T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Name:

Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Donnerstag, Februar 23, 2006

Rubrik: Witze

[Tja, was sagt man als Lehrer dazu?]


#include <stdio.h>

int main(void)
{
printf("Sehr geehrter Herr Lehrer");

int count;

for(count = 0; count < 500; count++)
printf("Ich entschuldige mich für den völlig\n
missratenen Start meines Papierflugzeugs");
}

printf("Mit freundlichen Grüssen\n\nRobert");

return 0;

Mittwoch, Februar 22, 2006

Liebes Tagebuch. Ich habe wieder einen Job. Er ist ätzend. Ich freue mich auf die Ferien. Es ist gut, einen Job zu haben. Es ist schlimm, keinen Job zu haben. In der Pause kann ich die Olympischen Spiele sehen. Das Essen ist auch gut. Es ist gut, etwas im Magen zu haben. Ich freue mich auch auf den Feierabend. Einige Leute sind nett. Der Chef macht auch nur seinen Job. Wir haben bei uns auch ein Arbeitsklima. Und auch die Luft ist ein bisschen stickig. Ich freue mich auf das Wochenende und die Pensionierung. Erholung ist wichtig. Und auch die Kommunikation. Aber nicht die über die Vogelgrippe und so. Der Chef tut ja dann auch nur seinen Job. Wegen der Arbeitsabläufe. Die sind auch wichtig. Ich bin richtig froh, dass ich einen Job habe. Gerade in der heutigen Zeit. Es geht mir gut. Ich habe keine Angst, meinen Job zu verlieren. Bin ich noch normal? Aber ich will nicht filosofieren. Das bringt doch nichts! Ich mache jetzt Sachen, die etwas bringen. Und das ist doch schön. Schade sieht man das Wetter nicht. Und es ist langweilig. Aber sonst geht es mir gut. Die andern müssen ja auch. Und man kann nicht immer. Sonst könnte ja jeder. Das muss man halt auch sehen. Geld allein macht ja nicht glücklich. Man muss es zuerst verdienen. Und darum habe ich jetzt auch einen Job. Er ist ätzend. Ich freue mich auf die Ferien. Und das Medi nicht vergessen!

Sonntag, Februar 19, 2006

Rubrik: Philosophisches Grundwissen

Hommage an Katja Ebstein


Was Tante Vroni als passionierter Kreuzworträtslerin geläufig ist, sollte auch einer Leserin der 'Kritik der reinen Vernunft' nicht entgehen:

Senkrecht:
4. Paul Feyerabend vertrat ihn nicht: Kultur......ismus (Adjektiv)
"Alles ist relativ", meint Tante Vroni, und bringt ihre Überzeugung ein weiteres Mal ohne Zögern zu Papier.

Wer Tante Vroni nicht glauben will, kann sich ja den Schluss des 12. Kapitels ('Against Method') von Feyerabends Autobiographie ('Killing Time') reinziehen, die in diesem Punkt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt.

"Warum weiss gerade ich davon nichts?"

Viele Menschen fragen,
was ist schuld daran,
warum kommt die Weisheit
nicht zu mir?
Fangen mit den Büchern
viel zu wenig an.
Dabei steht die Weisheit
schon vor der Tür.

"Aber es gibt doch Stellen ..." - "Wart doch den Refrain ab!"

Stellen gibt es immer wieder,
heute oder morgen
wirst du sie schon sehn.
Stellen gibt es immer wieder,
wenn sie dir begegnen,
mußt du sie auch sehn.

Freitag, Februar 17, 2006

[Aus feierlichem Anlass wird hier heute die Totale eingeblendet. Wir betrachten den tragikomischen Lauf der Welt im Ganzen. Wir betrachten das Einerlei, dessen ewige Wiederkehr das Besondere in viele Bestandteile zerlegt. Wir machen uns Gedanken über die Überfülle eines Gutes, dessen achtlose Verteilung im Ganzen den Einzelnen darben lässt. Wir sehen, was die Welt im Ganzen, sie im Innersten zusammenhaltend, vorwärts und hinan, und den Einzelnen, ihn im Innersten auflösend, hintab zieht.]

Heinrich Heine zum 150. Todestag


Ein Jüngling liebt ein Mädchen,
Die hat einen andern erwählt;
Der andre liebt eine andre,
Und hat sich mit dieser vermählt.

Das Mädchen heiratet aus Ärger
Den ersten besten Mann,
Der ihr in den Weg gelaufen;
Der Jüngling ist übel dran.

Es ist eine alte Geschichte
Doch bleibt sie immer neu;
Und wem sie just passieret,
Dem bricht das Herz entzwei.


[Das Lied ist von Robert Schumann (im Zyklus 'Dichterliebe') kongenial vertont worden.]

[Das Beste, was mir passieren kann, ist, dass ich Laute von mir gebe, die in etwa ausdrücken, was ich gerade erlebe. - Ein Satz aus einem meiner Mails, in dem ich über eine mir bevorstehende unangenehme Begegnung mit Leuten, unter denen ich mich unwohl fühle, schrieb. Etwas irritiert durch die Reaktion des Empfängers, begann ich Gehalt und Herkunft des Satzes nachzuspüren (technisch gesprochen: frei zu assoziieren) und landete schliesslich in einem faszinierenden Stück Lebensgeschichte von Paul Feyerabend, der dieses in zwei Abschnitten seiner Autobiographie 'Killing Time' festgehalten hat. - Hätte ich das mindeste Talent dazu, würde ich vielleicht ein paar Bleistiftskizzen zu den beiden Abschnitten zeichnen. So aber gönne ich mir wenigstens eine kleine Übersetzungsarbeit:]

Feyerabend und Spund


Feyerabend schreibt, er sei bis kurz vor seiner Pensionierung ein 'gefühlskalter Egotist' gewesen. [Leute von Format geben dieses nicht auf, wenn sie mit sich selbst ins Gericht gehen.] In seinem Fall hätten sich die Schranken, die Gefühlsausdruck und Handlungsspielraum der 'Individuen' beschränkten, stets als ziemlich stabil erwiesen. Dann beschreibt er Personen und Ereignisse, die dazu beigetragen hätten, die starren Schichten seines Charakters aufzulösen. Unter anderem habe er eine ganze Menge von Spund gelernt:

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Barbara hatte Spund aus einem Wurf von fünf ausgewählt. "Ich werde mich um alles kümmern", sagte sie, als ich darauf hinwies, dass ein Welpe eine Unmenge an Zuwendung braucht. Doch es kam anders. Ich war es, der seine speziellen, mit Calcium angereicherten Mahlzeiten zubereitete; ich war es, der die Produkte seiner Verdauung(sstörung) beseitigte, die Tür öffnete, wenn er unruhig wurde, untertags, in der Nacht, wann auch immer. Barbara nannte den Hund Rommel. Sie wusste nicht allzu viel über Rommel, den deutschen Kriegshelden. Sie hatte nicht einmal eine Photographie von ihm gesehen. Aber sie schien den Klang des Namens zu mögen und den Hollywood-Mythos, der ihn umgab. Irgendwie schien der Name zum Bild zu passen, das sie von sich hatte - unnahbar schön, in ihrem Sportwagen, der unnahbar noble Hund hinter ihr. Auch das kam ganz anders. Rommel war ein deutscher Schäferhund. Doch seine Ohren standen nie auf; er fuhr fort, in hockender Position zu urinieren, wie Welpen es tun, anstatt wie ein richtiger Rüde stolz sein Hinterbein zu heben; und er rannte jeder Person in Sichtweite hinterher. In gewisser Weise hatte er keinen Charakter, zumindest nicht in Barbaras Augen. Dazu kam, dass er während unseres Vergnügungstrips nach Denver ausgiebig erbrach. Ich taufte ihn zu Spund um, einer Kontraktion des österreichischen speiben (erbrechen) und Hund. (Spund ist auch der Name einer Figur in Nestroys Stücken.)

