T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Donnerstag, Juli 27, 2006

Der Name des Herrn


(Die Milchfrau zu Stephen): That's a lovely morning, sir, she said. Glory be to God. -
To whom? Mulligan said, glancing at her. Ah, to be sure. ...
... The islanders, Mulligan said to Haines casually, speak frequently of the collector of prepuces.
(Ulysses)

Dienstag, Juli 25, 2006

Rubrik: Tagesgeschehen

Ein ganz brauchbarer Ausgangspunkt für eine Diskussion über die gegenwärtige Lage im Nahen Osten:

Israel verteidigt zur Zeit die Grenzen von 1948.

Montag, Juli 24, 2006

Rubrik: Tagesgeschehen

[Ja, es plagt mich, das Geschehen im Libanon.]

Gehirnschraubstock


Im Morgenjournal von ARD und ZDF heute eine sympathische, hervorragend Deutsch sprechende Libanesin, die in Deutschland studiert. Die Hezbollah avanciert zu einer "völkerrechtlich legitimierten Vertreterin des libanesischen Volkes". Die Moderatorin ist verblüfft. Auch dafür gibt es eine plausible Erklärung: "Die israelische Propaganda ... " Zapp.

Tja, eine in einigen Punkten vorsichtig kritische Distanzierung von der Hezbollah hätte mich nun keineswegs verblüfft. Zum Beispiel: "Die Hezbollah ist ok. Vielleicht hat sie aber in diesem besonderen Fall den Zeitpunkt falsch gewählt." - Die Wahl des falschen Zeitpunkts ist nach Hassan Dawud, Schriftsteller und Feuilletonchef der libanesischen Zeitung 'Al-Mustqbal', eine in diesen Tagen im Libanon häufig vorgebrachte Kritik an der Hezbollah ('So schnell hat der Krieg noch nie begonnen', NZZ-Feuilleton, 18.07.06). Abwarten, bis die Touristen aus dem Land sind und man wieder unter sich ist. Sich ein normales Leben auch nur vorzustellen oder gar zu wünschen scheint nicht opportun zu sein. "Ja, natürlich darf/muss die Hezbollah tun, was sie für richtig hält. Wenn sie vielleicht bei der Wahl des Zeitpunkts ein wenig ... "

Dieses Gelaber ist schwer erträglich. Dazu kommt dann das Lamento, wenn Israel zuschlägt. Da wird Mitgefühl eingefordert und schwergemacht in einem: ein Gehirnschraubstock.

Rubrik: Tagesgeschehen

Sonntagabend. Tatort. Mit Eva Matthes. Ein hervorragender Tatort. Meine Frau und ich bleiben bei abgeschaltetem Ton noch ein bisschen in unsern Sesseln sitzen und verdauen zusammen. Mittlerweile hat Sabine Christiansen ihre Truppe vorgestellt und erteilt einer Galeristin aus Beirut das Wort. Ton ein: "Die Hezbollah ist eine Widerstansbewegung. Israel ... Frauen und Kinder ... Blutvergiessen ... " Ton aus. Der Opa hat sich schon verabschiedet. Susanne, ganz Analytikerin des Geschehens im Nahen Osten: "Und gegen wen leistet diese ... Miliz sagst du? [Kopfnicken] ... Widerstand?" "Genau!" Bild aus.

Sonntag, Juli 23, 2006

vis dormitiva


Eine Diskussion über den Palästina-Konflikt. Zeitpunkt: Sommer 1982. Ort: Das Kaffeestübli der Schweizerischen Theatersammlung in Unterzollikofen. Teilnehmer: Arbeitslose, die dort in einem städtischen Einsatzprogramm arbeiten. Unter ihnen ein Algerier: "Niemand streitet den Juden das Recht ab, in Palästina zu leben. Seit jeher haben Juden und Araber dort friedlich zusammen gelebt. Ich bestreite bloss, dass die Juden ein Recht haben, dort in einem eigenen Staat zu leben." Einige finden, dass sich das ganz vernünfig anhört. Dieter fände es freilich noch vernünftiger, wenn alle das Existenzrecht des jüdischen Staates anerkennen würden. Manche sind der langjährigen Diskussionen überdrüssig; man hat im Moment ja auch andere Sorgen.

Und nun wollen wir mal annehmen, jemand würde im Sommer 2006 die Frage nach dem Existenzrecht des Staates Israel ...

"Na dann gute Nacht!"

