T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Montag, Februar 13, 2006

Projekt: Übersetzung von 'Three Varieties of Knowledge' aus 'Subjective, Intersubjective, Objective' (5)

Teil I
Teil II
Teil III
Teil IV

Vom Inhalt unseres eigenen Geistes zu wissen muss in den meisten Fällen trivial sein. Das liegt daran, dass, von Spezialfällen abgesehen, das Problem der Interpretation nicht auftauchen kann. Wenn ich nach den propositionalen Gehalten meines Geistes gefragt werde, muss ich meine eigenen Sätze verwenden. Die Antwort ist meist sinnlos einleuchtend: Mein Satz 'Schnee ist weiss' wie auch mein Gedanke, dass Schnee weiss ist, ist wahr genau dann, wenn Schnee weiss ist. [Anm. 1] Mein Wissen über die Inhalte eines andern Geistes ist, so habe ich argumentiert, nur im Kontext einer in groben Zügen richtigen, und mit dem andern geteilten, Sicht der Welt möglich. Doch solches Wissen ist vom Wissen über meinen eigenen Geist unterschieden, denn es ist notwendig indirekt in dem Sinn, dass es, unter anderem, von beobachteter Korrelation zwischen dem sprachlichen und anderen Verhalten der Person sowie von Ereignissen in unserer gemeinsamen Umgebung [Anm. 2] abhängt.

[[Anm. 1]
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[Eine Figur in Canettis 'Blendung' (Fischerle oder so ähnlich) zeigt einen Weg, wie sich aus dem Trivialen oder lächerlich Offensichtlichen doch noch ein Funken Gehalt herausschlagen lässt. Fischerle, der dabei ist, Englisch zu lernen, preist die Vorzüge seiner Beschäftigung. Er wisse nun beispielsweise, was die Sonne so treibe: Sie scheine. - Noch gehaltvoller freilich und, von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, befriedigender, ist das Verfahren des Sinologen Kien, der Hauptfigur des Romans. Der verlässt doch eines schönen Tages tatsächlich seine Wohnung und stellt verblüfft fest, dass die Vögel sich genau so verhalten, wie es in seinen Büchern steht: Sie pfeifen. So kann er denn, mit sich sowie der Welt im allgemeinen und den Vögeln im besonderen zufrieden, getrost wieder nach Hause gehen.]

[[Anm. 2]
events in our communal environment: Ein neuer Gemeinderat wird gewählt; der Souverän spricht einen Kredit für die Sanierung der Sportanlage; auf der Agora versuchen Mitglieder der Polis den Streit zwischen einem Steinmetz und den besorgten Vätern einiger seiner Azubis zu schlichten. Eine kleine Welt, fürwahr. Doch ich erfahre von Davidson, dass wir Hinterweltler von Natur aus auf die Globalisierung (hier besser: Zirkularisierung) angelegt sind. Begeben sich die besagten Bewohner der Polis nämlich unter die Barbaren, brauchen sie den so überaus nützlichen Triangel gar nicht mit sich herumzuschleppen. Drei Dinge genügen: 1. Die erfolgreiche Bemühung, am Leben zu bleiben. 2. Unter Beachtung von Punkt 1 nicht davonzulaufen, wenn ein des Griechischen Unkundiger einen misstrauisch beäugt. 3. Sich in den Umstand zu fügen, den die Götter von alters her durch die Ausstattung eines jeden Punktes des Erdkreises mit einer Umgebung in eherne Gesetzesform gegossen haben.]

Der grundlegende Unterschied zwischen meinem Wissen über einen andern Geist und dem über die geteilte physische Welt entspringt einer andern Quelle. Kommunikation, und das Wissen über den Geist anderer, den sie voraussetzt, bildet die Grundlage unseres Begriffs von Objektivität, unserer Anerkennung einer Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Überzeugung. Ausserhalb dieses Standards gibt es nichts, woran wir zusätzlich überprüfen könnten, ob wir die Dinge richtig sehen, ebenso wenig wie wir überprüfen können, ob der Platin-Iridium-Zylinder des Internationalen Büros für Gewichte und Masse in Sèvres, Frankreich, ein Kilogramm wiegt. (Dieser Vergleich war gültig, als noch der Zylinder in Sèvres das Kilogramm definierte.) Selbstverständlich können wir uns an eine Dritt- und Viertperson wenden, um den interpersonalen Massstab dessen, was für real gilt, zu verbreitern und abzusichern, aber das führt nicht zu etwas wesentlich Verschiedenem, bloss zu einem Mehr vom Gleichen.