Spund und ich wurden dicke Freunde. Ich nahm ihn auf Ausflüge mit, spielte mit ihm und sprach mit ihm über die Launen des Lebens. Spund verstand, was ich sagte - er erfasste den gefühlsmässigen Unterton im Nu. Er spürte den kleinsten Wechsel meiner Stimmung und zeigte jede seiner Stimmungen unverzüglich; da war keine Kontrolle, kein Abschirmen, kein Vortäuschen. Es war, als ob die Natur selber direkt zu mir spräche. Gelegentlich zog ich alte Klamotten an, und wir kämpften miteinander, ziemlich heftig. Eine Geste - und wir waren wieder Freunde. All das war das Resultat von Sympathie, nicht von Ausbildung. Nichts war versteckt, alles war sinnfällig. Ich wusste nicht, wie mir geschah, und einmal mehr lockerten sich einige der stabileren Schichten meines Charakters.

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[Ich las das Buch kurz nach seinem Erscheinen 1995. Und ich hab keine Ahnung mehr, wer diese Barbara ist, und kann sie auf die Schnelle auch nicht finden. Sachdienliche Mitteilungen über den Verbleib der Vermissten sind zu richten ... ]

Donnerstag, Februar 16, 2006

Buchprojekt: Anerkennung

Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: sie muß zur Anerkennung führen, Dulden heißt beleidigen.
(J. W. v. Goethe)


[Toleranz ohnehin schon obermühsam. Und jetzt das noch! - "Ist Anerkennung nicht noch mühsamer?" - Nun, zur Anerkennung gehört ja das Zur-Kenntnis-Nehmen dessen, was da ist. Das seinerseits verlangt vielleicht ein Mimimum an Wohlwollen. Wenn das mühsam ist ... . Eine weitere Bemühung wird durch die Anerkennung eher verboten. Ich repetiere: Das zur Kenntnis Genommene stehen lassen und stehen lassen. (Lass es sein! Lass es wesen! Lass es bleiben! Lass das!)]

Mittwoch, Februar 15, 2006

Rubrik: Philosophische Beratung

[Diesen Blog widme ich meinem Freund Daniel Jaun vom Duo Macchia. LeserInnen meines Blogs werden diese Geschichte mögen.]

Antiwerbung in eigener Sache


Herr C hat ein Problem. Man könnte es als Lebensproblem bezeichnen. Und was tut er? - Er macht Fortschritte!

Tja, so ist das heutzutage: Wir kommen voran, entwickeln uns, wachsen an diesem und jenem, gewinnen an Stärke. Wir können nichts dagegen tun. Wir warten auf die nächste Krise; sie ermöglicht uns, einen weiteren wichtigen Schritt zu tun; es könnte ein weiterer entscheidender Schritt sein. Ein kleiner Fortschritt hier, ein kleiner Fortschritt da, und hier einer, und dort einer, und hier, und da, und hie und da, und wenn wir noch nicht gestorben sind, kommen wir schliesslich an den Punkt, wo wir mit Enzensberger sagen können: Noch ein paar solche Fortschritte, und wir werden weitersehen.

Auch unser Herr C ist ein Akrobat im stets neuen Bemühen, das im reichen Vokabular des persönlichen Fortschritts zu beschreiben, was man, schlichter, als Treten-an-Ort bezeichnen könnte. Es versteht sich von selbst, dass auch er seinen Bemühungen gegenüber sehr kritisch eingestellt ist und durchaus über einen gewissen Humor verfügt, wenn er sich auch neuerdings dagegen sträubt, sich so was Einfaches wie die Fähigkeit, über sich zu lachen, als Fortschritt verkaufen zu lassen. Er vermutet, dass da irgendwo der Wurm drin steckt. Doch was soll er machen? - Fortschritte natürlich!

Er wendet sich diesen und jenen zu und landet schliesslich bei den Mystikern. Und da ereilt ihn ein grosses Pech: Er gerät an John Cage. Für wenige nur ein Quell der Heiterkeit, stellt auch für Herrn C die Lehre des Meisters eine akute Bedrohung eines Lebenskonzepts dar. Wen wundert's? Mein Ziel im Leben ist es, so lange zu leben, wie ich kann. - [Ich habe Fortschritte gemacht], und wenn ich so weitermache, werde ich zum Zeitpunkt meines Todes in perfekter Verfassung sein. Für Herrn C gibt es kein Zurück: Den neuen Einsichten muss Rechnung getragen werden. Eine völlig neue Fragestellung taucht auf: Wie kann ich vermeiden, in die Fortschrittsfalle zu geraten? Ich kann meinen LeserInnen versichern, dass er im Bemühen, diese Frage zu beantworten, einige entscheidende Schritte weiter gekommen ist. Der Fortschritt lässt sich eben nicht so leicht vermeiden!

Herr C hat ein Problem. Man könnte es als Lebensproblem bezeichnen. Und was tut er? - Er macht Fortschritte!

Ich überspringe jetzt mal etwa 30 Jahre. In den letzten Monaten hat sich einiges getan: Herr C hat aufgehört, Sätze wie "Früher machte ich den Fehler x; heute passieren mir ganz andere Fehler" von sich zu geben. Er ist beim schlichteren "... und den mache ich auch heute noch" angekommen. (Nein! Kein "... und den mache ich heute besser"!) - Anlass zur Hoffnung? Natürlich nicht. Aber einen letzten, verzweifelten Schritt will er noch unternehmen: Er nimmt die Dienste eines philosophischen Beraters in Anspruch.

Perspektivenwechsel: Herr C ist ein hoffnungsloser Fall auf weit fortgeschrittenem Niveau. Und ich, der Berater, sitze neben ihm im selben Boot. Und ich mache kein Hehl daraus. Wir beide können uns nichts mehr vormachen. Das Niveau an Reflexivität, das wir erreicht haben, ist kaum zu überbieten. Zudem haben wir keine Lust mehr, diesbezügliche Anstrengungen zu unternehmen. "Keine weiteren Fortschritte!" ist unsere gemeinsame Devise. Wir sind auch nicht gewillt, uns mit weiterem Rat schlagen zu lassen. Ich habe keine Lust, dem Mann auch noch Geld aus der Tasche zu ziehen und frage ihn, ob er die leiseste Vorstellung von irgendetwas habe, was ich ihm sagen könnte, etwas, dessen blosse Formulierung bei ihm nicht im besten Fall Müdigkeit, im schlimmsten Ekel auslösen würde. - Dachte ich mir's doch! Ich werfe das Handtuch und erkundige mich: "Mozart, Wagner, ... ?" - "Dowland!" - Ok. Emma Kirkby und Anthony Rooley. "Mourn! Mourn!"

O none but hell in heaven's stead
Chokes with his mists our mirth.


Sind es die Lautenklänge? Jetzt werden Übergänge sichtbar. Keine neuen Perspektiven! Übergänge! Pfade, ausgelegt von einer Laute, betreten von einer menschlichen Stimme. Zwangloses Fortschreiten.

Awake sweet love, thou art returned.
My heart, which long in absence mourned,
Lives now in perfect joy.


Dann wird mein Laden für heute dichtgemacht.


[Jan: "Hast du sie noch alle? Bist jetzt hat die eine oder andere Leserin vielleicht noch daran gedacht, dich mal zu kontaktieren. Jetzt kannst du das vergessen." - "Ach was! Die sehen doch jetzt erst recht, was ich alles drauf habe. Herr C hat noch nie so stinkzufrieden ein Beratungszimmer verlassen. Er hat von mir die perfekte Anerkennung bekommen." - "Und was hast du davon? Was hat er dafür bezahlt?" - "Du weisst ja, eine erste Konsultation kostet bei mir nichts. Aber freilich, Herr C war so frei." - "Und?" - "Geld ist für mich kein Thema. Das habe ich einfach."]

