" Wer wird denn gleich zur Keule greifen: "Ich bin mir nicht sicher, ob du der richtige Umgang für mich bist." Nein, es ist bestimmt überflüssig, hier gleich das Sanktionssystem vorzuführen. - Ich höre auf, das ist bloss langweilig. Solche Fragen entbehren jeglicher 'unverstellter Vertrautheit mit den menschlichen Angelegenheiten'. Man mag sich mit ihnen unter dem Titel 'Ethik' beschäftigen, sollte dann aber besser nicht anfügen, sie seien "für das Miteinanderleben von Menschen fundamental" und dergleichen. Ich will nicht ausschliessen, dass es für das Zusammenleben von Menschen fundamental ist, solche Fragen nicht zu stellen. ("Pfui!" - Da ist mir doch schon wieder eine Antwort unterlaufen!)

Nun, es schadet jedenfalls nicht, wenn man sich nicht gleich von jeder beliebigen akademischen Frage ins Bockshorn jagen lässt. Und ja, es gibt Fälle, wo die Sache nicht so einfach ist:

Es gab mal eine Zeit, wo meine Marianne und ich ganz schön in Rage gerieten, wenn wir beim zigten Familienfest zum zigtenmal gefragt wurden, ob wir nicht doch heiraten und Kinder und überhaupt ... die Verantwortung! ... es sei doch üblich ... wie wir dazu stünden. Auch langweilig, wie ich gerade merke. [Interessant ist allenfalls die Frage, wie solche Fragen in der Langeweile versinken können. Und es gibt ja, wenn ich so zurückblicke, Unmengen davon.]

Ich versuche es mal mit was Hochbrisantem: "Was sagst du einer Person, die die Verstümmelung der Genitalien von Mädchen befürwortet?" - (Huch! Jetzt bin ich aber platt.) - "Gar nichts." (Platt realistisch: Ich werde eh kaum die Gelegenheit haben, je etwas zu sagen.) Und abwarten. Und später vielleicht: "Ich werde jedenfalls meine Abscheu nicht verhehlen." - So. Den Abstecher in den Kulturrelativismus schenke ich mir an dieser Stelle; der hat gegen die Abscheu eh keine Chance.

[Definition des real existierenden Kulturrelativismus: Der KR ist das Verbot, seiner moralischen Empörung gegenüber unerträglichen Praktiken Ausdruck zu geben. Dieses Verbot ist absolut verbindlich. Begründet wird es mit dem Hinweis auf die bloss relative Verbindlichkeit jeder Werthaltung. - Tja, wenn's nicht zum Lachen wäre, wär's zum Kotzen!]


Liebes Tagebuch

Es tut mir ganz gut, ein bisschen in Fragen der Moral herumzuwühlen. Es gibt da viel zu lachen. Ich staune, was für ein rigoroses Kerlchen ich bin. Hätte ich mir nicht zugetraut. Ich sehe, wie viele Dinge für mich komplett selbstverständlich sind, wo ich doch erst dachte, ich könnte im Sumpf meiner eigenen Beliebigkeit versinken. Aber bei den Begründungsfragen bekunde ich schon grosse Mühe. Das schadet zum Glück nichts. Ich meine praktisch. Aber deswegen zu behaupten, die Begründungsfragen seien belanglos, ist bestimmt übertrieben. Genau so übertrieben wie die Behauptung, wir seien moralisch desorientiert, weil wir nach dem Verlust von diesem und jenem in der Moderne und so nicht angeben könnten, wie wir unsere besten Überzeugungen begründen könnten. Jetzt will ich es mal mit Schlafen versuchen. Die Zeit soll auch so verstreichen.

Freitag, Dezember 26, 2008

[Nein, ich habe noch nicht alle Sackgassen ausprobiert:
Die Begründungsfrage ... Ätsch! ...
Nicht, dass ich sie für übertrieben wichtig halte; Hauptsache ist doch alleweil, dass die Dinge sitzen! Trotzdem:]


Eine Begründung einer moralischen Norm muss eine wechselseitige sein; sie muss auf die Interessen aller Mitglieder einer moralischen Gemeinschaft Bezug nehmen.

Vergleiche zum Beispiel: Ich persönlich pflege mich strikt an die Norm zu halten, aber was die andern tun, ist ihre Sache. Mir persönlich scheint die Norm wohlbegründet, aber ... (Es gibt neben den Kaffetrinkern auch noch die Teetrinker.)

Das sind ganz nette semantische Witzchen, und wer es nicht bei einem Schmunzeln sein Bewenden haben lassen will, mag anfügen: "Mein Bester, du bist dir schon bewusst, dass wir hier über Moral reden, gell?"


Ich erinnere mich an die Ausführungen eines Militärdienstverweigerers in spe, der in den frühen 70er Jahren erklärte, er persönlich könne halt nicht ... Gewissen ... Andere könnten, wie sie es persönlich ... So genau weiss ich das nicht mehr. Jedenfalls habe ich mich anschliessend mit Marianne, meiner verstorbenen Frau, darüber unterhalten, warum uns - das Herz links, die Haltung rebellisch - der Held des Abends so wenig überzeugt hatte. Auch hier ist meine Erinnerung nicht mehr sehr lebendig, drum phantasiere ich lieber gleich:

Die Mischung ist schon seltsam: Da ist der Eindruck, die Rede sei von einer bedeutenden Sache, die eine ernsthafte Stellungnahme nahelege, und da ist auch der Eindruck, dass da einer von einem seiner Hobbies erzählt. Sein persönlicher Geschmack ziele halt nun mal mehr aufs Heldenhafte und den mit diesem verbundenen grossen Auftritten. - "Mir persönlich liegt das Töten nicht so, aber ich will beileibe nicht ..." - Vielleicht tatsächlich ein grosser Gewissenskonflikt, bloss garniert/verdorben mit zu viel Subjektivismus/Relativismus? - Der Richter: "Ich respektiere Ihr Steckenpferd und verdonnere Sie zu ..." - "Mir persönlich ist das Töten nun nicht dermassen zuwider, dass ich lieber in die Kiste wandern würde. Aber tu, was du nicht lassen kannst!" - Was kann unser Held, wenn er nicht ernstmachen und seine Ismen behalten will, darauf schon entgegnen? Wenn er denn auf Teufel komm raus niemandem moralisch kommen will ...

[Ja, wir hatten es auch nicht leicht, damals, wir, die künftigen Helden einer grossen Umwälzung, die sich davor schämten, das Wort 'Moral' (= 'bürgerliche Moral, Pfui!' = 'die Unterdrückung zementierend, die Befreiung verhindernd') anders als denunzierend in den Mund zu nehmen. - (Ich will mich ja nicht nachträglich von diesem Haufen abgrenzen, aber es freut mich schon, dass es für eine kleine philosophische Intuition zwischendurch doch gerade noch gereicht hat.)]

