T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Dienstag, November 24, 2009

Die Liebe ist ein seltsames Spiel, / Sie kommt und geht vom einen zum andern, ... (Connie Francis)

SYMPATHIE


Früher oder später werden sie wieder die Strasse beherrschen.
Die Leute werden eingeschüchtert sein.
Die Polizei wird zuschauen und dann irgendwie ermitteln.
Doch eines wird anders sein:
Wir werden schiessen.

Das ist das Grundmuster. - Na ja, für einmal mag ich es nicht bei der zweifellos zutreffenden lapidaren Feststellung belassen, dass wir, eine zahlenmässig nicht völlig unbedeutende Gruppe von Berner RAF-Sympathisanten, nicht alle Tassen im Schrank hatten.

Kommissar Stubbe ermittelt im (fiktiven) sächsischen Städtchen Elbermünde. Dort haben die Neonazis das Sagen. Eine Gruppe junger Leute hat von ihnen die Schnauze voll und veranstaltet eine kleine Demo, die von den Nazis umgehend angegriffen wird. Ein paar von denen drangsalieren später in einer Nebenstrasse eine Demonstrationsteilnehmerin. Ein Mann in mittleren Jahren eilt ihr zu Hilfe. Er wird sofort zusammengeschlagen. Zwei Polizisten erscheinen in gemächlichem Schritttempo und fragen den Mann - die Nazis haben inzwischen immerhin von ihm abgelassen - nach seinen Papieren.

Zu Beginn der Siebziegerjahre. Am Morgen findet ein Prozess gegen ein paar Institutsbesetzer, darunter auch ein Mitglied unserer WG, statt. Wir wollen natürlich daran teilnehmen, werden natürlich abgewiesen, besammeln uns dann mit andern natürlich im einschlägigen Institut, "um das weitere Vorgehen gegen die Repression zu besprechen", business as usual eben. Wir ziehen gegen Mittag ideenlos ab. Steht da ein Assistent des verhassten Institutsleiters und schiesst ein paar Fotos. Schon klar: Lange hält er das Ding nicht in der Hand. Eher überraschend hingegen: Ein Trillerpfeifton, und aus verschiedenen Institutsräumen stürmen Polizeigrenadiere, verfrachten uns in Einsatzwagen - die standen auch schon bereit - und bringen uns in die Turnhalle des Polizeihauptquartiers. Dort verbringen wir zwecks Personenkontrolle und Abklärung des Tatbestands der Sachbeschädigung den ganzen Nachmittag. Am frühen Abend dann ein paar Routineprozeduren (Fingerabdrücke, Erinnerungsfoto) und die Einzelverhöre, die Nacht verbrachten wir dann in den eigenen Betten. - Neue Strafverfahren, Vorladungen und so, für einige ein Semester Strafrelegation. Neue Proteste, Meetings, business as usual eben. Ich weiss heute noch nicht, wer dem Assistenten seinen Fotoapparat aus der Hand geschlagen hat. Und ich verstehe eigentlich auch heute noch nicht, warum man uns in der Turnhalle nicht wenigstens einen Ball zur Verfügung gestellt hat. Dafür durften wir hautnah miterleben, wie eine Gruppe von Grenadieren eine Turnhalle stürmt, in der ein paar gelangweilte junge Leute nach etwas Spielzeug schreien.

1967. Der Schah zu Besuch in Berlin. Demo. Ein paar Schahanhänger gehen mit langen Brettern auf die Demonstrierenden los. Die Polizisten schauen erst zu, doch dann greifen sie aktiv ins Geschehen ein: Sie jagen und verprügeln die Demonstranten. Am gleichen Tag in einer Nebenstrasse die Erschiessung von Benno Ohnesorg, dann das Attentat auf Rudi Dutschke, die Ereignisse beginnen zu eskalieren: Eine neue Idee nimmt Gestalt an, eine verrückte Idee: Die Ulrike staunt nicht schlecht, als die Gudrun ihr davon erzählt. Schon bald gehen die ersten Polizeiquartiere hops. Solche Ereignisse lösen nicht bloss Entsetzen aus. Denn:

Die Liebe ist ein seltsames Spiel, / Sie kommt und geht vom einen zum andern, ... Tja, auch die Sympathie treibt manchmal seltsame Spielchen. In der Mitte der Siebzigerjahre steht ein junger Mann auf dem grossen Platz vor dem Polizeihauptquartier und betrachtet sinnend sich erinnernd dessen intakte Front. Dann huscht ein blöd-seliges Lächeln über sein Gesicht: Mit einer weiteren frohen Botschaft kamen am gestrigen Abend auch ein paar hübsche Bildchen, von denen eines sich jetzt vor die eben noch intakte Front schiebt. Hoppla! Der Andreas muss ja schon ein Kotzbrocken sein, aber schön ist das schon, und so lustig halt. Die Sympathie treibt ein seltsames Spiel. Sie kommt zum einen, und zu dem kommt ein anderer, die beiden merken, dass es so schön erleichternd ist, zusammen über seltsame Dinge zu lachen.