Dienstag, Februar 14, 2006

Tagesaktualität: Vogelgrippe und Karikaturenstreit

Was bewegt


Die Abteilungen des Alters- und Pflegeheims, in dem meine Frau Susanne als Abteilungsleiterin arbeitet, weden durch Farben bezeichnet und gekennzeichnet. Susanne arbeitet auf Türkis. Meine LeserInnen werden also leicht erraten, welches Thema z.Z. mein ganzes Sinnen beherrscht, wenn ich ihnen mitteile, was mir zu Ohren gekommen ist: Eine Heimbewohnerin, die noch immer regen Anteil am Weltgeschehen nimmt, soll neulich zu ihrer Physiotherapeutin gesagt haben: "Haben Sie es schon gehört? Die auf Türkisch haben jetzt die Vogelgrippe."

Ein bitteres Thema. Ich will mich deswegen etwas Leichterem zuwenden: dem Karikaturenstreit. Auch da gibt es freilich Aspekte, deren Komplexitätsgrad nicht unterschätzt werden sollte. Natürlich wird man stets bemüht sein müssen, ein Thema von dermassen hoher gesellschaftlicher usf. Relevanz sachlich und gründlich zu diskutieren. Auf der andern Seite wird man dabei aber aus Rücksicht auf die religiösen usf. Gefühle von Anders-usf.-Denkenden wohl kaum das rein sachlich durchaus nötige Anschauungsmaterial beschaffen oder gar vorlegen dürfen.

Ein anderer Aspekt des Problems ist eher erheiternd. Es ist ja schon eine Weile her, dass die Karikaturen in Dänemark veröffentlicht wurden. Kein Mensch regte sich auf. Auch bei uns in der Schweiz wurde ein Teil der Karikaturen (in der 'Weltwoche') veröffentlicht. Kein Mensch regte sich auf. Dann erschienen sie in einer ägyptischen Zeitung. Kein Mensch regte sich auf. Schliesslich nahm ein dänischer Imam sich der wenig beachteten Bildchen an und ging mit ihnen unter der Geistlichkeit in Staaten wie Saudiarabien und Iran hausieren. Und mit einem Mal ärgerte sich die halbe Welt über Bildchen, die sie nie zu Gesicht bekommen hatte.

Bei Themen von wirklicher Bedeutung stets auf Ausgeglichenheit bedacht, beende ich diesen Blog mit einem ganz andern Aspekt des Problems, einem eher ärgerlichen nämlich. Und ich berücksichtige bei dieser Gelegenheit auch mal, was den 'Mann von der Strasse' bewegt, lasse mich also ein auf 'die Ängste und Sorgen der Menschen in diesem Lande' (AeSoMeLa [Auf der zweiten Silbe zu betonen, wie berndeutsch 'Henusode']). Da gibt es doch auf der ganzen Welt Hunderte Millionen von Menschen, die wegen der Olympischen Spiele z.Z. darauf verzichten müssen, sich, einer mittlerweile fest etablierten Tradition folgend, täglich ihre Lieblingsserie(n) reinziehen. Und in den Nachrichten werden ihnen dann Krawallbildchen und anderes zum Karikaturenstreit vorgesetzt. Da sage ich: Das darf doch nicht wahr sein! Die Mullahs in Riad und Teheran und ihr militanter Anhang brauchen doch nur einfach aufzuhören, sich über Bildchen zu ärgern, die sie nie gesehen haben; den Menschen (denen mit den Ängsten und Sorgen in diesem Lande) werden Bildchen weggenommen, an die sich gewöhnt haben.

Montag, Februar 13, 2006

Projekt: Übersetzung von 'Three Varieties of Knowledge' aus 'Subjective, Intersubjective, Objective' (5)

Teil I
Teil II
Teil III
Teil IV

Vom Inhalt unseres eigenen Geistes zu wissen muss in den meisten Fällen trivial sein. Das liegt daran, dass, von Spezialfällen abgesehen, das Problem der Interpretation nicht auftauchen kann. Wenn ich nach den propositionalen Gehalten meines Geistes gefragt werde, muss ich meine eigenen Sätze verwenden. Die Antwort ist meist sinnlos einleuchtend: Mein Satz 'Schnee ist weiss' wie auch mein Gedanke, dass Schnee weiss ist, ist wahr genau dann, wenn Schnee weiss ist. [Anm. 1] Mein Wissen über die Inhalte eines andern Geistes ist, so habe ich argumentiert, nur im Kontext einer in groben Zügen richtigen, und mit dem andern geteilten, Sicht der Welt möglich. Doch solches Wissen ist vom Wissen über meinen eigenen Geist unterschieden, denn es ist notwendig indirekt in dem Sinn, dass es, unter anderem, von beobachteter Korrelation zwischen dem sprachlichen und anderen Verhalten der Person sowie von Ereignissen in unserer gemeinsamen Umgebung [Anm. 2] abhängt.

[[Anm. 1]
Merken!]

[Eine Figur in Canettis 'Blendung' (Fischerle oder so ähnlich) zeigt einen Weg, wie sich aus dem Trivialen oder lächerlich Offensichtlichen doch noch ein Funken Gehalt herausschlagen lässt. Fischerle, der dabei ist, Englisch zu lernen, preist die Vorzüge seiner Beschäftigung. Er wisse nun beispielsweise, was die Sonne so treibe: Sie scheine. - Noch gehaltvoller freilich und, von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, befriedigender, ist das Verfahren des Sinologen Kien, der Hauptfigur des Romans. Der verlässt doch eines schönen Tages tatsächlich seine Wohnung und stellt verblüfft fest, dass die Vögel sich genau so verhalten, wie es in seinen Büchern steht: Sie pfeifen. So kann er denn, mit sich sowie der Welt im allgemeinen und den Vögeln im besonderen zufrieden, getrost wieder nach Hause gehen.]

[[Anm. 2]
events in our communal environment: Ein neuer Gemeinderat wird gewählt; der Souverän spricht einen Kredit für die Sanierung der Sportanlage; auf der Agora versuchen Mitglieder der Polis den Streit zwischen einem Steinmetz und den besorgten Vätern einiger seiner Azubis zu schlichten. Eine kleine Welt, fürwahr. Doch ich erfahre von Davidson, dass wir Hinterweltler von Natur aus auf die Globalisierung (hier besser: Zirkularisierung) angelegt sind. Begeben sich die besagten Bewohner der Polis nämlich unter die Barbaren, brauchen sie den so überaus nützlichen Triangel gar nicht mit sich herumzuschleppen. Drei Dinge genügen: 1. Die erfolgreiche Bemühung, am Leben zu bleiben. 2. Unter Beachtung von Punkt 1 nicht davonzulaufen, wenn ein des Griechischen Unkundiger einen misstrauisch beäugt. 3. Sich in den Umstand zu fügen, den die Götter von alters her durch die Ausstattung eines jeden Punktes des Erdkreises mit einer Umgebung in eherne Gesetzesform gegossen haben.]

Der grundlegende Unterschied zwischen meinem Wissen über einen andern Geist und dem über die geteilte physische Welt entspringt einer andern Quelle. Kommunikation, und das Wissen über den Geist anderer, den sie voraussetzt, bildet die Grundlage unseres Begriffs von Objektivität, unserer Anerkennung einer Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Überzeugung. Ausserhalb dieses Standards gibt es nichts, woran wir zusätzlich überprüfen könnten, ob wir die Dinge richtig sehen, ebenso wenig wie wir überprüfen können, ob der Platin-Iridium-Zylinder des Internationalen Büros für Gewichte und Masse in Sèvres, Frankreich, ein Kilogramm wiegt. (Dieser Vergleich war gültig, als noch der Zylinder in Sèvres das Kilogramm definierte.) Selbstverständlich können wir uns an eine Dritt- und Viertperson wenden, um den interpersonalen Massstab dessen, was für real gilt, zu verbreitern und abzusichern, aber das führt nicht zu etwas wesentlich Verschiedenem, bloss zu einem Mehr vom Gleichen.

