Rubrik: Ästhetik
aus Martin Walsers 'Ein liebender Mann': Der Titelheld hat seinen Tag mit etwas verbracht, wozu der Vielbeschäftigte selten Gelegenheit findet: "Er schrieb." Nun betrachtet er sein Tagwerk: "Er war glücklich. Das war ein Tag nach seinem Sinn."
"Hingegeben einem Gefühl, das noch keine Wörter kannte, ihn aber beim Wörterfinden unmissverständlich leitete. ... Das war das Schönste beim Schreiben ...: die vollkommene Sicherheit des Zustandekommens. Egal, was dann irgendjemand zu dem Ergebnis sagen würde, für ihn war glücksentscheidend, dass das, was nachher da stand, ganz dem Gefühl entsprach, das ihn beim Schreiben geleitet hatte. Dieser unirritierbare Stimmungsverlauf: als gäbe es den Text schon, bevor er ihn fasste, und er musste nur ihn finden. ...
Das Gefühl, das ihn leitete, war zuerst ein Schmerz, ein haltloses Weh, eine scheussliche Zumutung, eine grelle Lebensunmöglichkeit. Dass diese entwürdigende Niedergeworfenheit in ein Gefühl fand, das dich von Wort zu Wort leiten konnte bis zum Schluss, das ist das Glückswunder des Schreibens. Ulrike, hören Sie mich! Hörst du mich? Wenn du mich jetzt hörtest, wärst du mir sehr nahe. Eine Einverstandenheit verbände uns, die auf den Namen Untrennbarkeit getauft ist. Ulrike."
(S. 124 ff)
[Er, 74, küsst sie, 19, sehr lange auf den Mund. Wäre ein weiteres schönes Exzerpt.]
Ein Stück Poetologie
aus Martin Walsers 'Ein liebender Mann': Der Titelheld hat seinen Tag mit etwas verbracht, wozu der Vielbeschäftigte selten Gelegenheit findet: "Er schrieb." Nun betrachtet er sein Tagwerk: "Er war glücklich. Das war ein Tag nach seinem Sinn."
"Hingegeben einem Gefühl, das noch keine Wörter kannte, ihn aber beim Wörterfinden unmissverständlich leitete. ... Das war das Schönste beim Schreiben ...: die vollkommene Sicherheit des Zustandekommens. Egal, was dann irgendjemand zu dem Ergebnis sagen würde, für ihn war glücksentscheidend, dass das, was nachher da stand, ganz dem Gefühl entsprach, das ihn beim Schreiben geleitet hatte. Dieser unirritierbare Stimmungsverlauf: als gäbe es den Text schon, bevor er ihn fasste, und er musste nur ihn finden. ...
Das Gefühl, das ihn leitete, war zuerst ein Schmerz, ein haltloses Weh, eine scheussliche Zumutung, eine grelle Lebensunmöglichkeit. Dass diese entwürdigende Niedergeworfenheit in ein Gefühl fand, das dich von Wort zu Wort leiten konnte bis zum Schluss, das ist das Glückswunder des Schreibens. Ulrike, hören Sie mich! Hörst du mich? Wenn du mich jetzt hörtest, wärst du mir sehr nahe. Eine Einverstandenheit verbände uns, die auf den Namen Untrennbarkeit getauft ist. Ulrike."
(S. 124 ff)
[Er, 74, küsst sie, 19, sehr lange auf den Mund. Wäre ein weiteres schönes Exzerpt.]
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