T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Montag, April 12, 2010

[Nein, dieser Blog ist nicht für die Katz und nicht für die Füchse. Er ist für meine paar treuen Leser und ...]

Für die Vögel


Der Junge hat einen Ruf. Natürlich ist er der Ministrantenchef. Diesen gewichtigen Posten hat er sich auch redlich abverdient. Durch beflissenes Ministrieren. Auch in den langen Sommerferien. Auch im Almagell, wo seine Familie die Ferien verbringt. Der dortige Pfarrer ist ja heilfroh, jederzeit einen so beflissenen, zuverlässigen Messdiener an seiner Seite zu haben. Und auch auswärtige Pfarrherren, die dort in den Ferien weilen, wissen die Dienste des Jungen an den Seitenaltären zu nutzen. Und dann sind da - als Ferienvertretung für die Pfarrer - noch die Patres. Die kommen aus einem Kloster in Glis bei Brig. Sie tragen braune Kutten und haben neben einem gewaltigen Rosenkranz einen dicken weissen Strick um ihre Hüften geschlungen. Wenn sie nicht die obligaten Sandalen tragen, stecken ihre Füsse in soliden Bergschuhen. Ja, und sie sind halt überaus freundlich und lustig, ein Eindruck, der durch ihren niedlichen Haarkranz noch verstärkt wird. Sie sind keine 'Weltlichen'. Sie tragen nicht bloss eine schwarze Soutane. Sie schenken dem Jungen allerliebste Heiligenbildchen und geben ihm zu verstehen, dass sie für seine Dienste dankbar sind. Ja, so sind die. Ich meine, das ist ja nicht selbstverständlich.

[Wir wollen die Erfahrungen des Jungen mit bärbeissigen Pfarrherren nicht dazu nutzen, an dieser Stelle über die Weltlichen, die Soutanenträger oder 'Kohlensäcke', herzuziehen. Wir freuen uns einfach darüber, dass er in den Kuttenmännern eine herzerfrischende Spezies aus dem robusten Bauch der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche kennenlernen darf. Et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam. Akkusativ, weil - wie alles andere - abhängig vom einleitenden 'credo in' (unum Deum / Patrem omnipotentem / factorem coeli et terrae ... Nicht ganz leicht, hier abzubrechen). Aber das lehrt der Junge später, zusammen mit den Bedeutungen der Wörter, versteht sich. Was uns im Moment vielleicht etwas erstaunt, ist die Tatsache, dass der kleine Stotterer diese Dinge dahersagt, ohne irgendwo anzustossen. Dabei ist er es durchaus gewohnt, sorgfältig auf die Worte zu achten (Stolperfalle!). Schliesslich gehört es zu den stinkwichtigen Obliegenheiten eines Ministrantenchefs, den jüngeren Zöglingen die Lateinprüfung [Ohne Akkusativ und so'n Zeugs, schon klar] abzunehmen. Aber auch dieser Sache wollen wir hier nicht weiter nachgehen, sondern freuen uns schon wieder, diesmal über den ungehemmten Redefluss des kleinen Stotterers. Uns interessiert hier nur die ganz grosse Lebenslinie oder, besser, eine schicksalshafte Verzweigung in dieser Linie.]

Nun, irgendwie ist allen klar: Dieser Junge wird mal zur Freude der ganzen Gemeinde im Dorf seine Primiz feiern (für die Heiden: seine erste Messe lesen). ["Und dann die Aussendung, in eine Mission, nach Afrika, zur Löwenjagd, erst die Messe, ja schon, aber dann Löwenjagd." Hoppla! Etwas abgehackte Syntax vielleicht, aber auch das flüssig dahergesagt.] Es ist weiterhin ausgemacht, dass der Junge nicht eine weltliche Mittelschule, sondern eine Schule der Weissen Väter (lange weisse Kutte, ein gewaltiger schwarzer Rosenkranz als Halskette) besucht. Der älteste Bruder des Vaters ist halt so ein eheloser Vater, und da ist es naheliegend ... Nun wird aber diese Schule, kaum ist der Junge eingetreten, geschlossen. Die von der Betriebsschliessung betroffenen Zöglinge werden auf die umliegenden Schulen verteilt. Unsern kleinen Helden verschlägt es so in die Schule eines Ordens, dessen Mitglieder zwar keine Weltlichen, aber doch Soutanenträger sind. Tja, und aus der Primiz wird schliesslich auch nichts. Drum noch einmal zurück in die Sakristei der Pfarrkirche von Stalden:

"Pater, welche Schule muss ich besuchen, wenn ich mal auch so ..." Der Junge zeigt auf die braune Kutte von Pater Peter Anton, dessen Gesicht sofort zu strahlen beginnt: "Stans, das ist ..." Ein strahlender Kuttenmann; ein Junge, der das Wort des Gottesmannes in sich aufsaugt. Und der Junge hat von sich aus gefragt. Von sich aus. Wir reden hier nicht von Berufung oder der vertrackten Frage nach dem Verhältnis von äusserem Druck und eigenem Willen bei der Berufswahl eines in einem katholischen Bergdorf aufgewachsenen Erstgeborenen. Der Junge hat von sich aus gefragt. Und vielleicht hat er auch mal jemandem von seiner Frage erzählt. Wir wissen es nicht. Aber stellen wir uns für einen kurzen Moment vor, die Frage hätte weitere Kreise gezogen und wäre nicht irgendwie folgenlos verhallt. Nicht auszudenken! Blödsinn!: Leicht auszudenken! Wir brauchen ja nicht allzu viel zu ändern: Das Schuhwerk ist schon perfekt, eine Kutte noch, ein grösserer Rosenkranz, die Stätten der öffentlichen Belehrungen, bestehend aus Waldböden und Flussufern, um eine Kanzel, die Gruppe der Belehrten, bestehend aus Vögeln und Fischen, um eine flotte Schar von Gläubigen, die Reihe der Blogs um Predigten erweitert ... Und vor uns steht ein fröhlicher Gesell, ein Nachfolger des Spinners und Kuttenmannes, der den Vögeln predigte, ein Franziskaner eben. ... Na ja, die Weibsbilder müssten schon noch wegretouchiert werden ... Aber wir wollen nicht kleinlich sein. Der Franz mag das nicht. Und wir wollen schon gar nichts bedauern. Es ist ja alles sehr gut herausgekommen, auch ohne Kutte. Und was nicht ist, kann ja noch werden.