T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Montag, Juli 13, 2009

"Brauchte die einstimmige türkische Musik, die so große Bedeutung trug, eine mehrstimmige Art? Da die klassischen Werke so reich an Tönen sind, brauchen sie keine mehrstimmige Art wie im Westen."
(In einem Türkei-Forum aufgeschnappt)


Das ist lustig und bringt mich auf Gedanken. Das mit dem Reichtum der Töne verstehe ich gut, wenn ich mir vergegenwärtige, wie beschränkt das Tonmaterial Josquins, eines Meisters der klassischen Polyphonie, ist, oder wie chancenlos ich dastehe, wenn ich versuche, eine schlichte Melodie aus einem Stück türkischer Kunstmusik nach zigmaligem Anhören mitzusummen.

Natürlich habe ich mich etwas über die Tonskalen der türkischen (und arabischen) Kunstmusik kundig gemacht. [War schon eine interessante Erfahrung zu realisieren, wie tonlos verzagt ich vor diesen Dingern stehe. Keine Sicherheit nirgends. Habe ich irgendetwas annähernd richtig getroffen? Nun, auch das ist nicht mit letzter Sicherheit auszuschliessen.] Ein Verdacht steigt auf: Es scheint Musikmaterial [Tonvorräte, Skalen (auch tonikalisierte)] zu geben, das sich gegen Mehrstimmigkeit sperrt. Der oben erwähnte Tonreichtum steht einem Reichtum an Stimmen möglicherweise im Weg. Und entsprechend dürfte bei uns die langsam sich entfaltende Mehrstimmigkeit einen anfänglich grösseren Reichtum an Tonvorräten und Skalen nach und nach zurückgedrängt haben.


[Ich denke hier nicht an unser System der Tonalität, wie es in der Kunstmusik vor allem zwischen 1700 und 1850 vorgeherrscht hat. Ich denke an mehrstimmige Musik, wie sie um 1200 herum entstand. - Die Geschichte der Tonalität zu verstehen ist nicht mein Problem. Die entsteht - nicht notwendig, aber mit einer nachvollziehbaren Logik - über Jahrhunderte hinweg in/aus einer Folge von unzählbaren Experimenten in Mehrstimmigkeit. Versteht man diesen Prozess, versteht man die Tonalität. Mich interessieren die Bedingungen der Möglichkeit von Mehrstimmigkeit.]