Ich breche ab mit einer kleinen Aktennotiz:

Eine moralische Norm ist begründet nur dann, wenn sie für alle gleichermassen begründet ist. (Eine notwendige Bedingung für eine moralische Begründung, passend zum formalen Begriff der Moral.)



[Eine Sackgasse? - Ich weiss es nicht, weiss nicht, wie das Ende dieser finstern Gasse aussieht. Aber mir ist nicht unwohl hier, auch wenn die Hauswände mit arg vielen Klebern der Marke 'a priori' zugekleistert sind. Ich bleibe meiner Linie treu: Erst festzimmern, dann erweitern/sprengen.]

[Was bedenklicher stimmen mag: Auch wenn es sich nicht um eine Sackgasse handelt, führt sie vielleicht doch nicht weiter, weil sie im Kreis herum führt. - Nun, die Sache hat schon was leicht, wenn auch wahrscheinlich unschädlich Zirkuläres: Die Begründung einer moralischen Norm soll als solche nur gelten, wenn sie den Standpunkt der Moral (als eines Systems wechselseitiger Forderungen) einnimmt. Aber wie sonst sollte sich eine solche Norm begründen lassen? Stelle dich ausserhalb des Standpunkts der Moral und beginn loszulaufen: So kannst du wenigstens sicher sein, dass du dich in einer Sackgasse befindest. - Ist das nun allzu selbstverständlich, oder ist es kühn gedacht? - Tja, nun hat es mich doch ein bisschen gepackt.]

Donnerstag, Dezember 25, 2008

[Die Wetterstoa Musikanten spielen 'A Stade Weis'', die Eschenloher Zithermusi ihren 'Staad-Lustiger', Dreigsang ... ]

Stille Nacht
Stade Nacht

Mittwoch, Dezember 24, 2008

[Dieser Blog handelt offensichtlich nicht von der Moral. Und ebenso offensichtlich handelt er von einem Ding, das mit dem Moralischem verwandt ist. Ein sauberer formaler Begriff von Moral ist eine hübsche Sache. Doch dann beginnen die 'Unsauberkeiten'. Diese ergeben sich aus Gefühlen, die für die Moral wesentlich sind, sich aber nicht auf sie beschränken lassen. Daher rührt die ständige Unsicherheit, was denn nun genau die Moral ist. Sie ist für das Nachdenken über die Moral wesentlich.]

Purgatorium Philosophi


Zur Erinnerung: Ernst Tugendhat hat sich seit seiner Habilitationsschrift immer wieder mit dem Problem der intellektuellen Redlichkeit herumgeschlagen. Sein jüngster Versuch trägt den Titel 'Retraktationen zur intellektuellen Redlichkeit' (in: 'Anthropologie statt Metaphysik' [AsM]). 'Retraktationen': Das Wort habe ich noch nie gehört. Aber es spricht zu mir: IR und kein Ende. - IR: Es muss weitergehen! - IR: Auf zur erneuten Behandlung eines unbehandelbaren Problems! - Schon wieder: IR. - Ich blicke immer noch nicht durch: IR. Eine Wiederbehandlung.

Tugendhat meint, er sei sich nicht sicher, ob 'IR' der richtige Ausdruck sei für die Sache, die er im Auge habe. Ich, der heute auch mal ein paar Sätzchen zum Thema riskieren will, bin mir nicht sicher, ob ich weiss, welche Sache ich im Auge habe. Die IR ist eine Quälfrage, weil sie in mir zig Sachen gleichzeitig aufwirbelt. So will ich mich als erstes auf eine der vielen, meines Erachtens reichlich disparaten Bestimmungen Tugendhats festlegen, die aus 'Egozentrizität und Mystik': "Von intellektueller Redlichkeit spricht man, wenn eine Person nicht vorgibt, mehr zu wissen, als sie weiss, und wenn sie bemüht ist, ihre Meinungen nicht für begründeter zu halten, als sie sind." (79) Das Problem lasse ich mir auch vorbeten: Worin besteht ihre Motivation? (Die ist offenbar schleierhaft, während eine gegenteilige Haltung relativ leicht verstehbar sein soll.)

Die Festlegungen sind - für mich wie auch sub specie aeternitatis betrachtet - sehr wichtig. Wie bekannt sein dürfte, werden Philosophen im Fegefeuer zu Retraktationen verdonnert, und ich muss/darf vermuten, dass ich um die IR nicht herumkommen werde. (Die Aussicht, zusammen mit Herrn Tugendhat eine Schulbank zu drücken, ist da bloss ein geringer Trost.) Der Titel ist vorgegeben: 'IR. Eine Retraktation.' (Seelenqualen hin oder her: Ich vermute, dass ich noch einen redlichen Untertitel hinzufügen werde: 'Ein erster Versuch'.) Ansonsten ist praktisch nichts vorgegeben, bis auf eine Kleinigkeit: 'Es wird um redliche Behandlung des Themas gebeten.' Die Beurteilung der Arbeit wird dem Prüfling überlassen. Er darf nach eigenem Gutdünken ein Kreuzchen setzen: a) Ich bin nun reif fürs Himmelreich. b) Meine Arbeit befriedigt meine IR-Standards noch nicht. Ich bitte um einen weiteren Versuch. (Ich muss bei dieser Gelegenheit daran erinnern, dass die Ewigkeit erst nach dem Fegefeuer beginnt.)

Tugendhat beurteilt seinen (vorläufig) letzten irdischen Versuch wie folgt: "... ich habe das ungute Gefühl, dass das Motiv zur intellektuelen Redlichkeit ein ganz einfaches ist, das ich, aus mir unerfindlichen Gründen, nicht vor den Blick bekomme". (Vorwort zu AsM) - Das führt mich zu meinem eigenen, belanglos persönlich gehaltenen, dem Fegefeuer nicht vorgreifenden irdischen Versuch:


Gesetzt, ich wäre ein Kaminfeger, würde ich meinen Stolz darin setzen, ein guter Kaminfeger zu sein.


