T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Dienstag, Dezember 27, 2005

Rubrik: Hegeleien

Katz und Maus


Es gilt als Zeichen höherer philosophischer Bildung, wenn jemand imstande ist, alltägliche Dinge in Hegelscher Sprechweise auszudrücken. (So wäre denn die Hegelsche Bezeichnung für den Mantel der Mutter Gottes etwa 'das An- und Umsein der passiven Kausalität des Geistes'.) - Oft soll die bloss syntaktisch korrekte Aneinanderreihung von Hegelschen Termini dem geplagten Leser einer populären Einführung (z.B. Ralf Ludwig: Hegel für Anfänger. Phänomenologie des Geistes. Eine Lese-Einführung) zwischendurch ein Schmunzeln über das (sachlich selbstverständlich völlig unötige) Pathos des Meisters abringen. Oder das gleiche Verfahren soll dem verzweifelnden Leser Hegels Trost spenden, indem ihm nahegelegt wird, dass kein vernünftiger Mensch dieses Kauderwelsch verstehen könne. - Das mag ja alles mehr oder wenig witzig sein. Jetzt aber bin ich auf etwas gestossen, dass alle derartigen Versuche punkto Komik oder einfühlender Verballhornung weit hinter sich lässt. Der kolossale Humor des Textes, dessen Urheber herauszufinden ich dem Leser überlasse, zeigt allerdings eine derart enge Vertrautheit mit Hegels Texten, dass ich mich veranlasst fühle, ihm ein paar einleitende Bemerkungen voraus- sowie ein paar Erläuterungen nachzuschicken. [Warnung: Wer der Meinung ist, die Lektüre Hegels sei bloss verdammt schwierig, ist gehalten, diesen Blog einfach zu überspringen.]

Phänomenologie des Geistes: (A) Bewusssein: I. Die sinnliche Gewissheit

Die 'sinnliche Gewissheit' (auch: das 'natürliche Bewusstsein') hat eben eine 'Erfahrung' gemacht, bei dem ihm 'das Sehen und Hören u.s.w. vergangen' ist. Es ist gewahr geworden, dass sein Gegenstand (= seine 'Wahrheit' = sein 'Wesen' = sein 'Ansich') gerade nicht das konkrete Hier und Jetzt (= 'das Sein von äussern Dingen als diesen oder sinnlichen' = 'sinnliche Gegenstände') ist, sondern das Allgemeine, das ich hier, aus praktischen Gründen vereinfachend zwar, doch nicht unhegelianisch, als das Verschwinden des Hier und Jetzt charakterisieren möchte.

Hegel: "Es ist daher zu verwundern, wenn gegen diese Erfahrung [die von mir eben geschilderte] als allgemeine Erfahrung, auch als philosophische Behauptung und gar als Resultat des Skeptizismus aufgestellt wird, die Realität oder das Seyn von äussern Dingen als diesen oder sinnlichen habe absolute Wahrheit für das Bewusstseyn." - Später: "In aller sinnlichen Gewissheit wird in Wahrheit nur diss erfahren, was wir gesehen haben: das Dieses nämlich als ein Allgemeines, das Gegenteil dessen, was jene Behauptung [die 'philosophische Behauptung' oben], allgemeine Erfahrung zu seyn, versichert."

Alles klar. Da muss sich der Meister schon wundern, dass die Empiristen und Skeptizisten stur und unbelehrbar an ihrer 'Behauptung' festhalten, wo doch jedes Kind sofort einsieht, dass sie schlechterdings nicht haltbar ist. Aber es kommt noch besser. Und hiermit komme ich nun zum versprochenen Text, der unmittelbar an das letzte Zitat anschliesst:

Bei dieser Berufung auf die allgemeine Erfahrung kann es erlaubt sein, die Rücksicht auf das Praktische zu antizipieren. (1) In dieser Rücksicht kann denjenigen, welche jene Wahrheit und Realität der sinnlichen Gegenstände behaupten, gesagt werden, dass sie in die unterste Schule der Weisheit, nämlich in die alten Eleusischen Mysterien der Ceres und des Bacchus zurückzuweisen sind, und das Geheimnis des Essens des Brotes und des Trinkens des Weines erst zu lernen haben; der in diese Geheimnisse Eingeweihte (2) gelangt nicht nur zum Zweifel an dem Sein der sinnlichen Dinge, sondern zur Verzweiflung an ihm und vollbringt in ihnen (3) teils selbst ihre (4) Nichtigkeit, teils sieht er sie vollbringen. Auch die Tiere sind nicht von dieser Weisheit ausgeschlossen, sondern erweisen sich vielmehr als am tiefsten in sie eingeweiht zu sein, denn sie bleiben nicht vor den sinnlichen Dingen als an sich seienden stehen, sondern, verzweifelnd an dieser Realität und in der völligen Gewissheit ihrer Nichtigkeit, langen sie ohne weiteres zu und zehren sie auf; und die ganze Natur feiert wie sie diese offenbaren Mysterien, welche es lehren, was die Wahrheit der sinnlichen Dinge ist.

(1) In Anbetracht der offenkundigen Dreistigkeit der Empiristen und Skeptizisten erlaube ich mir, an dieser Stelle einen bodenständigen Witz zu reissen.
(2) Wer weiss, wie man isst und trinkt,
(3) in den Essvorgängen
(4) der sinnlichen Dinge

Selten so gelacht! - Das mag auch der Seminarleiter damals gedacht haben, als wir als Studenten über dem Text brüteten, und schaute forschend in die Runde. Doch nicht der leiseste Kicherlaut vermochte dem Gehege unserer Zähne zu entfliehen. [Das war Homer. Genug geraten für heute.] Er mag sich dann bei dem Gedanken beruhigt haben, dass wir als fleissige Leser uns schon bei der Vorbereitung der Sitzung totgelacht hatten.

Ein derber Hinweis auf den Urheber des Witzes, gleichzeitig ein zarter Hinweis auf meine Allgemeinbefindlichkeit [Ich schreibe hier schliesslich mein Tagebuch.]:
Tja, wer könnte es wohl sein? Wer vermag am besten, komische Texte in Hegelscher Terminologie zu schreiben? - Alexandre Kojève soll nach einer Vorlesung, unmittelbar bevor er sich von seiner Vorlesungstätigkeit zurückzog, auf die 'Phänomenologie' gedeutet und dabei seinen Studenten beteuert haben: "Hier steht alles drin."