Das war der Opa. Der hat's gut. Der kennt jede Menge solcher kostenlosen Schlafmittel.

Samstag, Juli 22, 2006

Beginning with ordinary things


[Das Folgende ist ein Beitrag zum Thema 'Miteinander verschiedener Religionen' aus meinem Türkeiforum. 'mave' ist der Nickname des Mitglieds, das die Debatte angestossen hat mit der Bitte, doch zu versuchen, mal auch bei einem solch 'heissen' Thema, bei dem es immer wieder zu abscheulichen Gehässigkeiten kommt, einen Plauderton aufzulegen. Ich habe mir die Gelegenheit nicht nehmen lassen, bei dieser Gelegenheit zu versuchen, von den ganz grossen Themen (Pille, Kopftuch, etc.) wegzukommen und den Anfang mit etwas Leichterem zu machen.]

Hallo zusammen
 
Ich bin römisch-katholisch. Ich verbrachte die Jahre zwischen 12 und 20 in einer katholischen Internatsschule. Das färbt ab. Meine Zugehörigkeit zur katholischen Kirche hat herzlich wenig mit so etwas wie blossen Meinungen zu tun. Es steckt mir einfach in den Knochen. Und ich wäre wohl ein ziemlich unglücklicher Mensch, wenn ich es mit meinen 54 Jährchen noch nicht geschafft hätte, JA dazu zu sagen.
 
Ich bin mir meiner Sache in einem gewissen Sinn also sehr sicher. Es belustigt mich ungemein, wenn gelegentlich auf meine Kirche und ihr Oberhaupt geschimpft wird. Vieles von dem, was da vorgebracht wird, ist ja völlig richtig. Es geht mir nur nicht an die Nieren, oder die Ehre, von den Knochen ganz zu schweigen. Meine Belustigung ist eine friedliche. Ich freue mich einfach (und wundere mich auch ein bisschen) darüber, dass keine Argumentation der Welt meine Sicherheit zu gefährden vermag. Der Katholizismus ist die Religion meiner Eltern und vieler geliebter Verwandter. Da soll mal einer mit einem Argument dagegen ankommen!
 
Das Wichtigste ist in meinen Augen die Liebe zu Gott. Sie ist eine grosse Quelle des Glücks. Und diese Liebe ist natürlich nicht römisch-katholisch. Ihre Ausdrucksformen (Gebete und Rituale) mögen katholisch sein, sie selber sicher nicht. Ich finde nun, dass diese Liebe ein verdammt guter Ausgangspunkt - und Endpunkt - für ein Gespräch zwischen Angehörigen verschiedener Religionen ist. (Ehrlicherweise kann ich mich hier nur auf Christen, Juden und Muslime beziehen. Andere Erfahrungen habe ich einfach nicht.) Zugespitzt gesagt: Man kann über das Kopftuch und dergleichen reden, oder man kann von Gott bzw. seiner Liebe zu ihm sprechen. Im ersten Fall kriegt man eine mehr oder weniger heisse Debatte, im zweiten Fall möglicherweise bedeutend mehr als eine blosse Debatte.
 
Einer meiner Arbeitskollegen heisst Ahmet. Er ist ein Muslim aus Marokko und gilt als 'streng gläubig'. (Ich weiss nicht, ob das stimmt, ja ich weiss nicht einmal, was das genau bedeutet, wo ich doch nicht mal weiss, ob ich selber 'streng gläubig' bin. Zum Glück muss ich das ja nicht wissen, es geht ganz gut ohne.) - Der Zufall wollte es, dass wir zwei bei einer monotonen handwerklichen Arbeit zusammentrafen. Der eine von uns fasste sich ein Herz und fragte den andern nach seiner Religion. (Sowas geht bei dieser Art von gemeinsamer Tätigkeit ganz erstaunlich leicht.) "Muslim." "Römisch- katholisch." Dann das Abklappern der üblichen Wörter: 'Toleranz', 'Friede-Freude-Eierkuchen', 'Verständigung' und dergleichen. Dann trauen wir uns allmählich an die heissen Dinge ran: 'Kopftuch', 'Pille' und dergleichen. Irgendwo droht eine Debatte anzulaufen. Dann fasst sich einer wieder ein Herz und fragt den andern: "Ehrlich gesagt interessiert mich mehr als alles andere die Frage, ob du Gott liebst." "Oh ja!" Dann zufriedenes Schnurren beiderseits, und das Gespräch wird leicht: Heikle Fragen werden möglich, weil ein gemeinsames Fundament da ist. Misstrauen schwindet, weil von Liebe die Rede war.
 
