T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Sonntag, Dezember 31, 2006

Über den Nutzen des Informiert-Seins für das Leben


Spaziergang und Abendessen mit Sibylle, einer lieben Freundin, die schon seit einigen Jährchen in Berlin lebt, erst in Kreuzberg, nunmehr in Neukölln. Es gefällt ihr so gut, dass sie mittlerweile ganz in unser nördliches Nachbarland übergesiedelt ist. Bei ihrer Arbeit als klinische Psychologin betreut sie abwechselnd verschiedene Personen, die ein psychisches Leiden haben, aber nicht stationär behandelt werden wollen/können. Mit andern Worten: Sie kommt unter die Leute.

Ich, ein leidlich gut informierter Zeitgenosse mit einem besonderen Interesse dafür, was in türkischen Städten so abgeht, rücke natürlich mit entsprechenden Fragen raus und sauge alle ihre Schilderungen in mich auf. Ganz besonders gut hat mir dieser ihre bedauerlichen Kenntnislücken entschuldigende Satz gefallen: "Weisst du, ich lese halt nicht mehr so fleissig Zeitung."

Ich denke, es ist besser, wenn sie nichts davon erfährt, wie ernst die Situation in den genannten Stadtteilen mittlerweile geworden ist und wie dort langsam alles den Bach runtergeht. Es genügt, so sage ich mir, wenn ich mich geflissentlich informiere und ihr dann Bescheid gebe, wenn die lange Zeitspanne zwischen fünf vor zwölf und zwölf abzulaufen droht.

Freitag, Dezember 29, 2006

Das Glücken des Tags mit purem Wohnen? Wohnen: sitzen, lesen, aufschauen, in Nichtsnutzigkeit prangen. Was hast du heute getan? Ich habe gehört. Was hast du gehört? O, das Haus. Ah, unter dem Zelt des Buchs. Und warum gehst du jetzt aus dem Haus, wo du doch, mit dem Buch, am Platz warst? Um das Gelesene zu beherzigen, im Freien.
(Peter Handke: Versuch über den geglückten Tag)

Meine Frau und ich hatten uns jedes für sich mehr schlecht als recht durch den Tag geschleppt. Ich weiss nicht mehr, wie es dazu kam, dass ich ihr aus dem Buch vorzulesen begann. Ab da war nur noch Leichtigkeit und Freude um uns herum. Susanne bemerkte die mit dem Anfang der Lektüre eintretende Aufhellung meines Gesichts. Ihre Reaktion auf den langen Satz aus dem gestrigen Blog war pures Entzücken. "Dass einer solche Dinge sagen kann!" Sie sagt selber gerne Dinge, die 'man' so nicht sagt. Auch sie leidet öfter mal darunter, dass die Art, wie sie die Dinge sagt, durch auf Normalmass zurechtrückende Einwände und Bedenken zugekleistert wird. Auch darüber sprachen wir dann. Vielleicht anderthalb Stunden lang. Und natürlich über den Sonnenbalken, der in das dunkle Kirchenschiff eindringt und sich quer über ein paar Bankreihen legt. Und über den Vater, der jetzt dann gleich zusammen mit seiner jedes Ding in ihrem Blickfeld ernst, geschäftig und neugierig in Augenschein nehmenden Tochter den Zug besteigen wird, der mich zur Arbeit führt.

Ja, ich bin dann mitgegangen. Mit dem Tag bin ich mitgegangen. Einfach mitgegangen. Mitgegangen, mitgehangen. Am leichten Ablauf des Abends. Schwerelos. Der Tag dreht und wendet sich und nimmt dich mit. Ein Nichtstun der feinsten Art. Nicht mal zu pflücken brauchst du den Tag. Du bist der Gepflückte, der sich lässig in den Schoss des Tages fallen lässt.

Donnerstag, Dezember 28, 2006

Vita brevis, dies longa.