Ich sprach vorhin von einer Analogie zwischen der Art, wie wir Zahlen zuordnen, um den Beziehungen zwischen Gegenständen bezüglich Temperatur oder Gewicht nachzugehen, und der Art, wie wir unsere eigenen Sätze verwenden, um die Inhalte der Gedanken und Äusserungen anderer zu identifizieren. Aber die Analogie ist ungenau; die Natur der Messvorrichtung unterscheidet sich in den beiden Fällen. Wir sind auf unsere sprachlichen Interaktionen mit andern angewiesen, um über die Eigenschaften der Zahlen und die Art der Strukturen in der Natur, die uns erlauben, diese Strukturen in Zahlen auszudrücken, Übereinkunft zu erzielen. Auf diese selbe Weise Übereinkunft zu erziehlen über die Struktur der Sätze und Gedanken, die wir zur Abbildung der Gedanken und Wortbedeutungen anderer verwenden, ist uns nicht möglich, denn die Bestrebung, eine solche Übereinkunft zu erzielen, bringt uns wieder zu dem selben Prozess der Interpretation zurück, von dem jegliche Übereinkunft abhängt.

Genau hier, behaupte ich, stossen wir auf die letzten Quellen des Unterschieds zwischen dem Verstehen von Wesen mit Geist und dem Verstehen der Welt als physischer. [Anm 1.] Eine Gemeinschaft von Wesen mit Geist ist die Grundlage von Wissen; sie ist das Mass aller Dinge. [Anm. 2] Es macht keinen Sinn, die Angemessenheit dieses Massstabs in Frage zu stellen oder nach einem noch endgültigeren Massstab zu suchen.

[[Anm. 1] [Für Studienanfänger]
understanding minds and understanding the world as physical. Die Asymmetrie beachten (symmetrisch: 'understanding minds and understanding the physical world). - Was Davidson hier alles nicht unterstellt: Die Welt zerfällt in zwei Bereiche, einen geistigen und einen physischen. Den geistigen Bereich suchen wir zu verstehen, den physischen zu erklären. Oder: Wir können die Welt unter zwei Aspekten betrachten, einem geistigen und einem physischen. - Davidsons Grundeinstellung (denke an die Einstellung der Kamera, wie sie die Totale in den Blick bringt) bezüglich des Verhältnisses von Geistigem und Physischem: Als physische (Was denn sonst?) Lebewesen mit Geist finden wir uns mit anderen physischen Lebewesen mit Geist in einer, gemeinsamen physischen Welt vor. Das alles ('das Ganze') suchen wir zu verstehen. Dabei kommen wir nicht mit einem einzigen Standard, wie er etwa von der Physik gegeben sein mag, aus. Um in der einen Welt als geistige Wesen unser Kerngeschäft, das Verstehen, welches uns als geistige Wesen auszeichnet, betreiben zu können, genügt es nicht, über das gesamte Wissen der fortgeschrittensten Physik zu verfügen; das Wissen der Stammtische etwa, oder das der Geschichtenerzähler von der Grossmutter bis zu Kafka, oder das der philosophischen Proseminare ist unabdingbar. - Der in die Jahre gekommene Monismus ist zur Welt gekommen. Er ist so weit gereift, dass er mittlerweile imstande ist, von grotesken All- und Einheitsbehauptungen abzulassen und die Kirche im Dorf zu lassen. Er hat eine Sprache gefunden, und die trägt ein Markenzeichen: AM (Anomaler Monismus).]

[[Anm. 2]
Davidsons 'Communitas-mensura-Satz', der weiterentwickelte 'Homo-mensura-Satz' des Protagoras. -
Liebes Tagebuch. Beinahe hätte ich vom 'Societas-mensura-Satz' gesprochen. Doch das hätte die Soziologen auf den Plan gerufen, die das allem Mass geben wollenden 'Im Grunde beschreiben nur wir die Welt korrekt' der einfältigeren Exemplare aus der Zunft der philosophierenden Physiker mit einem entsprechen Satz in Soziologen-Chinesisch to toppen versucht hätten. Ich will ja das immer gleiche Spielchen nicht noch anheizen: Erst kommt einer und vereinheitlicht und reduziert auf Biegen und Brechen alles, was Leuten in den Sinn kommt; dann versucht ein noch gründlicher vorgehender anderer, ihm den Platz streitig zu machen: "Ich bin auf wesentlich gründlichere Weise einfältig als du!"]

Wir sind ausgiebig auf die Unvermeidbarkeit des objektiven Aspekts allen Denkens eingegangen. Was bleibt vom subjektiven Aspekt übrig? Offensichtlich haben wir die Differenz zwischen dem Wissen von sich selbst und dem Wissen vom Geist anderer nicht getilgt: Das erste bleibt direkt, das zweite indirekt. Objektivität selber haben wir zu den Schnittpunkten von Gesichtswinkeln zurückverfolgt - für jede Person: die Beziehung zwischen ihren eigenen Reaktionen auf die Welt und den Reaktionen anderer. Diese Unterschiede sind real. Unsere Gedanken sind insofern 'inner' und 'subjektiv', als wir sie auf eine Weise kennen, wie kein anderer das kann. Doch der Besitz eines Gedankens ist zwar notwendig individuell, sein Gehalt aber ist es nicht. Die Gedanken, die wir bilden und hegen, sind konzeptuell in der Welt lokalisiert, die wir bewohnen und von der wir wissen, dass wir sie zusammen mit andern bewohnen. [Anm.] Selbst unsere Gedanken über unsere eigenen mentalen Zustände besetzen den selben Begriffsraum und sind auf der selben öffentlichen Karte lokalisiert.