Von 'Toleranz' und ähnlichen schweren Dingen ist nicht mehr die Rede. Ich kann ganz ohne Bemühung und ohne dass es peinlich wird davon erzählen, warum ich gerne in der Süleymaniye-Moschee bin. Oder vom Gefühl der Verbundenheit mit den frommen Leuten in Zentralanatolien. Wir können einander von Dingen erzählen, die uns am Herzen liegen und wie sie mit der Liebe zu Gott zu tun haben. Und dann natürlich auch über Fussball, seine Kinder, sein Ursprungsland, lauter geschöpfliche Dinge eben. Geschöpf trifft Geschöpf und redet über geschöpfliche Dinge.
 
Es gibt nichts, was einen Menschen daran hindert, über Dinge, die ihm lieb sind, zu reden und zu erfahren, für welche Dinge das Herz des andern schlägt. Und natürlich braucht dabei vom Schöpfer nicht die Rede zu sein. Ein Satz wie 'Ich bin Heide und stolz darauf, ein Heide zu sein' ist ein perfekter Aufhänger für ein erfreuliches Gespräch. Und auch ein Satz wie 'Lass uns doch ein wenig über Gott plaudern!' ist perfekt.
 
Das 'plaudern' ist eine Referenz an die auch von mir hoch geschätze mave, die Initiantin dieses Themas, und mit dieser Referenz schliesse ich meinen Beitrag ab.

Philotustan

Dienstag, Juli 18, 2006

Rubrik: Erbauliches

CEYHAN



"Kennt jemand einen bedeutenden Mittelmeerhafen mit sechs Buchstaben?" - "Mann, die meinen immer 'Ceyhan', also ehrlich!" - Juli 2012: Kurze Verpflegungspause bei 'New Swiss Steal' im oberbayerischen Kreuth. Wie immer versucht sich einer am Kreuzworträtsel. Und ein paar andere Nachtschichtler geben ihren Senf dazu. - "Das passt nicht." - "Mit 'C', du Trottel, weiss doch jeder." - "Das 'C' wie 'tsch'." - "Aber weich". - "Und aufpassen auf das 'y'!"

Türkiye'de dünya barışına katkı sağlayacak olan Bakü-Tiflis-Ceyhan Boru Hattı büyük umutlarla açıldı.
(Hürriyet, 14.07.06)

Die erste Feier fand vor einigen Wochen in Baku statt. Nun wurde auch in Ceyhan gefeiert. Die Eröffnung der Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan. Selbige soll einen Beitrag zum Weltfrieden liefern (dünya barışına katkı sağlayacak olan).

Und weil sie daneben auch noch eine Million Barrel Rohöl pro Tag liefern wird, sollte die kleine Eingangsszene nicht als Science Fiction abgetan werden.

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Nachdem die EU offiziell beschlossen hatte, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen, taten sich seltsame Dinge in der europäischen Presselandschaft. Hier eine kleine Auswahl dazu (Hürriyet, 12.07.06):

1.
In der 'Elefterotipia' erschien inmitten der griechischen Buchstaben als Schlagzeile ein grosses ‘Hoş geldin’ ('Willkommen').
2.
'The Independent' druckte eine Karte der Türkei zusammen mit der Schlagzeile 'Die Grenze des neuen Europa'.
3.
Die belgische Zeitung 'Le Soir' titelte mit der Beschwörung 'Inch Allah' (‘İnşallah’, 'Hoffentlich').

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Zurück zur Pipeline! Das Öl kommt ja aus dem Kaspischen Meer. Und es findet sich dort in rauhen Mengen. - Um nun definitiv zu erkennen, wie erbaulich dieser Blog geraten ist, stelle sich die geneigte Leserin vor, welch andere Wege das Rohöl auch noch nehmen könnte:

A.
Es könnte ja auch via Russland nach Mittel- und Westeuropa befördert werden.
B.
Oder natürlich via Iran in den Persischen Golf.

Tja, solche Dinge wollen schon gut überlegt sein.

Dienstag, Juli 11, 2006

Die schöne Unbekannte



[Ich erinnere mich an eine Begebenheit in Heinrich Bölls Roman "Und sagte kein einziges Wort". Diesen Roman erhielt ich als Weihnachtsgeschenk, als ich noch keine 16 Jahre alt war. Ich erinnere mich nur noch an die eine Begebenheit, und natürlich besteht keine Gewähr, dass ich mich richtig erinnere. Doch die Erinnerung ist da. Es ist die Erinnerung an eine kleine Begebenheit in einem Roman, den ich genau einmal, vor 37 Jahren, gelesen habe.]