Ich sprach vorhin von einer Analogie zwischen der Art, wie wir Zahlen zuordnen, um den Beziehungen zwischen Gegenständen bezüglich Temperatur oder Gewicht nachzugehen, und der Art, wie wir unsere eigenen Sätze verwenden, um die Inhalte der Gedanken und Äusserungen anderer zu identifizieren. Aber die Analogie ist ungenau; die Natur der Messvorrichtung unterscheidet sich in den beiden Fällen. Wir sind auf unsere sprachlichen Interaktionen mit andern angewiesen, um über die Eigenschaften der Zahlen und die Art der Strukturen in der Natur, die uns erlauben, diese Strukturen in Zahlen auszudrücken, Übereinkunft zu erzielen. Auf diese selbe Weise Übereinkunft zu erziehlen über die Struktur der Sätze und Gedanken, die wir zur Abbildung der Gedanken und Wortbedeutungen anderer verwenden, ist uns nicht möglich, denn die Bestrebung, eine solche Übereinkunft zu erzielen, bringt uns wieder zu dem selben Prozess der Interpretation zurück, von dem jegliche Übereinkunft abhängt.

Genau hier, behaupte ich, stossen wir auf die letzten Quellen des Unterschieds zwischen dem Verstehen von Wesen mit Geist und dem Verstehen der Welt als physischer. [Anm 1.] Eine Gemeinschaft von Wesen mit Geist ist die Grundlage von Wissen; sie ist das Mass aller Dinge. [Anm. 2] Es macht keinen Sinn, die Angemessenheit dieses Massstabs in Frage zu stellen oder nach einem noch endgültigeren Massstab zu suchen.

[[Anm. 1] [Für Studienanfänger]
understanding minds and understanding the world as physical. Die Asymmetrie beachten (symmetrisch: 'understanding minds and understanding the physical world). - Was Davidson hier alles nicht unterstellt: Die Welt zerfällt in zwei Bereiche, einen geistigen und einen physischen. Den geistigen Bereich suchen wir zu verstehen, den physischen zu erklären. Oder: Wir können die Welt unter zwei Aspekten betrachten, einem geistigen und einem physischen. - Davidsons Grundeinstellung (denke an die Einstellung der Kamera, wie sie die Totale in den Blick bringt) bezüglich des Verhältnisses von Geistigem und Physischem: Als physische (Was denn sonst?) Lebewesen mit Geist finden wir uns mit anderen physischen Lebewesen mit Geist in einer, gemeinsamen physischen Welt vor. Das alles ('das Ganze') suchen wir zu verstehen. Dabei kommen wir nicht mit einem einzigen Standard, wie er etwa von der Physik gegeben sein mag, aus. Um in der einen Welt als geistige Wesen unser Kerngeschäft, das Verstehen, welches uns als geistige Wesen auszeichnet, betreiben zu können, genügt es nicht, über das gesamte Wissen der fortgeschrittensten Physik zu verfügen; das Wissen der Stammtische etwa, oder das der Geschichtenerzähler von der Grossmutter bis zu Kafka, oder das der philosophischen Proseminare ist unabdingbar. - Der in die Jahre gekommene Monismus ist zur Welt gekommen. Er ist so weit gereift, dass er mittlerweile imstande ist, von grotesken All- und Einheitsbehauptungen abzulassen und die Kirche im Dorf zu lassen. Er hat eine Sprache gefunden, und die trägt ein Markenzeichen: AM (Anomaler Monismus).]

[[Anm. 2]
Davidsons 'Communitas-mensura-Satz', der weiterentwickelte 'Homo-mensura-Satz' des Protagoras. -
Liebes Tagebuch. Beinahe hätte ich vom 'Societas-mensura-Satz' gesprochen. Doch das hätte die Soziologen auf den Plan gerufen, die das allem Mass geben wollenden 'Im Grunde beschreiben nur wir die Welt korrekt' der einfältigeren Exemplare aus der Zunft der philosophierenden Physiker mit einem entsprechen Satz in Soziologen-Chinesisch to toppen versucht hätten. Ich will ja das immer gleiche Spielchen nicht noch anheizen: Erst kommt einer und vereinheitlicht und reduziert auf Biegen und Brechen alles, was Leuten in den Sinn kommt; dann versucht ein noch gründlicher vorgehender anderer, ihm den Platz streitig zu machen: "Ich bin auf wesentlich gründlichere Weise einfältig als du!"]

Wir sind ausgiebig auf die Unvermeidbarkeit des objektiven Aspekts allen Denkens eingegangen. Was bleibt vom subjektiven Aspekt übrig? Offensichtlich haben wir die Differenz zwischen dem Wissen von sich selbst und dem Wissen vom Geist anderer nicht getilgt: Das erste bleibt direkt, das zweite indirekt. Objektivität selber haben wir zu den Schnittpunkten von Gesichtswinkeln zurückverfolgt - für jede Person: die Beziehung zwischen ihren eigenen Reaktionen auf die Welt und den Reaktionen anderer. Diese Unterschiede sind real. Unsere Gedanken sind insofern 'inner' und 'subjektiv', als wir sie auf eine Weise kennen, wie kein anderer das kann. Doch der Besitz eines Gedankens ist zwar notwendig individuell, sein Gehalt aber ist es nicht. Die Gedanken, die wir bilden und hegen, sind konzeptuell in der Welt lokalisiert, die wir bewohnen und von der wir wissen, dass wir sie zusammen mit andern bewohnen. [Anm.] Selbst unsere Gedanken über unsere eigenen mentalen Zustände besetzen den selben Begriffsraum und sind auf der selben öffentlichen Karte lokalisiert.

[[Anm.]
The thoughts we form and entertain are located conceptually in the world we inhabit, and know we inhabit, with others. - Die Gedanken, die wir bilden und hegen, sind entworfen als verortet in der Welt, in der wir, dieses Mit-Seins gewahr, mit andern einwohnen.]

Der philosophischen Auffassung von Subjektivität sind eine Geschichte und eine Reihe von Annahmen über die Natur von Geist und Bedeutung aufgebürdet, die die Bedeutung einer Äusserung oder den Gehalt eines Gedankens von Fragen über äussere Wirklichkeit, 'meine' Welt von der Welt, wie sie andern erscheint, abschneidet. Diese weit verbreitete Auffassung nimmt an, dass das Subjektive Priorität vor dem Objektiven hat, dass es eine subjektive Welt gibt, die dem Wissen über äussere Wirklichkeit vorausgeht. Es ist offenkundig, dass das Bild von Denken und Bedeutung, das ich hier umrissen habe, keinen Raum für eine solche Priorität lässt, da es ja Wissen über sich selbst auf Wissen über den Geist anderer und die Welt gründet. Das Objektive und das Intersubjektive sind demnach unverzichtbar für alles, was wir Subjektivität nennen können, und bilden den Kontext, in welchem es Form annimmt. Collingwood formulierte es prägnant:

Das Kind, das sich selbst als Person entdeckt, entdeckt sich selbst auch als Mitglied einer Welt von Personen ... Die Entdeckung meiner selbst als einer Person ist die Entdeckung, dass ich sprechen kann und demnach eine persona oder ein Sprecher bin; wenn ich spreche, bin ich sowohl Sprecher als auch Hörer; und da die Entdeckung meiner selbst als einer Person auch die Entdeckung anderer mich umgebender Personen ist, ist sie die Entdeckung von mir unterschiedener Sprecher und Hörer. (5)

(5) R. G. Collingwood, The Principles of Art, 248

[persona (< per-sonare: durch-tönen): das, durch das hindurch einer sich vernehmen lässt: die Maske. (Der Sinn beginnt schon zu triefen, wenn man die Bauklötzchen bloss so nebeneinanderstellt. Der Autor von 'T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn' hat somit seinen Dienst getan.)]

