T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Freitag, Februar 17, 2006

[Das Beste, was mir passieren kann, ist, dass ich Laute von mir gebe, die in etwa ausdrücken, was ich gerade erlebe. - Ein Satz aus einem meiner Mails, in dem ich über eine mir bevorstehende unangenehme Begegnung mit Leuten, unter denen ich mich unwohl fühle, schrieb. Etwas irritiert durch die Reaktion des Empfängers, begann ich Gehalt und Herkunft des Satzes nachzuspüren (technisch gesprochen: frei zu assoziieren) und landete schliesslich in einem faszinierenden Stück Lebensgeschichte von Paul Feyerabend, der dieses in zwei Abschnitten seiner Autobiographie 'Killing Time' festgehalten hat. - Hätte ich das mindeste Talent dazu, würde ich vielleicht ein paar Bleistiftskizzen zu den beiden Abschnitten zeichnen. So aber gönne ich mir wenigstens eine kleine Übersetzungsarbeit:]

Feyerabend und Spund


Feyerabend schreibt, er sei bis kurz vor seiner Pensionierung ein 'gefühlskalter Egotist' gewesen. [Leute von Format geben dieses nicht auf, wenn sie mit sich selbst ins Gericht gehen.] In seinem Fall hätten sich die Schranken, die Gefühlsausdruck und Handlungsspielraum der 'Individuen' beschränkten, stets als ziemlich stabil erwiesen. Dann beschreibt er Personen und Ereignisse, die dazu beigetragen hätten, die starren Schichten seines Charakters aufzulösen. Unter anderem habe er eine ganze Menge von Spund gelernt:

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Barbara hatte Spund aus einem Wurf von fünf ausgewählt. "Ich werde mich um alles kümmern", sagte sie, als ich darauf hinwies, dass ein Welpe eine Unmenge an Zuwendung braucht. Doch es kam anders. Ich war es, der seine speziellen, mit Calcium angereicherten Mahlzeiten zubereitete; ich war es, der die Produkte seiner Verdauung(sstörung) beseitigte, die Tür öffnete, wenn er unruhig wurde, untertags, in der Nacht, wann auch immer. Barbara nannte den Hund Rommel. Sie wusste nicht allzu viel über Rommel, den deutschen Kriegshelden. Sie hatte nicht einmal eine Photographie von ihm gesehen. Aber sie schien den Klang des Namens zu mögen und den Hollywood-Mythos, der ihn umgab. Irgendwie schien der Name zum Bild zu passen, das sie von sich hatte - unnahbar schön, in ihrem Sportwagen, der unnahbar noble Hund hinter ihr. Auch das kam ganz anders. Rommel war ein deutscher Schäferhund. Doch seine Ohren standen nie auf; er fuhr fort, in hockender Position zu urinieren, wie Welpen es tun, anstatt wie ein richtiger Rüde stolz sein Hinterbein zu heben; und er rannte jeder Person in Sichtweite hinterher. In gewisser Weise hatte er keinen Charakter, zumindest nicht in Barbaras Augen. Dazu kam, dass er während unseres Vergnügungstrips nach Denver ausgiebig erbrach. Ich taufte ihn zu Spund um, einer Kontraktion des österreichischen speiben (erbrechen) und Hund. (Spund ist auch der Name einer Figur in Nestroys Stücken.)

Spund und ich wurden dicke Freunde. Ich nahm ihn auf Ausflüge mit, spielte mit ihm und sprach mit ihm über die Launen des Lebens. Spund verstand, was ich sagte - er erfasste den gefühlsmässigen Unterton im Nu. Er spürte den kleinsten Wechsel meiner Stimmung und zeigte jede seiner Stimmungen unverzüglich; da war keine Kontrolle, kein Abschirmen, kein Vortäuschen. Es war, als ob die Natur selber direkt zu mir spräche. Gelegentlich zog ich alte Klamotten an, und wir kämpften miteinander, ziemlich heftig. Eine Geste - und wir waren wieder Freunde. All das war das Resultat von Sympathie, nicht von Ausbildung. Nichts war versteckt, alles war sinnfällig. Ich wusste nicht, wie mir geschah, und einmal mehr lockerten sich einige der stabileren Schichten meines Charakters.

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[Ich las das Buch kurz nach seinem Erscheinen 1995. Und ich hab keine Ahnung mehr, wer diese Barbara ist, und kann sie auf die Schnelle auch nicht finden. Sachdienliche Mitteilungen über den Verbleib der Vermissten sind zu richten ... ]