T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Dienstag, Juli 31, 2007

[Ich gönne mir zu meinem Geburtstag etwas, was einem erfolgreichen Schreiberling wohl anstehen würde: Ich veröffentliche hier einen 1990 geschriebenen Text, in dem ich meinen Irrweg zur Philosophie darstelle.]

Aus Wolken des Irrtums geboren


Durch ein kleines Missverständnis bin ich schon als Zögling einer katholischen Internatsschule auf Ludwig Wittgenstein gestossen. Nicht, dass einer unserer Philosophielehrer ein Wort über ihn verloren hätte. Aber von Sokrates war oft die Rede. Wir haben im Griechischunterricht der 6. Klasse den 'Gorgias' und zu Beginn der 7. (und letzten) Klasse das Höhlengleichnis gelesen. Eine Philosophieprüfung in der 6. Klasse bestand darin, dass wir uns jeder einzeln mit dem Philosophielehrer über einen frei gewählten platonischen Dialog unterhalten mussten/durften. Ich war voll bei der Sache. So habe ich dem Griechischlehrer, einem Priester (fast alle unsere Lehrer waren Priester), in einem persönlichen Gespräch den Vorschlag gemacht, wir könnten doch das olle und etwas fad gewordene höchste Wesen für eine Weile wenigstens vergessen und uns etwas Erhabenerem, Schönerem, Tollerem zuwenden: den ewigen Ideen. Er war über mein Ansinnen nicht sonderlich erbaut und wird wohl einen Kompromiss vorgeschlagen haben. Mir aber war in jener geistig stürmisch bewegten Zeit überhaupt nicht nach Kompromissen zumute: Nachdem ich in der 5. Klasse einem Buch aus der Schulbibliothek entnommen hatte, dass und wie die Existenz eines höchsten Wesens seit Jahrhunderten schon hieb- und stichfest bewiesen werden könne, in der Zwischenzeit aber aus einem anderen Buch derselben Bibliothek hatte erfahren müssen, dass die Debatte darüber immer noch im Gange sei, war ich nicht länger gewillt, mich mit einem so zweifelhaften Wesen zu befassen.

Mit den Ideen verhielt es sich anders. Sie machten einen beständigen Eindruck. Einen unversehrt reinen und erhabenen Eindruck. Die Idee der Tugend aus dem 'Menon' war erhaben über das Gekicher, das ihr zufälliger Lautkörper in unserem pubertierenden Klassenzimmer hervorrief. Sie verharrte unberührt und ungetrübt von der Sünde der letzten Nacht, die mich einen Augenblick lang verwirren mochte. Sokrates quengelige Fragen rückten die Ideen immer weiter weg, und dadurch wurden sie immer undurchdringlicher, härter, realer. Seine Gesprächspartner mussten einer nach dem andern das Handtuch werfen: "Ich weiss im Grunde nicht, wovon ich rede." "Also ist der Gegenstand meines Nichtwissens ein erhabener", lautete meine Fussnote dazu. Was ich dabei vor allem gelernt habe: die Frage nach dem Wesen (des Guten, der Gerechtigkeit usw.) zu akzeptieren.

Die Ideen standen also zweifelsfrei fest. Die Frage nach ihrem Wesen freilich blieb ungelöst, der Frager unerlöst, unerlöst durch eine Antwort, unerlöst von der Frage. Doch Ideen haben es auch an sich, dass man sie ruhig eine Zeitlang auf sich beruhen lassen kann, ohne dass sie gleich Rost ansetzen oder vergilben oder grau werden, wie es minder unsterblichen Dingen zustossen kann. Und ich hatte auch noch andere Sorgen. Beunruhigt durch die Vorstellung, dass ich, zwischen die Hecks zweier schwerer Lastwagen geraten, urplötzlich zu existieren aufhören könnte, und verwirrt durch Fragen wie die, wer genau da zu existieren aufhöre und wem es gegeben sei, solche scheusslichen und gescheiten Fragen zu stellen, drängte es mich nach der endgültigen Klärung der Frage nach dem Verhältnis zwischen dem, was sich von den Hecks abkratzen lässt, und dem, was eben noch die gescheiten Fragen gestellt hat. (Verwirrliches Gedankenspiel, wie gesagt. Auch es will geübt sein.) So verschlug es mich wieder einmal zu den schon erwähnten Büchern. Ich schmökerte darin, begierig, irgendwo zufällig vielleicht ein kleines Gedankenstückchen aufzuschnappen, das dem Materialismus endgültig den Garaus machen könnte, musste lange schmökern, schnappte dies und das auf: Satzfetzen, lustige Namen wie 'Fichte', exotische Ismen, Zitate, kantige Namen, Zungenbrecher wie 'Transsubstantiation', Anekdoten, bösartige Gestalten wie Verkörperungen des Bösen (mit und ohne Schnauz), wieder ein Name: 'Ludwig Wittgenstein', ein schöner Name, "der Sokrates des 20. Jahrhunderts". Und davon hatte mir nun keiner etwas gesagt! Ich liess den Materialismus fahren und zog den Ideenhimmel wieder in meine Nähe. Da war einer, der Aussicht bot, die hängigen Wesensfragen aufzuklären. Der Sokrates des 20. Jahrhunderts sollte dazu imstande sein.

Ich kaufte mir eines seiner Bücher, besser: Ich erkundigte mich nach Büchern des Autors (Welche Sparte?"), entschied mich schnell ("Lass uns, mein lieber Menon, zusammen untersuchen, inwiefern das Gute ...") für das richtige, liess es bestellen ('Alban Clemenz' und 'Ludwig Wittgenstein' auf demselben Zettel, den die Verkäuferin andächtig ausfüllte), erkundigte mich, ob es schon eingetroffen sei, konnte es schliesslich in Empfang nehmen, legte ein Vermögen hin, verliess den Laden und schwebte, unberührbar geworden, zurück ins Internat.

[...]

Ein lateinischer Text. Eine Übersetzung des Textes: sehr bequem. Eine klare Darstellung der Grundgedanken des Textes. Ein Ausblick auf Kommendes ("Heute haben wir nur über das Substantiv gesprochen. Die übrigen Wortarten behandeln wir später"). Und dann geht jemand fünf rote Apfel kaufen. Etwas befremdlich, den lateinischen Text einfach so liegenzulassen. Und wie sich der Verkäufer aufführt. Mir ist nicht alles restlos klar. Aber: Es hat offenbar geklappt. Und vor allem: Die Erklärungen haben irgendwo ein Ende. Und die Bedeutung des Wortes 'fünf' wird ja dann nachgeliefert. - Ich beschliesse, mir jeden Tag eine Nummer vorzunehmen. - Spiele mit Bauklötzchen. Das Lehren der Sprache sei ein Abrichten. Irgendwie erregend, so unanständiges Zeug so lapidar auszudrücken. Weitere Klötzchenspiele. Zuerst die einfachen Beispiele. Harte Arbeit am Detail.