Und weil die Nacht noch jung ist, füge ich noch einen zweiten Versuch an:

Ich mag mir nicht vormachen, ich wüsste etwas, wenn ich bloss ein Kuddelmuddel in meinem Gehirnskasten habe. Das liegt daran, dass ich wissen will, wie es sich mit wesentlichen Dingen verhält. Anderen Leuten vorzumachen, dass ich mehr weiss, als ich tatsächlich weiss, ist (meistens) schlicht witzlos, zumal ich bei meiner Tätigkeit darauf angewiesen bin, mit andern zu reden, ernsthaft zu reden, ohne Fisimatenten. Ich will wissen, was sie denken und wie sie dazu kommen, gerade so zu denken. Ich will, dass sie mich in die Karten blicken lassen, und da wäre es schön bescheuert, den Besserwisser zu spielen und ihnen vorzugaukeln, ich sei im Besitz von guten Gründen, wo ich bloss ein paar unbedarfte Meinungen und/oder intellektuelle Vorlieben am Lager habe. Oh, ich werde mich nicht zurückhalten, wenn ich mit einem guten Argument aufwarten kann. Aber mich für eine eigene schwache Sache stark zu machen, ist ... na ja, eben witzlos, die pure Zeitverschwendung. Ich bin darauf aus, ab und zu zu ein paar Sätzchen zu kommen, zu denen wenigstens ich selber aus Überzeugung stehen kann. - Also: Ich will mir selber nichts vormachen. Grosse Ehrensache. Und ich will andern nichts vormachen, weil ich Gespräche, wo einer dem andern etwas vormachen will, nicht ausstehen kann.


Das war ein geschwätziger Versuch. Vielleicht geht's auch etwas weniger schwatzhaft. Dritter irdischer Versuch:

Ich bin ein Philosoph. Mich interessiert die Wahrheit von wesentlichen Dingen. Hab's nicht so mit dem Schein und der intellektuellen Gaukelei. Denn schliesslich will ich ja ein guter Philosoph sein. Ich will mich nicht schämen müssen. Ich will in erster Linie nicht meine Selbstachtung verlieren. Dass andere mich schon mal für einen Trottel halten, nehme ich zur Not gerne in Kauf. Applaus von der falschen Seite ist bloss lästig. Von den richtigen Leuten anerkannt zu werden, ist dagegen die halbe Seligkeit.

[Mein Kaminfeger, ein stolzer Berufsmann, versteht mich gut. Seine Philosophiekenntnisse halten sich in Grenzen, aber dass jeder seine Sache gut machen will, ist für ihn sonnenklar. Man hat ja seinen Stolz.]


"Oh Philotustan, was für eine Erklärung hast du da geboten! Du hast die Frage nur verschoben. Deine Antwort lautet im Grunde bloss: 'Ich hab's mit der IR, weil ich ein Philosoph bin.' Aber hier müsstest du nun weiterfragen!" - Es reicht! Erstens halte ich es für ungesund, starke Werthaltungen einer Befragung ohne Ende zu unterziehen. Und zweitens nerve ich meinen Kaminfeger auch nicht mit Fragen wie der, warum genau er letztlich gerade mit Kaminen und Öfen und Brandschutzbestimmungen ein Ding habe.


Ich hab ein Ding mit meinem Ding.
Gut will ich sein in meinem Ding.
Will da was taugen.
'Tugend' kommt von 'taugen'.
Die Tugend ist nicht das Problem.
Wer Tugend hat, darf ungehemmt sich ihr ergeben.


[Für Ernst Tugendhat]

Sonntag, Dezember 21, 2008

[zu meinen Akten:]

Leitgeplänkel


(1)
Ein formaler Moralbegriff ist nun gewonnen.

(2)
Er darf/soll inhaltlich offen bleiben.

[Habe kurz mit dem Gedanken an so etwas wie ein allgemein-menschliches minimum morale geliebäugelt, wurde dann aber von Vorstellungen wie dieser heimgesucht und kapitulierte kurzerhand: Eine Mutter wird von Schuldgefühlen heimgesucht, weil sie dazu beigetragen hat, dass ihre Tochter der sexuellen Verstümmelung entkam. (Ende Weltethos.)]

(3)
Die Herausarbeitung eines Begriffs der (wechselseitigen) moralischen Begründung hat sich für mich als Sackgasse herausgestellt.

(4)
Ebenfalls als Sackgasse herausgestellt hat sich die Herausarbeitung eines von religiösen und/oder tradierten Elementen gereinigten Begriffs einer autonomen Moral.

(5)
Woran ich aber - unter Bewahrung der beiden Aspekte der Begründung und der Autonomie - weiterarbeiten will:
(a)
Frage: Worin gründet eine Moral?
(b)
Erweiterung/Sprengung des gewonnenen formalen Moralbegriffs



Ein paar Stichworte zu (5):

Worin gründet eine Moral? (Verwandte Frage: Worin besteht die moralische Motivation?) Es gibt ... [Zwischentakt] ... das moralische Sanktionssystem, die Gottesfurcht oder Furcht vor den Göttern, das in der praktischen Überlegung gefundene prudentiell Gute (das, was gut für mich ist), die Liebe (Ja, die Liebe), das Mitleid, die vergnügte Betrachtung und der Genuss des Wohlbefindens anderer, die Liebe zu Gott und seiner Schöpfung, der Kreatur bzw. allen und allem, was da kreucht und fleucht, einem das Herz hüpfen lässt und die gute Laune versaut, ... Aber dich ... [Zwischentakt] ... gibt's nur einmal für mich.

[Es gibt eine Tendenz, einige von diesen Dingen von vornherein auszublenden, wenn man sich auf den Gesichtspunkt der Autonomie versteift. Nun, ich habe nicht im Sinn, mich selber des Nachdenkens über Gestalten wie den Heiligen Franz von Assisi zu berauben, diesen Inbegriff eines freundlichen Kuttenmannes, als dessen Abbilder ich in jungen Jahren die Kapuzinerpatres kennenlernen durfte.]

Das Moment der Autonomie ist eh in jeder (auch einer 'heteronomen') Moral enthalten, weil alle Normen qua sprachliche Normen der auf das prudentiell Gute ausgerichteten praktischen Überlegung ausgesetzt sind. Auch die rigidesten, autoritärsten Moralen sind gegen diese nicht gefeit. (Wo ein Satz steht, da bauen Stellungnahmen, Fragen, Zweifel, Überlegungen, Gründe ihre Hütten. Jede Proposition ist eine Angriffsfläche.) - Und neben der prinzipiellen Zustimmung zu einem Moralsystem gibt es ja immer auch noch die konkrete Entscheidung von Fall zu Fall, die allüberall auf dieser Welt so oder so ausfallen kann. - [Hochwürden ergänzt: Bedenke, oh Philotustan, dass es auch die freie Entscheidung für Lebensformen gibt, die beispielsweise einen absoluten Gehorsam verlangen. Auch die ist von der Vorstellung von einem guten Leben geleitet. Wovon denn sonst, mein Bester? - (Zur Erinnerung: Es ist nicht gut für den Hausherrn, wenn er einem seiner Hausgenossen die Anerkennung versagt.)]