[Peter Handke: Versuch über den geglückten Tag. Ein Büchelchen über einen hinreissend belanglosen Gegenstand. Übertroffen vielleicht nur noch vom 'Versuch über die Jukebox'. Soweit ich mich erinnern kann, ist es die einzige Lektüreempfehlung, die ich je ausgesprochen habe. Und die war ein Flop. Das Folgende ist also keine Lektüreempfehlung. Es handelt sich um den dritten Satz aus Handkes Essay, bloss abgeschrieben aus purer Freude an einem geglückten Satz.]

Und auf jener Fahrt in jenem Vorortzug zwischen den Seine-Hügeln westlich von Paris, zu jener Stunde des Nachmittags, da in der Regel Frischluft- und licht manch morgendlichen Aufbruchs verbraucht sind, nichts mehr natürlich ist und nur noch das Abendwerden, vielleicht, aus der Tagklemme hilft, jenes plötzliche Ausscheren der Gleisstränge, zu einem weiten Bogen, fremdartig, zum Staunen, hoch über der unversehens sich in der Flussniederung frei wegdehnenden ganzen Stadt samt ihren, dort auf der Höhe etwa von St. Cloud und Suresnes, so verrückt wie wirklich sich auftürmenden Wahrzeichen, mit welch unvorhergesehener Kurve, heraus aus der Enge, der Tageslauf, in einer Sekunde des Übergangs von Wimpernstarre zu Wimpernzucken, neu Richtung bekam und die fast schon abgetane Idee von dem "geglückten Tag" wiederkehrte, begleitet von dem Schwung, der heiss macht, sich zusätzlich an einer Beschreibung, oder Aufzählung, oder Erzählung der Elemente und Probleme solch eines Tags zu versuchen.

Mittwoch, Dezember 27, 2006

Ο φρονων την ημεραν κυριω φρονει

Wer den Tag denkt, denkt zum Herrn.


(Röm 14, 6)


Die Gute Nachricht. Die Bibel in heutigem Deutsch: Wer bestimmte Tage beachtet, tut es, um den Herrn zu ehren. -
Das ist die Nachricht, die unfroh macht. Sie erinnert an die Pflicht, den Sonntag zu heiligen und dadurch dem Herrn die gebotene Ehre zu erweisen.

Luther: Wer auf den Tag achtet, der tut's im Blick auf den Herrn. -
Eine wunderbare Übersetzung. In der Verlängerung des Blicks, der sich auf den Tag richtet, treffen wir auf den Herrn. Der Blick, der auf den Tag gerichtet ist und darüber hinaus gleitet, hat eine verheissungsvolle Richtung eingeschlagen.

Meine Übersetzung schliesst hier an und betont die Richtung des Blicks im Gegensatz zum Punkt, wo er haltmacht. Der Satz zeigt, wie der Blick diese Richtung gewinnt.
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Dieser Blick transzendiert. Vertikal. Der horizontal transzendierende Blick gerät in die Geschichte, verfängt sich im Grossen Elend, projiziert das ganz Andere in die Ebene. Er folgt einer Linie des unaufhaltsamen Fortschritts und wird seiner Projektionen schliesslich überdrüssig, wenn er innehält und auf das ewig Gleiche stösst: Menschen schlagen einander tot; für Abertausende von Dingen, die sie wertschätzen; ohn Unterlass.

Wer aus der Vergangenheit in die Zukunft denkt, verfällt allenfalls auf eine Utopie; oder er verfängt sich in einer Theodizee. - Wer den Tag denkt, wird wie die Kinder und macht es wie die Vögel des Himmels. Loblieder ersetzen die Theodizee; das Ungerechtfertigte wird im vertikalen Flug besungen. Die Mühen der Rechtfertigung werden den Flachfliegern überlassen. Mitten aus dem Grossen Unheil wird der heilsame Flug angetreten.

"Was Gott tut, das ist wohlgetan!" - Das ist keine Rechtfertigung. Es ist das Lob des Ungerechtfertigten, geboren aus der Überfülle des Tags.

Dienstag, Dezember 26, 2006

[Das hier muss noch vor Jahresende erledigt sein. Ich möchte es, zusammen mit dem Wunsch, das Hauptwerk meiner mittleren Periode ("Der Begründungszwang") doch noch zu veröffentlichen, im alten Jahr zurücklassen. Ein eminent psychotherapeutisches Unterfangen also, das niemanden im geringsten zu interessieren braucht. Für Wittgensteinliebhaber sei aber doch angemerkt, dass ich dies im Anschluss an die Lektüre der Paragraphen 641-642 aus "Über Gewissheit" geschrieben habe.]

