T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Donnerstag, November 19, 2009

[Ostalgia 4]


Der Erich ist weg. Schade! Seine bisweilen bestürzend illusionslose Anhänglichkeit an seine alte Heimat hatte etwas Berührendes. Jetzt erwarten ihn wieder "die kleinen, vertrauten logistischen Probleme" auf der Post in Gotha. Und er hatte wohl auch etwas Heimweh nach seinem Häuschen am Rennsteig. Nun, er wird uns erhalten bleiben und hier bestimmt ab und zu etwas posten.

Die alte BRD sei mausetot, meinte er in einem unserer letzten Gespräche. Heute sei es in Deutschland zwingend, bei der Diskussion jedes beliebigen wirtschafts-, finanz- oder sozialpolitischen technischen Details sofort die Frage nach der 'sozialen Gerechtigkeit' aufzuwerfen, und die Parteien stritten sich darum, welche von ihnen der beste Weihnachtsmann mit den tollsten Geschenken für die Unterprivilegierten oder Wenigerverdienenden sei. Ob ihn das freue, fragte ich. "Mitnichten. Ich mag keine schlechten Theaterstücke." - "Du hast ja FDP gewählt." - "Jedes Stück braucht zumindest einen Bösewicht. Es reicht nicht, wenn die mit den richtigen, echten, sozialen Anliegen einander des sozialen Kahlschlags und mithin der Bosheit bezichtigen." - "Du geniesst da ein Schauspiel." - "Ach ne, das Stück ist zu erbärmlich."

"Was mochtest du an der DDR?" - "Die Leichtigkeit des Seins, die oft freilich ziemlich unerträglich war. Abstrakt: die soziale Sicherheit. Konkreter: das Leben ohne Zukunftsangst. Die Grundbedürfnisse waren ja ganz toll subventioniert, und man konnte an einem sicheren Arbeitsplatz lebenslang wacker vor sich hinwerkeln. Du müsstest das eigentlich verstehen. Dein Leben an deiner alten Poststelle sah doch ganz ähnlich aus, oder? Und du hast das gemocht, gell? Sag mal, hast du dir als Trotzkist ab und zu nicht auch etwas dabei gedacht?" - "Das wäre ja noch schöner!" - "Los! Zwischendurch musst du dir irgendetwas dabei gedacht haben." - "Lassen wir diese ollen Kamellen!" - "Jetzt wirst du unverschämt!" - "Tut mir leid. - Na ja, es war halt der Traum von einem Leben im Überfluss, ohne malochen zu müssen. Die 'Grundrisse' und der dritte Band eben. Mein allererster Blog." - "Ja, genau da habe ich angebissen. Deine etwas bescheuerte Idee, den marxschen Kommunismus für dich persönlich unverzüglich in die Tat umzusetzen, und die Einsicht, dass der 'Spätkapitalismus', wie ihr Trotzkis euch ausdrücktet, das ermögliche. Jagen und Fischen, sich verlustieren, lesen, Gedichte schreiben und so, das Ganze ergänzt durch etwas Maschinenwartung. Das Reich der Freiheit hat das Reich der Notwendigkeit schon abgelöst; wir Idioten von Marxisten haben das bloss noch nicht bemerkt. Anders gesagt: Einen Text schreiben, Beeren sammeln, einen Abstecher an die Werra oder in eine unterfränkische Bäderstadt machen, musizieren, das Ganze ergänzt durch ein paar Stunden logistische Facharbeit." - "Unser müssiges Palaver nicht zu vergessen." - "Schön gesagt."

Wir haben dann auf unsere Weise noch ein paar Runden auf die 'soziale Gerechtigkeit' gepfiffen: In einer Gesellschaft gibt es Leistungsträger und Faulpelze. Da sagt der Leistungsträger zum Faulpelz: "Du bist ok. Es soll dir am Lebensnotwendigen nicht mangeln! Lass es dir gutgehen!" Und der Faulpelz sagt zum Leistungsträger: "Du bist ok. Du bist materiell sehr gut gestellt. Das ist richtig. Und auch sonst soll es dir rundum gutgehen!"

Bei unserm Pfeifkonzert durfte auch das Stück von den Leuten, deren Privileg es ist, als selbsterwählte Anwälte von allen möglichen ausgewählten Menschengruppen als immer auf der genau richtigen Seite stehend sich fühlen zu dürfen, nicht fehlen. Ja, auch beim Linken-Bashing haben unsere Geschmäcker sich getroffen.

"Alles Gute! Und bleib ganz toll stur!" - Man sieht sich mal wieder, gell? Tschüss!" - "Tschüss!"