Samstag, Dezember 20, 2008

[zu meinen Akten:]

Ich will nicht belogen, betrogen und verletzt werden. Ich verlange vom andern, dass er das akzeptiert. Ich verlange von ihm auch, dass er empört reagiert, wenn ein dritter diesen Willen missachtet, und dass er sich schämt und/oder schuldig fühlt, wenn er sich gegen mich vergangen hat. Auch der andere will nicht belogen, betrogen und verletzt werden. Er verlangt von mir, dass ich das akzeptiere und empört reagiere, wenn ein dritter diesen Willen missachtet, und dass ich mich schäme und/oder schuldig fühle, wenn ich mich gegen ihn vergangen habe. Ich anerkenne seinen Willen und reagiere mit den richtigen Gefühlen. Er anerkennt meinen Willen und reagiert ebenso. Wir wollen uns gegenseitig darauf verlassen können, dass der andere so und nicht anders tickt. Die Ansprüche des andern mir und Drittpersonen gegenüber müssen von mir anerkannt werden. Die wechselseitigen Forderungen gelten unbedingt, es darf an ihnen nicht gerüttelt werden.

Und sie fanden, dass es gut so ist. - Dass es die wechselseitigen Forderungen und die mit ihnen verbundenen Gefühle gibt, ist eine gute Einrichtung, der sie sich verpflichtet fühlen. Sie leuchtet ihnen ein, und sie ist von ihnen gewollt.

Daran ändert sich selbstverständlich nichts, wenn wir uns schon mal aneinander vergehen. Die Moral mit ihrem spezifischen Sanktionssystem ist allemal stärker. (Der Sünder wirft ja als solcher auch nicht gleich seinen Glauben über Bord.) Es muss klar unterschieden werden zwischen der Anerkennung der moralischen Forderungen und der wesentlich mit ihnen verbundenen Gefühlskomplexe einerseits und ihrer tatsächlichen Befolgung im konkreten Fall andererseits.


Menschenskinder, tu ich mich schwer mit meinen paar Sätzchen zur Moralphilosophie! Das Schwierigste beim Schreiben über Moral: das Gefühl, dass alles doch wohl viel komplexer ist. Aber ich will jetzt auf Teufel komm raus ein nettes kleines Gerüst, ein paar Grundlinien, an denen sich mein Nachdenken über einen komplexen Gegenstand orientieren kann. Dann freilich dürfen, ja müssen die Gedanken ausufern, um die grosse, reichlich disparate Familie der moralischen Phänomene einfangen zu können. Scharfe Grenzen zu ziehen ist auf diesem Feld ganz besonders bescheuert. Aber kein Grundgerüst zu haben ist einfach unerträglich!


[Ich gestehe mit leichter Scham, wie robust mir (zumindest) ein Kernbereich der Moral vorkommt, jetzt, wo ich konkrete Beobachtungen zu ihr mit ein bisschen Nachdenken über sie verbinde. Ist ihre Robustheit nicht allzu selbstverständlich? Auf welchem Planeten habe ich denn bisher gelebt? Beim Gedanken, dass eine Moral im eigenen Einsehen und Wollen gründen könnte, fühlte ich mich bisher stets etwas unbehaglich, wenn er mir nicht gar fremd oder suspekt war. Ich muss mich mal gründlicher mit meinem Hochwürden unterhalten. - Übrigens: Bei Kant habe ich diese Art von Unbehagen nie gespürt. Das mag damit zusammenhängen, dass bei ihm, wie ich ihn verstanden habe, mein eigenes empirisches (sündiges, unreines) Wollen wie das des andern eh nicht gefragt war. Und eine Autonomie ohne ein solches Wollen kann ja auch nicht gefährlich werden. Autonomie ohne reine Vernunft (Reinheit), oh Gott, das konnte nicht gutgehen! (Oh Gott, ist das wirr!)]

Donnerstag, Dezember 18, 2008

"Bier ist etwas Gutes", findet der trockene Alkoholiker. "Whiskey ist auch was Gutes, und kein Bierchen und kein Whiskey, das ist gut für mich", fügt er hinzu und findet über die einfache Unterscheidung zwischen 'angenehm' und 'gut' seinen direkten Zugang zu Platons Ideenlehre. "'Idee' ist wirklich gut. Vor mir steht ein Bierchen, etwas schlicht Angenehmes. Ich lasse es stehn. Damit bin ich fein raus, oder darüber hinaus, wenn du so willst, ich meine über Zeugs, das sich in der Situation unmittelbar aufdrängt. Du laborierst doch an einem Blog über Transzendenz oder so herum und kannst das bestimmt viel besser ausdrücken. Jedenfalls tue ich, was ich tue bzw. lasse, mit Blick auf etwas, was nicht augenfällig ist, aber verdammt gut. Wie schon gesagt, 'Idee' ist wirklich gut."

Krüge und anderes Trinkgeschirr, das durch den Raum bugsiert wird, wirft seine Schatten auf die Seele meines braven Hausgenossen ... Nein, sein Spelunkengleichnis will ich meinen LeserInnen nicht auch noch zumuten!

O sancta simplicitas! Ja, heilig ist eine solche Einfalt, und tugendhaft, weil sie was taugt. Ich kriege richtig Hemmungen, meine eigenen, von einem anderen tugendhaften Mann angeregten Überlegungen über die Rolle des Wörtchens 'gut' in praktischen Überlegungen hier noch anzufügen. Genau darüber wollte ich was schreiben, als mein braver Hausgenosse zu mir ins Wohnzimmer geschneit kam. Es soll kein Schaden gewesen sein. Und hab ich denn überhaupt was Besseres am Lager?

Dienstag, Dezember 16, 2008

Kατεβην χθες εις Πειραια ... Es hatte mich gestern wieder mal in den Piräus verschlagen. [Bin gestern runtergestiegen zum Piräus]. Nun, irgendwann hat unsereiner von solchen Örtlichkeiten genug, doch, wie das Leben so spielt, gerieten ich und mein Begleiter Glaukon [ein Bruder Platons] beim Wiederaufstieg in die Fänge von Polemarchos & Co.: "Ich vermute mal, es zieht dich wieder Richtung Stadt." - "Du vermutest richtig." - "Aber du siehst schon, wie viele wir sind? Du müssest schon eine gehörige Portion Haferflocken vertilgt haben, wenn du ..." - "Nun, es gibt ja noch die Möglichkeit, dass ich euch dazu überrede, mich gehen zu lassen." - "Tja, mein Bester, und wenn wir dir gar nicht zuhören?" - (Glaukon:) "Mir scheint, wir haben keine Chance." - "So ist es." Ich fügte mich ins Unvermeidliche.

