T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Sonntag, November 30, 2008

"(mit Würde) Moral, das ist, wenn man moralisch ist." (Der Hauptmann zu Woyzeck, der ihn rasiert) -
Bei Alban Berg mit martialischem Nachdruck vorgetragen, dem Nachdruck, der nach Bernard Williams "nur ein Zeichen dafür ist, dass ... Autoren einen berechtigten Zweifel an der Tragfähigkeit dieses Wortes verspüren ...: Sie halten es immer wieder für nötig, seine rettende Kraft dadurch zu stärken, dass sie es kursiv drücken." (7)

[nach der 1. Lektüre von Bernard Williams' 'Scham, Schuld und Notwendigkeit': der leitende Gesichtspunkt für die 2. Lektüre:]


Die Lebensdienlichkeit moralischer Ideen

"... das Ziel ... ist unmissverständlich philosophisch: Es geht um ein besseres Verständnis unserer ethischen Vorstellungen". (X)

Du darfst dir - intellektuell redlich - getrost eingestehen, dass deine ethischen Ideen reichlich unklar sind. Das trifft selbst auf die Unterscheidung moralisch-nichtmoralisch zu: "Wir behindern ... auch unser Nachdenken, wenn wir einfach davon ausgehen, dass diese Unterscheidung zugleich sehr weitreichend, sehr wichtig und auch noch selbst-explikativ ist." (108)

Du täuschst dich nicht, wenn du den Eindruck hast, dass deine ethischen Vorstellungen "wenig anbieten, worauf man sich stützen könnte" (8), dass sie "irrige Vorstellungen vom Leben" enthalten (IX; Williams versichert dir bei dieser Gelegenheit, dass du dich da in der besten Gesellschaft, der von Platon und Aristoteles, befindest), dass sie "auf beunruhigende Weise zerbrechlich" sind (X) und dass sie ständig im "Treibsand eines alltäglichen ['da ... einer unverstellten Vertrautheit mit den menschlichen Angelegenheiten' entspringenden] und völlig gerechtfertigten Skeptizismus" zu versinken drohen. (79)

Du darfst von der folgenden These ausgehen: Wenn es um dein modernes Verständnis des Ethischen so schlecht bestellt ist, stellt sich die Frage, warum es sich überhaupt am Leben erhalten kann. Antwort: Es hält sich gerade noch, "weil es von Modellen des menschlichen Verhaltens getragen wird, die realistischer sind, als es sich eingesteht. Es sind genau diese Modelle, die in der Antike anders und in mancher Hinsicht direkter ausgedrückt werden." (12) - So, damit bist du bei Homer (Ende 8. Jh.) und den Tragikern (5. Jh.) angekommen.

Eine verwandte These: Deine ethischen Ideen scheinen dir zerbrechlich. Du suchst welche, die tragfähiger sind, welche mit Bodenhaftung. Nun, du besitzt sie schon; es hindern dich bloss irrige Ideen von Aufklärung, Moderne und Autonomie, sie zu sehen. Die Untersuchung, wie die Griechen das menschliche Handeln und seine Motive darstellen, kann dir helfen, hier klarer zu sehen.


[Stichworte: lebensdienliche moralische Ideen, tragfähig, mit Bodenhaftung, entsprungen aus einer "unverstellten Vertrautheit mit den menschlichen Angelegenheiten". (Ja, dieser Wendung wirst du in meinem Blog noch zigmal begegnen.)]

[Und jetzt wünsche ich mir und allen andern viel Erhellendes bei der zweiten Lektüre eines ungemein gescheiten, vertrackten und erregenden Buches.]