Gerade freundlich ist er nicht, dieser Wittgenstein. Und ich weiss halt noch nichts. (Beispielsweise wäre es vielleicht wichtig zu wissen, wer der Verfasser der Logisch-Philosophischen Abhandlung ist.) Aber ich lese mit System (jeden Tag wieder von vorne und jeden Tag eine Nummer dazu) eine Schrift eines bedeutenden Denkers unseres Jahrhunderts und vergegenwärtige mir, dass andere Leute bloss die Heilige Schrift lesen. Das entschädigt doch für manches. Die Wochen vergehen. Die Noten sinken. Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache. Nicht einleuchtend, aber wenigstens offenkundig daneben. Für die einfachen Bauklötzchenspiele vielleicht gerade richtig. Er kommt doch langsam zur Sache. Die Wochen vergehen. Auch für die Aktivitäten der Studentenverbindung habe ich jetzt keine Zeit mehr übrig. Der Verein kann mal ohne mich.

Und dann die Nummern 65 und 66: Hier stossen wir auf die grosse Frage, die hinter all diesen Betrachtungen steht. - Denn man könnte mir einwenden: "Du machst dir's leicht! Du redest von allen möglichen Sprachspielen, hast aber nirgends gesagt, was denn das Wesentliche des Sprachspiels, und also der Sprache, ist". Ich hatte es immer gewusst. Ich hatte gemerkt, worauf er hinaus wollte, wenn er denn der Sokrates des 20. Jahrhunderts war. Verwirrend freilich, dass Sokrates hier den Wittgenstein herausfordert, und zwar genau so, wie er die Sophisten immer herausgefordert hat: "Ihr gebt an zu wissen, was das Wesen von X ist. Aber ihr liefert mir nur Beispiele, redet von diesem und jenem. Nie trefft ihr den Kern, das Wesen, der Sache, über die ihr so schwungvoll daherredet." Ich durfte gespannt sein, wie Wittgenstein sich aus der Affäre zieht.

Und ich wurde verrückt, verrückt vor Verblüffung und Freude, von einem Geistesblitz getroffen, auf einen Kahlschlag mit einem Schachzug bewehrt, der eine Entscheidung in mancher sich nun über mehr als zwei Jahrtausende hinziehenden Hängepartie herbeizuführen gestattete. Ich sah den Sokrates allein auf der Agora stehen - Wittgenstein hatte ihn dort stehenlassen - und seine Frage nach dem Wesen des Spiels in der Hand drehen. Die Frage war nun Wind und Wetter ausgesetzt. Ich hatte aufgehört zu warten, dass jemand die Frage löst, und sah - nicht ohne Erregung - zu, wie sie ihr Gewicht und ihren Glanz verlor und ganz plötzlich zu erodieren begann. Und der Erosionsprozess griff um sich: "Ist es nicht so, dass das Dichterwort allein das geheimnisvolle Raunen und Rumoren aus den tiefsten Abgründen der menschlichen Existenz heraufzubeschwören vermag?" - Weihevolle Stille, in die ich nun mit meiner Antwort - sie war kindisch einfach - hineinplatzen konnte: "Es gibt keine tiefsten Abgründe der menschlichen Existenz." Mein Herz pochte, der Lehrer zeigte Geduld: "Aber hat nicht der Künstler ..." Ich liess ihn nicht einmal ausreden: "Es gibt keinen Künstler." Ich wusste, dass ich nun gleich zu stottern anfangen würde, der Lehrer war nun verärgert; aber auch er konnte solche Fragen nicht mehr vor der Erosion bewahren.

[...]

Ein lang anhaltendes Insistieren auf einer Fragestellung: Die Gedanken kleben aneinander. Ein Gedankenblitz: Die Gedankenfetzen spielen verrückt und ordnen sich plötzlich zu einem neuen Muster. Ein Kick war das, ein Schuss: Ich war voll drauf, wollte mehr davon, keine tiefere Einsicht, sondern das Lustgefühl, wenn ein Gewitter durch die Gedankenstube fegt, die Erregung, wenn ein Weltpuzzle umkippt, das Wohlbehagen in der neu eingerichteten Wohnung: eine lange Anstrengung, viele falsche Handgriffe, Pläne, die durcheinandergeraten, zwei Fenster, die sich öffnen, ein unvorsehbarer Sturm zieht durch: Wie vom Himmel gefallen steht die neue Einrichtung da. - Aimez-vous la philosophie? - Ein Philosoph, einer, der Gedanken als gelenkige, körperliche Gestalten wahrnimmt, war geboren.

[...]


[Nachtrag:
Der Geburtstag ist vorbei. Nur noch eine typisch geburtstägliche Frage, die mir die mühselige Abtipperei verkürzt hat: Stelle dir vor, ein wohlmeinender Geist hätte dich vor diesem Gemisch aus Naivität, Schwärmerei und grotesken Fehlinterpretationen bewahrt. - Das Salz des Geistes wäre dir abhanden gekommen. - Salz des Geistes? - Nun, lass die erwähnten Ingredienzien weg, und du hast einen perfekten BWL-Studenten vor dir.]

Montag, Juli 30, 2007

[Eigentlich bloss eine Erklärung dafür, warum ich nie versucht habe, eine kleine Arbeit zu Wittgenstein unter ein etwas breiteres Publikum zu bringen. Meine Schreibe ist einfach nicht verständlich. Schlimmer noch: Ich habe nicht die Absicht, mich hier verständlicher auszudrücken. Wittgenstein hat für mich nach wie vor etwas Irritierendes, Unerbittliches und Erleichterung Verheissendes. Ich will ihn nicht auf verständliche Weise erläutern. - Doch seht selber:]


"Es ist so schwer, den Anfang zu finden. Oder besser: Es ist schwer, am Anfang anzufangen. Und nicht zu versuchen, weiter zurückzugehen."
(LW, Über Gewissheit, 471)

Es besteht kein Zweifel, dass ich A.C. heisse. (Man kann sich den Sinn dieses Satzes nicht flach genug denken: Kein Mensch hatte bisher Anlass, daran zu zweifeln. Etwas in der Art. Wem hier partout keine Zweifelsfälle einfallen, der denke sich einen Romanplot à la Eric Ambler aus.) "Ich heisse A.C." ist in ganz bestimmten Situationen ein guter Anfang; er mag zur grossen Not etwa als sprachlicher Einstieg in einen Flirt herhalten. - Das Vorhandensein eines Tisches gilt vielen als besonders guter Anfang. Andere halten es für zuverlässiger, in diesem Zusammenhang den Anfang mit 'Sinnesdaten' und dergleichen zu machen.

Schlechte Fragen: "Wo ist der Anfang?" "Wo ist der Anfang?" "Wo ist der Anfang?" [Mit Heidegger gegen Heidegger:] "Wo ist der anfängliche Ein-Satz?"

Die Reihe der guten Fragen beginne ich in Anlehnung an Reichenbach: "Wo beginne ich auf offener See mit dem Umbau des Schiffes?" Weitere gute Fragen: "Womit will ich beginnen?" "Was eignet sich als Einstieg?" "Ist das ein guter Anfang?"