Auf Wittgensteins Couch


"Aber ich kann mich natürlich immer irren." - "Woher weisst du das?" - "Ich habe mich schon so oft geirrt." - "Das kannst du nicht wissen!" - "Ich gehe davon aus, dass ..." - "Mit welcher Berechtigung?" - "Du musst aber doch zugeben, dass ..." - "Hast du eine Ahnung!" usw. usf.

Zwinge den, der unter dem Begründungszwang leidet, dazu, mit der Begründung ständig fortzufahren; lass keine Evidenz gelten; jeden Hinweis auf einen tatsächlichen Irrtum weise als inkohärent zurück; weise darauf hin, wie ungeheuer bedenklich und willkürlich seine Bedenken sind ("Warum setzt du erst hier/gerade hier mit deinem Zweifel ein?"), und wenn er wimmern sollte: "Ich meinte doch nur ...", frag ihn, was er denn unter 'meinen' verstehe usw. usf.

Wittgenstein führt eine Menge von Verfahren an, die - zusammen mit andern, ähnlichen Verfahren - dem unsinnigen Zweifel die Spitze nehmen und den Begründungszwang lockern sollen. (Du kannst dir selber solche Verfahren ausdenken.) Es hätte gar keinen Sinn, würde den Zweck verfehlen, hier Argumente auftischen zu wollen. Was Wittgenstein bekämpft, ist eine Krankheit, und Argumente sind natürlich Dinge, an denen der Kranke sich festbeisssen kann: Argumente schaden ihm nur.

Wittgenstein ersetzt Argumente durch therapeutische Verfahren.

Die Therapie dauert lange, und Wiederholungen sind unvermeidlich. Das therapeutische Verfahren lebt von solchen Wiederholungen.

[FINIS OPERIS. - Tja, das ist nun auch der Fall. Und noch manches wird der Fall sein, bevor das Jahr ausklingt. Und danach wird das Werk, das eben verabschiedet wurde, vielleicht wieder aufgenommen werden. Damit wäre dann wieder etwas anderes der Fall. Das Schöne daran: Nichts muss der Fall sein, weil etwas anderes der Fall ist. Und am Ende wird gestorben. Auch das ist dann der Fall. Und dann werden die Vögel singen. Ohne mich. Das ist der Ereignischarakter der Welt.]

Die Etymologie des Unbewussten


In einem Gespräch zwischen Siegmund Freud und einem seiner Freunde gerät letzterer bei einem lateinischen Zitat ins Stocken. Ein Wort ist ihm gerade entfallen. Wie ärgerlich! Ein simples, höchst geläufiges Wort! Das gibt's doch nicht! So heisst es denn, in Anwesenheit des späteren Autors der 'Psychopathologie des Alltags' frei zu assoziieren. Man nehme den ersten Einfall: Der Freund erinnert sich, am selben Tag in einer Zeitung gelesen zu haben, dass an einer kleinen Wallfahrtsstätte in Italien grosse Aufregung herrscht, weil eine Statue, obwohl es eigentlich an der Zeit wäre, partout nicht bluten will. Oha! Es fliesst nicht, was da, der Regel entsprechend, fliessen sollte! Freud erkundigt sich höflich nach den Damenbekanntschaften seines Freundes. Der Rest ist wenig überraschend: Der Freund erinnert sich an die Dame, die ihn durch die Mitteilung, dass ihre Regel ausbleibe, in Aufregung versetzt hat. Dabei fällt ihm nun auch das 'aliquis' wieder ein, das unter den gegebenen Umständen tiefengrammatisch als 'a-liquis' mit allen unangenehmen Konnotationen gedeutet und aus der Oberflächengrammatik verbannt worden war.

(Aus: Mein erster Freud: Sprachwitze für gehobene Ansprüche.)