Es mag so aussehen, dass, wenn eine in den Grundzügen gemeinsame Weltsicht eine Bedingung für Denken ist, die charakteristischen Unterschiede bezüglich Bildung und Einfallsreichtum zwischen Individuen und Kulturen komplett aus dem Blickfeld geraten. Wenn ich diesen Eindruck erweckt habe, kommt das daher, dass ich ich mich auf das, was mir primär erscheint und so leicht übersehen wird, konzentrieren wollte: das notwenige Mass an Gemeinsamkeit, das für das Verstehen eines andern Individuums unverzichtbar ist, und das Ausmass, in dem solches Verstehen die Grundlegung des Begriffs von Wahrheit und Realität darstellt, von dem alles Denken abhängt. Doch ich will nicht behaupten, dass wir diejenigen nicht verstehen können, deren physikalische und moralische Ansichten auf weiten Gebieten von den unsern abweichen. Es ist auch so, dass Verstehen eine Frage der Abstufung ist: Andere mögen Dinge kennen, die wir nicht kennen oder vielleicht nicht einmal kennen können. Sicher ist, dass die Klarheit und Leistungsfähigkeit unserer Begriffe mit dem Wachsen unseres Verstehens anderer wächst. Es gibt keine festen Grenzen dafür, wie weit wir es im Gespräch bringen können/werden.

Einige Philosophen befürchten, dass wir, wenn all unser Wissen, zumindest unser propositionales Wissen, objektiv sein soll, eines wichtigen Aspekts der Wirklichkeit verlustig gehen werden: unserer persönlichen. privaten Perspektive. Ich halte diese Befürchtung für grundlos. Wenn ich Recht habe, gründet unser propositionales Wissen nicht im Nicht-Personalen, sonderm im Inter-Personalen. Wenn wir somit auf die natürliche Welt blicken, die wir mit andern teilen, verlieren wir nicht den Kontakt mit uns selbst, sondern werden uns unserer selbst als Mitglieder einer Gemeinschaft von Lebewesen mit Geist gewahr. Wenn ich nicht wüsste, was andere denken, hätte ich keine eigenen Gedanken und wüsste somit nicht, was ich denke. Wenn ich nicht wüsste, was ich denke, wäre ich nicht imstande, die Gedanken anderer einzuschätzen. Die Gedanken anderer einzuschätzen setzt voraus, dass ich mit ihnen in der selben Welt lebe und viele Reaktionen auf deren Grundzüge, deren Werte eingeschlossen, mit ihnen teile. So besteht denn keine Gefahr, dass wir, wenn wir die Welt objektiv sehen, den Kontakt zu uns selbst verlieren. Die drei Formen des Wissens bilden einen Dreifuss: Fehlt ein Bein, steht kein Bein.

[FINIS OPERIS]

Samstag, Februar 11, 2006

Das Ende der Bemühung (2)



George Eliot: Middlemarch. Kapitel 12: Mr. Farebrother zu Lydgate: [Sie sind] a young doctor who has to please his patients in Middlemarch. You must learn to be bored. - Um mit allen Leuten auszukommen, muss man sich darum bemühen, auch Dummköpfe und dergleichen irgendwie bei Laune zu halten, auf die Gefahr hin, dass man sich dabei unwohl fühlt. Das sei nicht unbedenklich und es gebe einen bedeutend kürzeren Weg, meint Lydgate:


Don't you think men overrate the necessity for humouring everybody's nonsense, till they get despised by the very fools they humour? ... The shortest way is to make your value felt, so that people must put up with you whether you flatter them or not.

"Yeah! Lass es sie spüren! Gib ihnen Saures! ... " - Hoppla! Der Opa ist am Durchdrehen. Ich mag ihn auch so. Er meint es gut mir.

Mittwoch, Februar 08, 2006

Rubrik: Existenzphilosophie

Findelkind


Vom Findling (1) war schon oft die Rede. Ein verwandtes Bild: Der Mensch als das Wesen, das ausgesetzt wird, dem von denen, die es finden und bei sich aufnehmen, eine Identität verpasst wird, dem es zustossen kann, dass es ein Ungenügen an dieser Identität findet, und das sich, ist ihm solches widerfahren, dazu aufmachen kann, seine eigene Identität zu entwerfen bzw. sich selbst zu (er)finden.

Auf den Findling bezogen: Er liegt zunächst einfach vor. Dann findet er sich vor bzw. stösst auf sich selber. So findet er sich vor wie bestellt und nicht abgeholt. Schliesslich bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich selbst abzuholen.


(1)
Es ist gewaltig mühsam, bei blogger.com die einzelnen Blogs untereinander zu verlinken. Zum Glück gibt es ja die Blog-Suche. Oben links: SEARCH THIS BLOG.

Montag, Februar 06, 2006

Anerkennung: Der kluge Hausherr: Hausgenossen: Der innere Kritiker

Ich habe einen Verdacht. "Du tust zu wenig! Du solltest dich mehr bemühen!", sagt der Innere Kritiker (Inkri). Langsam dämmert mir, dass er sich dabei auf Dinge konzentriert, in denen ich stark bin. Gerade dort, wo ich schon einiges von mir abverlange, wo ich mich bis zur Erschöpfung verausgabe, wo ich mich vor lauter Anstrengung manchmal kaum oder gar nicht mehr spüre, soll ich mich mehr bemühen.

Tja, da kommt ja rasch einiges zusammen. Ich brauche nur zu rekapitulieren: 'etwas von sich abverlangen, sich verausgaben, sich anstrengen, sich bemühen'. So! Ich gebe mir also zu wenig Mühe!

[Schreiben ist ja schon eine spassige Sache. Da hält man einen Gedanken fest, lässt ihn mal für eine Weile stehen, beguckt ihn: Ich tu zu wenig. Dann kann man mal ein Wort durch ein anderes ersetzen, sagen wir 'wenig' durch 'viel'. Ich tu zu viel. Dann kann man den auch eine Weile stehen lassen und vielleicht beargwohnen. Aber er könnte ja, wenn er einem auch sehr unvertraut vorkommt, doch auch etwas für sich haben. Griffel weglegen, ein paar Besorgungen machen, ein paar belanglose Worte wechseln, dann wieder hinsetzen. Der neue Satz steht immer noch da. Und weil man ihn mittlerweile schon mit sich herumgetragen hat, schaut er auch schon etwas weniger ungewohnt drein.]

Ich habe einen Verdacht. Und den werde ich nicht so leicht los. Ich werde ihn mal ein bisschen hegen. - Der Gedanke ist in der Zwischenzeit sowieso schon viel weiter. So ein Gedanke ist schon irgendwie frei, folgt manchmal einfach der Syntax und schert sich einen Dreck um die Psychologie. Mal schauen, wo er mittlerweile gelandet ist: Hoppla! Er hat einen Titel für diesen Blog gefunden:

Das Ende der Bemühung


Ich folge hier einem alten Brauch, wonach auf einen Titel öfter mal was folgt:

Eine Kuh macht Muh;
Viele Kühe machen Mühe.

Sonntag, Februar 05, 2006

Variationen über ein Thema aus
'Die fromme Helene' von Wilhelm Busch


Das Thema:

Das Gute, dieser Satz steht fest,
ist stets das Böse, das man lässt.


1. Variation:

Der Sinn, und dieser Satz steht fest,
ist stets der Unsinn, den man lässt.

(Odo Marquard: Zur Diäthetik der Sinnerwartung)


2. Variation:

Der Unfug, das steht fest, ist stets
der Fug, den man nicht bleiben lässt.

(nach Philotustan

Projekt: Übersetzung von 'Three Varieties of Knowledge' aus 'Subjective, Intersubjective, Objective' (4)

Teil I
Teil II
Teil III

Mittlerweile sollte klar geworden sein, was sicherstellt, dass unsere Sicht der Dinge, was ihre alltäglichsten Erscheinungsweisen betrifft, weitgehend richtig ist. Der Grund ist der, dass die Reize, welche unsere elementarsten verbalen Reaktionen hervorrufen, auch festlegen sowohl, was diese verbalen Reaktionen bedeuten, als auch den Inhalt der mit ihnen einhergehenden Überzeugungen. Das Wesen der Interpretation stellt sicher sowohl, dass eine grosse Zahl unserer simpelsten Wahrnehmungsüberzeugungen wahr, als auch, dass die Natur dieser Überzeugungen andern bekannt ist. Selbstverständlich beziehen viele Überzeugungen ihren Gehalt von ihren Beziehungen zu weiteren Überzeugungen oder werden durch irreführende Sinneseindrücke hervorgerufen; jede besondere (Menge von) Überzeugung(en) über die Welt um uns herum kann falsch sein. Was aber nicht der Fall sein kann, ist, dass das landläufige Bild, das wir uns von der Welt und unserer Stellung in ihr machen, verfehlt ist, denn es ist dieses Bild, das dem Rest unserer Überzeugungen - sie mögen wahr oder falsch sein - eine Fassung verschafft und sie damit fassbar macht.