Anfängliches


Und hier nun endlich der Anfang: "Die Seele ist ein immenser Hohlraum, der ausgefüllt sein will (Palestrina vermag ihn erfahrbar zu machen und gleichzeitig zu erweitern). Hierzu eignen sich grosse Ideen, hohe Werte sowie Fussballspiele und verwandte Veranstaltungen. Auch mit Philosophie hat es manch einer schon probiert. Ein vorzügliches Mittel ist auch der Alkohol ("Verweile doch! Du bist so ooh! Und der nächste Schnapsladen ist so woo, so wooh?!")."

Ein beliebiger Anfang? - Ein Anfang eben! Und ich darf versichern: Wenn einer mit Palestrina und King Alcohol den Anfang macht, kannst du vielleicht nur hoffen, dass er endlich etwas Beliebigeres in den Mund nimmt. Denn dass er gerade von diesen Dingen spricht, mag einen verdammt guten Grund haben.

Odo Marquard ist ein guter Anfänger. Der beginnt jeweils schnurstracks und explizit mit Punkt 1 seiner Ausführungen. Auch Karl Valentin ist ein Meister in dieser Disziplin. Er versteht es unnachahmlich gut, bei seinen Liedervorträgen - mit Zitherbegleitung, versteht sich - jeweils mit dem Anfang den Anfang zu machen.


'Anfang' ist ein Wort. Und das Wort ist in der Sprache. Und die Sprache ist der Anfang.

Sonntag, Juli 29, 2007

Ein sieben Monate altes Kind bekommt Sätze vorgespielt:

püt bolo püt. gurks murks gurks. vüschu kara vüschu. guiti gaiti guiti. -
Das Kind lauscht, ohne Anstrengung, es nimmt einfach auf. -
güz burrli güz. knurrli wau knurrli. mäu mus mäu. türk dütsch türk.

innatae ideae


quirk quok quirk. fawe zupu fawe. ... rawo rawo polo.
Ups! Was war das? Das Kind wird unruhig, sperrt die Augen auf. Da stimmt was nicht! -
Eine Regel hatte sich gebildet. Dagegen ist eben verstossen worden.

Und jetzt bilde das Perfekt der Verben 'kulpsen' und 'kulpsieren'! (Du brauchst dabei nicht in deiner Excel-Tabelle nachzuschauen. Die gibt es nicht. Ich habe auch keine. Und ich habe mich dafür noch nie gegeniert.)


[Ein ganz alter Hut! Gewiss! Doch die Beiläufigkeit des Vorgangs hat schon was Verblüffendes.]

Donnerstag, Juli 26, 2007

Für heute eine kleine Fingerübung im HISTOMAT, geschrieben für mein Türkei-Forum:

Karl Marx zur Kopftuchfrage


Es gibt in der Türkei zwei Lager: Das erste Lager strebt eine Vollmitgliedschaft in der EU an. Zu diesem Lager gehören unterschiedliche Gruppen, die politisch durch die AKP vertreten werden. Die wichtigste Gruppe ist eine neue Elite von Leuten aus Anatolien, die es zu etwas gebracht haben und die sich im Moment durch die AKP gut vertreten fühlen. - Das zweite Lager wird durch gesellschaftliche Gruppen gebildet, die sich durch die neuen Eliten bedroht fühlen. Die beiden wichtigsten Gruppen sind die städtische Intelligenz in der Westtürkei einerseits und das Militär andererseits. Sie beide fürchten, dass sie durch das Erstarken der strebsamen und frommen Leute aus Anatolien und durch einen EU-Beitritt, den diese anstreben, vieler Privilegien beraubt werden könnten.
 
Voilà! Ein einfaches, ausbaufähiges Bild. Es skizziert einen schlichten Machtkampf zwischen zwei Eliten, von denen die eine eine 'neue', in die EU integrierte Türkei anstrebt, während die andere natürlicherweise an der 'alten' Türkei festhalten will. - Wie immer wird ein solcher Machtkampf von zahlreichen ideologischen Gefechten wie den um das Kopftuch begleitet. In Tat und Wahrheit geht es aber darum, dass die wirtschaftlich erstarkten Leute aus Anatolien um eine stärkere politische Repräsentanz kämpfen.


["Ich habe mal gelesen, Marx sei tot." - "Was die Leute doch so alles daherplappern, wenn der Tag lang ist!"]

[To do: Die Kräfte des Fortschritts, die frommen anatolischen Bauerntölpel, vertreten durch die prowestliche, islamistische AKP, im Kampf gegen die Reaktionäre, die säkularen, laizistischen Kemalisten, die Intelligentsia und das das Erbe Atatürks verteidigende Militär. - "Das mir gefäält!" :D]

Montag, Juli 23, 2007

Die Familie Röpfl - Vater, Mutter, zwei Söhne, drei Töchter, dazu eine Enkelin - hat eingeladen. Eine kleine Wirtsstube. Vier längere Tische mit Bänken. Die geladenen Gäste sitzen aufrecht da und verharren schweigend in der Erwartung der Weisen, in die sie alsbald versinken werden.
[Wenn ich bloss wüsste, was die junge, sommersprossige Bauersfrau sieht, wenn die Weisen sie überkommen! Wenn ich bloss wüsste, was ich in den Gesichtern der in Andacht Versunkenen suche!]

an Juchaza wert


Das Zithervorspiel ist extrem kurz, zwei Takte, wie vom Ende eines längeren Tanzstücks abgerissen: Die Einstimmung ist vollkommen.

Vater, Mutter, eine Tochter: Das ergibt einen Dreigsang.

Der Platz des Zitherspielers ist fix. Fix auch der der älteren Frau, die am oberen Ende des Tisches den Bass zupft. Die andern Plätze werden nach Bedarf getauscht.

Vater, erster Sohn, zweiter Sohn: Das ergibt einen Dreigsang.

Dazwischen reine Instrumentalstücke, bei denen sich zu Zither und Bass zwei Gitarren, gespielt von zwei Töchtern, gesellen.

Erste Tochter, deren Tochter, zweite Tochter: Das ergibt einen Dreigsang. -
Drei Frauen stecken die Köpfe zusammen. Das Mädchen ist etwas befangen. Die Mutter singt ihm ermutigend zu.

Andere Kombinationen wären denkbar, werden aber nicht gebildet. Der Vater erklärt warum. Die Erklärung hat Gewicht: Die Instrumente schweigen. Und es wird auch kein Off-Ton eingeblendet. So ist das bei den Volksmusiksendungen im Bayrischen Fernsehen: Die Stille des Saals wird eingefangen - Zithervorspiel - der Xang - Stille - Ein Gespräch, dem auch die Gäste bloss lauschen - Die Stille des Saals wird eingefangen - Zithervorspiel - ... Und kein Reporter und kein Experte blendet sich in die Ausführungen des Gefragten ein. Wer draussen ist, ist off, und dieses Off gibt keinen Ton von sich. So ist das.