Die Begebenheit:

In einer belebten Strasse wird ein Mann mitten im Geschäftsgetümmel auf eine Frau aufmerksam, die sich auf der andern Seite der Strasse geschäftig unter andern Geschäftigen fortbewegt. Er ist von ihr sehr angetan. Dann erkennt er, dass es sich bei der Frau um seine Ehefrau handelt.

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Da gibt es doch den Mann, der sich fragt, wie das damals genau war, als er seine Frau kennenlernte und eine Beziehung sich zu entwickeln begann. So kleine, etwas dümmliche Fragen nagen ein bisschen an ihm: War es nicht kompletter Zufall? Hätte es nicht ebenso gut eine andere sein können? usw.

Da versetzt eine gute Fee ihn in die Situation von damals zurück: Ein Fest ist im Gang; er plaudert mit vielen Leuten, hört Musik, spielt ein Kartenspiel. Ab und zu fällt sein Blick auf eine Frau, deren blosse Anwesenheit ihm gefällt. "So ist es gut. So schaut ein gemütlicher Abend aus. So lässt es sich leben." Er beginnt alle Leute ein bisschen mehr zu mögen, ist angenehm beflügelt. Dabei hat er die Frau noch nicht einmal richtig angeschaut. Und als er ihr schliesslich zufällig begegnet, stellt sich heraus, dass die angenehme Unbekannte die Frau ist, die er schliesslich geheiratet hat.

Und unser Mann ist mit seinem Leben zufriedener denn je. Und seine Frau fragt sich - geschmeichelt, belustigt, beglückt - was denn plötzlich in ihren Mann gefahren ist. - "Iiiih! Spinnst du?! Was bist denn du für einer?"

Donnerstag, Juli 06, 2006

Das leise Istanbul


Meine Frau und ich denken gerne zurück an den lauschigen Teegarten in Gülhane, wo man beim Tee, der dort auch im Samowar serviert wird, von oben auf den Bosporus und das Marmarameer blicken kann.
(Mit dem Tramvay: Eminönü, Sirkeci, Gülhane, Sultanahmet)

Eine geradezu verblüffende und ansteckende Ruhe strahlt Eyüp, eine der wichtigsten Pilgerstätten des Islam, aus.
(Mit dem Bus vom Busbahnhof in Eminönü aus bequem zu erreichen)

Ruhige und schöne Orte sind auch die beiden Zugbahnhöfe von Haydarpaşa (mit dem Schiff von Eminönü oder Karaköy aus zu erreichen) und Sirkeci (ehemals die Endstation des Orient-Express).

Und schliesslich der Blick vom Vapur, das von Eminönü aus nach Kadiköy fährt, zurück auf die Blaue Moschee und die Ayasofya. Man sitzt dabei mitten unter fast lauter Einheimischen und kann eine Art von ungestörtem Zugehörigkeitsgefühl geniessen. Es ist unbeschreiblich schön!

Wer es gerne ein bisschen hektischer hat, kommt gut unterrichteten Quellen zufolge in Istanbul auch auf die Rechnung. Aber dass eine Stadt eine solche Ruhe auf einen Zappelhans wie mich auszustrahlen vermag, ist schon verblüffend.

Ich mag diese Leute, ich mag diese Ruhe. Tja, Philotustan leidet ein bisschen unter Heimweh nach Istanbul.

Für Regina in Bewunderung und grosser Dankbarkeit

[Eine Frau macht mit Mann und Kindern einen Ausflug zum Ballenberg. Dort wird sie urplötzlich von einem folgenschweren Gedanken überfallen: Ich will mich nicht mehr bemühen. - Die Frau gehört zu meinen LeserInnen. Sie heisst Regina. Sie hat mir davon erzählt, was ihr zugestossen/zugefallen ist. Ihre Erzählung hat mein Leben verändert. Ich habe monatelang darüber nachgedacht und schliesslich diesen Text geschrieben, den ich hier mit Reginas Zustimmung veröffentlichen darf.]