Es wurde dann, wie immer an solchen Orten, gar arg dialektisch. Die jungen Leute haben gezwängelt und mich zu Aussagen gedrängelt, die ich hier lieber nicht wiedergeben möchte. Wer weiss, vielleicht hört einer zu und schreibt meine Rede auf. Nicht auszudenken, zu was für spinnerten Ideen sie sich unter denen, die nicht zugehört, sondern sie bloss schriftlich vorliegen haben, auswachsen könnte. Na ja, ich weiss schon, warum ich keine Zeile schreibe. Dazu gedrängt, so was wie meine grundlegenden Gedanken endlich mal klar darzulegen, habe ich mir mit ein zwei ganz hübschen Gleichnissen behelfen können. Ja, wirklich ganz hübsch. So hat sich das lange Geschnatter vielleicht doch noch gelohnt. Jedenfalls bin ich heilfroh, endlich von da losgekommen zu sein.


Nun, keiner kann sich ausschliesslich in den Sportanlagen des Heros Akademos aufhalten und mit Leuten unterhalten, die schon einiges an Mathematik bzw. logischer Propädeutik intus haben und so auf die απρορρηθα vorbereitet sind. [eine Wortschöpfung Platons: das nicht vor der gebührenden Zeit Preiszugebende; häufig mit 'das Esoterische' übersetzt] Damit keine Missverständnisse aufkommen: Das 'Esoterische' ist natürlich auch den Frauen und Sklaven grundsätzlich zugänglich, bloss an Krethi und Plethi ist es schlicht verschwendet. Bringt eben nix, gell? Wenn unser Kaminfeger mir freundlicherweise etwas über sein Handwerk erzählt, zieht er da auch eine Grenze. Ich kann das gut verstehen.


Es geht mir gut. Wenn ich noch ein Studium aufnehmen würde, würde ich einen Antrag einreichen, noch einmal die Philosophie als Hauptfach wählen zu dürfen. "Wen von den Philosophen magst du? - Magst du beispielsweise Platon?" - "Aber ... Platon ist doch wichtig!" - So eine Antwort könnte mir nicht unterlaufen. Ich halte Platon nicht für 'wichtig'. I just love that stuff! Ich glaube fast, ich bin ein Philosoph.

Montag, Dezember 15, 2008

[zu meinen Akten: Ich schliesse hier an:]

Die Rede war von [wechselseitigen, ...] Forderungen. Zu diesen gehört konstitutiv ein Sanktionssystem. Dieses wird gebildet aus einem internalisierten Komplex von Gefühlen. Dieser Gefühlsskomplex macht das Spezifische des moralischen 'Müssens', der moralischen Verpflichtung aus.

Gefühlskomplex: Ja, komplex ist das Ding. Verschiedene komplizierte Mechanismen (Williams beschreibt sehr ausführlich den Mechanismus der Scham) greifen hier ineinander. Stichworte: Bedürfnis nach Anerkennung, Selbstwertgefühl, Furcht vor Wertverlust (in den eigenen Augen und in denen anderer), Empörung/Entrüstung, Schuldgefühl. Tja, das ist ein weites Feld. [Literatur dazu: die Literatur eben.]

Entscheidend hier: Bestimmte Gefühle sind für die Moral konstitutiv, sie gehören in den allgemeinen Begriff der Moral.

Laute, Wörter, Sätze 6/103


Immer, wenn das Telefon nicht klingelt, weiss ich, es ist für mich.
(Elias Canetti)


Die Frau reisst sich kurz von ihm los: Ein Schaufenster ist aufgeregt zu begucken: Ihr staunendes Mädchengesicht; ihre flinken Bewegungen; ihr Innehalten da und dort; das breite Lächeln, das sie ihm zuwirft, wenn sie sich zwischendurch nach ihm umdreht. Der Mann ist vergnügt und verzückt; er kann kaum an sich halten, schüttelt den Kopf, kann es nicht fassen. - Wie gut es tut, einen Mann in einem solchen Moment eines durch nichts getrübten Glücks verstohlen beobachten zu können!

Ich habe in der 'Sansibar' auf Sylt das Aufleuchten des Gesichts einer Frau gesehen, als ein Kellner die Leckereien servierte. - Ich bin schon gerührt, wenn ich einen unscheinbaren Mann beobachten kann, der in einem Lokal dankend seinen Kaffee entgegennimmt, mit eifriger Sorgfalt Zucker und Rahm dazuschüttet, bedachtsam umrührt, sich nach einem ersten prüfenden Schluck stinkzufrieden zurücklehnt und seine Umgebung einer wohlwollenden Betrachtung zu unterziehen beginnt.

Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung. Beim nachmittäglichen Kaffee findet sie wieder zur Ordnung.


Liebendes Erkennen: Der Gegenstand verdient es, hart angefasst zu werden. Du machst dich mit der ganzen dir zur Verfügung stehenden Begriffsapparatur über ihn her. Er soll seine vielen Schichten preisgeben. Dann die klammheimliche Freude, wenn er sich nach der ganzen Prozedur weiter selbständig bewegt. - Du kannst die Finger nicht von ihm lassen, machst dich über ihn her, versuchst ihn zu überwältigen. Und freust dich darüber, dass er sich als widerborstig, widerspenstig, eigenständig erweist. - Eine Beziehung wird vertieft. - Du magst deine zupackenden Sätze; und lächelst, der Tatsache eingedenk, dass ein Satz eben ein Satz ist.


Egozentrizität und Mystik, Sein und Zeit, Anthropologie statt Metaphysik ... Hildegard Knef stimmt ein: Erfahrung statt Offenbarung:

Eins und eins, das macht zwei,
Drum küss und denk nicht dabei,
Denn denken schadet der Illusion.
Alles dreht sich, dreht sich im Kreis
Und kommst du mal aus dem Gleis,
War's eben Erfahrung anstatt Offenbarung,
Was macht das schon?

Sonntag, Dezember 14, 2008

Eine autoritäre Moral hält einen Spielraum der Freiheit besetzt.

Es gibt nicht die autoritären Gebilde hier und die freiheitlichen dort. Es handelt sich da nicht einfach um zwei Arten von Kultur. Der Freiheitsspielraum ist für alle einer propositionalen Sprache mächtigen Tiere einer.

[Zu meinen Akten:]

der allgemeine Begriff der Moral: ein Set von wechselseitigen Forderungen [wechselseitige generalisierte Imperative], inhaltlich offen, aber allemal begründungsfähig/begründungsbedürftig

der Begriff der autonomen Moral: eine autonom begründete Moral

der Begriff der autonomen Begründung: Tja, genau der fehlt noch. Und jetzt weiss ich, was ich zu tun habe.


