T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Mittwoch, November 05, 2008

[Forgive me, Richard!]


Kontingenz, Ironie und Objektivität


"Meiner persönlichen Überzeugung nach ist alles subjektiv. Und selbstverständlich verbinde ich auch mit dieser Aussage keinerlei Objektivitätsanspruch. Und du?" - "Bei mir ist es einer der oberen linken Backenzähne."

Es gibt elaboriertere Entgegnungen auf den Subjektivismus. Aber meine ist jedenfalls perfekt. Ich habe unzählige davon. ["Solange du mir die Treene Grachten bilden lässt, ist das schon ok." "Lass uns zur Sache kommen!" "Ganz meine Meinung, wenn ich mir das provisorisch mal so kategorisch zu sagen erlauben darf."] - Ein klein wenig muss ich mich aber schon wundern, dass ich überhaupt nicht mehr imstande bin, diese Totgeburt von einem philosophischen Standpunkt ernstzunehmen. Immerhin bin ich ein Bewunderer Rortys. ('Kontingenz, Ironie und Solidarität'. 'Solidarität oder Objektivität?') Und habe ich nicht selber einen starken Hang zum Subjektivismus? Mag sein, die Sache ist bloss: Selbst wenn ich selber den Subjektivismus vertreten sollte, interessieren tut er mich nicht.

Zu den interessanteren Fällen von Erweiterung meiner Selbstkenntnis gehören die, wo mir allmählich klarzuwerden beginnt, dass eine lange gehegte Überzeugung recht tief in einem Stück meiner Lebensgeschichte verwurzelt zu sein scheint. Und jetzt beobachte ich interessiert, was mit der Überzeugung in den nächsten Wochen passiert. (Ja, genau so: Ich will wissen, was ihr zugestossen ist, während ich mich auf vielfältigste Art mit dem Stück Lebensgeschichte beschäftigte.) Vieles ist möglich: Die Überzeugung verflüchtigt sich. Ich komme aus dem Staunen nicht heraus, was für ein verbohrter Esel ich doch sein konnte. Ich halte die Überzeugung für schlicht richtig, vertrete sie bloss mit weniger Nachdruck/Ingrimm. Ich unterziehe eine ganze Menge damit zusammenhängender Auffassungen einer mehr oder weniger gründlichen Revision. Ich lege die Überzeugung ab (zu den Akten). - Es ist eine Lust, diesem Schauspiel zuzusehen! Und es lassen sich verschiedene Schlüsse aus den Beobachtungen ziehen, bis auf einen: Und der Subjektivismus hat doch recht. Kontingenzen, Idiosynkrasien, so weit das Auge reicht, und kein Subjektivismus in Sicht. [Ziehe einen einzigen subjektivistischen Schluss, und du hast dir schon selbst widersprochen. Und das zu sehen, wird dich zu langweilen beginnen, nachdem du es ein paarmal durchgespielt hast. - "Aber es zeigt doch ..." - "Es zeigt eben, was es zeigt, und das habe ich eben detailliert geschildert. Was du zeigen willst, zeigt sich eben nicht, oder du möchtest es gerne zeigen, stehst dir dabei aber mit deinem blöden Subjektivismus selber im Wege."]

Der Blog zieht sich ungewollt in die Länge, und der Schreiber muss daran zu zweifeln beginnen, dass ihn der Ismus überhaupt nicht interessiert.

[Intermezzo. Wittgenstein: Über Gewissheit. - Die Therapie des radikalen Zweifels (Skeptizismus). Formuliere einen einzigen müden Zweifel richtig aus, und wenn dir das gelingt, darfst du getrost an deinem Ismus festhalten. "Ein Zweifel ohne Ende ist nicht mal ein Zweifel." (aus dem Gedächtnis) - "Das Bild dort an der Wand könnte eine Fälschung sein." - "Klar doch." - "Kannst du dir sicher sein, dass da überhaupt ein Bild hängt?" - "Moment mal ... Wand ... Ist da eine Wand?" ("Mich stört, dass du dogmatisch davon ausgehst, dass das Bild da hängt. Wie kannst du a priori ausschliessen, dass Ausserirdische es dort mit einem speziellen Kleister festgemacht machen?")]

Zugegeben: Der Ismus weckt mein Interesse. Ich mag mit ihm spielen. Ihm zu widersprechen, halte ich für aussichtslos. Ihn als bewiesen zu unterstellen, eröffnet viel mehr Möglichkeiten: Ist er erst mal anerkannt, ist er damit - meiner bescheidenen Erfahrung nach - auch schon zum Schweigen gebracht. Da kommt schlicht nichts mehr. (Und wenn was kommt, hat das mit dem Ismus nichts mehr zu tun.) Man gewinnt Raum zum Erzählen. Über Zahnschmerzen, Gotteserfahrungen, die Art, wie immer wieder gegen den 'modus tollens' der klassischen Logik verstossen wird, Hegel, Onkel Robert und die 'Ten Years After'. Man braucht keine Rechtfertigungen vorzutragen, und sollte eine solche doch verlangt werden, wird man den Gesprächspartner darauf hinweisen, dass er doch wohl mit einem einig gehe, dass es solche Dinger nicht geben könne, dass man aber durchaus geneigt sei, ... [Plapperplapper] ..., bis es einem ausgeplappert hat und man wieder Lust auf ein gediegenes Stück katholische Dogmatik oder weiss der Teufel was verspürt. Ja, die Bejahung des Ismus führt zur Seelenruhe. Kurz bejahen, weiter erzählen, den Ismus dem (gemeinsamen) Vergessen anheimgeben.

Das ist überhaupt das Schöne an gewissen Ismen: Sie werden leicht vergessen. Man macht sich gerade nicht die Mühe, sie anständig zu formulieren, und ... flutsch ... weg sind die Dinger! Ich habe mir gar nicht die Mühe gemacht, den Subjektivismus anständig zu formulieren. So interessant ist er halt nun auch wieder nicht.


[Thomas Nagel ('Das letzte Wort') ist für diesen Blog in keiner Weise verantwortlich zu machen.]