T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Mittwoch, Februar 15, 2006

Rubrik: Philosophische Beratung

[Diesen Blog widme ich meinem Freund Daniel Jaun vom Duo Macchia. LeserInnen meines Blogs werden diese Geschichte mögen.]

Antiwerbung in eigener Sache


Herr C hat ein Problem. Man könnte es als Lebensproblem bezeichnen. Und was tut er? - Er macht Fortschritte!

Tja, so ist das heutzutage: Wir kommen voran, entwickeln uns, wachsen an diesem und jenem, gewinnen an Stärke. Wir können nichts dagegen tun. Wir warten auf die nächste Krise; sie ermöglicht uns, einen weiteren wichtigen Schritt zu tun; es könnte ein weiterer entscheidender Schritt sein. Ein kleiner Fortschritt hier, ein kleiner Fortschritt da, und hier einer, und dort einer, und hier, und da, und hie und da, und wenn wir noch nicht gestorben sind, kommen wir schliesslich an den Punkt, wo wir mit Enzensberger sagen können: Noch ein paar solche Fortschritte, und wir werden weitersehen.

Auch unser Herr C ist ein Akrobat im stets neuen Bemühen, das im reichen Vokabular des persönlichen Fortschritts zu beschreiben, was man, schlichter, als Treten-an-Ort bezeichnen könnte. Es versteht sich von selbst, dass auch er seinen Bemühungen gegenüber sehr kritisch eingestellt ist und durchaus über einen gewissen Humor verfügt, wenn er sich auch neuerdings dagegen sträubt, sich so was Einfaches wie die Fähigkeit, über sich zu lachen, als Fortschritt verkaufen zu lassen. Er vermutet, dass da irgendwo der Wurm drin steckt. Doch was soll er machen? - Fortschritte natürlich!

Er wendet sich diesen und jenen zu und landet schliesslich bei den Mystikern. Und da ereilt ihn ein grosses Pech: Er gerät an John Cage. Für wenige nur ein Quell der Heiterkeit, stellt auch für Herrn C die Lehre des Meisters eine akute Bedrohung eines Lebenskonzepts dar. Wen wundert's? Mein Ziel im Leben ist es, so lange zu leben, wie ich kann. - [Ich habe Fortschritte gemacht], und wenn ich so weitermache, werde ich zum Zeitpunkt meines Todes in perfekter Verfassung sein. Für Herrn C gibt es kein Zurück: Den neuen Einsichten muss Rechnung getragen werden. Eine völlig neue Fragestellung taucht auf: Wie kann ich vermeiden, in die Fortschrittsfalle zu geraten? Ich kann meinen LeserInnen versichern, dass er im Bemühen, diese Frage zu beantworten, einige entscheidende Schritte weiter gekommen ist. Der Fortschritt lässt sich eben nicht so leicht vermeiden!

Herr C hat ein Problem. Man könnte es als Lebensproblem bezeichnen. Und was tut er? - Er macht Fortschritte!

Ich überspringe jetzt mal etwa 30 Jahre. In den letzten Monaten hat sich einiges getan: Herr C hat aufgehört, Sätze wie "Früher machte ich den Fehler x; heute passieren mir ganz andere Fehler" von sich zu geben. Er ist beim schlichteren "... und den mache ich auch heute noch" angekommen. (Nein! Kein "... und den mache ich heute besser"!) - Anlass zur Hoffnung? Natürlich nicht. Aber einen letzten, verzweifelten Schritt will er noch unternehmen: Er nimmt die Dienste eines philosophischen Beraters in Anspruch.

Perspektivenwechsel: Herr C ist ein hoffnungsloser Fall auf weit fortgeschrittenem Niveau. Und ich, der Berater, sitze neben ihm im selben Boot. Und ich mache kein Hehl daraus. Wir beide können uns nichts mehr vormachen. Das Niveau an Reflexivität, das wir erreicht haben, ist kaum zu überbieten. Zudem haben wir keine Lust mehr, diesbezügliche Anstrengungen zu unternehmen. "Keine weiteren Fortschritte!" ist unsere gemeinsame Devise. Wir sind auch nicht gewillt, uns mit weiterem Rat schlagen zu lassen. Ich habe keine Lust, dem Mann auch noch Geld aus der Tasche zu ziehen und frage ihn, ob er die leiseste Vorstellung von irgendetwas habe, was ich ihm sagen könnte, etwas, dessen blosse Formulierung bei ihm nicht im besten Fall Müdigkeit, im schlimmsten Ekel auslösen würde. - Dachte ich mir's doch! Ich werfe das Handtuch und erkundige mich: "Mozart, Wagner, ... ?" - "Dowland!" - Ok. Emma Kirkby und Anthony Rooley. "Mourn! Mourn!"

O none but hell in heaven's stead
Chokes with his mists our mirth.


Sind es die Lautenklänge? Jetzt werden Übergänge sichtbar. Keine neuen Perspektiven! Übergänge! Pfade, ausgelegt von einer Laute, betreten von einer menschlichen Stimme. Zwangloses Fortschreiten.

Awake sweet love, thou art returned.
My heart, which long in absence mourned,
Lives now in perfect joy.


Dann wird mein Laden für heute dichtgemacht.


[Jan: "Hast du sie noch alle? Bist jetzt hat die eine oder andere Leserin vielleicht noch daran gedacht, dich mal zu kontaktieren. Jetzt kannst du das vergessen." - "Ach was! Die sehen doch jetzt erst recht, was ich alles drauf habe. Herr C hat noch nie so stinkzufrieden ein Beratungszimmer verlassen. Er hat von mir die perfekte Anerkennung bekommen." - "Und was hast du davon? Was hat er dafür bezahlt?" - "Du weisst ja, eine erste Konsultation kostet bei mir nichts. Aber freilich, Herr C war so frei." - "Und?" - "Geld ist für mich kein Thema. Das habe ich einfach."]