T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Donnerstag, Juli 06, 2006

Für Regina in Bewunderung und grosser Dankbarkeit

[Eine Frau macht mit Mann und Kindern einen Ausflug zum Ballenberg. Dort wird sie urplötzlich von einem folgenschweren Gedanken überfallen: Ich will mich nicht mehr bemühen. - Die Frau gehört zu meinen LeserInnen. Sie heisst Regina. Sie hat mir davon erzählt, was ihr zugestossen/zugefallen ist. Ihre Erzählung hat mein Leben verändert. Ich habe monatelang darüber nachgedacht und schliesslich diesen Text geschrieben, den ich hier mit Reginas Zustimmung veröffentlichen darf.]

Das Ende der Bemühung (3)


Regina ist das Mammi und das Regi. Sie funktioniert als solche tadellos. Und das funktioniert in den allermeisten Fällen für lange Zeit auch ganz selbstverständlich, unhinterfragt und mühelos. Doch irgendwie [vielleicht nur für eine kürzere Phase, vielleicht bloss durch das vorübergehende Auftauchen irgendwelcher Vorfälle oder kleiner Veränderungen in ihrem Beziehungsgeflecht] verändert sich die Situation dahingehend, dass Regina sich Mühe geben muss, um tadellos funktionieren zu können. Die Leichtigkeit des unhinterfragten, selbstverständlichen Vor-sich-hin-Werkelns geht verloren. Selbstverständlich ist, dass Regina das Mammi und das Regi ist. In den Momenten, wo die Selbstverständlichkeit verloren gegangen ist, wo sie nicht in den ihr zugewiesenen und von ihr akzeptierten Seinsweisen aufzugehen vermag, trifft sie auf sich und damit auf jemanden, mit dem sie halt wenig anfangen kann, auf eine Leerstelle, die zwar reich an Möglichkeiten, aber halt eben noch durch nichts ausgefüllt ist. Aber wie dem auch sei: Das Leben muss weitergehen, die notwendigen Dinge müssen getan werden, und sie können nur von einer Person getan werden, dem Mammi und dem Regi. Eine andere Person gibt es ja (noch) nicht. Regina findet aus dieser Kreisbewegung selber nicht heraus. Es müsste ihr schon widerfahren, dass sie aus ihr herausfindet.

Genau das passiert am Ballenberg. Regina wird aus der Bahn geworfen. Das 'Ich will mich nicht mehr bemühen' stellt alles auf den Kopf. Regina will sich nicht mehr bemühen, das zu sein, was sie vorderhand halt einzig ist. Es tritt ein totaler Stillstand ein. Das Funktionsgetriebe versagt den Dienst. Der Motor steht still oder dreht im Leeren. Ende Dienst, Ende Bemühung, Aus. - Von einem existenziellen Standpunkt aus betrachtet, hat Regina sich eben aufgemacht, sich selber zu entdecken. Sie ist radikal auf sich und damit auf eine Leerstelle gestossen, die mit reichem Inhalt erst angefüllt werden muss. Vorderhand ist sie ein Findling, der, allein irgendwo und irgendwie in der Landschaft stehend, sich einfach vorfindet. Wie bestellt und von sich selber noch nicht abgeholt. Und es gibt kein einfaches Zurück; nichts wird mehr genau gleich wie vorher sein.

Regina hat also ihr Bemühen eingestellt. Was bedeutet das für sie, und was bedeutet es für ihre Umgebung? - Sie muss nun für sich herausfinden, was sie - für sich - tun will. Was ihr Ding ist. Wer sie ist. Was sie interessiert, wer sie interessiert und wer sie eben nicht (mehr) interessiert. Regina verändert sich; sie ist auf den Weg zu sich selbst aufgebrochen.

Wie schaut das nun für ihre Umgebung aus? - Sie ist nicht mehr wie früher. "Ist dir aufgefallen, wie sie neuerdings ... ? Früher hat sie doch immer ... ." "Ich verstehe nicht, warum du auf einmal nicht mehr ... ." "Geht es ihr gut?" "Da stimmt doch was nicht!" "Hast du schon mit deinem Arzt ... ?" "Ich kenne da jemanden, der Menschen in solchen Situationen ... ." - Es existiert nun auch ein klinisches Bild von der Regina. Es gibt andere Bilder: das vom Erwachsen-Werden etwa oder das von der verspäteten Pubertät oder weiss der Teufel was. An allen mag was dran sein, und alle sind zumindest ein bisschen schief. Nun, man hat es ja nicht leicht, wenn jemand sich entschieden zu verändern beginnt. Da bleibt einem halt (zunächst) nur das blosse Zusehen. Und man ist auf mehr oder weniger treffende/doofe Bildchen angewiesen. (Auch für den, der sich verändert, ist es nicht leicht festzustellen, dass jemand, der einem gerade noch nahegestanden ist, einen nicht mehr zu interessieren vermag. Da lauern Einsamkeiten.)

In dieser Situation begegnet Regina einem Mann, mit dem sie schon früher Umgang gehabt hat. Der ist nun wieder da. Für sie da. Für sich da. Sie sind zusammen da, stundenlang, tagelang. Und sie sprechen, lachen und schweigen zusammen.