T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Sonntag, November 15, 2009

[Ostalgia 2]


Ich hab das Zeug noch voll drauf. Aber es ist bloss Schrott, ein grosser Haufen Scheisse auf dem Misthaufen der Geschichte. Die ungeheuren schlummernden Produktivkräfte sind durch die Beseitigung der sie hemmenden kapitalistischen Eigentumsverhältnisse nicht gerade entfesselt worden. So etwas konnte nur prophezeien, wer vom Kapitalismus keinen blassen Schimmer hatte. Um mit der Konkurrenz mithalten zu können, ist meine Schwester zum Mithalten bei Innovationen bzw. zu wiederholten Investitionen gezwungen. Sie muss ihr Eigentum durch einen Kreditvertrag bei einer Geschäftsbank verpfänden und es dann durch den Abschluss einer möglichst hohen Zahl von Kaufverträgen verteidigen bzw. wieder auslösen. Bei uns waren Innovationen bloss hoch willkommen, sie drängten sich nicht auf, es hatte stets noch Zeit damit, bis morgen, bis übermorgen, bis zum nächsten Fünfjahresplan. Meine Schwester kann nicht gross wählen: Sie kann zur Verteidigung ihres Eigentums zum stets wachsenden gesellschaftlichen Wohlstand beitragen, oder sie kann gleich dichtmachen. [1] Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse als Motor des gesellschaftlichen Wohlstands: Das hat der olle Marx gesehen, aber seine Ansicht, sie müssten zum Zwecke der weiteren Steigerung des Wohlstands abgeschafft werden, ist doch bloss ulkig. Ich bin ja nicht blöd. Ich sehe schon, was hier abgeht. Und ich frage mich, was wir in unseren Betrieben über Jahrzehnte veranstaltet haben. Das tut mir weh. Vieles tut mir weh. Ich darf mal jammern, ja?

Es tut weh, dass die Herren Reagan, Kohl & Co. bloss mal eben kräftig an der Rüstungsschraube drehen mussten, um unser grosses Bruderland wirtschaftlich in die Knie zu zwingen. (Nebenbei: Nicht einmal eine starke Friedensbewegung hat uns da helfen können.) Verdammt, die haben ihre Staaten durch das wahnsinnig teure Projekt mitnichten in den Ruin getrieben. Aber meinem Jürgen gingen die Wanzen aus, und dem Domplatz in Erfurt die Pflastersteine. Dass die das eben mal so schaffen konnten! Ich kann euch versichern, manchmal ärgerte es mich schon, dass ich bei wirtschaftlichen Grundsatzdiskussionen mein Vokabular nur unter der Gefahr des Verlusts des privilegierten Arbeitsplatzes über die drei einschlägigen blauen Bände hinaus erweitern durfte. Bei meinen Freunden von der Stasi habe ich da nichts riskiert, aber die hatten den wahren Glauben eh schon längst verloren. Na ja, das hatten wir schon. Und ich will ja jammern.

Demnächst.

Erich


[1]
Ich will anmerken, dass die Höhe des Zinssatzes bei ihrer Entscheidung überhaupt keine Rolle spielt. Das steht bloss in den ökonomischen Lehrbüchern. Neben anderem nebulösen Zeug wie dem Konjunkturzyklus. Es gibt branchenspezifische Haussen und Baissen bzw. notwendige Krisen, und manchmal, bei grossen Innovationen in Bereichen der Infrastruktur, wird davon die ganze Wirtschaft erfasst, aber da schnurrt kein periodischer Zyklus ab. Blödsinn. Die Nationalbanken wollen bestimmt nur Gutes tun, wenn sie den Leitzins chronisch tief halten. Aber sehen die denn nicht, dass sie dadurch die Geschäftsbanken ins Casino treiben? Die müssen ja mit dem billigen Geld was anstellen. Na ja, der Philotustan hat noch nichts zur Finanzkrise geschrieben, da dachte ich, es könnte nicht schaden, ... Ich darf noch anmerken, dass ich den Begriff 'Casino-Kapitalismus' keineswegs systemkritisch verwende.