T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Sonntag, Januar 28, 2007

Aus dem Gartenhäuschen


Die Auskunft, dass, wenn der Tod ist, ich nicht bin, vermag niemanden zu beruhigen, der sich vor dem Nicht-Sein fürchtet. (Mit dem Göttern verhält es sich ähnlich: Dass die Götter fern sind, ist kein Trost für denjenigen, der unter Gottesferne leidet.)

Was nun die Angst vor dem Tod betrifft, mein junger Freund, denkst du sie am besten so: Wenn die Angst da ist, ist der Tod noch fern; ist der Tod aber nahe, ist die Angst nicht mehr.


["Stimmt das überhaupt?" - "Was ist der Wahrheitswert einer Empfehlung? 0.75?")

Montag, Januar 22, 2007

Heute schreibe ich mal über ein Thema, das die Menschen in diesem Lande bewegt. Ich möchte ihnen die Gelegenheit geben, ihre Sorgen und Ängste in dem, was ich hier zum Netz bringe, wiederzuerkennen. Sie sollen auch spüren, dass hier einer ist, der ernst nimmt, was sie den lieben langen Tag über bewegt und umtreibt. Bürgernähe, die Themen aufgreifen, das echte Gespräch suchen: Fetzen hinwerfen, die selbst ein des Lesens, Schreibens und Redens Unkundiger mühelos zu kugelrunden Sätzen vervollständigen kann. Man darf sofort merken, was gemeint ist. Ich rede hier über

Managerlöhne


Ich will hier für einmal meine ganz persönliche Meinung zu diesem brisanten Thema abgeben. Es ist eine Schweinerei! Nehmen wir doch ein ganz konkretes Beispiel. Nehmen wir doch zum Beispiel den Jürgen Dormann, der ja jetzt zurückgetreten ist, ja jedenfalls war er ja vorher bei der ABB, und der ging es zwischen 2002 und 2004 saumies. Und dieser Dormann da, der hat dann die Sache wieder geritzt, und der verdiente im Jahr gerade lumpige 4 Mio. Fr. Das darf doch nicht wahr sein! Da zieht einer diese riesige ABB aus dem Sumpf, und tut das für ein Butterbrot. Na gut, vielleicht war er da auch ein bisschen selber schuld, er studierte ja damals auch in Basel, ich zitiere jetzt: weil ich Karl Jaspers hören wollte, das hat er selber gesagt, darum sagte ich auch Zitat und habe es selber in der NZZ gelesen. Und mein Freund Thomas hat mir auch ein Mänätschermagazin gezeigt, aber nur im Internet, wo er gesagt hat, der Dormann meine ich, was seine Hobbis sind: Filosofische Literatur. Aber auf der andern Seite muss man auch sehen, dass so einer verdammt viel Steuern zahlt, und da kann man sich halt nicht jedes teure Hobbi leisten. So, das war jetzt meine Meinung, so sehe ich das, ich kann nichts dafür.

Natürlich freue ich mich jetzt noch gebührend über die zahllosen Kommentare, kritischen Einwände, Ergänzungen und all die andern schönen Dinge, die das Herz eines jeden Bloggers, der als Berühmtheit will auftreten können, höher schlagen lassen. Das Smiley muss man sich dazudenken; ich habe nämlich noch nicht zur neuen Version von blogger.com gewechselt, die neben anderem gewiss auch solche beliebte Dinge anbieten wird. Wir bitten Sie um Verständnis.
:)

Sonntag, Januar 21, 2007

[Liebes Tagebuch! Dies ist meine Übersetzung des Leitartikel aus der 'Cumhuriyet Hafta' vom 19. Januar. Sie bedeutet für mich einen grossen Durchbruch, bin ich doch bisher noch bei jedem Artikel dieses Blattes an der einen oder andern Stelle gescheitert. Aber nun ist klar: Ich kann Türkisch. So wie einer Latein kann, wenn er an keiner Stelle einer Rede von Cicero mehr scheitert.]