Der Vater erklärt: Jeder Dreigsang ist eine Erzählung. Diese besteht aus mehreren Atemströmen. Kurze Atemströme, lange Atemströme - Atempausen/Verweilen, Zögern/Verweilen - Neu-Einsetzen - Ausweichen, Huschen, abruptes Erzählende - ausladende Gesten, ausladendes Erzählende. So was will früh und lange geübt sein. Die Volksmusik ist halt etwas, in das man hineinwachsen und das man weiterpflegen muss. Sonst läuft man Gefahr, im bewussten Stadel zu enden. [Das hat der Vater natürlich nicht gesagt. Der Adelige verbittet sich jeden Vergleich mit den Plebejern.]

Wieder Vater, Mutter, eine Tochter: Das ergibt einen Dreigsang: 'Des is an Juchaza wert'.

Tja, wäre es schon, wenn man bloss seine Stimme schon wiedergefunden hätte.

'Von da Alm kimm i her'. Und noch mehr Alm: 'Auf de Almen geh'n ma auffi'. Und noch mehr Alm: 'Wohl auf da Alm'. - Man könnte lachen ob so viel Alm. Aber das tut man besser nur, wenn man sich ganz sicher ist, dass die Mundmuskulatur der aufgeklärten Intention auch gehorcht. Und was nützt einem die trockene Versicherung, dass man gegen dergleichen Zeugs gefeit ist, wenn einem die Gestalt dessen, dem man versichert, vor den Äuglein verschwimmt.


[Bloss keine Pointe jetzt, nur ein Nachtrag: Seit ein paar Wochen kann das Bayrische Fernsehen bei uns nicht mehr empfangen werden.]
[Noch ein Nachtrag: Der 'Röpfl Dreigsang', von dem es neuerdings auch eine CD gibt, meint die erste der hier von mir genannten Formationen.]

Samstag, Juli 21, 2007

Rubrik: Lebensdingsbums

[Man nehme: Ein bisschen Erbauungsschrifttum, ein bisschen Heidegger, ein bisschen fernöstliche Weisheit und einen guten Schuss Gedankenlosigkeit, die die drei erstgenannten munter wuchern und stinken lässt:]

Die Kraft, die siegt, ist still
und hat eine unerschöpfliche Quelle in ihrer passiven Tiefe.

(Rabindranath Tagore)

Gemeint ist eine Kraft, die unbeirrbar auf deiner Seite steht, eine unbelehrbare, störrische Kraft. Nicht etwa eine 'positive' Kraft, die du als solche unbedingt bejahen könntest. Anders: Eine Kraft, die dich unbedingt bejaht, auch wenn du nichts Positives vorzuweisen weisst. Eine blinde Kraft, die alles schluckt: den bösen Buben, das scheue Mädchen, den logico-philosopischen Radikalinsky oder die Schnattertrude. Eine Kraft, die sich in Momenten bemerkbar macht, wo du dich nicht gerade mit Ruhm bekleckerst: Wenn du beleidigt bist etwa oder stocksauer oder gar verbiestert. Noch einmal: Sie eine 'positive' Kraft zu nennen verbietet sich von selbst, etwas anderes als eine kritische Einstellung ihr gegenüber einzunehmen wäre bestenfalls höhere Dummheit. Doch sie bedarf ja überhaupt keiner Einstellung deinerseits. Sie hat dich immer schon [Premiere!] eingestellt.

Die Kraft ist 'still': Klar doch! Sie ist so von sich eingenommen oder so eins mit sich, dass keinerlei Entzweiung, nicht einmal die einer ansatzweisen Reflexion in Form einer minimalen Beschreibung als 'positiv', bei ihr auftritt. Du selber machst keinen Lärm um sie, es sei denn, du schreibst gerade einen Blog. Und auch dann ist vermutlich sie es, die dich im Lärmen hält. (Oder im Schwadronieren, wenn für einen ganz kurzen Augenblick der Herr aus dem Schwarzwald einem andern Schwaben Platz machen muss.)

Zur 'passiven Tiefe': 'passiv' ist die Kraft darum, weil sie die Kraft des schlichten Gelten-Lassens ist.

Was?! Nie gehört! Striggio. Aha! Eine Motette. Ok. 40-stimmig. Oh! -
Oh ja! Hab ich gehört! Unerhört! - Alessandro Striggio:

Ecce beatam lucem


Haec voluptas, haec quies, haec meta, hic scopus
Nos hinc attrahunt recta in paradisum.

Diese Lust! Diese Ruhe! Diese fraglose Erfüllung!
Sie versetzen uns vom Fleck weg ins Paradies.


Ja, die Erde ist ein Jammertal, wenn man mit sowas nirgendwo hin kann. Genau darum spielt man einem Freund, der eben begonnen hat, sich für die Sparte 'Classical' zu interessieren, das 'Spem in alium' vor. Und genau darum schreibt einem dieser Freund Jahre später von einem gewissen Striggio und seiner 40-stimmigen Motette. Und genau darum schreibt man dann einen Blog. Man will ja irgendwo hin damit: Die Erde ist ein Jammertal, und manchmal liegt das Paradies gleich um die Ecke.

Donnerstag, Juli 19, 2007

Rubrik: Blogs, die nie geschrieben wurden

Davon gibt es heute gleich eine Handvoll. Obertitel: Heidegger lesen

Ich bin ja wild entschlossen, ich arbeite daran, nehme mir Zeit dazu, diesen Heidegger zu mögen, ihn mit Freude zu lesen, seinen Gedankengängen gelassen zu folgen. Schliesslich nimmt seine Existenzphilosophie in meinen Tagebucheintragungen keinen geringen Raum ein, und es vergeht kein Tag, an dem er nicht irgendwo in eines meiner Gedankenspielchen hineinspukt.

Ja, Heidegger ist für mich wichtig. Wie schade, dass ich ihn nicht ausstehen kann! - Ja, ich bewundere ihn. Einen Mann mit Vergangenheit, der in späten Jahren dem 'Spiegel' ein Interview gewährte und dabei all die brennenden, über Jahrzehnte aufgestauten Fragen in einer Sprache beantwortete, die jeden, der seine Seminare besucht hatte, in Entzücken versetzt haben muss. Heideggers Umgang mit den Medien ist unerreicht, unerreichbar. Jeder, der hier einwendet, es müsse aber vielleicht doch noch bedacht werden, hat schon verloren. Heidegger scheint Bedenken und einfühlsame Erwägungen gar nicht zu kennen. Der ist über all das immer schon hinweg, weil er voll bei der Sache ist. Ein Unbeirrter, der sich verirrt, der dann weiter unbeirrt seinen Holzweg abtrampelt. Es gibt ja nichts anderes. Was kümmert ihn beispielsweise die Philosophie? Der Mann lässt sich durch gar nichts vom Denken abbringen. Wie schade, dass ich keine Freude daran habe, ihn zu lesen! - Heidegger vermochte mich immer wieder zu verblüffen. "Was heisst Denken?" heisst eine berühmte Vorlesung (WS51/52), die ich hier mal kühn als einen Versuch Heideggers interpretiere, seine Zuhörer an das Hören auf den Sinn der Frage heranzuführen und sie im Fragen zu halten. (Ich pantasiere ohne Gewähr, dass Heidegger das nicht ganz genau so gesagt hat.) Es stört mich überhaupt nicht, dass Heidegger dieses Halten als ein Hüten versteht und alsbald ein paar Kühe auf die Weide treibt. Und es stört mich nicht die Bohne, dass Heidegger in der 5. Stunde nach der obligaten Repetition und der Beantwortung von (schriftlich!) vorgebrachten Hörerfragen den Sinn der Frage so zu erläutern beginnt: "'Warte, ich werde dich lehren, was gehorchen heisst' - ruft die Mutter ihrem Buben nach, der nicht nach Hause will." Da geht es mir wie bei Hegel, dem ich auch nicht verdenke, dass er keinerlei Ansätze zu einem Minderwertigkeitskomplex durchblicken lässt.