[Kaum zu fassen: Ein Bild 'informiert' ein Set von Überzeugungen. Der zunächst fassungslose Philotustan erinnert sich an die zig Gespräche, die er mit dem Hüttenwart im Schwarzwald geführt hat: informieren: in eine Form bringen: dafür sorgen, dass das Zeug Form/Halt/Fassung gewinnt und somit fassbar wird.]

Die Annahme, dass die Wahrheit dessen, was wir glauben, vom dem, was wir glauben, logisch unabhängig ist, erweist sich als unklar. Jede beliebige einzelne Überzeugung kann in der Tat falsch sein; aber ausreichend vieles im Fachwerk und Gewebe unserer Überzeugungen muss wahr sein, um dem Rest GeHalt zu verleihen. Die begrifflichen Beziehungen zwischen unserem Wissen und unserem eigenen Geist sind nicht definitorisch, sondern holistisch. Das gilt auch für die begrifflichen Beziehungen zwischen unserem Wissen vom Verhalten und unserm Wissem vom Geist anderer.

So gibt es denn keine 'Barrieren', weder logische noch epistemische, zwischen den drei Arten von Wissen. Umgekehrt macht die Art, wie eine jede von den andern abhängt, von sich aus deutlich, warum keine von ihnen ausgeschlossen oder auf die andern reduziert werden kann.

[... Richtig! Seit drei Abschnitten schon sind wir am Absahnen. Wir dürfen uns zurücklehnen und geniessen. Der Nachtisch umfasst ca. fünf Seiten. Falls Davidson nicht unvermittelt geschwätzig wird, dürfen wir nun also zuschauen, wie neues Licht auf eine ganz ansehnliche Reihe traditioneller philosophischer Probleme geworfen wird.]

Wie oben bemerkt, können wir uns einen Interpreten, der einen Sprecher zu verstehen beabsichtigt, denken als jemanden, der eigene Sätze mit den Äusserungen und Geisteszuständen des Sprechers abstimmt. Die Gesamtheit der dem Interpreten verfügbaren Belege legt nicht eindeutig eine bestimmte
Wahrheitstheorie für einen jeweiligen Sprecher fest, und das nicht bloss, weil die tatsächlich verfügbaren Belege begrenzt sind, während die Theorie eine unbegrenzte Zahl von überprüfbaren Folgerungen zulässt, sondern weil keine mögliche Belegbasis die Zahl der mit ihr verträglichen Theorien auf eine eingrenzen kann. Angesichts des Reichtums der Struktur, die von der Menge unserer eigenen Sätze verkörpert wird, und der Natur der Verbindungen zwischen den Elementen dieser Menge und der Welt, sollten wir nicht überrascht sein, wenn es viele Möglichkeiten gibt, unsere eigenen Sätze den Sätzen und Gedanken eines andern zuzuordnen, von denen jede jeden relevanten Aspekt einzufangen imstande ist.

[Natürlich war nicht zu erwarten, dass uns zum Nachtisch billiges Konfekt vorgesetzt wird. So dürfen wir uns denn zunächst ein paar Häppchen luftiger Un- und Unterbestimmtheiten munden lassen.]

Die Situation ist analog zur Gewichts- oder Temperaturmessung durch Zuordnung von Zahlen zu Gegenständen. Selbst wenn wir voraussetzen, dass keine Messfehler vorliegen und dass alle möglichen Beobachtungen gemacht worden sind, ist eine Zuordnung von Zahlen zu Gegenständen, die deren Gewicht korrekt wiedergibt, nicht eindeutig: Gegeben eine solche Zuordnung, kann eine ebensolche durch Multiplikation aller Zahlen mit einer beliebigen Konstante vorgenommen werden. Im Fall der normalen (nicht absoluten) Temperatur kann jede beliebige korrekte Zuordnung von Zahlen durch eine lineare Transformation in eine andere konvertiert werden. Weil es viele verschiedene, aber gleichermassen akzeptable Möglichkeiten der Interpretation eines Handelnden gibt, mögen wir, wenn uns danach ist, sagen, dass die Interpretation oder Übersetzung unbestimmt ist oder dass kein Faktum darüber entscheidet, was eine(r) mit ihren/seinen Worten meint. Auf dem gleichen Trip könnten wir auch von der Unbestimmtheit des Gewichts oder der Temperatur sprechen. Doch normalerweise legen wir das Gewicht auf den positiven Aspekt, indem wir das Invariante zwischen den verschiedenen Zuordnungen von Zahlen hervorheben, denn das Invariante ist das empirisch Bedeutsame. Das Invariante ist das entscheidende Faktum. Wir sind so frei, Übersetzung und die Gehalte mentaler Zustände im selben Licht zu betrachten. (3)

(3)
Ich akzeptiere hier Quines These von der Unbestimmtheit der Übersetzung und weite sie auf die Interpretation von Gedanken im Allgemeinen aus. Die Analogie mit der Messung ist von mir.

[Ich war bisher nicht geneigt, irgendwelche Tipps anzunehmen, hatte aber stets ein offenes Ohr für einen guten Tip. Im Verlaufe meines Übersetzungstripps hat sich das, wie eben ersichtlich, geändert. Meine Bereitschaft, mich den neuen Gegebenheiten anzupassen, ist gewachsen. Und was ist der Bemühung Lohn? Mein Übersetzungstripp bringt mir einen Strafpunkt ein. Aber vielleicht haben mittlerweile bereits ein paar deutsche Kultusminister das Problem erkannt und sind dabei, Schritte einzuleiten, die dazu führen könnten, dass für die nächste Konferenz der Kultusminister ein entsprechender Bericht in Auftrag gegeben wird. Bis auf weiteres freilich befinden sich die besagten Damen und Herren auf einem seltsamen Trip.]

Ich dachte einst, die Unbestimmtheit der Übersetzung liefere einen Grund für die Annahme, dass es keine strengen Gesetze gibt, die mentale und physikalische Begriffe miteinander verknüpfen, und unterstütze so die Behauptung, dass mentale Begriffe nicht einmal nomologisch auf physikalische Begriffe reduzierbar sind. Ich lag falsch: Unbestimmtheit taucht in beiden Bereichen auf. Aber im Fall des Mentalen liegt eine der Quellen der Unbestimmtheit darin, dass die Grenzlinie zwischen empirischer Wahrheit und Wahrheit aufgrund von Bedeutung auf der Grundlage von Verhaltensbeobachtungen im allgemeinen nicht klar gezogen werden kann; und Verhaltensbeobachtungen sind unsere einzige Grundlage für die Festlegung dessen, was Sprecher meinen. Genau hier beginnt die gegen jede Reduktion sich sperrende Verschiedenheit der mentalen und physikalischen Begriffe sich abzuzeichnen: die ersteren, zumindest insoweit sie intentionaler Natur sind, halten den Interpreten an zu bedenken, wie er das zu interpretierende Lebewesen am besten als ein verstehbares, d.h. mit Vernunft ausgestattetes, Lebewesen wiedergibt. Folglich muss ein Interpret, zum Teil aus normativen Gründen, Bedeutung von Meinung absondern, wenn er darüber entscheidet, was, von seiner Warte aus betrachtet, die Verstehbarkeit maximiert. In diesem Bemühen kann der Interpret selbstverständlich auf keine anderen als seine eigenen Rationalitätsstandards zurückgreifen. Wenn wir die Welt als Physiker zu verstehen versuchen, arbeiten wir notwendigerweise mit unsern eigenen Normen, aber wir zielen nicht auf die Entdeckung von Rationalität in den Phänomenen ab.