Schlingerkurs


Sie steht im Brennpunkt des Interesses der ganzen Welt, die Hölle im Irak, und wir sind ihre Grenznachbarn. Darüber hinaus können wir ohne Übertreibung sagen, dass die Grenze zu dieser Hölle - wegen der Existenz der Terrororganisation PKK - nicht genau festgelegt werden kann. Die Terrororganisation PKK agiert innerhalb der Grenzen der Türkei, führt Angriffe aus dem Hinterhalt durch, legt Minen. Wir hingegen haben laufend Gefallene zu beklagen, können aber nicht unsere südöstliche Grenze überschreiten und auf irakischem Boden gegen die PKK vorgehen. Denn der Irak ist von den Amerikanern besetzt. Ohne das 'ok' unseres 'strategischen Verbündeten' können wir die Grenze nicht überschreiten.

Diese Situatuion ist dermassen stossend geworden, dass sowohl Ministerpräsident Erdoğan als auch der amerikanische Botschafter in der Türkei, Wilson, sich genötigt sahen, gleichzeitig eine Erklärung abzugeben, und was ist es doch für ein merkwürdiger Zufall, dass ihre Erklärungen sich ergänzen. Ministerpräsident Erdoğan sagte: "Was auch immer es sei, was gegen die Kräfte, die unser Land mit Terror bedrohen, zu unternehmen erforderlich ist, die Türkische Republik wird, wenn die Zeit und die Stunde dafür gekommen ist, es auch tun." Und hier die Erklärung von Ross Wilson, dem Botschafter der USA in Ankara: "Wann, wo und wie die Türkei diese Aufgabe ausführen wird, liegt in ihrer Entscheidung." Erklärungen wie diese, die darauf abzielen, unser Volk zu beruhigen und die Öffentlichkeit zu täuschen, können die Situation nicht verschleiern; gegen die PKK gerichtete militärische Operationen der Türkei im unter amerikanischer Besatzung stehenden Irak sind an eine Abstimmung mit dem 'strategischen Verbündeten' geknüpft. Ob diese Abstimmung wohl stattgefunden hat? Präsident George Bushs neue Irakstrategie liegt vor. Diese Strategie, die selbst in Amerika harsche Reaktionen hervorruft, sieht statt eines Rückzugs aus dem besetzten Land die Entsendung weiterer Streitkräfte vor. Amerika will den Irak - koste es, was es wolle - unter seiner Kontrolle behalten. Die amerikanische Aussenministerin Rice und Verteidigungsminister Gates haben warnend auf die im Falle eines Rückzugs der USA bestehende Wahrscheinlichkeit einer Intervention der Türkei im Irak aufmerksam gemacht.

Was im Irak weckt heute das grösste Interesse der Türkei? Ungelöste drängende Probleme stehen auf der Tagesordnung. Der Terror der PKK, der der Norden des Irak als Basis dient, trifft die Türkei. Das ist das eine. Die Türken im nordirakischen Kirkuk werden vertrieben. Das ist das andere. Die von der AKP gestellte Regierung in Ankara verhält sich angesichts dieser beiden Tatsachen passiv, extrem nachgiebig, unzureichend und schwach. Die Enthüllungen des nationalen Nachrichtendienstes der Türkischen Republik haben ja die Öffentlichkeit auf diese und damit in Verbindung stehende ähnliche Tatsachen aufmerksam gemacht. Doch seitdem die AKP an der Regierung ist, wird nicht nur die Axt an die säkulare Republik angelegt, sondern es werden auch die nationalen Interessen der Türkei verspielt.

Vor aller Augen setzt sich der Schlingerkurs fort.

auf dem selben Mist gewachsen


Es ist Freitag, kurz nach 22.30. Feierabend. Ich schreite auf den Eingang der grossen Bahnhofhalle zu, von wo mir in breiter Front eine kleine Gruppe von Jugendlichen entgegenströmt. Den Kopf leicht eingezogen, lasse ich es strömen, schieben, knuffen und stossen und frage mich dann wieder einmal, ob es einen Unterschied gemacht hätte, wenn sich statt meiner zufällig ein Holzpfahl oder etwas Ähnliches dergleichen Vorkommendes auf dem Trampelpfad dieser turnbeschuhten und schiefbemützten kleinen Flegel in den teuren, lächerlichen Hosenscheisseruniformen befunden hätte. - (Wie absurd wäre der Gedanke, dass dieses Gesocks für mich gar nicht existiere. Ich bin ja hier der Nicht-Existente. Trotzdem will ich es nicht versäumen, ihm an dieser Stelle noch meinen Segen hinterherzuschicken: Ich wünsche ihm aus ruhiger, entschlossener Seele alles Üble. Möge der Herr seinen Unwillen an ihm auslassen! Amen.) - Doch ich befinde mich schon auf dem Weg in die Provinz, im Bus, der Ka (der aus Pamuks 'Schnee') von Erzurum nach Kars (Ostanatolien) bringen soll.