Tja, lieber Leser, dieser Nicht-Blog (ein echter Live-Blog) ist gescheitert. Ich mag das Zeugs von Heidegger nicht mehr lesen, sicher. Doch diese Tatsache vermag nicht einmal mich selber mehr zu interessieren. Ein müdes Lächeln bloss: Da entschliesst sich einer, nach frustrierender Lektüre über den Autor herzuziehen, und merkt dabei, wie sehr er ihm verfallen ist. Das ist nicht komisch, und schon gar nicht tragisch; da hat sich etwas unter der Hand einfach zu einer kleinen Referenz an den Gescholtenen, den humorlosen Heidegger, entwickelt.


[Jan: "Du meinst schon, ich solle jahrelang darüber nachdenken, was eine Frage bedeutet, die ich auf Anhieb verstehe?" - "Ja! Und das ist lustig! Alles, was es dazu braucht, ist ein kleines bisschen Liebe zur deutschen Sprache. Die Frage ist verdammt gut! Und Heidegger hat schon recht: Wer sie schnell beantwortet, verpasst einiges."]

Dienstag, Juli 17, 2007

Buchprojekt: Der kluge Hausherr: Hausgenossen: Die schwarze Dame

Seit ein paar Wochen habe ich keinen guten Draht mehr zur schwarzen Dame. Vielleicht liegt es daran, dass ich ihre Gemächer habe umbauen lassen. Jedenfalls will sie sich partout nicht mehr blicken lassen. Und dabei habe ich mich mittlerweile doch recht gut auf ihre spontanen Besuche eingestellt. Jetzt bin ich etwas beunruhigt. Es spielen sich ungewohnte Dinge in meinem Haushalt ab. Der Inkri etwa bemängelt, dass ich seine unermüdliche Arbeit nicht mehr recht zu schätzen wisse und droht mit Auszug. Ich hätte kein Gehör mehr für ihn. Dabei habe er, um nicht zu langweilen, sein Repertoire erweitert, indem er sich redlich Mühe gebe, meine "lölihaften Anfälle von Glucksen, Selbstbewusstsein und Zuversicht" aufs Korn zu nehmen. Doch lassen wir den Inkri weiterwursteln. Was mich schon mehr beunruhigt, ist das Interesse an meiner WG, das eine andere Dame, von der ich vermute, dass sie mit der schwarzen Dame auf vertrautem Fuss steht, hartnäckig bekundet. Ich bringe es einfach nicht fertig, ihr Ansinnen klipp und klar abzulehnen. Stattdessen durfte sie mich heute nachmittag in die Stadt begleiten. Sie ist ja recht unterhaltsam, steckt voller toller Ideen und schlägt mir vor, diese doch gleich in die Tat umzusetzen. Lauter harmlose Dinge, die einem so durch den Kopf schiessen, die zu tun oder zu sagen man sich wünscht, von denen man aber aus guten Gründen sogleich wieder Abstand nimmt: Ist es nicht eine Verschwendung wertvoller Ressourcen, wenn man beim Anblick jedes Sommerrocks mit gewissen Meriten gleich so ein albernes Geschäker vom Zaun bricht. Oder kann man denn ein Verkaufsgespräch nicht auch so führen, dass die Verkäuferin nicht an ihrer anfänglichen Überzeugung, es mit einem stinknormalen Kunden zu tun zu haben, zweifeln muss:

"Volksmusik. Bayern. Tirol - auch Franken - nicht ausgeschlossen. Am liebsten Drei- und Viergsang. Und wenn eine leise Chance besteht, dass die Gruppierung es in den Musikantenstadel schaffen könnte, liegen wir falsch." - Wer will es der Verkäuferin verdenken, dass sie mir nach einem kritisch prüfenden Blick ein trotziges 'Gibt es nicht!' entgegenschleudert. Und überdies hat sie ja recht: Dass dreistimmiger a-capella-Xang, von einer wackeren Bäckersfrau aus dem Allgäu zusammen mit ihren beiden Töchtern vorgetragen, ein Xang, der jede Septime vermeidet und als Grundton vorzugsweise die Terz verwendet, je den Weg in unsere Regale findet, ist sehr unwahrscheinlich. Sogar die Globalisierung hat Grenzen.

Palestrina. In der Rubrik 'Geistliche Musik' erwartungsgemäss nicht zu finden (die gibt es ja bekanntlich erst seit dem Barock). Rüberwandern zur 'Alten Musik'. Und so ein Wanderer bleibt nicht lange allein: "Kann ich Ihnen behilflich sein?" - "Nach Palestrina steht mein Sinn." Und zurück geht's zur 'Geistlichen Musik'. "Haben Sie an etwas Bestimmtes gedacht?" - "Klar doch! Immer!" (Die bewusste Dame, ich nenne sie mal 'die Mänu', weicht nicht von meiner Seite.) Und wieder zurück zur 'Alten Musik'. Ich habe keinerlei Mühe, mich zwischen den beiden CD's zu entscheiden: "Ich befürchte, dass beide Chöre den Palestrina nicht richtig drauf haben. Aber kein Problem: Hier gibt's ja jede Menge Tallis, und ..." - "Ich denke, Sie kommen allein zurecht." Und ab rauscht das kluge Mädchen.

Die Mänu kichert, ich beginne mir Sorgen zu machen. "Sorgen? Hoffnung! Du weisst schon!" Tja, ich lasse mich gehen: Wer überbordend gut drauf ist und riskieren will, den sakralen Raum direkt via die Kuppel zu verlassen, der ziehe sich dieses Stück Hoffnung rein!

Thomas Tallis: Spem in alium

... Lass fahren alle Hoffnung! ... numquam habui ... Wer braucht die schon, wo doch alles fraglos und klar und vollkommen ist. ... Schicksal, nimm deinen Lauf. ... praeter in te ... der du über der Kuppel thronst ... Das ist zuviel! Das packe ich nicht! Philotustan greift ein: "Abstellen! Sonst wirst du gleich hoch auf dem gelben Wagen an einen gewissen Ort verfrachtet." Ich stelle die Musik leiser, lege die Arme auf das kleine Pult, vergrabe den Kopf in den Armen und, auf diese Weise gut geschützt, lasse ich einer den ganzen Körper schüttelnden Flut von Tränen ihren Lauf.