[nomological: bezüglich der Formulierung von Gesetzen]
[Philotustan wohnt einem Naturereignis bei. I once thought: Es war einmal. Da demonstrierte ich, dass der Himmelspunkt Px der Punkt ist, an dem der Mond aufgehen wird. I was wrong: Ich lag falsch. Dreh dich um! It is here that [...] begins to emerge. Schau, genau hier beginnt das Erscheinen des Mondes sich abzuzeichnen.]

Wie verhindert das normative Element in mentalen Begriffen ihre Reduktion auf physikalische Begriffe? Vielleicht ist offensichtlich, dass eine definitorische Reduktion nicht in Frage kommt; aber warum kann es keine Gesetze - strenge Gesetze - geben, die jede(s/n) mentale(n) Ereignis/Zustand mit durch das Vokabular einer fortgeschrittenen Physik beschriebenen Ereignissen und Zuständen verknüpfen? Als ich vor zwanzig Jahren darüber schrieb, sagte ich im wesentlichen, dass man sich strenge Verknüpfungsgesetze nur dann erhoffen könne, wenn die durch die Gesetze verknüpften Begriffe auf Kriterien der selben Art basierten, und dass somit kein strenges Gesetz normative mit nicht-normativen Begriffen verknüpfen könne. (4) Diese Antwort scheint mir soweit immer noch richtig zu sein, aber verständlicherweise ist sie von Kritikern bis heute für nicht beweiskräftig befunden worden. Ich will nun einige weitere Überlegungen hinzufügen.

(4)
In 'Mental Events', Essay 11 aus Essays on Actions and Events.

Hier ist eine weitere Überlegung: Strenge Gesetze verwenden keine Kausalbegriffe, während die meisten, wenn nicht alle, mentalen Begriffe irreduzibel kausal sind. Eine Handlung, zum Beispiel, muss unter mancher Beschreibung intentional sein, intentional ist eine Handlung aber nur, wenn sie durch mentale Faktoren wie Überzeugungen und Wünsche verursacht wird. Überzeugungen und Wünsche werden zum Teil durch die Art von Handlungen identifiziert, die sie, die richtigen Umstände vorausgesetzt, bevorzugt verursachen. Viele der Begriffe, die in Erklärungen des gesunden Menschenverstandes eine Rolle spielen, sind auf diese Weise kausal. Ein Unfall wurde verursacht durch die Tatsache, dass die Strasse rutschig war; etwas ist rutschig, wenn es passende Gegenstände unter passenden Umständen ins Rutschen bringt. Wir erklären, warum der Flügel eines Flugzeugs, wenn er sich biegt, nicht bricht, indem wir anführen, dass er aus elastischen Materialien gebaut ist; ein Material ist elastisch, wenn etwas an ihm die Ursache dafür ist, dass es unter passenden Umständen nach einer Verformung wieder zu seiner ursprünglichen Gestalt zurückfindet. Aus zwei Gründen erlauben solche Erklärungen keine weitere Präzisierung: Wir können nicht detailliert angeben, wann die Umstände passend sind, und die Berufung auf Kausalität hält einen Teil dessen in der Hinterhand, was eine vollständige Erklärung ausspielen würde. [Anm.] Beschreibungen von Gegenständen, Zuständen und Ereignissen, die für die Instantiierung von strengen, ausnahmslos geltenden Gesetzen unverzichtbar sind, enthalten keine Kausalbegriffe (was nicht heissen soll, dass Gesetze, die nur nicht-kausale Begriffe enthalten, nicht Kausalgesetze sind).

[[Anm.]
The appeal to causality finisses part of what a full-scale explanation would make manifest.] -
'finesse' liesse sich etwa durch 'überlisten' wiedergeben. Ich unterstelle hier mal, Davidson sei ein passionierter Kartenspieler. Und ein fintenreicher obendrein. Als solcher gewinnt er eine Spielrunde, indem er nicht seine stärkste Karte spielt, sondern etwa die Königin. Dann können wir sagen: 'Donald succeeded in finessing his queen.' Die Königin ist die Kausalerklärung, die ausgespielt wird, um eine (unter mehreren) Debattierrunden zu gewinnen. Die umfangreichere Erklärung, das Ass etwa, behält man in der Hinterhand. -
Philotustan als homo otiosus: Was er treibt, sein ganzes Übersetzungshandwerk im allgemeinen und die Wiedergabe dieses Satzes im besonderen eingeschlossen, ist müssig.]

Im Fall von kausalen Eigenschaften wie Elastizität, Glätte, Formbarkeit und Löslichkeit neigen wir, zu Recht oder zu Unrecht, zur Annahme, dass das, was sie unerklärt lassen, durch den Fortschritt der Wissenschaft erklärt werden kann (oder schon erklärt worden ist). Wir würden nicht das Thema wechseln, wenn wir den Begriff der Elastizität fallenliessen zugunsten einer Angabe der Mikrostruktur der Materialien des Flugzeugflügels, die bewirken, dass er, wenn bestimmten Kräften ausgesetzt, zu seiner ursprünglichen Gestalt zurückfindet. Bei mentalen Begriffen und Erklärungen verhält es sich nicht so. Sie greifen auf die Begriffe von Ursache und Wirkung zurück, weil sie, wie die kausalen Begriffe selbst, darauf hin angelegt sind, aus der Gesamtheit von Umständen, die zusammen ein gegebenes Ereignis wirkursächlich zeitigen, genau diejenigen Gegebenheiten auszusondern, die ein jeweiliges bestimmtes Bedürfnis nach Erklärung befriedigen. [Anm. 1] Wenn wir zum Beispiel eine Handlung erklären wollen, wollen wir die Gründe des Handelnden kennenlernen, so dass wir selber sehen können, was an der Handlung seine Anziehungskraft auf den Handelnden ausübte. Aber nur ein Depp [Anm. 2] könnte annehmen, dass strenge Gesetze einen Handelnden, wann immer er bestimmte Gründe hat, auf die Ausführung einer gegebenen Handlung festlegen.

[[Anm. 1]
Was soll das Theater? 'causal' und 'causality' liessen sich zur Not auch mit 'kausal' bzw. 'Kausalität' wiedergeben! -
Originalitätshascherei steht einem soliden Handwerker wie einem Übersetzer nicht wohl an. Wenn ich mich zwischendurch bewusst in ein schwarzwäldertörtlerisch oder lebensweltlich angehauchtes Fahrwasser gleiten lasse, tu ich das im Bemühen durchscheinen zu lassen, worauf alle philosophische Terminologie - auch die am wenigsten geschwätzige, technisch anmutende - letzlich abzielt: auf den Tümpel nämlich, worin wir Erklärungsbedürftigen zusammen mit fremdartigen Wesen sowohl wie Personen, die wir gerade noch für völlig durchsichtig gehalten haben und die wir (neu) verstehen wollen, gehörig wirbeln.

[[Anm. 2]
Kleines Plädoyer eines Lokalpatrioten für LEO, das vorzügliche Online-Wörterbuch: Dieses enthält als Wiedergabe von 'fool' doch tatsächlich das Wort 'Gauch'. Nur eine kleine Kritik sei erlaubt: Nur Nicht-Walliser können dem 'Gauch' ein '(obs.)' voranstellen. Sie sind noch nicht ausgestorben, die 'Gäucha' (auch 'Gäuchini').]

Die normativen und kausalen Eigenschaften mentaler Begriffe sind Verwandte. Wenn wir den normativen Aspekt psychologischer Erklärungen fallenliessen, würden sie ihren Zweck nicht länger erfüllen. Unser Interesse an den Gründen, warum die jeweilige Person handelt, wie sie handelt, und warum sie ihre Überzeugungen ändert, ist derart heftig, dass wir bereit sind, uns mit Erklärungen abzufinden, die wir nicht so perfektionieren können, dass sie mit den Gesetzen der Physik zusammenpassen. Die Physik ihrerseits aber setzt sich als eines ihrer Ziele die Formulierung von Gesetzen, die so umfassend und präzis als irgend möglich sind; ein anders geartetes Ziel. Das kausale Element in mentalen Begriffen trägt dazu bei, uns für ihren Mangel an Präzision zu entschädigen; es gehört zum Begriff einer intentionalen Handlung, dass sie durch Überzeugungen und Wünsche verursacht und erklärt wird; und es gehört zum Begriff einer Überzeugung oder eines Wunsches, dass sie/er dazu neigt, bestimmte Arten von Handlungen zu verursachen und hiermit auch zu erklären.

