T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Sonntag, Januar 15, 2006

Rubrik: Anerkennung: Der kluge Hausherr: Der Geistliche

[Hab ich da nicht noch ein Buchprojekt am Laufen? Mal schauen, wer da noch unter meinem Dach wohnt:]

Der Geistliche


Der Geistliche, Hochwürden Aloysius oder Herr Aloysius - er hört durchaus auch auf ein schlichtes 'Hochwürden' - wohnt nicht eigentlich unter meinem Dach. Ich habe ihm zwar seinerzeit eine kleine Kellerwohnung zugewiesen, die hat er aber mittlerweile zu einem Labyrinth von Katakömbchen ausgeweitet. Das ist im Grunde der einzige Ort, wo er tief durchatmen kann. Frische Luft und Sonnenlicht hält er für wenig bekömmlich, eine Atmosphäre, die jegliche Beimischung von Kerzen- und Weihrauchduft vermissen lässt, gar für schädlich. Dieser Ort ist das Réduit, in das er sich nach dem 2. Vaticanum zurückgezogen hat. Der auffälligen Verhaltensänderung, die seine Erzieher in der katholischen Internatsschule, in die er mit zwölf Jahren eingetreten war, nach dem Konzil an den Tag legten, begegnete er damals schon mit dem allergrössten Misstrauen. Die Verwendung der deutschen Sprache in einem Gotteshaus hält er heute noch für höchst unpassend. Die Musikgeschichte beginnt für ihn mit dem gregorianischen Gesang und endet mit Palestrinas 'Missa Papae Marcelli'.

Ich mag ihn nicht besonders, lasse ihn aber gewähren. Ich verlange von ihm nicht, dass er seine unterirdische Behausung ab und zu durchlüftet. (Ich wäre ja auch nicht wirklich traurig, wenn ihm eines Tages während einer der Messen und Andachten, die er da unten pausenlos veranstaltet, ob seinem inbrünstigen Gesang inmitten von Weihrauchschwaden die Puste ausgehen würde.) Er muss bloss darauf achten, dass kein Ton und kein Räuchlein in mein Haus aufsteigt. Solange er dieser Auflage mit Eierschachteln, Abzugröhren und weiteren behelfsmässigen Einrichtungen nachkommt, ist für mich alles ok. Andernfalls müsste ich ihm allerdings mit Kammerjägern und Schlimmerem auf die Pelle rücken.

Ich darf allerdings auch vermelden, dass sich unser Verhältnis in den letzten Jahren merklich gebessert hat. Und ich habe auch eine starke Vermutung, woran das liegen könnte: Als ich ihn das letzte Mal in meinem Wohnzimmer zu einem persönlichen Gespräch empfing, hatte ich es versäumt, die zweisprachige Tusculum-Ausgabe von Augustinus' 'Confessiones', die ich eben erworben hatte, vorher wegzuräumen. So lag sie denn zwischen uns auf dem Teetischchen und verbreitete eine gewisse Wirkung. Jedenfalls verlief unser Gespräch anders als sonst. Ich weiss wirklich nicht genau, was da vorgefallen ist. Aber ich darf mal gestehen, dass mir diese leise Spur von geistlicher Anerkennung, wenn auch nicht ganz ohne die Selbstgefälligkeit gespendet, die denen anhaftet, die sich im Besitze der einen, heiligen und katholischen Wahrheit wähnen, mir doch ganz gut getan hat.