So scheint sich die Mänu den Spass nicht vorgestellt zu haben. Jedenfalls ist sie auf einmal verschwunden. Ich werde mich mal mal gründlich mit ihr unterhalten müssen. Aber wie redet man mit so einem Weibsbild?

... Deus Israel, qui irasceris, et[!] propitius eris

So! Jetzt wird das Ding aber endgültig abgestellt! So komme ich ja nie dazu, einen halbwegs verständlichen Blog zu schreiben!

Freitag, Juli 13, 2007

Der stockgebildete Philotustan hat sich mit dem Kanto, einem seines Erachtens zu wenig gewürdigten Aspekt der Kultur der Osmanen, beschäftigt und seine Auswirkungen bis in die Gegenwart verfolgt. Vielleicht ist er geneigt, uns dazu noch Näheres mitzuteilen. - Ich für meinen Teil glaube eher, dass er sich schlicht in ein Liedchen vergafft hat:

Karpuz getir yiyeyim


Her mit der Melone, ich will essen!
Mach auf dein Zimmer, ich will rein!
Wach auf, wach auf, reiss mich an dich!
Geliebte bist du, ich will es wissen!

Die Melone, ungenossen.
Erst war ich heiss, dann wurd' ich bleich.
Eine Geliebte wollt' ich, was macht sie?
Macht sich davon, und kommt nicht wieder!

Von der Melone greif dir eine Scheibe!
Was hast du angestellt, Geliebter mein?
Wer an meiner Rose schnuppert,
Muss seinen Tod ins Auge fassen!

Apfelgärten gegenüber.
Fische tummeln sich im Wasser.
Wie stark ist nicht die Leidenschaft!
Wie stark auch, was uns trennt!

Du zeigst dich mir von drüben wieder.
Verhüllt in einem langen Kleid.
In wallendem, seidenem Überhang.
Wie prächtig bist du anzuschaun!

Die Melone schnitt ich, sie ward feucht.
Ich ass, mein Kopf, der raste.
Die Arme, die vermaledeiten,
Schlangen sich um deine schmale Taille.

Du zeigst dich mir von drüben wieder.
Verhüllt in einem langen Kleid.
In wallendem, seidenem Überhang.
Wie prächtig bist du anzuschaun!

(Aus dem Türkischen von Alban Clemenz)


[Nun wird das Ding hier noch ein paar meiner türkischen Freunde aus dem WWW vorgelegt, korrigiert und nachgebessert. Ein Prozess, der spätestens dann zum Stillstand kommen wird, wenn ich des Liedchens überdrüssig sein oder, jeglicher Phantasie beraubt, darin etwas Eindeutiges ausgemacht haben werde.]

Donnerstag, Juli 12, 2007

Der Papst soll, wenn ich das richtig verstanden habe, etwas gesagt haben, und man müsse sich schon fragen. - Das war schon öfter mal der Fall, und ich lasse das mal auf sich beruhen.

Dann schnappe ich Näheres auf: Liturgie, vorkonziliär, Entrüstung. - Mehr will ich gar nicht wissen. Ich mag keine Enttäuschung erleben. Es kommt sowieso nie so, wie man es gerne möchte. Ich geniesse einfach den mir so vertrauten Zustand, wo Kreti und Plethi sich über den Heiligen Vater das Maul zerreissen und ihre ganz persönlichen, von keiner Erfahrung getrübten Meinungen über die Katholische Kirche zum besten geben. Daneben der obligate Zweifel: Mann, du machst dir da was vor, kein Schwein regt sich mehr über diesen Zweig der internationalen Friedensbewegung auf!

Zweifel hin, Zweifel her: Ein kleine Träumerei ist in Gang gekommen:

"Stately, plump Buck Mulligan came from the stairhead, bearing a bowl of lather on which a mirror and a razor lay crossed. A yellow dressing-gown, ungirdled, was sustained gently behind him by the mild morning air. He held the bowl aloft and intoned:
- Introibo ad altare Dei."

Der ehemalige Ministrantenchef einer kleinen Walliser Gemeinde mag Literatur, die ihm Vertrautes zur Sprache bringt. Doch hier endet das 'Stufengebet' schon. So überträgt er dessen Fortsetzung, während er sich nun zum 'Kyrie' in die zwei Stockwerke tiefer gelegene Musikabteilung begibt, einem Ministrantenanwärter, dem er an einem Samstagnachmittag im elterlichen Wohnzimmer die Lateinprüfung abnimmt:
- Ad Deum qui laetificat juventutem meam.
- [Nun sagt der Pfarrer etwas, was vom Prüfling korrekt so ergänzt wird:]
- Qui fecit caelum et terram.
- Confiteor ... Ja, das 'Confiteor', das keiner sich je merken konnte. Der Pfarrer sprach es äusserst leise und mit rasender Geschwindigkeit. Kurz vor dem Ende hob er drängelnd seine Stimme; er konnte die auf sein tägliches Bekenntnis folgende Absolution durch die jungen Dorfbengel kaum erwarten:
- Misereatur ... ähm ... dimissis peccatis tuis ... ähm ...
Na ja, das muss noch geübt werden.
[Es ist schon so: Bei diesem vertraulichen morgendlichen Zwiegespräch zwischen zwei Dorfbengeln und dem Hochwürden blieb der Rest der Gemeinde aussen vor.]

Die Wahl des 'Kyrie's: Nichts Neuzeitliches, schon klar. - 'Giovanni Pierluigi da Palestrina' (Was für ein Name!) - Und wenn schon 'Gegenreformation', dann gleich die Programmmusik [Etwas Einfacheres stellte Marcellus sich vor, etwas ohne Überfrachtung durch kontrapunktische Spielchen] dazu: 'Missa Papae Marcelli'.

Kyrie eleison!


Herr, erbarme dich! ......................................... denn sie wissen nicht, was sie labern ......................................... Tja, so ist das im Palestrina-Raum ......................................... Und noch ein 'Tja' ......................................... Tja ......................................... Das ist schon richtig so ......................................... Da soll einer die Aufregung verstehen ......................................... Aufregung mag immer verständlich sein ......................................... Aber wichtig ist sie eher selten ......................................... Die Seele ist die grosse Leerstelle, die spürbar wird, wenn du Palestrina hörst ......................................... Tja ......................................... Das ist die Nacht, in der du alle Kühe umarmen könntest .........................................


Also was mich betrifft, ich kann mich wegen der paar wenigen griechischen Einsprengsel in die lateinische Liturgie einfach nicht aufregen.

Montag, Juli 09, 2007

Seit meiner kurzen Versenkung im letzten Blog sitzt mir der Alte im Nacken. Hört sein eindringliches Flüstern: "Du weisst schon, wohin du da geraten bist: Es ist die 'Nacht, in der alle Kühe schwarz sind'". [Immer noch Nordseeküste, bloss weiter nördlich, Jütland.] - Der Alte mag meine Hegeleien. Er findet sie zwar grottenschlecht, doch auch er ist korrumpierbar. Wendungen wie die von der 'Einheit von Sammlung und Zerstreuung' zeigen ihm, dass ich immerhin begriffen habe, welcher Weg ins vernünftige Denken führt. "Als 'schickliche Konversation' kann ich das gerade noch durchgehen lassen."