Montag, Dezember 25, 2006

Über die Unvermeidbarkeit der Gewissheit


Wenn du weisst, dass hier eine Hand ist, so geben wir dir alles übrige zu.
(Ludwig Wittgenstein: Über Gewissheit, 1, 1. Satz)

Nenne mir eine Gewissheit, und ich schenke dir alle andern.

Das war der Ausgangspunkt.

Nun will ich ein bisschen spielen. - Mein Freund Georg ist wieder mal skeptisch drauf und langweilt mich mit Betrachtungen über die Zweifelhaftigkeit aller angeblichen Gewissheiten. "Na dann zweifle doch mal!" - "Das Bild dort könnte eine blosse Täuschung sein." - "Welches Bild denn?" - "Das da an der Wand gegenüber." - "Moment! Wand? Ist da eine Wand?"

Nenne mir die relevanten Gewissheiten aus dem Set unserer Lebensform, und ich schenke dir einen Zweifel.

Und das war nun das Ende.

Ein Zweifel ohne Ende ist nicht einmal ein Zweifel.
(irgendwo ebenda)

Schuhe


Nach Feierabend. Zusammen mit einer Arbeitskollegin bin ich zu kurzem Stadtbummel und Plauderstündchen bei Kaffe nach Fribourg gefahren. Wir haben eben die erste Ampel gleich beim Bahnhof erreicht und warten. Da prustet meine Begleiterin geradezu hysterisch los und zeigt mit vorgestrecktem Finger auf die andere Strassenseite. Dort steht in der vordersten Reihe der drängend Wartenden ein junger Mann in der althergebrachten Bekleidung der Novizen eines Priesterseminars. Keine gänzlich ungewohnte Erscheinung. Doch ich begreife sofort: Was meine Kollegin dermassen aus dem Häuschen bringt, sind seine blitzsauberen, auffällig glänzenden Schuhe.

Es ist Samstagabend. Wir Zöglinge einer vorkonziliären katholischen Internatsschule haben die Zeit nach dem Abendessen dazu genutzt, alle unsere Schuhpaare auf Hochglanz zu trimmen. Nun warten wir auf die Ankunft des Präfekten, der darüber entscheiden wird, wer am folgenden Tag mit seinem vorzüglich gepflegten Schuhwerk die Bewohner des Dorfes in Erstaunen versetzen und wer stattdessen sein Schuhwerk schonen und seine Schreibkünste weiterentwickeln darf. Wir werden in gespannter Ruhe verharren, wenn der Examinator von einem Schuhfach zum andern schreiten und dabei entweder stumm nicken oder ein fehlbares Schuhpaar durch dir Luft wirbeln lassen wird.

Wir haben die Strasse überquert. Der Novize schreitet gemessenen Schrittes auf das Bahnhofgebäude zu, das erste Ziel seines hart verdienten Ausgangs. Meine Begleiterin hat sich noch nicht fassen können, während ich dabei bin, meine Gedanken auf mein solides, berggängiges Schuhwerk zu sammeln, das durch nichts so leicht zu Schaden kommt, es sei denn durch ein albernes Geschmiere, dessen Spuren durch kein noch so emsiges Bürstengesäbel sich beseitigen liesse.

Dienstag, Dezember 05, 2006

Richard Rorty zur Einführung


Richard Rorty ist ein Ethnozentrist. Als solcher bejaht er die Kontingenz und verzichtet auf Metaphysik.

Verschiedene Menschen(gruppen) haben verschiedene Werte. Das ist trivial. Diese Werte sind kontingent. Das ist auch trivial. Dass einer ohne 'Gibt es nicht doch vielleicht?' und dergleichen bei diesen Trivialitäten stehenbleibt, ist nicht trivial. Rorty verzichtet darauf, die Benennung von Trivialitäten durch den Gebrauch von Wörtern wie '(Kultur)Relativismus' und dergleichen zu veredeln. Und er bejaht die Kontingenz. Das ist auch nicht trivial.

