T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Sonntag, Januar 01, 2006

Zum Jahresanfang


Für das kommende Jahr wünsche ich allen meinen LeserInnen viele frohe Stunden.
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Für die an Philosophie im engeren Sinn Interessierten mag es noch Belangloseres geben als zu hören, dass ich mich zur Zeit wieder mit mit der Philosophie Donald Davidsons beschäftige. Dessen "Subjective, Intersubjective, Objective" brennt in meiner Buchhandlung darauf, von mir in Besitz genommen zu werden. Als erstes werde ich mir "The Myth of the Subjective" vornehmen (Deutsch neben ein paar anderen Aufsätzen bei Reclam unter der Nr. 8845). Dieser Aufsatz scheint eine gute Übersicht über die späteren Arbeiten Davidsons zu geben. Zur Einstimmung zitiere ich ein paar Passagen aus der deutschen Ausgabe:

Der erste Satz: Dieser Aufsatz behandelt ein altes Thema: die Beziehung zwischen dem menschlichen Geist und der übrigen[!] Natur, zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven, wie wir sie heutzutage auffassen. (84) -
Zu "wie wir sie heutzutage auffassen": Viele der von mir dargelegten Gedanken sind unter den Philosophen heute weitgegend bekannt. Aber soweit ich weiss, haben nur wenige dieser Philosophen erkannt, wie weit die daraus folgende Umwälzung unseres Denkens über die Philosophie reicht. (98 f)

Der freundliche Richard Rorty, dem wohl niemand den ersten Platz in Davidsons Fan-Club streitig machen kann, wird nicht müde, immer wieder zu betonen, wie weitreichend die Folgen der Verabschiedung der Dichotomie Schema/Inhalt ist. Das führt mich zur nächsten Passage:

Anstatt zu behaupten, die Probleme der modernen Philosophie seien von der Dichotomie Schema/Inhalt beherrscht und definiert worden, könnte man ... ebensogut sagen, es sei die Art der Auffassung des Dualismus von Objektivem und Subjektivem gewesen. Diese Dualismen haben nämlich einen gemeinsamen Ursprung: einen Begriff des Geistes mit seinen privaten Zuständen und Gegenständen. (91)

Und was uns nicht alles erwartet, wenn wir uns einen neuen Begriff des Geistes zu eigen machen bzw. wenn wir aufhören, uns von der Dichotomie Schema/Inhalt und der Dichotomie objektiv/subjektiv drangsalieren oder betören zu lassen (98):
Die Auswirkungen dieser Überlegungen auf die Erkenntnistheorie sind zumindest[!] umwälzend. (94) -
Was uns bevorsteht, ist der Blick auf das Auftauchen einer radikal umgemodelten Auffassung der Beziehung zwischen Geist und Welt. (91) -
Spezifischer: Die Beantwortung des globalen Skeptizismus wird keine Herausforderung mehr sein. die Suche nach erkenntnistheoretischen Grundlagen in der Erfahrung wird für zwecklos befunden werden, und der Begriffsrelativismus wird seine Anziehungskraft verlieren.

Wo anders hat der sorgfältige und prägnante, eher trockene und eher verhalten, aber nachhaltig begeisternde Denker Davidson sich dermassen emphatisch ins Zeug gelegt? Der Aufsatz ist über weite Strecken nicht-argumentativ (er ist nicht dazu bestimmt, den Zweifler zu bekehren (84)) und narrativ (Davidson spricht von seiner kurzatmigen Erzählweise (90)). Gerade darum, und weil er so viel Gedankenmaterial an einem Ort versammelt, wähle ich ihn als Ausgangspunkt einer Vertiefung in spezifischere Themen (wie das der Triangulation). Es ist ja bei Davidson, dem "Denker ohne Buch", besonders schwierig, beim Nachvollzug seiner feinsinnigen Argumentationen nicht aus den Augen zu verlieren, wo genau im Gestrüpp der analytischen Argumentwucherungen er im Moment das Messer ansetzt oder 'worum es eigentlich geht'.

Schliessen will ich mit einer letzten Passage aus "The Myth of the Subjective":
Es gibt zwar die zahlreichen Bewusstseinszustände, aber deren Beschreibung setzt nicht die Existenz gespensterhafter Wesenheiten voraus, die der Geist irgendwie betrachtet. Wenn man ohne solche Wesenheiten auskommt, so heisst das, dass man eine ganze Reihe beunruhigender Probleme wegfegt, anstatt sie zu lösen. Denn wenn es solche Gegenstände gar nicht gibt, können wir weder die Frage aufwerfen, wie sie die Welt darzustellen vermögen, noch können wir uns den Kopf über die Frage zerbrechen, wie es dem Geist gelingt, ihre unmittelbare Bekanntschaft zu machen. (106 f) -
Ob man die 'Gegenstände des Denkens' dabei nach dem Vorbild der Sinnesdaten oder als etwas in ihrem Charakter Propositionales (106) auffasst, spielt keine Rolle. -
Wenn aber nun ein philosophierender Naturwissenschaftler daherkäme mit der Behauptung, nur er könne wahrheitsgemäss und grundlegend über den Charakter der Bewusstseinszustände Bescheid geben, böte er uns nicht mehr und nicht weniger als einen gelungenen Sketch zum Jahresanfang:

Wir haben ja das Feld der Erforschung von Bewusstseinszuständen aus Einsicht in die Zwecklosigkeit des Unterfangens für unsere Zwecke und aus Überdruss bereits geräumt und schauen nun von aussen belustigt zu, wie uns der neue Fundamentalwissenschaftler den ersten Rang auf diesem Feld streitig machen will. - Stell dir vor, es wäre Krieg ...

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All denjenigen, die befürchten/hoffen, dass die Hegeleien künftig spärlicher fliessen werden und dass ich mich von meinem Adornitis-Schub erholt habe, kann ich sagen: You're right.

Für das kommende Jahr wünsche ich allen meinen LeserInnen viele frohe Stunden.