Plural first!


Klar doch! Auf jede Versenkung folgt wieder die Zerstreuung in Singularitäten. Und die finden sich ja überall, an der Treene beispielsweise, oder der Gürbe. Dort habe ich eben eine Versammlung von an die 20 Sägerenten beobachten können. Ich muss wie blöd auf das geschweifte Gefieder geglotzt haben: Ich fand mich alsbald von einer kleinen Schar von Gaffern umringt. Und hätte nicht eine Mutter ihre Kleine auf das Miezgetier an der Böschung gegenüber aufmerksam gemacht, das sein Augenpaar mit interesselosem Wohlgefallen über die Bescherung gleiten liess, hätte ich das Tierchen doch glatt verpasst. Und das will was heissen!

Zur Linken dann die Viehweide, ein paar Schafe, Zigaretten am Kiosk, und zurück an die Maschine, wo ich sofort einen Blog zu schreiben begann, der versucht, eine dialektische Bewegung aufzunehmen, die ... Ach was! Für die Katze habe ich ihn geschrieben, meine Gefährtin in der zerstreuten Betrachtung einer sich zerstreuenden Schar von Sägerenten.

Singular und Plural


Das Arbeiten an der Sprache ist ein Sich-Hinein-Weben-(Lassen) in Wirklichkeiten. Und in gar nicht so seltenen Momenten entsteht so ein Gefühl des Verschmolzen-Seins mit der einen, grossen Wirklichkeit.

Internetforum. Ein Teilnehmer ist dabei, ein Gedicht von Dağlarca zu übersetzen. Es geht flüssig hin und her. Ich bin dabei, eine kurze Bemerkung zur Wahl eines bestimmten Wortes in Vers xy zu schreiben, klimpere also so vor mich hin. - Kommt ein Vogel geflogen ... Hat ein Zetterl im Schnabel ... Und darauf steht:

Das Arbeiten an der Sprache ist ein Sich-Hinein-Weben-(Lassen) in Wirklichkeiten. Und in gar nicht so seltenen Momenten entsteht so ein Gefühl des Verschmolzen-Seins mit der einen, grossen Wirklichkeit.


[So entsteht ein Live-Blog. Jetzt muss ich aber schnell - es ist schon 01:25 - wieder zurück ins Forum!]

Samstag, Juli 07, 2007

Ein kleiner Gedankenflug - kein Höhenflug - eher ein gedanklicher Tiefflug - nebst einer wahren[!] Geschichte:

Wie verzweifelt muss ich einst gewesen sein, als ich im Kiosk von Husums Bahnhöfchen das einzige Büchergestellchen in Schwung brachte und dabei meinen Blick gelangweilt über die Rücken der kunterbunten Taschenbücher gleiten liess. Die bekannten Autoren eben: Agathe Christie, Georges Simenon, W. V. O. Quine, Simmel & Konsalik, Rosamunde & Sowieso... Später, in den Dünen von Amrum, dann die Betrachtung der Welt 'from a logical point of view'. Was es nicht alles gibt! Den Sandregenpfeifern habe ich es verkündet und den Dünengräsern, den standfesten, an deren Verwurzelung in der Realität der Autor keinen Moment zweifelte, während er andere Kreaturen, die Klasse der Potenzis beziehungsweise deren Artenschützer etwa, in Verlegenheit brachte, indem er die Frage aufwarf, wie viele potentielle Menschenskinder sich gleichzeitig durch einen engen Türspalt zwängen könnten. [Ha! Gut dreissig Jahre ist das her. Und es bedarf keiner Rücksprache mit Herrn Google. Grosses Ehrenwort! Die Lüfte Nordfrieslands blasen es mir ins Gehirn.]

Wie viele Nicht-Blogs könnte ich an einem einzigen Tag schaffen, wenn ich schon bei Nicht-Romanen auf zigzabertausend komme!


[Rubriken: Ontologie; Theorie des Nicht-Blogs (in Grundlegung begriffen)]

Rubrik: Blogs, die nie geschrieben wurden

[Karin Wenger: Ein Wald am Platz des unerwünschten Dorfes. NZZ, 06/07/2007]

In der Mittelschule einiges über den 'ersten arabisch-israelischen Krieg', auch 'Unabhängigkeitskrieg' genannt, gehört. Zentrum des Blogs (Arbeitstitel: Der Name des Kriegs): Philotustan hat ein neues Wort für diesen Krieg gelernt (Wie aufregend!): Nakba: die Katastrophe. Ein Name, der durch seine Schlichtheit unter die Haut geht ...

[Ende Nicht-Blog]

... und alten Gerümpel aus dem Gehirnskasten hervorholt: Was für eine gute Idee, den Juden nach dem 2. Weltkrieg ein Territorium zuzuweisen, das noch nicht bevölkert war. Von Amoeben und Algen und Ameisen und A ... ähm ... Antisemiten? ... nein! A ... ähm ... na so'n Zeugs eben mal abgesehen.

[Ende Postscript zu Nicht-Blog]

Neue Rubrik: Blogs, die nie geschrieben wurden

[Ein Artikel im 'Observer'. Autor: Hasan Butt. (Bis 2006 Mitglied des britischen Jihad.) Übersetzung: as in der NZZ, 05/07/2007]

Blog 1:
Das Gelächter der britischen Jihadisten
Blog 2:
Das breite Netzwerk (Arbeitstitel). Die Bombenleger und ihren Propagandapparat umfassend. Der Propagandapparat: Medienkommentatoren und ein Heer von wohlmeinenden Idioten, prominent vertreten durch den Londoner Bürgermeister Kent Livingstone
Blog 3:
Wer nichts von Theologie versteht, versteht auch von der Welt nichts. Die islamistische Theologie. Anregung: Beim Versuch, das Handeln von Person zu verstehen, auch deren Gedankengänge in die Überlegungen einbeziehen! Der hohe Preis, der für den Erwerb von Verstehen gezahlt werden muss: der Nachvollzug von theologischen Gedankengängen (Pfui Deibel!)
Blog 4:
Wieder weg von der Theologie: Die Ersetzung von Arbeit an der formellen (nicht-islamistischen) Theologie durch den schlichten Hinweis, dass die mittelalterliche, bipolare Auffassung der Welt (muslimische Länder - Länder der Ungläubigen) die heutige Realität Manchesters nur unzureichend beschreibt. Katholisch ausgedrückt: Aggiornamento (in memoriam Johannes XXIII). Oder mit den Worten Hasan Butts: Schritt in die Gegenwart


Mit nachdrücklicher Empfehlung, die NZZ zu lesen

Philotustan

Neue Rubrik: Fragen, die die Welt nicht bewegen

Warum ich deutsche Schlager mag


Hey! Siebentausend Rinder!
Kinder, Kinder, Kinder!
Im Sommer und im Winter
Immerzu, lauter Ochs, lauter Kuh!
(Peter Hinnen)


"Und jetzt?" - "Hey! Siebentausend Rinder! ... - "Kinder! Kinder! Kinder!" - "Siehst du?!"