Den Verzicht auf Metaphysik mag man auch als trivial ansehen. Allerdings sollte man dann nicht immer mal wieder der Versuchung unterliegen, seine besten eigenen Werteinstellungen sowie diejenigen der eigenen Gruppe dadurch vor der Kontingenz zu retten, dass man sie in einer jedem vernünftigen Wesen einsichtigen Weise an irgendetwas jedem vernünftigen Wesen zugänglichem Härterem, Beständigerem, das bloss Zufällige Übersteigendem festzumachen versucht.

Die Situation ähnelt der bei Nietzsche. Beide Denker lieben das flüssige Element oder die Sumpfgebiete der Kontingenz. Und beide strahlen sie eine überschwängliche Bejahung aus. Die ist bei Nietzsche noch oder vor allem dort spürbar, wo er mit dem Hammer an festgeformte Skulpturen klopft und dabei die mittlerweile nicht nur Skeptikern bekannten Hohltöne erzeugt. Bei Rorty finden wir diese Bejahung am ausgeprägtesten in seiner Figur des liberalen Ironikers, der um die Kontingenz seiner besten Überzeugungen weiss und ungerührt an ihnen festhält. Bei beiden wird nicht unter Verweis auf Unumstössliches bejaht. Es wird schlicht und nicht wenig ergreifend bejaht.


"Aber eine solche Bejahung ist unbegründet." - Tja, ich kann es ja nachvollziehen. (Jeder hat doch mal seine metaphysische Phase gehabt. Und nicht jedermann wird durch Wittgensteins Bemerkung, wonach unsere grundlegendsten Überzeugungen in der Luft hängen, zum Schmunzeln gebracht.) Wir müssen begründen und befestigen, was uns lieb und teuer ist. Sonst schwimmt es uns eines Tages davon oder zerbröselt uns zwischen den Fingern. Man mag Rorty nicht trauen, wenn er Habermas, dem CEO der Frankfurter- Begründungs-GMBH, und andern empfiehlt, ihre Versuche, die Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit durch Argumente plausibel zu machen, einzustellen und stattdessen mit ihm ein frisches Loblied auf die genannten innig geliebten Werte anzustimmen. ("Es singe, wem Gesang gegeben!" - "Ok! Den Habermas nehmen wir nicht in unsern Chor auf.")

"Stellt sich die Frage, wer den Sängerstreit gewinnt. Da ist doch ein grosses Risiko dabei!" - "Nicht wirklich. Es soll ja Gegenden geben, wo solcher Wettstreit verboten ist. Und in unsern Gegenden mag einer wacker gegen die genannten Werte ansingen. Was er damit erreichen kann, ist bestenfalls die Gratisverpflegung in einer Klapsmühle." "Ist das nicht ein wenig blauäugig?" - "Nicht, wenn wir uns auf die Tugend der Wehrhaftigkeit besinnen. Und die ist an Orten, wo gesungen wird, bestimmt nicht weniger häufig anzutreffen als in Unternehmen wie demjenigen von Habermas."


Kontingente Werte sind Pflanzen, die in Sumpfgebieten wachsen, gedeihen, mutieren und sich anpassen. Wer einen festen Katalog anlegen will, einen endgültigen Katalog, sollte sich vielleicht nicht auf solche Gebilde konzentrieren. Er sollte aber auch nicht vergessen, jeden Abend vor dem Schlafengehen darum zu beten, dass das metaphysische Erdreich, das seinen Gebilden Halt geben soll, nicht ins Rutschen gerät. Wenn nämlich in der Götzendämmerung die Trutzburgen einstürzen und die Wassermassen des Stroms sich zwischen die Ruinen drängen ...

"Ja? Was dann?" - "Tja, vielleicht geht's auch in diesem Fall zu wie in der Götterdämmerung ..." - "Genug jetzt! Das war eine miserable Einführung in Rorty!" - "Der Anfang war ganz gut. Und am Ende läuft es bei mir z. Zt. halt auf den Nietzsche hinaus. Und auf den Schluss der Götterdämmerung läuft sowieso alles hinaus. Auf die letzten Töne des 'Rings', die im Zwiegesang zwischen Sigmund und Sieglinde im ersten Akt der 'Walküre' erstmals erklangen, menschliche Töne, irdische Töne inmitten des heroischen Leitmotivgetümmels der übermenschlichen Recken und Fabelwesen."