[Genau darum begebe ich mich an den Piräus, in das Haus des Polymarchos. Ich erhoffe mir einiges davon. Einsicht wird kommen, oder - wie in den spärlichen Gesprächspausen zu vernehmen ist - ein Schiff: "Ich bin ein Mädchen vom Piräus und liebe den Hafen, die Schiffe und das Meer." ("Wer das Tiefste gedacht, liebt das Lebendigste." - Keine Nennung des Autors; mag den grossen schwäbischen Dichter nicht in meine Träumereien reinziehen.)]

Samstag, Dezember 13, 2008

Was unser Nachdenken über Moral auf seinem Schlingerkurs hält, ist vielleicht auch die Tatsache, dass unsere Kompassnadel ständig zwischen den Polen Religion/Tradition/Autorität und Autonomie hin und her pendelt.

Ritzen


Nun soll es ja Nadeln geben, die keine solchen Ausschläge verzeichnen. Der Kompass der Markenfamilie 'family values' etwa ist eindeutig. Aber hier gibt es eine andere Art von Bewegung zu verzeichnen: Seine würdigsten Besitzer scheinen ihn zwischendurch schlicht wegzuwerfen. Sprich: Sie scheinen nicht das mindeste Unrechtsbewusstsein zu haben, wenn sie gegen die von ihnen mit Nachdruck und/oder Gewalt vertretenen Werte verstossen.

Da gibt es den türkischen Patriarchen und Besitzer eines Restaurants, wo im oberen Stockwerk die Männer beim Kartenspiel und verwandten Tätigkeiten unter sich sind. Es ist dir vergönnt, daselbst einen Blick auf die äusserst spärlich bekleidete ukrainische Bedienung zu werfen, und gleich steigt in dir der Verdacht hoch, dass auch die rigideste, lückenloseste Moral feine, zarte Ritzen aufweist, in die das pralle Leben eindringen kann.

[Hier ist ein Zynismus am Werk, wie ihn Sloterdijk in seinem Erstling charakterisiert: Man hält Werte unerbittlich hoch und denkt dabei nicht einmal daran, sich an sie zu halten. Grosse Gesten, verbunden mit einem feinen Grinsen und verächtlichem Schulterzucken. Dies und das gilt unbedingt, und wenn einer sich dran hält, ist er nur bedingt zurechnungsfähig bzw. selber schuld. Es gibt ja schliesslich einen höheren Standpunkt, den oberen Stock beispielsweise.]

Oh nein, ich will nicht moralisieren. Ich mag Ritzen, und vor allem sehe ich in solchen Ritzen zumindest die Keime eines autonomen Nachdenkens über das, wie zu leben gut ist. Sie zeigen, dass auch autoritäre Moralvorstellungen sich in einem jedem Menschenwesen zugänglichen freien Spielraum bewegen, der freilich durch diese autoritären Vorstellungen zugepflastert werden kann.

Ich wiederhole: Keine Anklage gegen die Bigotterie, nein, ich freue mich bloss, allüberall Spielräume der Freiheit zu entdecken.


[Übrigens: Bei Tugendhat geht das aalglatt: Norm/Regel/Wert/Forderung - Satz - Proposition - Möglichkeit (beispielsweise) überlegender Stellungnahme - Möglichkeit, einen mit der Propositionalität der Sprache gegebenen Spielraum (auch) praktisch auszuloten.]

ΠΛATΩNOΣ
ΠOΛITEIA


Erst heute zum Piräus runtergestiegen. So Polemarchos & Co. mich Nachzügler dort nicht wider meinen Willen länger festhalten, werde ich wohl gleich wieder auftauchen. Aber man weiss ja nie ...

Um mich für alle verständlich auszudrücken: Ich verlustiere mich nun auch mal mit Fantasy- bzw. SF-Literatur. Die soll, wie ich mir habe versichern lassen müssen, momentan total in sein.

['müssen': Man ist an einen Arbeitsplatz gefesselt und kann ja seine Ohren nicht andauernd gegen das Gelabber seiner in einem Staatsbetrieb chronisch unterbeschäftigten Arbeitskollegen verschliessen. Na ja, ich bin jetzt doch froh, künftig auch mitreden zu können.]

Freitag, Dezember 12, 2008

Rubriken: Nachdenken über Moral; Blogs, die nie geschrieben wurden


Ich will zuerst kurz erklären, warum ich diesen Blog nicht schreibe:

Wenn es darum geht, "ein reflektiertes Verständnis des ethischen Lebens zu gewinnen, entnimmt (die Philosophie) oft der Literatur ihre Beispiele. Warum nicht dem Leben? Diese Frage ... hat eine kurze Antwort: Das, was die Philosophen sich und ihren Lesern als Alternative zur Literatur präsentieren würden, wäre nicht das Leben, sondern schlechte Literatur." (Bernard Williams)

Ich habe an meinem Beispiel herumlaboriert und dabei richtig gelitten. Williams gab mir dann den Rest.

Was aber schon geht: Erinnere dich daran, wie es dir einst gelungen ist, einem (dir relativ unbekannten) Menschen eine richtig grosse Freude zu bereiten. Du hast dabei etwas für ihn getan, was für dich mit einem gewissen Aufwand verbunden war. Erinnere dich vor allem an möglichst viele Gefühle, die da (auch vor- und nachher) mit im Spiel waren. Beziehe auch die Reaktionen der Leute ein, die mitbekommen haben, was du da angestellt hast.

(Ein Hinweis für Kantianer: Man weiss ja nie: Es ist immerhin nicht auszuschliessen, dass ihr euch hier auch mit einer geballten Ladung an höchst angenehmen Gefühlen konfrontiert seht. Da heisst es: Augen zu und durch! Ihr vergebt euch ja nichts. Davon gleich.)

Du kannst das Szenario dann auch beliebig variieren. Du stellst dir vor, dass du nicht erfolgreich warst, dass die Reaktionen (des betroffenen Menschen wie deiner Umgebung) ganz anders ausgefallen sind, dass der Aufwand entschieden grösser als erwartet war, je nachdem halt.


Du magst dich dann auch fragen, was deine kleine Geschichte mit Moral zu tun hat, vielleicht auch, ob sie deiner Meinung nach überhaupt etwas mit Moral zu tun hat. Die Frage, ob deine Tat irgendeiner tradierten Moralvorstellung entspricht, lässt du am besten aussen vor. Frage dich lieber, was du an ihr gut findest und was sie mit (deiner Vorstellung von) dir und deiner Vorstellung von einem guten Leben zu tun hat.