Von 'şefkat' ist da die Rede, von Güte, Zärtlichkeit, freundlicher Anteilnahme, Wohlwollen. - Die Nicht-Existenz als älterer Herr zeigt sich von ihrer freundlichsten Seite und macht meine Lage zumindest gut erträglich. Zudem fällt die Belästigung durch Haschischschwaden mittlerweile ja weg, und auch das Aufspringen auf Wörter einer sehr fremden Sprache lässt einen aus ruhiger Entfernung auf dieses potthässliche Deutsch hinabblicken. - Von 'şefkat' ist also die Rede. Gerade eben ist mir sehr danach zumute zuzusehen, wie in einem Roman moralische Empfindungen/Einstellungen verortet werden. -

Dunkelheit, dichtes Schneetreiben, Steilhänge: eine abenteuerliche Busfahrt. Ka's Grundstimmung: 'huzur', Ruhe, Behagen. Der Grund: die Anwesenheit des Mannes, der neben ihm sitzt, eines gutaussehenden Bauern - 'yakışıklı': Das Wort für die Schönheit des Mannes legt eine Distanz zwischen mir und einer Fresse, die beschlossen hat, den älteren Herrn in ihren starren Blick zu nehmen -, der, wie Ka ihrem spärlichen Gespräch entnimmt, in einem Dorf in der Nähe von Kars Viehzucht betreibt. Der Dörfler freut sich darüber, dass ein des Lesens und Schreibens kundiger Mann aus Istanbul (Ka ist Schriftsteller) an den Belangen von Kars Anteil nimmt. Ka gefällt der schlichte Stolz seines Sitznachbarn. (Ich darf hier wieder mal getrost das Wort 'Anerkennung' fallenlassen.)

Was so ein Schlagring nicht alles anstellen könnte ... Was wäre wohl passiert, wenn der wohlbewehrte Fabian, der jüngere Sohn meiner Susanne, und nicht Cyrill, der ältere, vor zwei Tagen zusammen mit seinem Freund von einem jungen Pärchen auf brutale Weise attackiert und beraubt worden wäre ... Nach dem Happy End, wo ich mit Behagen feststelle, dass eine Visage im Zustand kompletter Entstellung ihre verhassten Züge aufgegeben hat, nimmt mich diese Passage voll in Spruch:

[Almanya'da on iki yıl boyunca hissetmediği türden bu huzuru Ka kendinden güçsüz birisini anlayıp ona şefkat duymaktan hoşlandığı zamanlardan hatırlıyordu. Böyle zamanlarda, dünyaya acıma ve sevgi duyduğu adamın gözüyle bakmaya çalışırdı.]
Diese(s) Ruhe/Behagen ist von einer Art, die Ka in Deutschland über den vollen Zeitraum von zwölf Jahren nie verspürt hat. Seine Erinnerung geht zurück zu den Zeiten, wo er Gefallen daran gefunden hat, einen, der schwächer als er selber war, zu verstehen und ihm ein Wohlwollen entgegenzubringen. In diesen Zeiten war er darum bemüht, die Welt mit allem, was da kreucht und fleucht, mit den Augen eines Mannes anzuschauen, der für sie Mitleid und Liebe verspürt.

Mein Neid auf Ka's Sitznachbarschaft ist nun definitiv verflogen. Mein Gehirnskasten hat zwischen der letzten Zugstation und dem Zielort, in diesem leeren Zwischenraum, wo nichts von Bedeutung mehr passiert, noch kurz auf Beschlagwortung umgestellt: Wohlwollen: Wohlwollen aus Stärke; Nietzsche; Ruhe/Zuversicht/Behagen: Ruhe/Zuversicht/Behagen aus Wohlwollen; Moritz Schlick; U-topie und Verortung; so'n Zeugs eben. Doch ich muss jetzt aussteigen.

