T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Sonntag, Oktober 23, 2005

Buchprojekt: Der kluge Hausherr: Hausgenossen: Der Zwangsneurotiker

Jan: "Du magst doch diesen Wittgenstein da. Warum hat der noch keine Rubrik?" - "Da hab ich so meine Gründe. Weisst du, dieser Wittgenstein, der starb 1951. Ich wurde 1952 geboren." - "... Du spinnst. Aber harmlos."

Ludwig Wittgenstein ist mein Philosoph. - Wie kommt das? - In der Mittelschule hatte ich zwei Philosophielehrer. Der eine hatte von ihm noch nie gehört. Der andere riet mir ausdrücklich von ihm ab. Kam dazu die Pubertät. Resultat: Wittgenstein wurde mein Philosoph.

Der Zwangsneurotiker


Du kannst ihn z.B. den Zwänggi nennen. Mir ist sein Name egal. Er ist der einzige, der mit dem inneren Kritiker richtig gut auskommt. Und er ist auch der einzige, der ab und zu mal eine ordentliche Tracht Prügel von mir abbekommen hat. Heute gehe ich subtiler vor: Ich therapiere ihn. Kostenlos. Selbstverständlich darf auch er bei mir wohnen und wirken. Auch er wird anerkannt.

Zwänggi leidet unter dem Begründungszwang. Wer mit diesem Ausdruck nichts anfangen kann, darf das Folgende ruhig überspringen. Der Zwänggi hat hier seine zwei einzigen Auftritte: den ersten und den letzten. Ende der Show. Ihr einziger Zweck: Die Präsentation eines therapeutischen Verfahrens.

Vorstellung des Verfahrens: Es beruht auf Wittgensteins "Über Gewissheit". Genauer: auf einem Extrakt davon, in praktischer Absicht zusammengebräut von Philotustan, als er an Band 2 ("Der Begründungszwang") seiner unveröffentlichten Werke arbeitete.

Etwas gesunde Kost vorweg:
Par. 1 lautet: Wenn du weisst, dass hier eine Hand ist, so geben wir dir alles übrige zu.
In Par. 456 heisst es dann: Wenn ich also zweifle, oder unsicher bin darüber, dass das meine Hand ist (in welchem Sinn immer), warum dann nicht auch über die Bedeutung dieser Worte?

Und nun ein paar Takte zum Einstieg in mein Verfahren:
1)
"Es steht nicht zweifelsfrei fest, dass das eine Hand ist." - "Entschuldigen Sie bitte! Was ist eine Hand?" -
2)
"Wie kannst du dir sicher sein, dass da ein Bild an der Wand hängt?" - "Wie kommst du darauf, dass da eine Wand ist? -
Mein Bester, ich versteh einfach nicht, warum du gerade hier zweifelst. Deine Forderung nach grundgründlichster Begründung. Und dann diese völlige Beliebigkeit! Ich ertrag das nicht!"

Die Musik spielt weiter. Und zum Schluss wird's dann irre systematisch:

"Aber ich kann mich doch immer irren." - "Woher weisst du das?" - "Ich gehe davon aus, dass ... " - "Mit welcher Berechtigung?" - "Du musst aber doch zugeben, dass ... " - "Hast du eine Ahnung!" usw. usf.

Zwinge den, der unter dem Begründungszwang leidet, dazu, mit der Begründung ständig fortzufahren; lass keine Evidenz gelten; jeden Hinweis auf einen tatsächlichen Irrtum weise als inkohärent zurück ("Ich habe mich geirrt." - "Ich mag deinen Dogmatismus nicht. Wie kannst du dir da so sicher sein?"); weise darauf hin, wie ungeheuer bedenklich und willkürlich seine Bedenken sind ("Warum setzt du hier/gerade hier mit deinem Zweifel ein?"); wenn er wimmern sollte: "Ich meinte doch nur ... ", frag ihn, was er denn unter 'meinen' verstehe; usw. usf.

Wittgenstein führt eine Menge von Verfahren an, die dem unsinnigen Zweifel die Spitze nehmen und den Begründungszwang lockern sollen. (Du kannst dir selber solche Verfahren ausdenken.) Es hätte gar keinen Sinn, würde den Zweck verfehlen, hier Argumente auftischen zu wollen. Was Wittgenstein bekämpft, ist eine Krankheit, und Argumente sind Dinge, an denen der Kranke sich festbeissen kann: Argumente schaden ihm nur.

Wittgenstein ersetzt Argumente durch therapeutische Verfahren.

Die Therapie dauert lange, und Wiederholungen sind unvermeidlich. Das therapeutische Verfahren lebt von solchen Wiederholungen.

Und weil du, geneigte Leserin, gesund und munter bist, bleibt dir solches hier erspart, und so erreiche ich denn - etwas ausser Puste - das

Ende des Blogs

[Für die ganz aufmerksamen Leser: Hier habt ihr auch ein Beispiel für die Kunst der Freunde Wittgensteins, einen Ismus zur Nachspeise zu nehmen.]