[Angenommen, du hast dich bei und/oder nach deiner Tat so richtig wohlgefühlt, plagt dich vielleicht die Frage, ob dein Motiv letztlich nicht doch ein egoistisches war. In diesem Fall wäre ein Besuch in meiner philosophischen Beratung vielleicht doch mal angebracht. Das ist einer der ganz wenigen Punkte, wo ich punkto Moral den Durchblick habe. Ansonsten herrscht da ein ziemliches Durcheinander, bei dem zu verweilen die Herren Williams und Tugendhat mich ermuntern. Ich bin überhaupt recht zuversichtlich und habe mir heute die zweisprachige Artemis-Ausgabe von Platons 'Politeia' bestellt. Sie wird sich bestimmt gut machen in meinem Beratungszimmer.]


Hier ein verwandter Blog, den ich heute und morgen auch nicht schreibe, den du dir aber auch leicht selber zusammenstiefeln kannst: Die kleine Episode, wo jemand seine Pet-Flasche ungeniert/ungerührt auf die Papiere gestellt hat, die du da - auf engstem Raum, versteht sich - vor dir ausgebreitet hattest. Oder für Seelen, die - wie ich - noch empfindlicher sind: die endlose Geschichte mit dem Fersentreter. Mit den dazugehörigen Gefühlen und eventuellen Variationen sowie der Frage, was/ob die Sache etwas mit Moral zu tun hat.

Dienstag, Dezember 09, 2008

[Egozentrizität und Mystik: EuM; Anthropologie statt Metaphysik: AsM]

Ernst Tugendhat hat sich wiederholt mit der intellektuellen Redlichkeit beschäftigt. Er spricht von zwei "missglückten Versuchen", seiner Habilitationsschrift (1967) und einem 1994 an mehreren deutschsprachigen Universitäten gehaltenen Vortrag, dessen Manuskript er inzwischen vernichtet habe. (EuM, 85, Anm.) In 'Egozentrizität und Mystik' (2003) nimmt das Thema einen nicht unbedeutenden Raum ein. In seinem neuesten Buch, 'Anthropologie statt Metaphysik' (2007) greift er es wieder auf und erklärt im Vorwort, dass ihm in EuM peinliche Fehler unterlaufen seien. Dann charakterisiert er seinen vorläufig letzten Versuch: "Dieses Stück hat mich am meisten Arbeit gekostet, aber ich habe das ungute Gefühl, dass das eigentliche Motiv zur intellektuellen Redlichkeit ein ganz einfaches ist, das ich, aus mir unerfindlichen Gründen, nicht vor den Blick bekomme." (AsM 7) - Vielleicht sollte Tugendhat die Bearbeitung des Themas einem weniger redlichen Autor überlassen.

[Das kurze Vorwort enthält eine ganze Reihe solcher Bemerkungen: Hier sei er steckengeblieben, dort sei ihm die Geduld ausgegangen. Sein Verhältnis zum Glauben sei ambivalenter, "als es in EuM scheinen konnte ... ich mache das jetzt nur explizit".]

Tugendhat ist es wichtig, darauf hinzuweisen, "dass man in der Mystik die Rede von 'Welt' und 'Universum' auch fallen lassen und einfach von einer Hinwendung zu 'allem anderen in seinem Eigensein' sprechen kann". Ein Freund habe ihn zu diesem Schritt veranlasst. Dieser Schritt "entspricht auch besser meinem eigenen Empfinden". (AsM 8)

Ich darf mich Tugendhat in diesem Punkt anschliessen. Schon interessant: Man hat ja auch so seine kleineren mystischen Erfahrungen, und wenn man nun versucht, sie zu Papier zu bringen, greift man fast schon unwillkürlich zu Ausdrücken wie 'Sein (im Ganzen)', 'All(einheit)', 'Transzendenz' und dergleichen. Ich persönlich greife in Momenten, wo ich von 'dergleichen' die Nase voll habe, schon mal zu einer Naturschilderung. Doch dann geht das Geklapper weiter. 'Hinwendung zu allem andern in seinem Eigensein': So was durchlüftet die Dachstube, erhellt sie, spricht das Gefühl an und motiviert den Blogger. Es sollte ihm leichtfallen, wegzuwerfen die ollen Klamotten, seine [Das brauche ich als Übergang zum letzten Abschnitt] vorgefertigten Schablonen.

Da hat einer nun ein Jahrzehnt oder zwei sich mit Moralphilosophie herumgeschlagen. Und nun erklärt er, er habe das "ungute Gefühl", "dass man sie eigentlich ganz anders sehen müsste, aber dass (er) von seinem Schablonendenken nicht loskomme". (7f)


Bene bene bene, molto molto bene, oooooh, wie tut das gut! ... Ooooh, wie gut die Liebe tut!

[Von der Liebe ist im neuen Buch auch die Rede, zumindest da, wo Tugendhat neben Aristoteles & Co. auch Erich Fromm und vor allem Iris Murdoch ('The Sovereignty of Good') ausgiebig (und mit verhaltener Begeisterung) referiert.

Montag, Dezember 08, 2008

[Ich will an dieser Stelle mal betonen, als wie höchst vorläufig mir alles vorkommt, was ich im Moment so zusammenblogge. Vorläufig ist alles immer, schon klar und grosse Ehrensache. Aber im Moment geht bei mir alles drunter und drüber.]

Bei Nietzsche vor langer Zeit aufgeschnappt und seither gelegentlich bedacht: den Gedanken, dass uns armen Teufeln vor lauter Wahrhaftigkeit oder intellektueller Redlichkeit das Liebste abhanden gekommen ist. Dass wir in den Treibsand garstiger Ismen geraten sind, die uns alles, was auf Wahrheit/Objektivität abzielt, ja sogar eines unserer stärksten Gefühle, die Liebe zu Gott, mit Argwohn beäugen lassen - aus Wahrheitsliebe!

[Meine Lieben, das ist pervers! Da ist was gründlich schiefgelaufen! - Ja, so kommt mir das im Moment vor.]

Und jetzt? - Tja, nun stosse ich wieder auf diesen Gedanken. Die Herren Tugendhat und Williams stossen mich drauf. Das ist hocherfreulich, erregend und auch etwas schmerzhaft.

Freitag, Dezember 05, 2008

glückwunsch

wir alle wünschen jedem alles gute:
dass der gezielte schlag ihn just verfehle;
dass er, getroffen zwar, sichtbar nicht blute;
dass, blutend wohl, er keinesfalls verblute;
dass, falls verblutend, er nicht schmerz empfinde;
dass er, von schmerz zerfetzt, zurück zur stelle finde,
wo er den ersten falschen schritt noch nicht gesetzt -
wir jeder wünschen allen alles gute.