Gegen Burnout gefeit


Eine längere Unterhaltung heute mit meinem Seelenklempner über die Frage, wie ich der schwarzen Dame ihre in letzter Zeit häufigeren Besuche etwas vermiesen könnte. Dabei interessierte mich auch die Frage, ob man denn meine 'depressiven Verstimmungen' oder wie immer das Zeugs heisst nicht auch als 'temporäres Burnout' oder ähnlich bezeichnen könnte. - Kann man nicht! Denn:

"Sie kommen für ein Burnout nicht in Frage. Erstens ist ihre Stellung entschieden zu niedrig. Ein Burnout ist etwas für den Präsidenten der FDP und dergleichen Leute. Zudem arbeiten Sie zu wenig. Wissen Sie, Arbeit adelt. Und Burnout ist ein Adelstitel. Bei Ihnen reicht es nur zu einer Krankheit, die keinerlei gesellschaftlichen Status verleiht."

"Er hat ein Burnout." - Vow! Ich hätte nie gedacht, dass der dermassen viel verdient."

Montag, Dezember 04, 2006

Nietzsche ein Atheist?


Nicht dass ich wüsste.

Ich lasse es bei dieser Antwort bewenden. Die Frage ist genau so dämlich, wie sie dreinschaut. Am besten vergisst man sie gleich wieder. Sie ist unergiebig. Sie unterstellt, dass sich da einer die Frage nach der Existenz Gottes gestellt und beantwortet hat. Das mag ja sogar sein. Aber mit dem, was an Nietzsche interessant ist, hat das nichts zu tun.

Nietzsche hat eine Diagnose gestellt. Sie lautet: "Gott ist tot." Wem wird hier eine Diagnose gestellt? Dazu ein kleiner Hinweis: Es darf vermutet werden, dass diese Diagnose nichts über den Gesundheitszustand des Schöpfers aussagt.

"Wir haben ihn getötet." - Hieraus dürfen wir schliessen, dass er nicht mehr unter uns weilt. Und das ist eine Aussage über die Hinterbliebenen.

Wer sind die Totschläger? Wie ist ihre geistige Verfassung? (Muss ihnen etwa eine verminderte Zurechnungsfähigkeit attestiert werden?) Sind niedrige Beweggründe im Spiel? Sind sie einsichtig? Zeigen Sie Reue? Wie geht es ihnen jetzt? - Das sind gute Fragen. Warum? Weil Nietzsche dazu verdammt viel gesagt hat.

Die Antworten: Die Totschläger sind 'wir'. Ihre geistige Verfassung ist prächtig. Zurechnen darf man ihnen schlicht alles. Es sind moralisch hochstehende Menschen, die keine Reue zu zeigen brauchen. Ihr moralisches Empfinden ist bis zu einem Grad entwickelt, der es ihnen geboten erscheinen liess, zum Messer zu greifen. Es geht ihnen mittelprächtig. Sie sind ein bisschen unglücklich, aber das mit dem besten Gewissen. Das Motto: "Ich bin zwar unglücklich, aber redlich."


"Und was ist jetzt mit der Existenz Gottes?" - "Davon war nicht die Rede." - "Verdammt! Was ist damit?" - "Gott ist tot. Und wir haben ihn getötet." - "Du nervst!" - "Liebst du ihn?" - "Eigentlich schon, aber ..." - "'Üb immer Treu und Redlichkeit', ich weiss. Wie wär's, wenn du von dieser Redlichkeit mal ein klein wenig ablassen und deiner Liebe nachgeben würdest?" - "Aber das ist unsauber, wie soll ich sagen? ..." - "Es ist nicht ganz koscher, das Lob Gottes zu singen. Ein Ideal steht uns im Wege. Das Ideal der Redlichkeit. Wir müssen Moral abbauen, um unbekümmert in den Gesang der Vögel einzustimmen."

[Eine weitere Ausführung des hier Angedeuteten könnte etwa unter dem Titel 'Portrait eines Totschlägers' erfolgen. Diesen Satz einbauen: Wir müssen uns den Mörder Gottes als einen hochmoralischen Menschen vorstellen.]