T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Dienstag, Mai 12, 2009

[Ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Opus Magnum:]


Den richtigen Ausdruck finden


Carlos Kleiber - er ist bei mir zu Hause u.a. für die Aufführungen des 'Tristan' zuständig - probt die Fledermaus-Ouvertüre. Unmittelbar nach den wenigen Takten des einleitenden Feuerwerks hat die Solo-Oboe eine langsame melodische Figur vorzutragen, die dann von den Streichern aufgegriffen wird. Kleiber singt den MusikerInnen folgenden Vorschlag vor: "Nicht schon wiiieder diese Probe! ..." (1)

Daniel Jaun, der Freund und Gitarrist, spielt mir das Scherzo aus einer Sinfonie von Schubert vor. Beim Trio pendeln wir beide zwischen Verblüffung, Ergriffenheit und quietschender Freude. Daniel: "Ich würde zu gern wissen, was Carlos Kleiber den MusikerInnen gesagt hat." (2)

Das Freiburger Barockorchester und das Orchestra of the Age of Enlightenment proben zusammen Händels Feuerwerksmusik. Der Freiburger Primgeiger zu den MusikerInnen: "Ein bisschen mehr wie 'Stille Nacht'!" - Eine Geigerin der Engländer beschwert sich beim Primgeiger: "Wir haben den Eindruck, dass Sie unser Tempo kritisieren." - "Aber darum geht's doch gar nicht. Ich möchte es bloss ein bisschen mehr ...", und er streckt einen Arm vor und lässt ihn, mit der Hand nach unten zeigend, gestreckt fallen und zieht ihn - die Hand zeigt nun nach oben - gestreckt wieder hoch. (Die Geste wird natürlich wiederholt.) - "Aahh!"

(1)
der ultimative Notbehelf: C-Cis-D [und runter in die nächste Oktave und weiter absteigen:] F-F-E-D-C
(2)
Natürlich gut möglich, dass das Gedächtnis mir hier den einen oder andern Streich gespielt hat.


[Der Verfasser in spe eines bedeutenden Werkes über den musikalischen Ausdruck muss schwergewichtige, ausgeklügelte Konstrukte vermeiden, die ihm dann durch unbefangene Äusserungen wie "Ein bisschen mehr wie 'Stille Nacht'! unter Gelächter weggeblasen werden könnten. - Tja, es gibt viel zu beachten. Beispielsweise sollte man allzu tiefe Lebenserfahrung nicht als notwendige Bedingung für einen ebensolchen Ausdruck ansetzen. Ich meine, es könnte dann gut sein, dass einen der blutjunge Mozart etwas ungläubig ansieht. Und erst der reife Mozart, wenn er hört, dass der letzte Satz seiner Jupiter-Sinfonie der Ausdruck einer überschäumenden Lebensfreude sei. "Menschenskinder, ich hab schon bessere Zeiten erlebt!" Da ist es schon besser zu sagen, der Satz sei Lebensfreude pur. Was natürlich buchstäblich falsch ist. Aber da könnte einem dann die Einbeziehung einer vernünftigen Metapherntheorie eventuell etwas aus der Patsche helfen. - Kinder, das ist ein weites Feld! Und das hier sind alles gewichtige Prolegomena zu einer jeden Theorie des Ausdrucks, die als eine die nächste Stille Nacht überlebende wird auftreten können.]