T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Samstag, Dezember 05, 2009

[Muss man ein Gnostiker sein, um die hier skizzierte Analyse der Situation in Afghanistan als optimistisch einschätzen zu können? - Man wird bestimmt zum Schnödredner und schliesslich zum Zyniker, wenn man als Schönredner Ziele/Werte nicht hoch genug aufhängen kann. - (Nun, diese Analyse ist jedenfalls optimistisch. Ich dachte bloss, ich müsse das doch noch anschreiben.)]

[J.W.: Jonathan C. Warbyrd; Ph: Philotustan]


Ph: Stationierung von zusätzlichen 30'000 Soldaten unmittelbar, Abzug sämlicher Truppen ab Mitte 2011. Erkennst du im allgemeinen Chaos eine Strategie?

J.W.: Sicher. Spätestens ab Mitte 2011 wird es in Afghanistan vor allem in städtischen Gebieten ein paar in erster Linie durch einheimische Polizeikräfte gesicherte Territorien geben, die als Ausgangs-und Rückzugsgebiete für das Bodenpersonal von Aufklärungseinheiten dienen werden.

Ph: Konkret?

J.W.: Es wird nur noch Satelliten, Drohnen und eben das Bodenpersonal geben, das mit speziellen, gegenüber einer weiteren Öffentlichkeit nicht weiter zu spezifizierenden Aufgaben im Land betraut ist. Im Wesentlichen wird es nur noch darum gehen, gewisse Nester auszukundschaften und darin u.a. die kleinen Dinger anzubringen, die bei Bedarf die Cruise Missiles anlocken. - Noch ein paar Stichworte gefällig? "Smoke 'em out, hunt 'em down!", wie George W. es ausdrückte. Oder Donald [Rumsfeld, bezugnehmend auf eine lamentable Aktion Clintons; Ph]: "Nicht nur ein paar Kamele erschrecken!"

Ph: Und was passiert mit dem Rest des afghanischen Territoriums?

J.W.:

Das wissen die Taliban!


Ph: Ist das die Kapitulation?

J.W.: Der Krieg, kurz und hervorragend geführt, ist schon seit einiger Zeit gewonnen. Und Afghanisten ... Nun, es kommt einfach darauf an, wie hoch und unrealistisch man seine Ziele setzt. Bezogen auf die Ziele, die man in deinen Gegenden herumreicht, ist Obamas Strategie die Kapitulation, sicher. Wenn du aber die Kaida im Auge behältst, sieht es ganz anders aus. "Notwendig" ist die ganze Unternehmung nur im Rahmen des Kriegs gegen den Terror. Alles Scheitern bezüglich irgendwo deklarierter 'höherer' Ziele braucht einen Feldherrn letztlich nicht zu erschüttern.

Ph: Geht es mit dem Aufbau der Polizeikräfte voran?

J.W.: Es ist schwierig. Geplant waren mal 400'000 Polizisten. Bis jetzt hat man ca. 130'000 geschafft. Einige von ihnen werden getötet, andere laufen nach und mit der abgeschlossenen Ausbildung zu den Taliban über. Und was das Bedenklichste ist: Der Aufbau der Polizeikräfte frisst schon jetzt beinahe den gesamten Etat des afghanischen Staates auf. Schon schwierig, ja. Aber man tut, was man kann.

Ph: Haben wir es mit einem Krieg zu tun?

J.W.: Keineswegs! ... wenn du die Definition der Genfer Konvention zugrundelegst ... Wir sitzen uns hier an einem Stuhl gegenüber, wenn Du willst, und die Frage, ob wir überhaupt ein Gespräch führen, hängt bekanntlich nicht nur von der momentanen Beschaffenheit der Welt ab, sondern auch von der Bedeutung des Wortes 'Gespräch'. Du willst mit mir philosophieren? Schau, ich betrachte die Dinge ja jetzt aus einer höheren Warte und ...

Ph: Erzähl uns doch von dem Vorfall, der deinen Blick auf das Gesamtgeschehen dermassen drastisch veränderte! Was ist da schiefgelaufen?

J.W.: Ach, das ist auch bloss so ein kleines schmutziges Detail. Du fragst dich noch, ob es sich bei dem Mann auf dem landwirtschaftlichen Gefährt, das da vom Feld her langsam auf den Kontrollposten zutuckert und nicht auf die Zurufe deiner Leute reagiert, nicht doch um einen der zahlreichen älteren, schwerhörigen Bauern handeln könnte, und dann ... Sub specie aeternitatis betrachtet: Shit! oder Merde! oder ... Name ist da Schall und Rauch. Dumm gelaufen eben.

Ph: A propos 'philosophieren': Welche Richtung ist in deinen Gefilden die vorherrschende? Wenn es denn ...

J.W.: Es gibt bei uns zwei Sparten: 1) Die Beschreibung der himmlischen Freuden. Die ist äusserst vielfältig. Neben den bekannten Engelsharfen verwenden wir - und erweitern wir ständig - den ganzen denkmöglichen Bereich der Klangkörper: Tennisbälle, Kometen, Kammerorchester, Monde, die jungfräuliche Stimme der Gottesmutter, was Du willst. 2) Die Beschreibung der Erde. Hier ist die Gnosis die Strömung, die alles beherrscht. Gnosis, du weisst schon: Die Erde und alles, was auf ihr kreucht unfd fleucht, ist grottenschlecht. Gott schuftet sechs Tage lang und ruht sich dann einen einzigen Tag lang aus. Da kommt der Teufel und verpfuscht die ganze Sache.

Ph: Ist mir bekannt. Was sollte ein Erdenbürger deiner Meinung nach mit dieser Erkenntnis anfangen?

J.W.: Er kann machen, was er will. Wenn die Welt grottenschlecht ist, kann er versuchen, sich aus allem rauszuhalten, oder er kann sich gleich in den Sündenpfuhl werfen. Er kann die Erkenntnis auch vertonen, oder am besten vielleicht doch vergessen, ich weiss es nicht. Spielt es eine Rolle?

Ph: Muss man sich mit den Taliban arrangieren?

J.W.: Ihr könnt ja versuchen, Sie bis Mitte 2011 allesamt auszurotten. Ohne zivile Opfer, versteht sich.

Ph: Was ist mit der Exit-Strategie?

J.W.: Wie wär's mit dem Luftweg?

Ph: Noch einmal: Ist das nicht die Kapitulation?

J.W.: Ich mag mich hier nicht mit dir im Kreis drehen. Geniesse die irdischen Freuden! Tschüss!

Ph: Äh ... Na dann eben tschüss!


[Kleiner wissenschaftlicher Apparat:
- Präsident Obamas letzte Rede zu Afghanistan.
- Peter Sloterdijk/Thomas Macho (Hg.): Die Weltrevolution der Seele. Ein Gnosis-Lesebuch von der Spätantike bis zum New Age.
- Peter Sloterdijk: Kritik der zynischen Vernunft.]