T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Freitag, April 28, 2006

Rubrik: Integration

Über Kulturdifferenzen wird zu grob gedacht. Da prallen auf der einen Seite unverträgliche Weltanschauungen aufeinander, und auf der andern Seite wird festgestellt, dass wir alle im Grunde genommen doch einfach Menschen sind. Es werden die üblichen edlen Dinge wie das gegenseitige Aufeinander-Zugehen und dergleichen beschworen; und wo dieser gute Wille vorhanden sei, da gebe es auch einen Weg. Ich will ja nicht auf all das schimpfen; ich halte einfach nichts davon.

Hört, wie Ayşegül (geboren in Ankara; studiert in Fribourg und Bern Kommunikationswissenschaften und Germanistik) das Lob des Philotustan singt:

Er kennt die türkische Sprache erstaunlich gut. So kann er sich denn über die wirklich wichtigen Dinge auf Türkisch recht flüssig unterhalten. Er beginnt ein Gespräch nicht mit abwegigen Bemerkungen über die neusten Anschläge der PKK oder eine aufregende wissenschaftliche Entdeckung und dergleichen, wenn ich in unserm letzten Gespräch von der Krankheit meines Onkels gesprochen habe. (Was nützt es denn, wenn einer die 'Hürriyet' lesen, sich aber nicht benehmen kann.) Doch es unterlaufen ihm immer wieder diese schrecklichen Fehler: Wir sassen zusammen beim Tee und sprachen über meinen Grossvater. Wir hatten Zeit, und ich konnte reden, wie wir Türken am liebsten reden, konnte Anekdoten einfügen und mich in recht weitschweifigen Geschichten ergehen. (Auch Philotustan besitzt diese Fähigkeit, die ich an ihm sehr schätze.) Ich sprach also über die Reisen meines Grossvaters in Tadschikistan, wo er auch Leoparden begegnet war. Philotustan war voll dabei und hob nun seinerseits zu einer längeren Geschichte an. Ich hörte ihm gespannt zu; doch allmählich beschlich mich das ungute Gefühl, dass da was total schieflief, und schliesslich musste ich mich fragen: Was zum Teufel hat das mit meinem Grossvater zu tun!

Ayşegül denkt, dass auch mir die Fähigkeit abgeht, ein richtiges Gespräch zu führen. Sie findet das sehr schade. Sie schätzt es, wenn ich mir Mühe gebe, und sie ist auch nachsichtig, wenn ich versage. Sie ist mir überhaupt nicht böse. Aber sie unterhält sich natürlich lieber mit Leuten, die wissen, wie man miteinander richtig spricht. Sie wird nach Abschluss des Studiums nach Ankara zurückgehen. Und natürlich werde ich sie dort besuchen. Und ich zweifle überhaupt nicht daran, dass ich willkommen sein werde. Bloss ein bisschen fremd werde ich halt sein.

Liebe Leser, ich schreibe wie ein Türke: anekdotisch und geschichtenhaft immer schön am Punkt vorbei. [Ayşegül könnte hier einwenden, ich könne nie zum Punkt kommen, weil ich ja keine Familie habe.] Das liegt mir, und es scheint mir auch sehr angemessen, wo ich doch kaum weiss, was unter Integration zu verstehen ist.

Wenn ich an Ayşegül denke, komme ich mir manchmal wie ein phantasievoller Geschichtenerzähler und Fabulierer vor, dessen Rede haltlos glänzt und irrlichtert, weil sie nirgendwo einen Halt besitzt.

"Wie? Ein Erzähler sollte nichts zu sagen haben, wenn er keine Familie hat? Stell den Unsinn ab!"

Tu ich gern. Doch nicht ohne vorher genüsslich zu konstatieren, dass du Ayşegüls Denkungsart eben als 'Unsinn' qualifiziert hast. - Vielleicht können wir uns darauf einigen: Wir bewundern und schätzen Ayşegül, preisen und loben unsere eigene Lebensweise und Denkungsart, lassen dann und wann sorglos Sprüche über Ayşegüls bescheuerte Lebensanschauungen fallen und kommen phantastisch gut mit ihr aus. Und das mit dem Aufeinander-Zugehen und so überlassen wir andern.