Das Ende der Bemühung (3)


Regina ist das Mammi und das Regi. Sie funktioniert als solche tadellos. Und das funktioniert in den allermeisten Fällen für lange Zeit auch ganz selbstverständlich, unhinterfragt und mühelos. Doch irgendwie [vielleicht nur für eine kürzere Phase, vielleicht bloss durch das vorübergehende Auftauchen irgendwelcher Vorfälle oder kleiner Veränderungen in ihrem Beziehungsgeflecht] verändert sich die Situation dahingehend, dass Regina sich Mühe geben muss, um tadellos funktionieren zu können. Die Leichtigkeit des unhinterfragten, selbstverständlichen Vor-sich-hin-Werkelns geht verloren. Selbstverständlich ist, dass Regina das Mammi und das Regi ist. In den Momenten, wo die Selbstverständlichkeit verloren gegangen ist, wo sie nicht in den ihr zugewiesenen und von ihr akzeptierten Seinsweisen aufzugehen vermag, trifft sie auf sich und damit auf jemanden, mit dem sie halt wenig anfangen kann, auf eine Leerstelle, die zwar reich an Möglichkeiten, aber halt eben noch durch nichts ausgefüllt ist. Aber wie dem auch sei: Das Leben muss weitergehen, die notwendigen Dinge müssen getan werden, und sie können nur von einer Person getan werden, dem Mammi und dem Regi. Eine andere Person gibt es ja (noch) nicht. Regina findet aus dieser Kreisbewegung selber nicht heraus. Es müsste ihr schon widerfahren, dass sie aus ihr herausfindet.

Genau das passiert am Ballenberg. Regina wird aus der Bahn geworfen. Das 'Ich will mich nicht mehr bemühen' stellt alles auf den Kopf. Regina will sich nicht mehr bemühen, das zu sein, was sie vorderhand halt einzig ist. Es tritt ein totaler Stillstand ein. Das Funktionsgetriebe versagt den Dienst. Der Motor steht still oder dreht im Leeren. Ende Dienst, Ende Bemühung, Aus. - Von einem existenziellen Standpunkt aus betrachtet, hat Regina sich eben aufgemacht, sich selber zu entdecken. Sie ist radikal auf sich und damit auf eine Leerstelle gestossen, die mit reichem Inhalt erst angefüllt werden muss. Vorderhand ist sie ein Findling, der, allein irgendwo und irgendwie in der Landschaft stehend, sich einfach vorfindet. Wie bestellt und von sich selber noch nicht abgeholt. Und es gibt kein einfaches Zurück; nichts wird mehr genau gleich wie vorher sein.

Regina hat also ihr Bemühen eingestellt. Was bedeutet das für sie, und was bedeutet es für ihre Umgebung? - Sie muss nun für sich herausfinden, was sie - für sich - tun will. Was ihr Ding ist. Wer sie ist. Was sie interessiert, wer sie interessiert und wer sie eben nicht (mehr) interessiert. Regina verändert sich; sie ist auf den Weg zu sich selbst aufgebrochen.

Wie schaut das nun für ihre Umgebung aus? - Sie ist nicht mehr wie früher. "Ist dir aufgefallen, wie sie neuerdings ... ? Früher hat sie doch immer ... ." "Ich verstehe nicht, warum du auf einmal nicht mehr ... ." "Geht es ihr gut?" "Da stimmt doch was nicht!" "Hast du schon mit deinem Arzt ... ?" "Ich kenne da jemanden, der Menschen in solchen Situationen ... ." - Es existiert nun auch ein klinisches Bild von der Regina. Es gibt andere Bilder: das vom Erwachsen-Werden etwa oder das von der verspäteten Pubertät oder weiss der Teufel was. An allen mag was dran sein, und alle sind zumindest ein bisschen schief. Nun, man hat es ja nicht leicht, wenn jemand sich entschieden zu verändern beginnt. Da bleibt einem halt (zunächst) nur das blosse Zusehen. Und man ist auf mehr oder weniger treffende/doofe Bildchen angewiesen. (Auch für den, der sich verändert, ist es nicht leicht festzustellen, dass jemand, der einem gerade noch nahegestanden ist, einen nicht mehr zu interessieren vermag. Da lauern Einsamkeiten.)

In dieser Situation begegnet Regina einem Mann, mit dem sie schon früher Umgang gehabt hat. Der ist nun wieder da. Für sie da. Für sich da. Sie sind zusammen da, stundenlang, tagelang. Und sie sprechen, lachen und schweigen zusammen.

Mittwoch, Juli 05, 2006

Wie spät ist es?