[[Anm.]
The thoughts we form and entertain are located conceptually in the world we inhabit, and know we inhabit, with others. - Die Gedanken, die wir bilden und hegen, sind entworfen als verortet in der Welt, in der wir, dieses Mit-Seins gewahr, mit andern einwohnen.]

Der philosophischen Auffassung von Subjektivität sind eine Geschichte und eine Reihe von Annahmen über die Natur von Geist und Bedeutung aufgebürdet, die die Bedeutung einer Äusserung oder den Gehalt eines Gedankens von Fragen über äussere Wirklichkeit, 'meine' Welt von der Welt, wie sie andern erscheint, abschneidet. Diese weit verbreitete Auffassung nimmt an, dass das Subjektive Priorität vor dem Objektiven hat, dass es eine subjektive Welt gibt, die dem Wissen über äussere Wirklichkeit vorausgeht. Es ist offenkundig, dass das Bild von Denken und Bedeutung, das ich hier umrissen habe, keinen Raum für eine solche Priorität lässt, da es ja Wissen über sich selbst auf Wissen über den Geist anderer und die Welt gründet. Das Objektive und das Intersubjektive sind demnach unverzichtbar für alles, was wir Subjektivität nennen können, und bilden den Kontext, in welchem es Form annimmt. Collingwood formulierte es prägnant:

Das Kind, das sich selbst als Person entdeckt, entdeckt sich selbst auch als Mitglied einer Welt von Personen ... Die Entdeckung meiner selbst als einer Person ist die Entdeckung, dass ich sprechen kann und demnach eine persona oder ein Sprecher bin; wenn ich spreche, bin ich sowohl Sprecher als auch Hörer; und da die Entdeckung meiner selbst als einer Person auch die Entdeckung anderer mich umgebender Personen ist, ist sie die Entdeckung von mir unterschiedener Sprecher und Hörer. (5)

(5) R. G. Collingwood, The Principles of Art, 248

[persona (< per-sonare: durch-tönen): das, durch das hindurch einer sich vernehmen lässt: die Maske. (Der Sinn beginnt schon zu triefen, wenn man die Bauklötzchen bloss so nebeneinanderstellt. Der Autor von 'T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn' hat somit seinen Dienst getan.)]

Es mag so aussehen, dass, wenn eine in den Grundzügen gemeinsame Weltsicht eine Bedingung für Denken ist, die charakteristischen Unterschiede bezüglich Bildung und Einfallsreichtum zwischen Individuen und Kulturen komplett aus dem Blickfeld geraten. Wenn ich diesen Eindruck erweckt habe, kommt das daher, dass ich ich mich auf das, was mir primär erscheint und so leicht übersehen wird, konzentrieren wollte: das notwenige Mass an Gemeinsamkeit, das für das Verstehen eines andern Individuums unverzichtbar ist, und das Ausmass, in dem solches Verstehen die Grundlegung des Begriffs von Wahrheit und Realität darstellt, von dem alles Denken abhängt. Doch ich will nicht behaupten, dass wir diejenigen nicht verstehen können, deren physikalische und moralische Ansichten auf weiten Gebieten von den unsern abweichen. Es ist auch so, dass Verstehen eine Frage der Abstufung ist: Andere mögen Dinge kennen, die wir nicht kennen oder vielleicht nicht einmal kennen können. Sicher ist, dass die Klarheit und Leistungsfähigkeit unserer Begriffe mit dem Wachsen unseres Verstehens anderer wächst. Es gibt keine festen Grenzen dafür, wie weit wir es im Gespräch bringen können/werden.

Einige Philosophen befürchten, dass wir, wenn all unser Wissen, zumindest unser propositionales Wissen, objektiv sein soll, eines wichtigen Aspekts der Wirklichkeit verlustig gehen werden: unserer persönlichen. privaten Perspektive. Ich halte diese Befürchtung für grundlos. Wenn ich Recht habe, gründet unser propositionales Wissen nicht im Nicht-Personalen, sonderm im Inter-Personalen. Wenn wir somit auf die natürliche Welt blicken, die wir mit andern teilen, verlieren wir nicht den Kontakt mit uns selbst, sondern werden uns unserer selbst als Mitglieder einer Gemeinschaft von Lebewesen mit Geist gewahr. Wenn ich nicht wüsste, was andere denken, hätte ich keine eigenen Gedanken und wüsste somit nicht, was ich denke. Wenn ich nicht wüsste, was ich denke, wäre ich nicht imstande, die Gedanken anderer einzuschätzen. Die Gedanken anderer einzuschätzen setzt voraus, dass ich mit ihnen in der selben Welt lebe und viele Reaktionen auf deren Grundzüge, deren Werte eingeschlossen, mit ihnen teile. So besteht denn keine Gefahr, dass wir, wenn wir die Welt objektiv sehen, den Kontakt zu uns selbst verlieren. Die drei Formen des Wissens bilden einen Dreifuss: Fehlt ein Bein, steht kein Bein.

[FINIS OPERIS]