[Für regelmässige LeserInnen: Was denkt ihr, wie lange die schwarze Dame sich solchen Unsinn anhören mag?]

Donnerstag, Juli 05, 2007

Liebes Tagebuch

Es geht mir gut. Mein guter Philotustan hat sich heute ein ganz dickes Lob eingefangen. Und nun sitze ich leicht bedeppert da und kann es noch nicht ganz fassen. Auch will mir im Moment partout nichts Rechtes einfallen. Aber der Anblick, der sich meinem geistigen Auge darbietet, entschädigt für so manches. Ja, ja, du hast es erraten: Das Lob kam von einer Frau, einer sehr attraktiven obendrein, einer Katzenliebhaberin mit einem sehr schönen Namen. Nein, den bekommst du nicht zu hören, aber den Namen des Katers darfst du erfahren: 'Herr Johnny Mauser'. Da bist du sprachlos, gell? Was an dem Philotustan so toll sein soll? Nun, es ist - unter anderem oder in erster Linie - seine

Gelassenheit


Mit der Gelassenheit verhält es sich wie mit andern schönen Dingen wie beispielsweise der Lust: Strebt man sie an, geht sie baden und flöten. - Es soll mich und alle meine LeserInnen erfreuen, wie weit es unser Philotustan punkto Gelassenheit gebracht hat. Aber Hand aufs Herz: Unsereiner sollte sowas gar nicht erst versuchen. Das Disaster ist vorprogrammiert. Was soll es denn anderes zu vermelden geben als - im besten Fall - ein 'Ich bin noch nicht so weit'. Da scheint mir ein Noch-Nicht zum Lebensprinzip erhoben zu sein. Schlimmer: Stell dir vor, du stehst kurz vor dem Absterbensamen, und es schiesst durch deinen Kopf: Jetzt bin ich so weit! Scheisse!

Es gibt ja schönere Ziele. Gelten lassen, dass man ab und zu den Fehler macht, den nie mehr zu machen man sich zigmal geschworen hat. Oder für gehobene Ansprüche: Die Kuriosität eines neuen, ungeahnten Fehlers hinnehmen und geniessen. (Welch ein Prachtsexemplar! Das hatte ich noch gar nicht in meiner Sammlung! Interessant!) Oder für hoffnungslosere Fälle wie mich: Gelten lassen, dass ich nun mal ein Zappelhans bin und einer, der sehr leicht den Verstand verliert und mehr, als gut ist, aus dem Häuschen gerät.

Ok. Gelten lassen, dass man nun mal nicht zu übertriebener Gelassenheit neigt. Das ist nicht schlecht. Wäre das dann nicht ... Die aufmerksame Leserin riecht den Braten schon: Philotustan hat eben eine neue Umschreibung für die Gelassenheit gefunden. Irgendwie läuft ihm die schon nach. Und was mich betrifft, lasse ich was anderes gelten: Ich lasse gelten, dass eine tolle Frau den Schöpfer des 'Philotustan' der Gelassenheit verdächtigt/bezichtigt/rühmt. Und um das dingfester zu machen, widme ich dieser Frau diesen Blog:

Für Carola

Dienstag, Juli 03, 2007

Bubi bastelt (1)

Arabische Realitäten


Frage: Warum schafft es eine Partei wie die Hamas - sie soll hier stellvertretend für andere islamistische Organisationen stehen -, die Parlamentswahlen zu gewinnen?

Erklärungen zu finden ist nicht schwer. Ich schlage hier zwei Verfahren vor, wie du dir selber ein paar davon basteln kannst:

1)
Du nimmst ein paar Dinge wie 'Befreiungsbewegung', 'gerechter Kampf, 'Bush und überhaupt', 'Widerstand', 'Siedlungspolitik', 'soziale Gerechtigkeit' und 'der Westen' und schusterst dir mit ein paar weiteren Zutaten eine Erklärung nach deinem Gusto zurecht.

2)
Du beginnst - Organisation hin, Land her - mit folgender Formel: "Die andern sind aber auch dermassen schlecht/korrupt/miserabel/..., dass ..."


[Wer eine gewisse Wirklichkeitsnähe vertragen mag, wird vielleicht eher zum zweiten Verfahren neigen.]

Sonntag, Juli 01, 2007

Grosse Philosophen machen sich die Sache mitunter gar arg einfach. Wir kennen alle die schnoddrige Art, mit der Heidegger den ganzen neuzeitlichen epistimischen Wust mit zwei kleinen Bindestrichwörtchen aus dem Weg räumt:

In-Sein, Mit-Sein

Wir teilen mit andern Menschen eine gemeinsame Welt. Und wer sich für die ganze Problematik interessiert, die er in diesem Sätzchen auszumachen glaubt, der lese ein anderes Buch.

Noch lieber sind mir die Blogs von Wittgenstein, die eine nette Herausgeberin unter dem Titel 'Philosophische Untersuchungen' veröffentlicht hat. Werfen wir doch mal einen Blick auf den ersten Blog:

1. Teil: Ein Text von Augustinus nebst Übersetzung
2. Teil: Eine einfältige Bedeutungstheorie, die hinter dem Text stecken mag
3. Teil: Der fünfte Abschnitt, der Kern des Blogs, eine [in memoriam Richard Rorty:] Verabschiedung:

... und das war nun das Ende


Während Heidegger bei einigen Leserinnen den Eindruck erwecken mag, er entwickle auf zahlreichen Seiten die Grundlagen einer durch eine noch fundamentalere Ontologie begründeten gründlicheren Behandlung der grossen Renner der neuzeitlichen Philosophiegeschichte, räumt Wittgenstein schneller auf:

Denke nun an .... Und er drückt einem von uns einen Zettel in die Hand, auf dem die Zeichen 'fünf rote Äpfel' stehen, und schickt ihn zum Einkaufen. Das Geschäft wird erfolgreich abgewickelt.

Es hätte natürlich auch auf 1001 Arten anders abgewickelt werden können, und es besteht, wie immer, die Möglichkeit, 1001 kritische oder bohrende oder gründlichere Fragen zu stellen. Nun, ich nehme an, ... Die Erklärungen haben irgendwo ein Ende.

Das war die fröhliche Botschaft Nummer 1. (Wer sie schnallt, kann jetzt zum Beispiel Tolstoi lesen.)

Ok. Aber da gibt es einen, der stellt nicht irgendeine dämliche Frage. Der will es genau wissen: Was aber ist die Bedeutung des Wortes 'fünf'?

Das führt dann zur fröhlichen Botschaft Nummer 2:

Von einer solchen war hier gar nicht die Rede.

"Und wann kommt Wittgenstein denn endlich zum Punkt, der mich so brennend interessiert?" - "Meines Wissens hat er sich dafür zufällig gerade nicht interessiert." - Mist! Das Buch hätte man sich doch glatt sparen können! - Dann werden wir halt das nächste mal besser aufpassen. Und in der Zwischenzeit ... na ja, vielleicht liegt da irgendwo noch ein Tolstoi rum.