Die vielleicht häufigste Antwort lautet: "Es ist fünf vor zwölf." -
Martin Walser beruhigt: "Es ist schon viel zu lange fünf vor zwölf." -
Auch H. M. Enzensberger beruhigt, indem er die Lage, wie sie sich um zwanzig nach zwölf darstellt, in einem Gedicht beschreibt, das ich hier reinstelle und kurz interpretiere. Es erschien im Band 'Zukunftsmusik' (2. Auflage 1991).

Äolische Formen

Grit, Silt, Schluff, Grand, Grus,
kieselig, kalkig, quarzig,
eisenschüssig, vulkanisch, hermetisch:
Flug-, Mehl-, Quell-, Trieb-, Perlsand,
Knochensand, Bleisand - manche,
unerbittlich nachgiebig, geben
beim Abgleiten an der Böschung
eigentümliche Töne von sich,
schrill oder tief: "klingende Sande",
oder ein Summen, das minutenlang anhält,
andre verdunkeln den Himmel.

Am Ende der Zertrümmerung
"äolische Formen": ruhelos wandernd,
Strichdünen, Gitterdünen,
Ketten, Wälle, Dünenkörper und -schenkel,
ei-, sichel-, herz-, hufeisenförmig,
Passarge, Barchanen,
die alles was lebt
unter sich begraben.

Reine Kunst, die keinen Künstler braucht,
unaufhaltsam beweglich bewegt,
neu und unfruchtbar,
reine Zeichnung, die niemand sieht,
die sich einzeichnet
in sich selber, schön,
öde, Unterhaltung für Götter.
(H. M. Enzensberger)

Ich interpretiere das Gedicht, indem ich auf eine Lampe zeige. (Dazu noch ein methodischer Hinweis: "Si le doigt montre la lune, l'imbécile regarde le doigt." (Mauerspruch, Paris 1968)

Auf eine Lampe

Noch unverrückt, o schöne Lampe, schmückest du
an leichten Ketten zierlich aufgehangen hier,
die Decke des nun fast vergessnen Lustgemachs.
Auf deiner weißen Marmorschale, deren Rand
der Efeukranz von goldengrünem Erz umflicht,
schlingt fröhlich eine Kinderschar den Ringelreihn.

Wie reizend alles! Lachend, und ein sanfter Geist
des Ernstes doch ergossen um die ganze Form
ein Kunstgebild der echten Art. Wer achtet sein?

Was aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst.
(Eduard Mörike)


[Ich hätte ja nicht übel Lust, noch ein wenig mit Hinweisen zu spielen/verwirren:
Götterdämmerung: Walhalla brennt. - ...dämmerung: Die Sonne brennt.]

[Vorbemerkung: Der Titel des folgenden Gedichts lautet gleich wie der eines Romans von Philip Roth, der darin das Bild einer Frau zeichnet, die unermüdlich nach dem Rechten schaut und sich selber um fehlerloses Verhalten bemüht, bei der aber doch niemand richtig froh wird, weil all ihr Bemühen herzlos ist.]
 
  
WHEN SHE WAS GOOD
 
Ich tu nur meine Pflicht
Korrekt und gründlich.
Ich schaue nach dem Rechten
Beinahe stündlich.
 
Das Los der Fernsten
Rührt mich,
Die mir erreichbar
Schlag ich.
 
Ich bin mir meiner Sache sicher
Und zieh sie gründlich durch.
Ich bin ein unerbittlich guter Mensch,
Ein Scheusal durch und durch.
 
(Alban Clemenz)

Montag, Juli 03, 2006

[Rubriken: Poesie, die das Leben schreibt; Zeitungslektüre]]

Kopenhagen -
Wegen eines sogenannten Ehrenmordes an einer 19-jährigen Frau sind in Dänemark neun Menschen zu langen Strafen verurteilt worden.
Der aus Pakistan stammende Vater, der die Tat angeordnet hatte, erhielt
lebenslänglich.
Der ältere Bruder, der die Frau zwei Tage nach ihrer Hochzeit erschossen hatte, bekam
16 Jahre.
Die Männer hätten das Verbrechen geplant, weil sie mit der Ehe der Frau nicht einverstanden waren.
Zwei Onkel, die bei der Planung halfen, wurden zu je
16 Jahren
verurteilt.
Ein weiterer Onkel sowie eine Tante erhielten
14 Jahre
Haft.
Drei Freunde wurden zu Strafen
zwischen 8 und 10 Jahren
verurteilt.
Sie hatten geholfen, das Paar aufzuspüren.

(Tages-Anzeiger, 29.06.06)