Vieles von dem, was ich zur Frage, was mentale Begriffe von den Begriffen einer ausgereiften Physik abhebt, gesagt habe, könnte auch zur Kennzeichnung der Begriffe vieler Spezialwissenschaften wie der Biologie, der Geologie und der Meteorologie angeführt werden. Selbst wenn ich zu Recht annehme, dass der normative und kausale Charakter von mentalen Begriffen diese definitorisch und nomologisch von den Begriffen einer ausgereiften Physik trennt, mag es somit scheinen, dass es etwas Elementareres oder Grundlegenderes geben muss, das diese Trennung erklärt. Ich glaube, dass es so etwas gibt.

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Donnerstag, Februar 02, 2006

Rubrik: Fundamentalethik

Lass den Un-Fug


[Über den genauen Verlauf des Holzwegs bekommt man Unterschiedlichstes zu hören. Einigkeit besteht nur darin, dass er irgendwann mal in den Schwarzwald führt. Für viele beginnt er im Milet des 6. vorchristlichen Jahrhunderts. Von dort schicke ich meinen LeserInnen auch diese Postkarte. (Vielleicht bin ich das nächste Mal imstande, auch noch ein paar diakritische Zeichen über den Text zu streuen. Die HTML-Shops hier in Kleinasien haben Öffnungszeiten, die schlecht zu meinem Tagesrhythmus passen.)]


εξ ων δε η γενεσις εστι τοις ουσι και την φϑοραν εις ταυτα γινεσϑαι κατα το χρεων⋅ διδοναι γαρ αυτα δικην και τισιν αλληλοις της αδικιας κατα την του χρονου ταξιν.


[Wörtliche Übersetzung: Aus welchen aber die Genesis ist den Seienden, auch der Untergang in diese geschieht gemäss dem Notwenigen; geben nämlich diese Recht und Vergeltung einander der Ungerechtigkeit gemäss der der Zeit Ordnung.]

[Anmerkungen zur Grammatik:
Zu ergänzen ist ein 'Anaximander sagte'. Der Satz steht also im auch den Lateinern bekannten A.c.i. der indirekten Rede. -
In γινεσϑαι erkennen wir die γενεσις wieder. -
In διδοναι erkennen die Lateiner sofort eine vertaute Reduplikation wie in 'dedi' (do dedi datum[03-02-06] dare) wieder.]

Einzelne Wörter:
το χρεων ist das substantivisch gebrauchte Partizip zu χρη (es ist notwendig/nötig): das Notwendige, Nötige, Schickliche, Erforderliche, die Pflicht, Schuldigkeit, Schicksalsbestimmung, Notwendigkeit. -
ταξις < ταττω: (auf)stellen, ordnen. -
δικη: Sitte, Recht, Gerechtigkeit; Gegensatz: αδικια. -
τισις: Vergeltung im Sinn von Belohnung ('Vergelt's Gott!') als auch von Rache.

Eine klassische Übersetzung: Diels (von Diels & Kranz), 1902:
Woraus aber das Werden ist den seienden Dingen, in das hinein geschieht auch ihr Vergehen nach der Schuldigkeit; denn sie zahlen einander gerechte Strafe und Busse für ihre Ungerechtigkeit nach der Zeit Ordnung.

Meine eigene Übersetzung ist blank i.S. von ungereimt:
        Woraus die Dinge ihr Entstehen haben,
darin liegt ihr Vergehen, schicksalshaft.
Denn Recht, Vergeltung auch, übt eins am andern,
der Ordnung folgend, die die Zeit gesetzt.

Zur Interpretation:
Die Schwierigkeit jeder Interpretation liegt im Umfang des Anaximanderschen Gesamtwerks: Wäre der zweite Teil des Satzes verschollen, könnte, wem es behagt, in einer hübschen/tristen kleinen Metaphysik baden gehen: Die Abtrennung vom απειρον, dem Unbestimmten, dem Nicht-Individuierten, muss vom Individuierten mit seinem Untergang bezahlt werden; Geboren-Sein heisst Schuldbeladen-Sein. Tja, gar manche Periode liesse sich aus diesem Gedanken drehen; der Triefsinn hätte kein Ende, wäre da nicht der zweite Teil des Satzes mit seinem αλληλοις (einander); und das γαρ (nämlich) macht die Sache ja auch nicht besser: Dem απειρον sind wir was schuldig; aber wieso αλληλοις? - Nun, ich weiss es natürlich auch nicht und tu, weil mir gerade nach einem andern Bad zumute ist, mal so, als wäre der erste Teil des Satzes verschollen.

Hübsch, wie Heidegger mit seiner Wiedergabe des κατα το χρεων durch 'entlang dem Brauch' die metaphysische Dimension des ersten Teils ausblendet bzw. sie in die soziologische Dimension des zweiten Teils hinüberblendet:

... entlang dem Brauch; gehören nämlich lassen sie Fug somit auch Ruch eines dem andern (im Verwinden) des Un-Fugs.

Die Dinge fügen sich gegenseitig so zusammen, dass das von ihnen so gefügte Ganze nicht aus den Fugen gerät. Dieses Geschäft erfordert keine übertriebene Sorgfalt; es gilt allenfalls darauf zu achen, dass man den gröbsten Unfug sein lässt, also nicht etwa einer Erniedrigung eine Schmeichelei hinzufügt. Keine übertriebene Sorgfalt: Die Dinge einfach da lassen, wo sie immer schon hingehören. gehören lassen: Sie sind schon richtig verteilt (διδοναι: Von den mir bekannten Übersetzungen ist diejenige Heideggers die einzige, die dem Perfekt Rechnung trägt); jetzt braucht man sie nur dort zu lassen, wo sie eh schon hingehören. Schlichter: Tun, was sich gehört. Fug somit auch Ruch: Auch wenn es ein bisschen weh tun mag: Zu gehörigem (füglichem, gelassenem) Verhalten gehört auch die Rache. κατα την του χρονου ταξιν:

Kommt Zeit, kommt Ruch.

Mittwoch, Februar 01, 2006

Rubrik: Lebenshilfe: Glück

[In ihrem Kommentar zu meinem letzten Beitrag hat menina uns freundlicherweise ihre Auffassung von Glück mitgeteilt. Sie hat dabei einen ihrer bevorzugten philosophiehistorischen Referenzpunkte ins Spiel gebracht und als eigenen Beitrag einen erzählenden Text geschrieben. Das ist Philosophie vom Feinsten! - Also: Wenn dir das Folgende Spanisch vorkommt, denk dran: Mit Portugiesisch liegst du genau richtig!]

Glück (1) ist die Mitte zwischen resignativem Sich-Gehenlassen (2) und aktivistischem Insistieren auf Selbstbestimmung (3).

(2)
Die Welt ist nicht grün. Glücklich bin ich nur, wenn sie grün ist. Ergo Ergebung, Seufz und Nixtun.
(3)
Die Welt ist nicht grün. Das lasse ich mir nicht bieten. Ergo leere ich ein paar Dutzend Farbkessel über den Schnee.
(1)
Die Welt ist nicht grün. Ergo baue ich einen Schneeman und rolle eine Schneekugel und ... und ...

Glück ist die Schneeballschlacht, wenn die Welt die Frechheit hat, nicht grün zu sein.

Jan: "Und du glaubst ernsthaft, dass der Grüne da jetzt glücklich ist? Der kann doch nichts machen. Glück ist doch reine Glückssache." - "Ja schon, aber nicht gerade 'rein'. Er könnte doch immerhin versuchen davon abzurücken, dass es ohne Grün für ihn kein Glück gibt." - "Ja freilich. Wenn er darauf insistiert, ist er vielleicht nicht so sehr unglücklich als vielmehr ein bisschen trottelhaft."