(Ernst Jandl)

Donnerstag, Dezember 04, 2008

Dem Freunde sollst du Freundschaft bewahren,
Gabe mit Gabe vergilt!
Doch Hohn soll man mit Hohn erwidern
Und die Täuschung mit Trug.

(aus dem Havamal, einer Sammlung von insgesamt 164 eddischen Strophen, die zu der Lieder- Edda [ältere Edda] gerechnet werden [Wikipedia])

Das ist von dieser Welt!

Jenseitiges


Der hervorragende Mann, der uns dazu anhält, auch die andere Backe hinzuhalten, hat auch erklärt, sein Reich sei nicht von dieser Welt. - Wir sollten uns den guten und edlen Menschen als einen grossen Menschen denken, als einen, der vielleicht aus einer gewissen Unbekümmertheit und Distanziertheit, gewiss aber aus einer Überfülle heraus handelt. Wir dürfen uns aber auch getrost verbitten, dass sein Verhalten als eine Forderung an uns herangetragen wird. Eine solche Forderung ist, wie wir kurz sagen, jenseits; ohne Bezugnahme auf Jenseitiges ist sie schlicht unsinnig, Un-Fug. (Auch als Ideal unsinnig.)

Ende Blog


Das kann doch einen Jesuiten nicht erschüttern! - Schon klar. Hab mal einem zugehört, der die Forderungen des Nazareners so charakterisiert hat, dass ein ihnen entsprechendes Leben schlicht illusorisch sei. Das solle dann freilich gerade ein Fingerzeig auf Jenseitiges sein. Ich muss gestehen, dass es mich mit Genugtuung erfüllt, von einem so gescheiten Menschen bestätigt zu sein.

Mein Freund Peter schreibt mir dieser Tage eine Mail, in der er die Vermutung äussert, dass Religion leider zu oft auf Moral reduziert werde. Da ist was dran! Peter hat es übrigens weniger mit den Jesuiten und mehr mit Pater Martin, dem Augustinermönch, von dem er dann auch gleich - sehr passend - ein bäumiges Zitat beifügt, das das Herz des begeisterten Sünders höher schlagen lässt:

"Esto peccator et pecca fortiter, sed fortius fide et gaude in Christo, qui victor est peccati, mortis et mundi."

Ich spinne Peters Vermutung weiter: Es gibt Moralphilosophien, die sich zu stark auf Religion abstützen und diese dabei auf Moral reduzieren.

Tja, mein Freund ist Steuerbeamter. Was lernen wir daraus? Es lohnt sich, einen freundschaftlichen Umgang mit Steuerbeamten zu pflegen. Die Wahrscheinlichkeit ist nicht gering, dass du beispielsweise einen findest, der dir bei schwierigeren lateinischen Sätzen weiterhilft.

Ich wünsche meinen LeserInnen viel Glück und: Sündigt um Gottes Willen unbekümmert!

in Plauderlaune

Philotustan

Dienstag, Dezember 02, 2008

[Zwei wichtige Merkmale von moralischen Forderungen:
(1) Sie werden wechselseitig erhoben.
(2) Sie gelten unbedingt.

(1)
Ich verlange von andern nicht, dass sie - wie ich - die Handharmonika spielen. Aber ich verlange von ihnen, dass sie ihre Versprechen (mir und andern gegenüber) halten. Und umgekehrt, sinngemäss.
(2)
[Nix kategorischer Imperativ, aber:] Es gibt da kein "... wenn es dir gerade nicht zu viele Umstände macht" und dergleichen Zeugs.]




Sie sassen und tranken am Teetisch
Und sprachen ohn' Hast und Eil';
Die einen, die sagten bloss 'ethisch',
Die anderen schwärmten vom Heil.

Tja, von Moral - so war's geplant - sollte die Rede sein. Aber es kam, wie es häufig kommt: Schon bald quasselte einer vom Bestreben, es irgendeinem Murti oder Sen gleichzutun und in irgendeinem hochwichtigen Bereich schlussendlich doch noch und trotz diesem und jenem und wobei noch dies und das ein gerüttelt Mass an Vollkommenheit zu erreichen. Ein anderer verwies auf Näherliegendes und sprach von Liebe viel, mit zartem Gefühl, und dass es nicht immer leicht sei, die andere Backe auch noch hinzuhalten. Oder den Nächstbesten in jedem Fall weiterhin in sein Gebet einzuschliessen, meinte ein dritter, auch wenn der Beste, für den man - Mensch in Not! - das Handgepäck habe stehen lassen, sich als der Komplize des Kofferdiebes erwiesen habe.

Am Tische war noch ein Plätzchen;
Mein Liebchen, da hast du gefehlt.
Du hättest so hübsch, mein Schätzchen,
Von deiner Liebe erzählt.

Ja, ja, das Geschäft der Vervollkommnung ist nicht leicht, und auch nicht leicht ist es, ein wirklich guter Mensch zu sein. Aber Hand auf's Herz: Was haben diese Hobbies mit Moral zu tun?


[In Zusammenarbeit mit Heinrich Heine]

Die Nudel(n)


Die Nudel steht - so wie die Ulknudel - im Singular und ist entsprechend einmalig. Die Nudeln sind beim Italiener, stehen im Plural und liegen vorherhand noch im Teller.

Und wenn du deine Nudel magst,
Wirst du die Nudeln mit ihr teilen.

Das eine Ende gehört dir, das andere ihr. Dich vorarbeiten, Zug um Zug, bis an die Stelle, wo mit der Nudel auch der Abstand schwindet. - Da capo! - Das nächste Seilchen wird gespannt und schnell verzehrt. [Nee, das Mündchen musst du stehenlassen!] Wenn irgendwo der Appetit beim Essen kommt ... - Da capo! - Innsbruck, ich muss dich lassen. Wir wollen niemals auseinandergehn. - Da capo! - Scheiden tut weh. Reich mir den Mund, mein Leben! - Da capo! ...

"Darf's was zum Nachtisch sein?" - Ja, die ganze Nudel!

Dies ist dem Ännchen die süßeste Ruh',
Ein Leb' und Seele wird aus Ich und Du. [1]

Ännchen von Tharau und Heilige Mutter Gottes! Du machst mich nudelfertig!

"Machet die Tore weit!" Es ist Advent! Da du der Gott der Liebe bist: Adveniat regnum tuum! [Und um den Bogen zur Nudel zurückzuschlagen:] Benedicta tu in mulieribus! [So, genug gebetet jetzt!]


[1] (ugs.:) Es wird genudelt.