Donnerstag, Januar 11, 2007

Der Schriftsteller als Seher


Ein kleiner Blick in Orhan Pamuks Schreibwerkstatt:

Der Held seines Romans 'Schnee' heisst Ka. ("Es war spätabends, als K. ankam. Das Dorf lag in tiefem Schnee." Quizfrage: Welcher Roman beginnt so?) Er befindet sich eingangs auf einer Busfahrt von Erzurum nach Kars. Pamuk gibt ihm die besten Wünsche mit auf den Weg (Yolun açık olsun sevgili Ka...) und wendet sich dann an seine Leser:

Ama sizi kandırmak istemem: Ka'nın eski bir arkadaşıyım ve Kars'ta başına gelecekleri daha bu hikâyeyi anlatmaya başladan biliyorum ben.
Aber euch will ich nichts vormachen: Ich bin ein alter Freund Ka's, und schon jetzt, noch bevor ich diese Geschichte zu erzählen beginne, weiss ich, was ihn in Kars erwartet.


[Die netten Leute bei blogger.com lassen mich die türkischen Sonderzeichen neuerdings direkt, also ohne den Umweg über den mühsamen HTML-Code, darstellen. So kann ich jetzt leichter angeben.]

Dienstag, Januar 09, 2007

Rubrik: Sprachphilosophie: Bedeutungstheorie

Ertrunken im Metaphernmeer


Metaphern sind Dinge, mit denen wir ganz gut klarkommen. Gleichzeitig sind sie Dinge, an denen geläufige Vorstellungen vom Verstehen grandios zerschellen. Unser Umgang mit Metaphern zeigt, dass wir als Verstehende erfolgreiche Forscher sind und nicht etwa Maschinen, die beflissen nachschlagen, was mal irgendwie in ihrem Memory abgespeichert worden ist.

"Ja schon. Ich bin bloss ein bisschen misstrauisch, wenn jemand versucht, dermassen viel Substanz aus diesem Metaphernwesen herauszuschlagen. Metaphern sind schliesslich ein enges Feld. Sie sind doch die paar Ausnahmen, an denen wir eine ansonsten plausible Theorie des Verstehens nicht scheitern lassen sollten."

Seit einiger Zeit schon halte ich mich an einem Ort auf, wo die Metaphern nicht bloss einen kleinen poetischen Tümpel, sondern ein Meer bilden, in dem dieser Einwand untergeht: Ich treibe Türkisch. Türkisch ist eine Sprache, in der Zigaretten getrunken werden. Gleich nachdem man die ersten Abschnitte eines beliebigen Lehrbuchs, in dem Ayşe noch Tee trinkt, geschafft hat und Jahre bevor man sich auf einen türkischen Hölderlin einlässt, stellt man verdutzt fest, dass Ayşe neben dem Tee auch noch eine Zigarette trinkt. (Oder natürlich umgekehrt: Ayşe stellt mit ihrer Zigarette etwas an, was wir als 'rauchen' bezeichnen würden, und raucht dazu einen Tee.) - Jahre später werden wir, nunmehr ohne Lehrbuch, etwa die Hauptfigur aus Pamuks 'Kar' auf einer Busfahrt 'vier Augen öffnen' sehen und feststellen, dass er verdammt genau aufnimmt, was sich in seinem vom fahrenden Bus ständig gedrehten und zerdehnten Gesichtsfeld abspielt. (Dass das Gesichtsfeld von einem fahrenden Bus zerdehnt werden kann, habe ich übrigens nicht in Pamuks Roman erfahren; ich wusste es vor zwei Minuten selber noch nicht.) Tja, und bevor wir umblättern, schnappen wir noch zwei drei weitere 'Ausnahmen' auf. Wir geniessen sie (trinken/inhalieren/verschlingen sie, saugen sie ein, nehmen sie auf) in vollen Zügen und denken längst nicht mehr daran, durch sie den Einwand oben zu entkräften, denn der ist schon Jahre vorher im Metaphernmeer ertrunken.


Ich möchte bei dieser Gelegenheit einer weiteren Verstorbenen gedenken. Es handelt sich um eine in den einschlägigen Blättern gern dargestellte Promi, die viele Namen trägt. Ich will ihrer hier unter dem Namen 'Tessa di Incompatibilitate' gedenken. Sie erfreute sich zeitlebens allergrösster Beliebtheit, und auch posthum hat sich daran nicht viel geändert. Ihr Faszinosum besteht vielleicht darin, dass sie lauter wirres Zeug mit einer gewissen Grandezza vorzutragen wusste. Ich breche ab: De mortuis nil nisi bene.