T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

Mein Foto
Name:

Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Montag, November 16, 2009

[Ostalgia 3]


Philotustan sagt mir, es habe für ihn etwas Deprimierendes gehabt, mitten in durch Soligelder teilrenovierten Städten und Städtchen Thüringens und Sachen-Anhalts immer wieder auf ältere verfallende Betriebsgebäude zu stossen. Kann ich voll nachvollziehen. Was glaubt ihr, warum ich Gera meide? Ja, mein Betrieb steht da noch. Es ist kein schöner Anblick. Die Damen und Herren von der Treuhand, die ihn zuletzt besichtigten, nahmen kein Blatt vor den Mund. Das kostete sie dann auch ein paar "Kapitalistenschweine!" und "Arrogante Wessi-Arschlöcher!". Die Wut ist natürlich längst verflogen. Es tut nur noch weh.

Es tat weh zu vernehmen, wie stark Lothar Späth den Personalbestand bei Carl Zeiss in Jena reduzieren musste, um das Unternehmen als lebensfähiges in die Globalisierung zu überführen. Man reduziere den Personalbestand um die Hälfte, und neue und bessere und mehr Produkte können auf den Markt geworfen werden. Das ist die Botschaft, die verfluchte, die mich wieder ins Grübeln geraten lässt: Was zum Teufel haben wir eigentlich getrieben in unseren Betrieben!? Was haben wir geleistet? Es tut weh.

Wir hatten andere Werte? Ich kann es selber nicht glauben. Zwischen 46 und dem Bau der Mauer 61 hatten bereits 3 Millionen Menschen der Republik den Rücken gekehrt. [Der Bau war notwendig, keine Frage.] Etwa 1.2 Millionen Menschen hatten in der Zeit zwischen den ersten Rissen im Eisernen Vorhang und dem offiziellen Tag der Einheit die Noch-Republik bereits verlassen. Das kann man noch hinnehmen. Aber es sind die kleinen, schmutzigen Bildchen, die einem den letzten Glaubensfetzen rauben: Wie die Heuschrecken überrannten viele meiner Landsleute am 9. November mit ihrem Begrüssungsgeld in West-Berlin einen Beate-Uhse-Laden. - Der Laden lag abseits. Irgendwo in einem finsteren Nebenwinkel der strahlenden Stadt. Brüder, zur Sonne, zur Freiheit!

Nein, ich mag nicht zynisch werden. Das zynische Bewusstsein sei ein unglückliches Bewusstsein, meint Philotustan, resultierend aus einer zähen Anhänglichkeit an 'höhere' Werte, an die zu glauben mit grosser Anstrengung verbunden sei. "Hänge das Bildchen ein bisschen tiefer und lasse die Freundlichkeit bei dir einkehren," formuliere ich mal. Wie dem auch sei: Ich mag nicht zynisch werden. Aber es tut gut, diese Dinge hier niederzuschreiben. Eigenartig: Es tut schon weh, aber wenn ich die Dinger so vor mich hinformuliere, kehren sie mehr und mehr eine komische Seite hervor.

Ja, dann lasse ich mich jetzt mal von meiner eigenen Schreibe ein bisschen erweichen und trösten.

Ich bin gespannt, ob ich anschliessend noch was zu sagen habe ...

Erich